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Etwas verborgen Schönes

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
400 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am13.12.2023
'Wenn man dem Herzen keinen Raum gibt, stirbt es.'
Uckermark, 2022: Ein altes Gutshaus nicht weit vom Nirgendwo entfernt, mitten im Juli. Die Neunzigjährige Ottilie Rabe versammelt ihre weit verzweigte Verwandtschaft, um ihren Nachlass zu regeln. Doch das Treffen reißt alte Wunden auf. Vor allem will sie einem blinden Fleck in ihrer Erinnerung nachgehen. Denn Ottilie hat über Jahrzehnte etwas verheimlicht, und das ist so ungeheuerlich, dass es ihrer aller Leben für immer verändern wird.
Berlin, 1944: Ein hochrangiger Gestapo-Offizier wird tot in seiner Wohnung aufgefunden, er wurde mit einem Hammer erschlagen. Der ermittelnde Kriminalrat Werner Beltheim steht unter großem Druck, den Fall rasch aufzuklären. Dringend tatverdächtig ist die Tochter des Toten, die neben ihm auf einem Hocker sitzt. Ihr Name ist Ottilie Rabe ...

Arne Jensen war lange Arzt und in der Traumatherapie tätig und interessierte sich schon früh für die jüngere deutsche Geschichte und deren Folgen für die Nachkriegsgeneration. 'Etwas verborgen Schönes' ist sein erster Roman im Heyne Verlag, in den er sein Spezialgebiet familiäre Kriegstraumata einfließen lässt. Arne Jensen lebt mit seiner Familie in Hamburg und Schleswig-Holstein.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

Klappentext'Wenn man dem Herzen keinen Raum gibt, stirbt es.'
Uckermark, 2022: Ein altes Gutshaus nicht weit vom Nirgendwo entfernt, mitten im Juli. Die Neunzigjährige Ottilie Rabe versammelt ihre weit verzweigte Verwandtschaft, um ihren Nachlass zu regeln. Doch das Treffen reißt alte Wunden auf. Vor allem will sie einem blinden Fleck in ihrer Erinnerung nachgehen. Denn Ottilie hat über Jahrzehnte etwas verheimlicht, und das ist so ungeheuerlich, dass es ihrer aller Leben für immer verändern wird.
Berlin, 1944: Ein hochrangiger Gestapo-Offizier wird tot in seiner Wohnung aufgefunden, er wurde mit einem Hammer erschlagen. Der ermittelnde Kriminalrat Werner Beltheim steht unter großem Druck, den Fall rasch aufzuklären. Dringend tatverdächtig ist die Tochter des Toten, die neben ihm auf einem Hocker sitzt. Ihr Name ist Ottilie Rabe ...

Arne Jensen war lange Arzt und in der Traumatherapie tätig und interessierte sich schon früh für die jüngere deutsche Geschichte und deren Folgen für die Nachkriegsgeneration. 'Etwas verborgen Schönes' ist sein erster Roman im Heyne Verlag, in den er sein Spezialgebiet familiäre Kriegstraumata einfließen lässt. Arne Jensen lebt mit seiner Familie in Hamburg und Schleswig-Holstein.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641288907
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum13.12.2023
Seiten400 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1752 Kbytes
Artikel-Nr.11383163
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1

Berlin, April 1944

In der Wohnung roch es stark nach Kohlebrand. Ihre Mutter hatte wohl den Kaminzug etwas zu weit geschlossen. Oder ihr Bruder Ludwig. Zwar gab es in dem modernen Bau bereits eine Zentralheizung, aber in der Stube stand auch noch ein Ofen. Für die Gemütlichkeit. Heute Abend würde es folglich mächtig Ärger geben. Denn ihr Vater mochte den Schwefelgestank der billigen Braunkohle nicht. Und kleine Anlässe genügten, seinen Zorn zu entfachen.

Ottilie stand im Schlafzimmer ihrer Eltern. Alle nannten sie Lili, nur ihr Vater nicht. Ihr Blick war jetzt auf das große Fenster gerichtet, das zum Hinterhof wies. Durch den nur einen Spalt weit geöffneten Fensterflügel drang kühle, feuchte Luft ins Zimmer. Es hatte in den letzten Tagen immer wieder geregnet, jetzt allerdings kam die Sonne durch. Lili fühlte sich unwohl. Es schien, als wäre ihre Aufmerksamkeit in diesem Moment nur auf Kleinigkeiten gelenkt. Spuren von Straßendreck auf den Dielen. Und der Schirm hatte getropft, an der Garderobe im Flur stand sogar eine Wasserpfütze. Ja, Vater würde außer sich sein. Er liebte den hellen, frisch gewachsten Holzboden. Auf der Fensterbank und dem Sims lag etwas Schmutz. Lili erkannte auf der Anrichte eine ältere Ausgabe des Völkischen Beobachters. »Festung Sewastopol uneinnehmbar!«, verkündete das Blatt vollmundig. Winzig kleine Staubkörner schwebten vor ihren Augen, das Licht brach sich an ihnen als heller Pfeil und zeigte auf einen Herrenhalbschuh neben dem Bett. Dort, an dicken, glänzenden Tropfen, flammte es jäh auf in dunklem Rubinrot. Das herrlich feine Hirschleder war sicherlich ruiniert. Die Farben und kleinen Flocken, die neckisch darüber tanzten, gaben allem einen unwirklichen, beinahe zauberhaften Schimmer.

Rubin und Silberfaden, dachte sie und erinnerte sich an die Märchen, die ihre Großmutter so oft erzählt hatte. Die Edelsteine wurden von Feen im letzten Glühen des Abendlichts erschaffen, hatte sie gesagt. Und das feine Metall wurde von ihnen aus dem Tau der Wiesen am Morgen gesponnen. Vielleicht schützte dieses geheime Wissen den Menschen vor dem Irrsinn der Wirklichkeit? Ihr Onkel hatte zu Märchenmusik getanzt. Vor dem Krieg. Lili drückte das Paar abgetragener Spitzenschuhe an sich. Onkel Anton hatte schon immer Leinen bevorzugt. Folglich musste sie besonders achtgeben, denn ihre Hände waren schmutzig geworden. Mit Sorge musterte sie einen kleinen, roten Fleck auf dem Stoff. Sie würde Oma fragen, wie sie ihn wieder herausbekäme.

Während die junge Frau nur dastand, wanderte der Lichtpfeil langsam weiter zum Kopfende des Bettes. Der Körper des Vaters lag seltsam verrenkt, ein Arm auf dem Nachttisch, als hätte er eben nach einem Buch greifen wollen. Die Strahlen des harten Sonnenlichts spiegelten sich im Glas der teuren Armbanduhr. Es war gesprungen. Wie kleine Adern strebten die Risse einer Mitte zu. Fast perfekt, nur im Bereich der Zeiger waren sie leicht verschoben und eingedrückt. Lili bemerkte einen Schimmer in den Augen ihres Vaters. In ihnen lag ein Staunen, als hätten sie den Sinn des Lebens im letzten Augenblick noch erfasst. Doch sie waren trüb, in der Tiefe war nur noch ein bleiches Blau zu erahnen.

Lilis Verstand schien auf seltsame Weise blockiert. Alle Eindrücke blieben irgendwie stecken. Ihre Augen sahen zwar, ihre Ohren hörten. Sie spürte den Luftzug durch das Fenster und nahm den ungewöhnlichen Geruch im Zimmer wahr. Aber ihr Geist und ihre Sinne spielten ihr Streiche. Als würden innen und außen verschwimmen.

Und dann plötzlich drang der Lärm doch zu ihr durch. Die Sirenen. Was geschah da draußen? Ging es sie etwas an? Nur die Öffentliche Vorwarnung, also noch kein Grund zur Sorge für die Bewohner der umliegenden Straßen. Dennoch lösten die Geräusche Unbehagen in Lili aus, denn sie kündigten das große Unheil, den nahenden Tod, an. Ihr Heranwachsen in dieser Stadt war seit Jahren begleitet gewesen von den Ängsten der Familien und der Trauer der Witwen. Das Grauen war jedoch in den letzten Monaten immer näher gekommen. Nicht nur die Front im Osten. Der Tod in Berlin schoss jetzt aus den Wolken. Luftalarm bedeutete, dass es jeden überall zu jeder Zeit erwischen konnte. Aber obwohl Lili erst sechzehn war, wusste sie, dass das Ende auch Trost bedeuten konnte. Es hatte viele Freitode in der Stadt gegeben. Gequälte Menschen, die in ihrer Verzweiflung nicht weiterwussten, sich in die Spree oder vor die Hochbahn warfen. Soldaten auf Heimaturlaub hatten eher sich und ihre Geliebte erschossen, als wieder an die Front zurückkehren zu müssen. Natürlich stand so etwas nicht im Völkischen Beobachter. Oma Ilse hatte ein paar schlimme Geschichten erzählt. Und die wenigen Andeutungen aus den Briefen ihres Onkels reichten aus, dass Lili sich vorstellen konnte, wie grausam es an der Front zuging.

Vielleicht hätte sie in diesem Moment etwas fühlen müssen. Trauer und Entsetzen? Angst? Oder wenigstens eine Abscheu, denn hier lag doch der eigene Vater! Zerschlagen in seinem Blut. Eine Gestalt, die im Leben so bedrohlich gewesen war. Lili betrachtete seine bleichen Hände, feingliedrig und fast zart. Und doch brutal. Wie oft hatten sie zugeschlagen? War es also Erleichterung, die sie verspürte? Sie wusste es nicht, denn alle Gefühle schienen durch eine Art innere Erstarrung unzugänglich.

Zwölf Sekunden tönte draußen der Alarm. Und unten im Hof, auf der Straße ging das Leben weiter, als wäre nichts gewesen. Vielleicht konnte auch sie einfach in die Küche gehen? Oder ein paar Tanzschritte in ihrem Zimmer üben? Dort, in Richtung Innenhof, war das Jaulen etwas gedämpfter zu hören. Dann kamen zwölf Sekunden Grabesstille. Es war, als hielte die Volksgemeinschaft den Atem an. Wieder der Lärm. Und die letzten zwölf Sekunden waren immer die längsten, denn mit ihnen setzten die bangen Fragen ein: Kommt der richtige Alarm? Aus welcher Richtung fliegen sie ein? Wer ist heute dran?

Die Meldung im Drahtfunk verhieß nichts Gutes. Waren Luftangriffe zu befürchten, dann wurde der Rundfunkbetrieb abgeschaltet und durch das Telefonnetz »über Draht« ersetzt. Wer einen Anschluss und ein Gerät hatte, musste es einschalten und die Meldungen mithören. Natürlich hatte ihr Vater von seiner Dienststelle einen modernen Apparat erhalten, der nicht mühsam von Hand umgeschaltet werden musste. Ein schnöder Volksempfänger wäre auch unter seiner Würde gewesen. Das hübsche Gerät von Philips hatte Lili von Anfang an fasziniert. Die Frequenzwählscheibe zeigte nämlich die Namen vieler Orte, die zum Träumen einluden: Lissabon, Neapel, Budapest, Tallin, Rom, Paris. Das Radio stand auf einer Anrichte in der Stube nahe der Tür, sodass es bei Bedarf überall in der Wohnung gut zu hören war. Nun krächzte die Stimme des Rundfunksprechers aus dem Lautsprecher: »Achtung! Achtung! Hier spricht das Flugüberwachungskommando Berlin. Wir bringen eine Luftlagemeldung. Feindliche Bomberverbände befinden sich über dem Raum Braunschweig im Anflug auf die Reichshauptstadt. Wir melden uns in Kürze wieder.«

Ihr Vater hatte auf dem Amt natürlich wieder früher von dem bevorstehenden Angriff erfahren und war aus dem Dienstgebäude an der Prinz-Albrecht-Straße nach Hause in ihre Wohnung in der Nähe des noblen Belle-Alliance-Platzes geeilt. So bekam die Familie immer die besten Plätze im Bunker an der U-Bahn-Station Kaiserhof. Oft ließ er sie auch einfach durch einen Fahrer abholen, und sie nutzten die Schutzbauten des Reichssicherheitshauptamtes, die einem unterirdischen Hotelbetrieb ähnelten.

Als ihr Vater vor einiger Zeit stark angetrunken gewesen war, hatte er bei Freunden damit geprahlt, dass der Sicherheitsdienst auf allen englischen Flugplätzen Spione beschäftigte. »Wir wissen schon alles«, pflegte er zu sagen. »Der Sicherheitsdienst kennt bereits alle Frontbewegungen, bevor die erste Granate einschlägt. Bevor Schütze Arsch überhaupt bemerkt, dass ihm die Sohlen brennen. Wir wissen sogar, welches Mundwasser Zarah Leander benutzt. Von Stalins Klopapier ganz zu schweigen.«

Lili stand da, den Mund halb geöffnet, den Blick starr nach vorn gerichtet, und sie war unfähig, sich zu bewegen. Die Welt schien stillzustehen. So wie neulich im Astor-Kino am Kurfürstendamm. Der Film mit Hans Albers. Das Bild hatte plötzlich angehalten. Gerade in dem Augenblick, da Albers eine Liebeserklärung hauchen wollte. Seltsam dämlich hatte er ausgesehen mit seinem halb offenen Mund und den herabgesunkenen Lidern. Nach einem Moment des Stillstands war dann das Zelluloid geschmolzen. Albers hatte sich einfach in der Hitze aufgelöst. Erst war nur ein Punkt auf seiner Wange erschienen. Ein Loch, das schnell größer wurde. Dann hatte sich die Szene in einer kleinen Stichflamme aufgelöst. Vielleicht stammte auch das Bild in diesem Schlafzimmer nur aus einem Film. Vielleicht war es gar nicht real? Vielleicht würde es sich einfach auflösen, bevor es sich für immer in ihren Verstand eingrub. Vielleicht war es nur ein Kerzenschatten, der mit dem Erlöschen des Dochts verschwand und das Grauen mit sich nahm.

Plötzlich hörte sie ihren Namen. Leise und doch energisch.

»Lili! In den Flur. Komm schon!«

Oder bildete sie sich diese bekannte Stimme nur ein?

»Herrgott, komm endlich!«

Schließlich leistete sie dem heftigen Drängen Folge. Im Treppenhaus war es gespenstisch still. War mittlerweile der Vollalarm ausgelöst worden? Sonst klackten doch wenigstens die Blechklappen der Sehschlitze an den anderen Türen, wenn jemand im Hausflur stand. Nichts. Jemand packte Lili am Arm, zog sie hinab bis zum ersten Stock, aber dort riss sie sich los.

»Die Schuhe!«, rief sie so laut, dass ihre Stimme durch das gesamte Haus...

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Arne Jensen war lange Arzt und in der Traumatherapie tätig und interessierte sich schon früh für die jüngere deutsche Geschichte und deren Folgen für die Nachkriegsgeneration. "Etwas verborgen Schönes" ist sein erster Roman im Heyne Verlag, in den er sein Spezialgebiet familiäre Kriegstraumata einfließen lässt. Arne Jensen lebt mit seiner Familie in Hamburg und Schleswig-Holstein.