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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
480 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am13.09.2023
Der neue Roman von Daniel Wisser: »eine der spannendsten Stimmen der österreichischen Gegenwartsliteratur« (Süddeutsche Zeitung)
Leichtfüßig und lakonisch erzählt Daniel Wisser von einem Schelm inmitten der großen Krisen der Gegenwart. Erik Montelius existiert von Amts wegen nicht - diese Freiheit muss er nutzen.
Vor dreißig Jahren verstorben, bekommt der Computerentwickler Erik Montelius ein zweites Leben geschenkt: Als erster Patient weltweit wird er aus der kryotechnischen Konservierung geholt. Fortan sieht er sein Dasein nicht in Leben und Tod geteilt, sondern in erstes Leben, zweites Leben und Tod. Doch auch im zweiten Leben ist die Welt keine bessere: Seine Frau hat seinen Geschäftspartner geheiratet - der hat zudem Eriks Ideen geklaut. Die Menschen tragen Masken über Mund und Nase, wischen auf tragbaren Computern herum und haben die Visionen von einer gerechten und umweltfreundlichen Gesellschaft aufgegeben. Erik hat nichts, kein Geld, kein Zuhause, nicht einmal einen Ausweis. Aber er hat einen Verdacht, wem er seinen ersten Tod zu verdanken hat. Und er hat einen Buchvertrag und damit die Gelegenheit, die Wahrheit ans Licht zu bringen ...

DANIEL WISSER, 1971 in Klagenfurt geboren, schreibt Prosa, Gedichte, Songtexte. 1994 Mitbegründer des Ersten Wiener Heimorgelorchesters, zuletzt erschien das Album »Die Letten werden die Esten sein«. 2018 für den Roman »Königin der Berge« mit dem Österreichischen Buchpreis und dem Johann-Beer-Preis ausgezeichnet. 2021 mit seinem Roman »Wir bleiben noch« sowohl auf der SWR-Bestenliste wie auch auf der ORF-Bestenliste. Im Frühjahr 2022 erschien der Erzählungsband »Die erfundene Frau«. Daniel Wisser lebt in Wien.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR15,99

Produkt

KlappentextDer neue Roman von Daniel Wisser: »eine der spannendsten Stimmen der österreichischen Gegenwartsliteratur« (Süddeutsche Zeitung)
Leichtfüßig und lakonisch erzählt Daniel Wisser von einem Schelm inmitten der großen Krisen der Gegenwart. Erik Montelius existiert von Amts wegen nicht - diese Freiheit muss er nutzen.
Vor dreißig Jahren verstorben, bekommt der Computerentwickler Erik Montelius ein zweites Leben geschenkt: Als erster Patient weltweit wird er aus der kryotechnischen Konservierung geholt. Fortan sieht er sein Dasein nicht in Leben und Tod geteilt, sondern in erstes Leben, zweites Leben und Tod. Doch auch im zweiten Leben ist die Welt keine bessere: Seine Frau hat seinen Geschäftspartner geheiratet - der hat zudem Eriks Ideen geklaut. Die Menschen tragen Masken über Mund und Nase, wischen auf tragbaren Computern herum und haben die Visionen von einer gerechten und umweltfreundlichen Gesellschaft aufgegeben. Erik hat nichts, kein Geld, kein Zuhause, nicht einmal einen Ausweis. Aber er hat einen Verdacht, wem er seinen ersten Tod zu verdanken hat. Und er hat einen Buchvertrag und damit die Gelegenheit, die Wahrheit ans Licht zu bringen ...

DANIEL WISSER, 1971 in Klagenfurt geboren, schreibt Prosa, Gedichte, Songtexte. 1994 Mitbegründer des Ersten Wiener Heimorgelorchesters, zuletzt erschien das Album »Die Letten werden die Esten sein«. 2018 für den Roman »Königin der Berge« mit dem Österreichischen Buchpreis und dem Johann-Beer-Preis ausgezeichnet. 2021 mit seinem Roman »Wir bleiben noch« sowohl auf der SWR-Bestenliste wie auch auf der ORF-Bestenliste. Im Frühjahr 2022 erschien der Erzählungsband »Die erfundene Frau«. Daniel Wisser lebt in Wien.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641294366
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum13.09.2023
Seiten480 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1357 Kbytes
Artikel-Nr.11383153
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


01.07.2022

Nikki will mit Leonie und mir ans Meer fahren. Ich sage ihr nicht, dass ich das Meer hasse (oder fürchte?). Ich habe beschlossen, meine Biografie nicht von einer Ghostwriterin schreiben zu lassen. Ich schreibe sie selbst und habe dafür wahrscheinlich nur zwei, drei Monate Zeit.

Immer wieder werde ich gefragt, was ich nach dem Aufwachen als Erstes dachte. There will be an answer: Ich glaubte, eine Schildkröte zu sein. Natürlich erzähle ich das nur, damit ich irgendetwas erzähle. In Wahrheit dachte ich, dass man mich zum Sterben in ein anderes Zimmer geschoben hatte. Ich hatte Krebs, das wusste ich. Brustkrebs. Normalerweise bekommt ein Krebskranker von seinen Mitmenschen geheucheltes Mitleid. Ein Mann, der Brustkrebs hat, bekommt hingegen nur ein blödes Grinsen. Als ob er am Brustkrebs nicht genauso leiden würde wie eine Frau! Ich hatte Brustkrebs, aber daran wäre ich nicht gestorben. Es sollte nur so aussehen, als wäre ich an einer Krebserkrankung gestorben. In Wahrheit wurde ich ermordet.

Alle fragen mich, woran ich mich als Erstes erinnern kann. Und ich sage: DDT. Im Zimmer roch es nach DDT. Und da war noch jemand mit mir im Raum. Ich hatte die Augen geschlossen, aber ich hörte sie reden. Sie - denn es war eine Frauenstimme.

- Ich höre dich kaum. Hier ist der Empfang so schlecht.

Die Tür ging auf. Plötzlich war eine zweite Stimme zu hören:

- Kommst du mit in die Kantine?

- Was gibt´s denn heute?

Schritte. Langsames, fast kindliches Vorlesen:

- Dienstag, 9. November 2021: Fleischbällchen im Speckmantel.

- Na gut, was soll´s! Man lebt nur einmal und das wahrscheinlich nicht lange.

Schritte. Tür auf. Tür zu. Beide waren weg. Ich öffnete die Augen.

Alle wollen wissen, was ich als Erstes gesehen habe. There will be an answer: Jesus. Einen billigen, vom Sonnenlicht ausgebleichten Holzjesus, das Gesicht verkrampft, wahrscheinlich von der Abneigung gegen den DDT-Geruch im Zimmer. Was für ein armseliges Spitalszimmer, in dem zwei armselige Acrylgemälde hingen und ein armseliger Holzjesus. Und eine große Uhr. Sie zeigte zwei Uhr und zweiundzwanzig Minuten.

Ich hatte noch das Datum im Ohr, das die Frauenstimme genannt hatte: 9. November 2021. Ich dachte nach. 2021 ist eine Ternärzahl, die wir im Dezimalsystem Einundsechzig nennen. Früher hatte ich die Formel im Kopf beherrscht, jetzt musste ich hochzählen:

0 1 2 10 11 12 20 21 22 100 101 102 110 111 112 120 121 122 200 201 202 210 211 212 220 221 222 1000 1001 1002 1010 1011 1012 1020 1021 1022 1100 1101 1102 1110 1111 1112 1120 1121 1122 1200 1201 1202 1210 1211 1212 1220 1221 1222 2000 2001 2002 2010 2011 2012 2020 2021

2021 war die Ternärzahl für den Dezimalwert 61, aber die Formel für die Umrechnung, die ich früher im Schlaf beherrscht hatte, fiel mir nicht mehr ein. Ich blickte wieder zu Jesus auf und dachte: Wenn der Menschensohn zurückkommen wird in aller Herrlichkeit, wird er sich mit allen Engeln auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen.

Nach einiger Zeit kam wieder jemand ins Zimmer. Es war eine Frau in hellblauer Hose und hellblauem Kasack. Die Hellblaue nahm ein kleines schwarzes Gerät zur Hand und begann es zu streicheln. Das Ding erinnerte mich an die Tric O Tronic-Spiele, die ich früher gespielt hatte. Und mein allerliebstes Tric O Tronic-Spiel war Donkey Kong. Man konnte die kleine Konsole aufklappen und spielte auf zwei Bildschirmen. Multi Screen - so hieß es auf der Verpackung. Plötzlich begann die Hellblaue zu sprechen:

- Entschuldige, du klingst ganz abgehackt. Warte! Jetzt geht es wieder.

Ich konnte zwar die Brille sehen und die abstehenden Ohren. Aber Kinn, Mund und Nase waren von einer OP-Maske verdeckt. Lange betrachtete ich sie, bis sie plötzlich zu mir herüberblickte und bemerkte, dass ich sie ansah. Sie stand auf, kam auf das Krankenbett zu, blieb stehen und bewegte ihre Hand langsam vor meinen Augen hin und her.

- Das gibt´s ja nicht! Hallo, können Sie mich hören? Hallo! Herr Montelius! Hören Sie mich?

Ich folgte ihrer Hand nicht, sondern blickte ihr in die Augen. Jetzt bemerkte ich, dass sie keine abstehenden Ohren hatte, sondern dass die Zugbänder ihrer OP-Maske ihre Ohren auffalteten. Es war keine normale OP-Maske. Sie hatte eine Schnabelform wie eine venezianische Karnevalsmaske.

- Man lebt nur einmal und das wahrscheinlich nicht lange.

Mehr als sie erschrak ich darüber, die eigene Stimme zu hören. Meine Stimme klang fremd, blechern und (Soraya, füge bitte hier noch irgendein Adjektiv ein!). So, wie wenn man sich selbst mit einem Kassettenrekorder aufnimmt.

- Das habe ich doch vor dem Essen zu Schwester Vanessa gesagt. Haben Sie mitgehört?

- Sunday´s on the phone to Monday. Tuesday´s on the phone to me.

- Herr Montelius! Es ist ... ein Wunder!

Sie war aufgeregt. Die hochgesteckten Haare hüpften unentwegt auf und ab. Da sie weitsichtig war und die Brille ihre Augen vergrößerte, sah sie noch aufgeregter aus. Sie hatte die Brille so weit hochgeschoben, dass die Gläser auch ihre Augenbrauen vergrößerten. Doch ich konnte die Augenbrauen nur verschwommen sehen, denn der Atem, der aus ihrer Gesichtsmaske kam, hatte die Brillengläser beschlagen.

- Sie sind ... Sie sind ... wach! Bitte, warten Sie einen Moment!

Sie lief aus dem Zimmer. Ich blickte zur Uhr. Es war immer noch zwei Uhr und zweiundzwanzig Minuten. Wenig später kam sie mit einer anderen Frau zurück, die einen weißen Kittel trug. Die Frau im weißen Kittel hielt einen Plastikbecher in der Hand. Während sie zur Tür hereinkam, redete sie ohne mich zu beachten.

- Ich bin so schrecklich müde. Vielleicht hat´s mich erwischt. Ich habe gerade eine Pechsträhne. Gestern ist mir auch noch das Auto eingegangen. Mitten auf der Stadtautobahn. Also, ich hoffe, die Werkstatt kriegt das bis morgen hin. Ich fahre sicher nicht mit der U-Bahn, jetzt wo die nächste Welle kommt!

- Ich auch nicht. Ich fahre mit dem Rad.

- Na ja, jetzt setzen sie ja auch schon auf Herdenimmunität. Wie die Schweden. Also: Wie geht´s unserem Zombie?

Sie setzte sich an mein Bett. Ich las das Schild an ihrer Brust: Oberärztin Dr. Kerkhoff. (Hatte sie keinen Vornamen?, fragt Soraya. Ich glaube, sie hieß Carmen. Aber das spielt keine Rolle. Oder doch?) Mit dem Zombie hatte sie mich gemeint, doch eigentlich sah sie wie ein Zombie aus. Sie hatte immer noch den Becher in der Hand, schaute sich um und stellte ihn auf dem Tischchen neben dem Bett ab.

- Warten Sie, ich muss die Maske aufsetzen.

Sie griff in ihren Ärztemantel, zog eine OP-Maske heraus, und die gelifteten Lippen verschwanden darunter. Ich wunderte mich, dass alle hier Masken trugen. Dr. Kerkhoff nahm meinen Arm und fühlte den Puls. Ich blickte zu ihrem Kaffeebecher.

- Wie lange, bis dieser Becher verrottet?

Die Oberärztin reagierte nicht. Die Hellblaue aber rannte aufgeregt herum, suchte nach einem Stift, einem Blatt Papier, nahm den Donkey Kong und rückte einen Stuhl an das Bett.

- 450 Jahre?

Die Hellblaue hatte einen Stuhl ganz nah an mein Bett gerückt und saß an meiner linken Seite. Ich konnte ihren Atem riechen. Das waren wohl die Fleischbällchen.

- Können Sie bitte wiederholen, was Sie gerade gesagt haben?

- Ich habe gefragt, wie lange es dauert, bis dieser Plastikbecher verrottet.

Die Oberärztin griff zum Fußende des Betts und zog einen Zettel aus einem Schlitz. Er steckte in einer Klarsichthülle. Sie brauchte einige Zeit, bis sie den Zettel daraus befreit hatte.

- Plastik, Plastik, Plastik.

- Der denkt anscheinend nur an Plastik.

Dr. Kerkhoff redete nur mit der Hellblauen, nicht mit mir.

- Trinkt man denn immer noch aus Plastikbechern?

Zum ersten Mal blickte mir die Ärztin in die Augen und schüttelte dabei den Kopf. Dann kritzelte sie auf den Zettel.

- Labor machen wir gleich neu. Wegen der Werte muss ich mit Ihnen sprechen, Frau Hanson. Ich sage es gleich den Schwestern: Die Sonde bleibt. Wenn er schlucken kann, soll er was Breiiges probieren. Katheter bleibt. Ich brauche seine Werte rund um die Uhr!

Dann stand die Oberärztin Dr. Kerkhoff auf, verließ das Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu. Die Hellblaue rückte mit dem Stuhl näher.

- Herr Montelius!

- Erik. Ich bin Erik. Sie können Du zu mir sagen!

- Ich würde es vorziehen, beim Sie zu bleiben.

- Wie Sie möchten! Wann werde ich operiert?

- Sie werden gar nicht operiert. Wie kommen Sie denn darauf?

- Warum tragen Sie dann eine OP-Maske?

- Das erkläre ich Ihnen später.

- Später ist es zu spät.

- Herr Montelius, mein Name ist Lillemor Hanson.

Lillemor drückte die Brille mit dem kleinen Finger gegen die Nase und nickte.

- Ich möchte ein Gespräch mit Ihnen führen. Ist es in Ordnung, wenn ich es aufzeichne?

- Wenn ich mir die Aufnahme nicht anhören muss. Meine Stimme ...

- Okay, wir starten.

Lillemor legte den Donkey Kong vor sich hin und berührte ihn ein paarmal mit dem Zeigefinger.

- Der Donkey Kong ist ein Kassettenrekorder?

- Was?

- Das Ding da.

- Das ist ... Das erkläre ich...

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