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Der große Rausch

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am25.10.2023
Ein Buch so spannend wie ein Mafiafilm, exzellent recherchiert, hochaktuell und absolut süchtig machend
Nominiert für den Preis für das beste Wissenschaftsbuch des Jahres 2024
Wer Anfang des 19. Jahrhunderts in der westlichen Welt Drogen kaufen wollte, ging in die Apotheke. Wer Anfang des 21. Jahrhunderts in der westlichen Welt Drogen kaufen wollte, musste zu seinem Dealer. Wie es dazu kam, dass Medikamente zu Rauschmitteln, Rauschmittel zu Rauschgift und aus Rauschgift illegale Drogen wurden, erklärt uns Helena Barop in dieser fantastisch geschriebenen Geschichte der Drogenpolitik. Die Historikerin zeigt, wie vor allem die US-amerikanische Drogenpolitik ihren Weg nach Deutschland und in den Rest der Welt fand und Drogen vielerorts zu einem gesellschaftlichen Problem erklärte. Fesselnd schildert Barop, wie die Angst vor Drogen sich zuverlässig in politisches Kapital umwandeln ließ und lässt. Dabei räumt sie mit Vorurteilen und Halbwahrheiten auf und verdeutlicht an zahlreichen Beispielen: Die Geschichte der Drogenpolitik ist eine Geschichte der schillernden Ambivalenzen - und es ist an der Zeit, sie neu zu sortieren.

Helena Barop, geboren 1986, studierte in Freiburg und Rom Geschichte und Philosophie. Ihre Doktorarbeit »Mohnblumenkriege. Die globale Drogenpolitik der USA, 1950-1979« hat viel Beachtung in den Medien gefunden und wurde mit gleich drei renommierten Preisen ausgezeichnet: Mit dem Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung (2. Platz Geistes- und Kulturwissenschaften), dem Gerhard-Ritter-Preis der Universität Freiburg und dem Preis der AG Internationale Geschichte im Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands. Helena Barop lebt in Freiburg und arbeitet seit 2021 als freie Autorin.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR26,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextEin Buch so spannend wie ein Mafiafilm, exzellent recherchiert, hochaktuell und absolut süchtig machend
Nominiert für den Preis für das beste Wissenschaftsbuch des Jahres 2024
Wer Anfang des 19. Jahrhunderts in der westlichen Welt Drogen kaufen wollte, ging in die Apotheke. Wer Anfang des 21. Jahrhunderts in der westlichen Welt Drogen kaufen wollte, musste zu seinem Dealer. Wie es dazu kam, dass Medikamente zu Rauschmitteln, Rauschmittel zu Rauschgift und aus Rauschgift illegale Drogen wurden, erklärt uns Helena Barop in dieser fantastisch geschriebenen Geschichte der Drogenpolitik. Die Historikerin zeigt, wie vor allem die US-amerikanische Drogenpolitik ihren Weg nach Deutschland und in den Rest der Welt fand und Drogen vielerorts zu einem gesellschaftlichen Problem erklärte. Fesselnd schildert Barop, wie die Angst vor Drogen sich zuverlässig in politisches Kapital umwandeln ließ und lässt. Dabei räumt sie mit Vorurteilen und Halbwahrheiten auf und verdeutlicht an zahlreichen Beispielen: Die Geschichte der Drogenpolitik ist eine Geschichte der schillernden Ambivalenzen - und es ist an der Zeit, sie neu zu sortieren.

Helena Barop, geboren 1986, studierte in Freiburg und Rom Geschichte und Philosophie. Ihre Doktorarbeit »Mohnblumenkriege. Die globale Drogenpolitik der USA, 1950-1979« hat viel Beachtung in den Medien gefunden und wurde mit gleich drei renommierten Preisen ausgezeichnet: Mit dem Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung (2. Platz Geistes- und Kulturwissenschaften), dem Gerhard-Ritter-Preis der Universität Freiburg und dem Preis der AG Internationale Geschichte im Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands. Helena Barop lebt in Freiburg und arbeitet seit 2021 als freie Autorin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641306489
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum25.10.2023
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3895 Kbytes
Artikel-Nr.11383141
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1   
Vom Heilmittel zum Rauschgift
Dichte Dichter: Wie die Romantik den Rausch neu entdeckte

Die Geschichte des Drogenproblems beginnt im Jahr 1804 in London. Ein Student aus Oxford liegt im Bett und schläft einen unruhigen Schlaf, bis er schließlich von heftigen Zahnschmerzen geweckt wird. Schlaftrunken setzt er sich auf und kommt auf die Idee, die Schmerzen seien eine Folge seiner Nachlässigkeit: Ein paar Tage lang hat er es versäumt, seinen Kopf mit kaltem Wasser zu waschen, wie es sonst seine tägliche Gewohnheit ist. Kurz entschlossen steht er auf, taucht den Kopf in die Waschschüssel, legt sich mit nassen Haaren zurück in die Kissen und schläft weiter.

Nun wundert er sich nach dieser wenig professionellen zahnärztlichen Behandlung nicht sehr, als er am nächsten Morgen mit entsetzlichen Kopfschmerzen erwacht. Doch auch drei Wochen später geht es ihm nicht besser, und so betritt er eines trüben, regnerischen Sonntags eine Apotheke in der Oxford Street und bestellt ein Fläschchen Laudanum: Eine Tinktur aus Opium, das in Alkohol gelöst ist und dem geplagten Patienten schnelle Linderung verspricht.

Der Student aus Oxford hieß Thomas De Quincey und war weder der erste noch der einzige Schmerzpatient, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf die Idee kam, seine Pein mit Opium zu lindern. Opium wird aus Schlafmohn hergestellt und wurde im Mittelmeerraum schon über 5000 Jahre vor unserer Zeitrechnung angebaut. Jahrtausendelang war es das wirksamste Schmerzmittel, das der Menschheit zur Verfügung stand. Doch De Quincey war der Erste, der über die Folgen des Opiumrausches einen Klassiker der romantischen Literatur schrieb. 1821, also vor etwas mehr als 200 Jahren, erschien seine autobiografische Schrift mit dem Titel Bekenntnisse eines englischen Opiumessers, in der er die Genüsse und leidvollen Nebenwirkungen seines jahrzehntelangen Opiumkonsums im plastischen Detail ausbreitete. Eindrücklich beschrieb er darin die Leiden seiner Opiumabhängigkeit, aber auch seinen ersten Opiumrausch und die Euphorie, die das Mittel immer wieder bei ihm auslöste:

»Natürlich war ich mit der Kunst und den Mysterien des Opiumessens nicht vertraut, und was ich zu mir nahm, nahm ich also auf jede Gefahr hin. Doch ich nahm es, und nach einer Stunde, o Himmel, welch ein Umschwung, wie erhob sich mein innerster Geist aus seinen untersten Tiefen empor, welche Apokalypse der Welt in mir! Dass meine Schmerzen verschwanden, erschien mir jetzt ganz nebensächlich; diese negative Wirkung ging in der Unendlichkeit jener positiven Wirkungen unter, die sich mir in dem so plötzlich aufgetanen Abgrund der göttlichen Freuden erschlossen hatten. [...] Hier war das Geheimnis der Glückseligkeit, über das die Philosophen so vieler Jahrhunderte gestritten hatten, auf einmal enthüllt. Nun konnte man für einen Penny die Glückseligkeit kaufen und in der Westentasche bei sich tragen. Verzückungen waren transportabel geworden und ließen sich in kleinen Flaschen verkorken, und Seelenfrieden konnte die Post nun in ganzen Gallonen verschicken.«[1]

Wer die Wirkung von Opium noch nicht am eigenen Leib erlebt hatte, wurde durch solch eindrückliche Beschreibungen vielleicht neugierig gemacht. De Quincey war dabei zwar der Erste, der seinen Opiumkonsum öffentlich behandelte und damit nebenbei den literarischen Durchbruch schaffte, doch er blieb nicht der Einzige: Samuel Coleridge, Percy Shelley, John Keats, George Byron, August Wilhelm Schlegel, Novalis, E.T.A. Hoffmann, Charles Baudelaire, Edgar Allan Poe - die Liste der nachweislich opiumaffinen Literaten liest sich wie ein Who´s Who der Romantik. Nur wenige gingen dabei in ihren Beschreibungen so sehr ins Detail wie De Quincey, doch vielleicht waren die geheimnisvollen Andeutungen seiner Kollegen fast noch verlockender als dessen explizite Bekenntnisse. In seinem Band Blumen des Bösen veröffentlichte zum Beispiel Charles Baudelaire 1857 ein Gedicht mit dem Titel »Das Gift«:

»Das Opium vermehrt, was ohne alle Schranken,

Dehnt die Unendlichkeit,

Höhlt der Genüsse Rausch, vertieft den Strom der Zeit,

Mit finstrer Lust und Nachtgedanken

Füllt und erschöpft es schier der Seele Faßbarkeit«[2]

Dass gerade die romantischen Dichter sich für den Rausch zu interessieren begannen, ist an sich nicht überraschend. In Abgrenzung zu den ehrgeizigen Zielen und der betont nüchternen Ästhetik der Aufklärung machten sie das Irrationale und Unergründliche zum Gegenstand ihrer Kunst. In ihren Bildern und Texten geht es um Traum und Dunkelheit, Geheimnisvolles und Unheimliches, um Übersinnliches und um den Tod. Stoffe, die derart intensive Empfindungen hervorrufen konnten wie Opium, machten für diese Künstler greifbar, dass Wahrheit und Wirklichkeit vielleicht weniger unumstößlich sein könnten, als es die Denker der Aufklärung behauptet hatten. Die drogenunterstützte Suche nach einer romantischen Wahrheit der tiefen Empfindungen war deshalb für viele Romantiker faszinierend - ebenso wie für ihre Leserschaft.

Baudelaire beließ es nicht beim Opium. Mit einigen anderen französischen Künstlern und Intellektuellen wie Alexandre Dumas, Honoré de Balzac, Victor Hugo und Théophile Gautier traf er sich im Paris der 1840er-Jahre regelmäßig mit einem neugierigen Arzt, der die Wirkung von Haschisch erproben wollte. Mit ritueller Ernsthaftigkeit kratzten die versammelten Gäste des Club des Hachichins in einem heruntergekommenen Pariser Stadtpalais teelöffelweise Haschischmarmelade von ihren Untertassen und nahmen hinterher gesalzenen Kaffee zu sich, um die Verteilung der Wirkstoffe im Körper zu beschleunigen.

In seiner Abhandlung über die so bereisten »künstlichen Paradiese« (Les paradis artificiels) beschrieb Baudelaire die Wirkung von Haschisch im Detail: Es steigere Traum und Wirklichkeit, stärke auch das Genie, nehme dem Reisenden während des Drogenabenteuers aber die Kraft, mit diesem Genie irgendetwas anzufangen. Zuerst befalle einen »eine gewisse, lächerliche, unbezwingbare Heiterkeit«, später werde »der Faden, der deine Einfälle verbindet, so dünn, dass nur deine Genossen dich verstehen können«. Danach erschienen die »Hände wie aus Butter«, aber es entwickele sich eine »neue Feinfühligkeit, eine Überschärfung aller Sinne.« In manchen Fällen, so berichtet der Dichter, schwinde sogar das Persönlichkeitsbewusstsein, der Reisende vergesse seine eigene Existenz und gehe ganz in der Betrachtung der äußeren Dinge auf. Auf den Höhepunkt des Rausches, den Baudelaire als halluzinatorische Heimsuchung schildert, folgt in seiner Beschreibung dann eine tröstliche Phase, in der »ruhige unbewegliche Glückseligkeit« sich breitmacht.[3]

Wie De Quincey beließ auch Baudelaire es nicht bei den träumerischen Lobeshymnen. Auch er versah die Berichte über seine Drogenerfahrungen mit der eindringlichen Warnung, welche »moralische Zerstörung« der Konsum mit sich bringe. Ob diese Warnungen die Leser*innen abschreckten oder ob sie noch zur morbiden Faszination für die gefährlichen Gelüste des Rausches beitrugen, kann nur vermutet werden.

Den eloquenten Beschreibungen der dichten Dichter war es jedenfalls zu verdanken, dass seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts plötzlich öffentlich darüber gesprochen und geschrieben wurde, was viele Patient*innen im Geheimen schon lange wussten: Es gab Medizin, die nicht nur heilte, sondern auch Spaß machte und deren langfristiger Konsum möglicherweise gewisse Gefahren mit sich brachte. Drogen waren damit nicht mehr nur Heilmittel, sie konnten auch Rauschgifte sein. Drogenkonsum war unter diesem Titel zum ersten Mal zur Freizeitbeschäftigung geworden.
Heroin, Coca-Cola, Aspirin: Die wilde Suche nach neuen Wirkstoffen

Im Jahr 1804, als Thomas De Quincey gerade in London seine ersten Erfahrungen mit Opium machte, forschte in Paderborn ein junger Mann namens Friedrich Wilhelm Sertürner auf seine eigene Weise an ebendiesem Stoff. Er war 21 Jahre alt, hatte gerade erst sein pharmazeutisches Examen abgelegt und arbeitete als Apothekergehilfe. Nach einer Reihe von Experimenten gelang es ihm 1805, aus dem getrockneten Saft der unreifen Schlafmohnkapsel denjenigen Wirkstoff zu isolieren, der für die psychoaktive und sedierende Wirkung von Opium verantwortlich ist. Nach dem griechischen Gott der Träume und des Schlafes nannte er seine Entdeckung »Morphium«.

Morphium erwies sich wie erhofft als überaus wirksames Schmerzmittel, dessen oraler Konsum jedoch ungünstigerweise häufig Brechreiz hervorrief. Erst in den 1850er-Jahren setzte sich Morphium dann in der Breite als Arzneimittel durch, nachdem 1843 ein Instrument erfunden worden war, das dessen genaue Dosierung erleichterte, den Brechreiz vermied und das dessen Wirkung außerdem noch um einiges verstärkte: die Injektionsspritze. Pünktlich zum Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkrieges im Jahr 1861 stand mit der Morphiumspritze ein Mittel zur Schmerzbehandlung zur Verfügung, das die grausamen körperlichen Leiden etwas lindern konnte, die durch diesen verlustreichsten aller amerikanischen Kriege hervorgerufen wurden. Für die Verletzten war das ein Segen, doch viele von ihnen kamen nicht nur traumatisiert aus dem Krieg zurück, sondern blieben auch an der...

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