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Muna oder Die Hälfte des Lebens

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
448 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am30.08.2023
Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2023
»Ich weiß, was du willst«, sagte er. »Du bekommst es nicht.« - Der neue große Roman der Georg-Büchner-Preisträgerin und Gewinnerin des Deutschen Buchpreises.
Muna liebt Magnus. Ob und wen Magnus liebt, ist schwer zu sagen. Was geschieht mit einem Leben, das man in Abhängigkeit von einem anderen führt? Muna steht vor dem Abitur, als sie Magnus kennenlernt, Französischlehrer und Fotograf. Mit ihm verbringt sie eine Nacht. Mit dem Mauerfall verschwindet er. Erst sieben Jahre später begegnen sich die beiden wieder und werden ein Paar. Muna glaubt, in der Beziehung zu Magnus ihr Zuhause gefunden zu haben. Doch schon auf der ersten gemeinsamen Reise treten Risse in der Beziehung auf. Im Laufe der Jahre nehmen Kälte, Unberechenbarkeit und Gewalt immer nur zu. Doch Muna ist nicht gewillt aufzugeben.

Terézia Mora wurde 1971 in Sopron, Ungarn, geboren und lebt seit 1990 in Berlin. Für ihren Roman »Das Ungeheuer« erhielt sie 2013 den Deutschen Buchpreis. Ihr literarisches Debüt, der Erzählungsband »Seltsame Materie«, wurde mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. Für ihr Gesamtwerk wurde ihr 2018 der Georg-Büchner-Preis zugesprochen. Terézia Mora zählt außerdem zu den renommiertesten Übersetzer*innen aus dem Ungarischen.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextNominiert für den Deutschen Buchpreis 2023
»Ich weiß, was du willst«, sagte er. »Du bekommst es nicht.« - Der neue große Roman der Georg-Büchner-Preisträgerin und Gewinnerin des Deutschen Buchpreises.
Muna liebt Magnus. Ob und wen Magnus liebt, ist schwer zu sagen. Was geschieht mit einem Leben, das man in Abhängigkeit von einem anderen führt? Muna steht vor dem Abitur, als sie Magnus kennenlernt, Französischlehrer und Fotograf. Mit ihm verbringt sie eine Nacht. Mit dem Mauerfall verschwindet er. Erst sieben Jahre später begegnen sich die beiden wieder und werden ein Paar. Muna glaubt, in der Beziehung zu Magnus ihr Zuhause gefunden zu haben. Doch schon auf der ersten gemeinsamen Reise treten Risse in der Beziehung auf. Im Laufe der Jahre nehmen Kälte, Unberechenbarkeit und Gewalt immer nur zu. Doch Muna ist nicht gewillt aufzugeben.

Terézia Mora wurde 1971 in Sopron, Ungarn, geboren und lebt seit 1990 in Berlin. Für ihren Roman »Das Ungeheuer« erhielt sie 2013 den Deutschen Buchpreis. Ihr literarisches Debüt, der Erzählungsband »Seltsame Materie«, wurde mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. Für ihr Gesamtwerk wurde ihr 2018 der Georg-Büchner-Preis zugesprochen. Terézia Mora zählt außerdem zu den renommiertesten Übersetzer*innen aus dem Ungarischen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641172442
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum30.08.2023
Seiten448 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2048 Kbytes
Artikel-Nr.11382976
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1. Achtzehn

Nachdem sie meine Mutter mit Blaulicht weggebracht hatten, ging ich in den Hof, wo das Fahrrad stand, und schon wieder hatte es einen Platten. Ihr miesen Arschlöcher! Der Innenhof schallte.

Eine junge Dame schreit doch nicht so laut! Und was für Worte!

Die alte Frau Mäder. Vorhin war ich noch Herzchen. Was ist los, Herzchen? Deine arme Mutter? Das ist ja furchtbar, Herzchen, was ist passiert?!

Meine Mutter hat genau eine Woche bis nach meinem achtzehnten Geburtstag durchgehalten, bevor sie zu viel Tabletten mit zu viel Alkohol eingenommen hat, das ist passiert.

Ich kann Sie nicht verstehen, wenn Sie so heulen, maulte die Dispatcherin, aber dann schickte sie die Rettung doch an die richtige Adresse. Keine Minute später war auch die Polizei da. Sie ließen mich nicht mit dem Krankenwagen mitfahren, sie befragten mich in der Wohnung, die Tür stand die ganze Zeit offen. Frau Mäder traute sich nicht einzutreten, sie stand im Hausflur, das Wesentliche wird sie auch so mitbekommen haben. Was für Alkohol ist nicht so wichtig, Rotwein, die Tabletten sind wichtig, was für Tabletten. Die nahmen sie mit, mich ließen sie da, obwohl sie auch ins Krankenhaus fuhren. Die Polizei ist kein Taxiunternehmen. Mein Haar war ganz verschwitzt, und ich hatte zu kurze Trainingshosen an, ich schaffte es nicht, mich umzuziehen, meine Hände zitterten so stark, aber abgesehen davon hatte ich mir die Worte der Dispatcherin durchaus zu Herzen genommen, mich zusammenzureißen, sonst wäre ich keine Hilfe. Ich war bereit, mit dem Fahrrad ins Krankenhaus zu fahren, aber dann war das Rad schon wieder platt, und immer nur dann, wenn ich es ans Geländer der Kellertreppe stellte, ich hatte sogar schon den Boden untersucht, ob da vielleicht Nägel waren oder Glassplitter, die man nicht sah, aber nichts. Jemand aus dem Haus, der nicht wollte, dass ich das Rad dort hinstellte, stach mir immer den Gummi auf, immer abwechselnd, mal vorne, mal hinten, ihr miesen Arschlöcher! Und Sie, Frau Mäder, belehren Sie mich nicht, ich rede, wie ich will!

Meine Mutter stirbt vielleicht, schrie ich in den Innenhof hoch, und ihr stecht mir das Rad auf? Verreckt doch alle!

Frau Mäder war immer noch dagegen, wie ich mich benahm, so kann man sich doch nicht benehmen. Die anderen duckten sich. Eben hingen noch alle in den Fenstern und Türen, Rettung und Polizei, Zinkwanne, oder nicht?, aber jetzt war alles wieder verrammelt. Ich zerrte das Rad aus dem Hof, direkt zur Reparatur, wo man mich schon kannte und wo Ehrke, der ehemalige Rennfahrer, bis morgen gesagt hätte, weil du es bist. Aber es war ein gottverdammter Sonntag, die Werkstatt hatte zu. Ich ließ das Rad einfach dort stehen. Ehrke würde es erkennen, wenn es bis dahin nicht geklaut wäre.

Zuerst lebten meine Eltern acht Jahre lang glücklich und zufrieden, dann bekam mein Vater Krebs und starb innerhalb weniger Monate.

Solange meine Eltern beide noch jung und gesund waren, unterhielten sie sich über wichtige Angelegenheiten nur miteinander, und ihr Zimmer war für mich auch am Sonntagmorgen tabu. Frau Helfer (das war wirklich ihr Name, eine andere Nachbarin) und ich kochten Hochzeitssuppe und Schnitzel Wiener Art, jeden Sonntag dasselbe, und wenn es fertig war, sagte Frau Helfer, ich solle mich umziehen und kämmen, damit ich fürs Mittagessen hübsch war, dann erst kamen auch sie hervor, ebenfalls hübsch angezogen und vorzüglich duftend nach Parfüm, Rasierwasser und Zigaretten.

Mein Vater war Kettenraucher und bekam Lungenkrebs, wie es im Buche steht. Diagnose im Januar, im April war er tot. In den letzten Tagen, als er begriffen hatte, dass er nicht überleben würde, wünschte er, dass ich mich zu ihm ins Bett legte, und solange er noch reden konnte, flüsterte er mir Geschichten ins Ohr über Soldaten, Pistolen und Befehle. So alt war mein Vater, dass er beim Endsturm schon vierzehn Jahre war. Meine Mutter war da noch gar nicht geboren. Unter den Märchen mochte er am liebsten das von Einäuglein, Zweiäuglein, Dreiäuglein. Das hat mich sehr aufgeregt. »Du mit deinen zwei Augen siehst aus wie gewöhnliche Menschen, du gehörst nicht zu uns.« Zweiäugig, wie ich war, bereitete mir das nur Alpträume. Von diesen Kameradengeschichten schlief ich aber bald ein. Als ich aufwachte, lag ich jedes Mal in meinem eigenen Bett. Mutter wird mich von ihm weggetragen haben, obwohl sie, wenn ich wach war, sagte, sie könne mich nicht mehr tragen, ich sei zu schwer. Eines Morgens, nachdem ich in meinem eigenen Bett aufgewacht war, sagte sie, er sei in der Nacht gestorben.

Willst du ihn noch einmal sehen?

Nein.

Auf gar keinen Fall. Später fragte ich einmal, wann er genau gestorben war. Bevor oder nachdem sie mich von ihm weggetragen hatte.

Danach, sagte sie. Sie saß noch eine Weile bei ihm und ging dann auch schlafen. Und erst danach.

Keine von uns weinte, erst als es wieder Nacht wurde und meine Mutter sich zu mir ins Bett legte. Sie sagte, sie könne nicht mehr im Ehebett liegen, in dem sie doch schon die Wochen zuvor allein gelegen hatte. So gab es bei uns zu Hause ein Totenbett, ein leeres Ehebett und ein Kinderbett, in dem meine Mutter und ich zusammen lagen und kaum schliefen.

Anders als ihr Schlafzimmer und die Sachen, die in Kinderhänden schmutzig werden oder kaputtgehen könnten, seine Bücher und Manuskripte, ihr Schmuck und ihre Kosmetika, war der Alkoholismus meiner Mutter kein Tabu. Sie sprachen mit mir darüber wie über eine ganz normale Krankheit. Fast jeder in ihrer Familie war Alkoholiker, da ist es schwer, keiner zu werden. Großvater, Vater, Mutter, Bruder. Nur ihre ältere Schwester Angela nicht. Dafür ist sie Ordentlichkeitsfanatikerin und hasst alles, was Kunst ist oder Leben (meine Mutter). Mein Vater hatte meine Mutter geheiratet, wissend, dass sie Alkoholikerin war. Er drängte sie nicht, sich zu ändern, er passte nur auf sie auf. Jeden Abend trank er zwei bis drei Gläser Rotwein aus der täglichen Weinflasche ab. Als sie schwanger wurde, gab es keinen Wein mehr, denn, das sah auch sie ein, diesem Kind durfte sie nicht schaden. Sie hat mir auch nicht geschadet. Nur um die Geburt einzuleiten, trank sie zwei Cognac, damit es endlich losging.

Die Mutter meiner Mutter konnte nach ihren Geburten den Urin nicht mehr halten, auch anderen Frauen, die meiner Mutter bekannt waren, wurde der Beckenboden zerfetzt, deswegen machte meine Mutter Beckenbodentraining. Beckenbodentraining ist die Grundlage der Gesundheitsvorsorge bei einer Frau. Tägliche Schönheitspflege ist optional, außer man ist Schauspielerin, dann ist sie Pflicht. Meine Mutter massierte ihren Körper, jeden Morgen und jeden Abend. Es gab ein langes Programm und ein kurzes. Das lange dauerte zwischen 1,5 und 2,5 Stunden, aber dann war alles mit drin, auch die Haare (Entfernung einiger, Pflege anderer). Das kurze Programm dauerte 40 Minuten und konzentrierte sich auf die Gesichts- und Körpermassage, insbesondere des Dekolletés, der Oberschenkel und der Pobacken, die Unterschenkel halten auch von alleine, aber Knie aufwärts muss man sich kümmern. Der Bauchdecke lässt man, insbesondere wenn man geboren hat, eine Zupfmassage angedeihen, die Brüste werden von Bürstenmassagen straffer. Außerdem muss man die Haut an den Unterarmen zusammenschieben, das bringt die Brüste zum Hüpfen. Man muss das hundertmal machen, aber wenn es fünfhundertmal ist, schadet das auch nicht.

Deine Mutter ist Schauspielerin geworden, um sagen zu können: Schließlich handelt es sich hier um mein Arbeitsinstrument, das gewartet werden muss, ich kann mich nicht gehen lassen wie die anderen Frauen mit Schichtdiensten und Familien, sagte die nüchterne Tante Angela. Wir sind von Natur aus üppige Frauen in der Familie, anders gesagt von Natur aus dickliche, deine Mutter hat nur alles dafür getan, gegen ihre Natur zu arbeiten, aber Alkohol schwemmt nun einmal auf, auch wenn man nicht isst.

Rotwein, Cognac und Dessertwein waren die Lieblingsgetränke meiner Mutter, im Winter Glühwein. Nach dem Tod meines Vaters trank sie all das allein. Es gab ein kurzes Programm und ein langes. Sie konzentrierte sich darauf, bei der Arbeit mehr oder weniger nüchtern zu bleiben, aber sobald der Vorhang gefallen war, trank sie das erste Glas Wein noch im Theater, den Rest der Flasche dann zu Hause, das war das kurze Programm. Anfangs kippte sie seinen Teil davon in die Spüle, später konnte sie so eine Verschwendung nicht mehr übers Herz bringen. Dem langen Programm gab sie nur an Tagen nach, an denen sie keinen Auftritt hatte. Das lange Programm hatte eine fröhliche, soziale Form, bei der sie noch draußen unterwegs sein konnte. Sie hat sich im Antikladen einen Flachmann gekauft, sie kicherte darüber, aber später wurde sie wütend, weil der Verschluss nicht dicht war. Man müsste ihn zurücktragen und ihn ihnen vor die Füße schmeißen, aber sie traute sich nicht.

Ich habe Angst vor den Frauen in den Geschäften. Vor allen Frauen in allen Geschäften, den Verkäuferinnen. Warum muss es überall Verkäuferinnen geben? Warum gibt es nur im Schraubenladen männliche Verkäufer? Mit denen komme ich viel besser klar.

Das lange Programm, bei dem sie zu Hause blieb, dauerte in der Regel zwei Tage. Sie blieb im Schlafzimmer, soff, hörte alle Schallplatten durch und tanzte, solange sie noch tanzen konnte. Sie tanzte zu Chansons ebenso wie zu Symphonien. Ich mochte dieses lange Programm mehr als das kurze oder das lange, bei dem sie draußen unterwegs war, weil dieses ihr am meisten Erleichterung verschaffte. Eine schön komprimierte Erleichterung. Danach war es über Wochen viel besser. Sie tanzte sehr schön, selbst als sie nur noch taumelte.

Meine Mutter hatte keine guten Freunde oder Freundinnen. Sie hatte Kollegen,...
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