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Kleine Schule des Fliegens

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
208 Seiten
Deutsch
Braumüller Verlagerschienen am03.04.20231. Auflage
Jeden Tag versammeln sich mehr Krähen draußen in der Platane. Sollte Alexander Höch, der gerade eine Chemotherapie hinter sich hat, misstrauisch werden? Vielleicht auch, weil seine Frau Eva ihn ausgerechnet jetzt allein lässt? Doch bald entdeckt Höch seltsame Ähnlichkeiten zwischen sich und den Vögeln vor dem Fenster. Sehr zum Unmut von Melitta Miller, der Nachbarin, die zuweilen nach dem Rekonvaleszenten sieht und die mit ihrer Krähenabwehr immer radikalere Mittel findet, um die gefiederten Zuwanderer aus der Straße zu vertreiben. Soghaft und mit abgründiger Komik erzählt Kleine Schule des Fliegens von den realen und surrealen Provokationen des Lebens sowie von Leidenschaften, die einem den Boden unter den Füßen wegziehen. Gut, wer nun fliegen kann oder die richtigen Verbündeten hat!

Christina Walker, 1971 in Bregenz geboren, studierte Germanistik, Theaterwissenschaft und Kulturmanagement in Wien. Nach langjähriger Tätigkeit für Theater, Film und Museen in Wien und Berlin lebt sie heute in Augsburg. Ihre Texte wurden bereits mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Schwäbischen Literaturpreis für eine Novelle (2020) und dem Netlitpreis des Münchner Kurzgeschichtenwettbewerbs (2021). Für den Beginn ihres ersten Romans Auto erhielt sie 2018 den Vorarlberger Literaturpreis. Bei Braumüller erschienen: Auto, Roman (2021)
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextJeden Tag versammeln sich mehr Krähen draußen in der Platane. Sollte Alexander Höch, der gerade eine Chemotherapie hinter sich hat, misstrauisch werden? Vielleicht auch, weil seine Frau Eva ihn ausgerechnet jetzt allein lässt? Doch bald entdeckt Höch seltsame Ähnlichkeiten zwischen sich und den Vögeln vor dem Fenster. Sehr zum Unmut von Melitta Miller, der Nachbarin, die zuweilen nach dem Rekonvaleszenten sieht und die mit ihrer Krähenabwehr immer radikalere Mittel findet, um die gefiederten Zuwanderer aus der Straße zu vertreiben. Soghaft und mit abgründiger Komik erzählt Kleine Schule des Fliegens von den realen und surrealen Provokationen des Lebens sowie von Leidenschaften, die einem den Boden unter den Füßen wegziehen. Gut, wer nun fliegen kann oder die richtigen Verbündeten hat!

Christina Walker, 1971 in Bregenz geboren, studierte Germanistik, Theaterwissenschaft und Kulturmanagement in Wien. Nach langjähriger Tätigkeit für Theater, Film und Museen in Wien und Berlin lebt sie heute in Augsburg. Ihre Texte wurden bereits mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Schwäbischen Literaturpreis für eine Novelle (2020) und dem Netlitpreis des Münchner Kurzgeschichtenwettbewerbs (2021). Für den Beginn ihres ersten Romans Auto erhielt sie 2018 den Vorarlberger Literaturpreis. Bei Braumüller erschienen: Auto, Roman (2021)
Details
Weitere ISBN/GTIN9783992003433
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum03.04.2023
Auflage1. Auflage
Seiten208 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2297 Kbytes
Artikel-Nr.11410477
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

I.

Die Wimper lag am Morgen im Waschbecken, braun auf weiß. Eine offene Klammer, die ihren Anfang oder ihr Ende verloren hatte. Ich musste vermuten, dass es meine Wimper war. Kurz, gekrümmt und spitz zulaufend. Ich hatte solche Härchen schon früher gesehen. Dennoch konnte ich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob es aus meinem Gesicht stammte. Eigentlich hielt ich meinen Kopf für völlig haarlos, nachdem ich gestern hier angekommen war. Ich schaute in den Badezimmerspiegel. Nicht jeder hat einen Charakterkopf. Ich schaute genauer hin. Nein, da war kein Haar mehr. Da war auch sonst niemand in der Wohnung, von dem das Härchen hätte sein können. Meine Wimper also. Die letzte. Darunter war das Waschbecken weiß und glatt und makellos.

Die Wohnung ist wirklich eine Fügung , hatte Eva gesagt.

Das ist die Verbannung nach dem Kerker , erwiderte ich.

Eva meinte: Stell dich nicht so an, es ist zu deiner Sicherheit. Hier hast du Ruhe und kannst dich ein paar Tage erholen.

Und du , sagte ich nun zur Wimper vor mir, was stellen wir beide jetzt an?

Ich tupfte sie vorsichtig auf einen Finger. Die letzte Wimper auf der höchsten, aussichtsreichsten Fingerkuppe schritt mit mir ins Arbeitszimmer und bis zu dem großen französischen Fenster, vor dem eine Pfütze Licht auf dem Parkettboden schwamm. Georgs Glasschreibtisch warf das Licht zurück. In der Mitte war ein blinder Fleck, dort lag das Notebook unbeteiligt und schwarz im hellen Morgen.

Glastische sind kritisch , hatte unsere Mutter gesagt. Daran können Ehen zerbrechen.

Ich würde später darüber nachdenken, wie das mit der Arbeit und den Glastischen sei. Ob es für diese Beziehung ebenfalls kritisch werden könnte, wenn man vor spiegelglattem Glas saß, auf dem die Gedanken ständig wegzurutschen oder durchzufallen drohten. Zuerst wollte ich mich um die Wimper auf meinem Finger kümmern.

Ein schwarzer Schatten schwebte am bodentiefen Fenster vorüber und brachte mich auf eine Idee, was ich mir wünschen könnte. Rasch öffnete ich einen Fensterflügel, blinzelte in den Tag und blies die Wimper in den weißen Frühjahrshimmel. Braun auf weiß, ins Leere hinein. Ein zweiter Schatten huschte krächzend über mich hinweg und nahm die Idee wieder mit. Daher wünschte ich mir vorerst nichts.

Die zweite Krähe ließ sich ebenfalls in der Platane vor dem Fenster nieder. Sie hatte einen Zweig im Schnabel. Der Vogel beäugte mich, kühl und misstrauisch. Dann zwinkerte er von der noch nackten Baumkrone hinüber zu dem Mann im dritten Stock. Ein vertrauliches Zwinkern von einem wimpernlosen Wesen zum anderen. Ich wusste nicht recht, was davon zu halten war. Die zweite Krähe reichte den Zweig an die erste Krähe weiter. Der Vogel nahm die Gabe an, verbeugte sich mehrmals und flocht den Zweig geschickt zwischen zwei Astgabeln. Aus der Leere würde bald ein stabiles Fundament werden. Der Vogel wusste, was er zu tun hatte. Ich war ein wenig neidisch.

Herr Höch! Sie wollen doch nicht krank werden , sagte eine Stimme hinter mir.

Die Stimme war mir unbekannt, trotzdem klang sie vorwurfsvoll. Die Frau trug eine medizinische Maske vor Mund und Nase. Ihre Augen hatten fast dieselbe Farbe wie ihre Haare. Rotbraun. Ein Reh, ein Fuchs, einer dieser Jagdhunde mit Schlappohren, die beim Rennen um den Kopf schlagen, kamen mir in den Sinn.

Entschuldigung , sagte die Frau. Die Maske vor ihrem Mund blähte sich auf.

Sie entschuldigte sich vielleicht dafür, dass sie einen Kranken zurechtwies wie ein Kind, was durchaus verbreitet ist. Oder sie entschuldigte sich einfach dafür, dass sie mich gerade mit einer Handbewegung vom Fenster verscheucht hatte.

Sie schloss das Fenster sanft, aber mit Nachdruck und sagte: Melitta Miller. Sie werden es sich gedacht haben. Ich gebe Ihnen lieber nicht die Hand. Es geht allerlei herum. Grippe, Magen-Darm. Das brauchen Sie gewiss nicht.

Ich zog meine ausgestreckte Hand zurück. Die blaue Maske atmete. Ich hatte mir nichts gedacht. Schon gar nicht an Melitta Miller. Ich war mit Wimpern, Wünschen und der Leere beschäftigt, die es zu überbrücken galt. Heute und morgen und noch länger, weil sich so eine Hausrenovierung gern mal verzögern kann. Dass Melitta Miller wusste, was ich brauchte und was nicht, war dennoch bemerkenswert.

Guten Morgen , sagte ich. Sie haben einen Schlüssel?

Sie nickte.

Und Sie haben deshalb nicht geklingelt?

Ich habe geklingelt.

Natürlich , sagte ich, was sollte ich sonst sagen, und überlegte, ob es tatsächlich geklingelt hatte. Ich überlegte auch, ob Melitta Miller unter der mitatmenden Maske roten Lippenstift trug. Ein Gesicht mit einem großen hellblauen Fleck über Mund und Nase (nur zu meiner Sicherheit, genauso wie diese Wohnung) ist schwer einzuordnen. Augen, die fast dieselbe Farbe wie die Haare haben, sind ebenfalls schwer einzuordnen.

Heute gieße ich die Gummibäume, immer am Anfang der Woche, wenn Ihr Bruder verreist ist. Er ist ja viel unterwegs , sagte Melitta Miller. Ihre Frau meinte, zu essen hätten Sie genug. Oder fehlt etwas?

Eva hatte einen Plan, das fand ich beruhigend. In einer Ehe kann es nur von Vorteil sein, wenn nicht jeder seine eigenen Pläne hat. Denn Pläne könnten allzu leicht auseinander- oder einander sogar zuwiderlaufen. Da bräuchte es wohl überhaupt keinen Glastisch mehr, damit das für die Ehe kritisch würde.

Melitta Miller griff hinter den Gummibaum, der in der Zimmerecke Gestalt annahm, als sie sich ihm näherte. Ich hatte die beachtliche Pflanze zuvor nicht bemerkt. Hinter dem Topf und den glänzenden grünen Blättern erschien eine Gießkanne. Sie war blau, die Emaille matt und an etlichen Stellen gesprungen. Die Kanne wirkte völlig fehl am Platz in dieser makellosen neuen Wohnung, die Georg gekauft hatte. Ich schloss die blaue Kanne spontan in mein Herz. Melitta Miller nickte uns beiden, der Kanne und mir, kurz zu. Wusste sie von dem frischen zarten Band zwischen uns und hieß es gut?

Wieder allein im Zimmer öffnete ich das bodentiefe Fenster nochmals. Rekonvaleszenz , wisperte ich hinaus in den Baum, das erfordert Rücksicht, Vorsicht, Ruhe.

Die Krähen stießen ein paar raue, kehlige Laute aus. Sie verbeugten sich zustimmend. Die Vögel wollten mich auf den Arm nehmen. Sie verbeugten sich mehrfach. Dann kraulte die eine Krähe der anderen die Nackenfedern, sprang ihr auf den Rücken, und sie hielten Vogelhochzeit. Der Baum wisperte etwas zurück, das ich nicht verstand. Die beiden Krähen schüttelten sich und flogen davon. Vermutlich suchten sie sich einen Baum mit weniger neugierigen Nachbarn.

Ich horchte ins Haus. Kein Ton von nebenan, keiner aus der Wohnung darunter. Es schien niemand hier zu leben außer mir. Ich holte Luft und begann leise zu summen. So eine Ruhe, so eine Stille will erst einmal ausgehalten werden, vor allem nach Wochen ohne jegliche Stille, nach Wochen voll mit fremdartigen Geräuschen. In der Küche rauschte endlich mit beruhigendem Gurgeln Wasser in die Gießkanne.

Obwohl sie einen Schlüssel zu seiner Wohnung hatte und gerade dabei war, seine Pflanzen zu gießen, konnte ich Melitta Miller und meinen Bruder nicht gemeinsam denken. Wahrscheinlich reichten Wohnungsschlüssel, Grünpflanzen und Gießkannen allein nicht aus, um Verbindungen zwischen zwei Menschen herzustellen. Noch dazu, wenn sich Tausende Kilometer zwischen ihnen ausdehnten. Ich musste online auf einer Landkarte nachsehen, wo Vermont lag, und fand dort Städte, die Manchester und Montpelier hießen. Heimweh abstreifen in der neuen Welt. Wenigstens ein vertrauter Name sollte es sein in all der Unwägbarkeit, die das Unbekannte und das Leben generell bereithalten. Der eine Name voller englischem Schornsteinqualm und rußdunklen, heimeligen Gassen, der andere voller südfranzösischem Licht und Lavendel. Was machte es schon, dass ein l von Montpellier unterwegs auf der Strecke geblieben war. Den Namen des Unternehmens, für das Georg zurzeit arbeitete, hatte ich vergessen.

Eva hatte die Idee mit seiner Wohnung gehabt. Denn in einer Baustelle sei mein angeschlagenes Immunsystem heillos überfordert. Wer soll sich da erholen , hatte Eva gesagt, wenn sogar ihre eigenen, ziemlich guten Nerven blank lägen. Mit den Bodenschleifern und den Malern daheim, den abgedeckten Möbeln und immer wieder tagelang ohne Fenster, die würden zimmerweise ausgehängt, um sie neu zu lackieren.

Nein, sie konnte nichts dafür, dass die Firma ausgerechnet jetzt spontan zugesagt hatte, nach monatelangem Warten. Da wollte Eva die Renovierung unseres Hauses verständlicherweise nicht absagen.

Die Gießkanne schepperte gegen etwas Hartes. Ich war versucht, Melitta Miller gleich zu ermahnen, besser auf die Kanne...
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Autor

Christina Walker, 1971 in Bregenz geboren, studierte Germanistik, Theaterwissenschaft und Kulturmanagement in Wien. Nach langjähriger Tätigkeit für Theater, Film und Museen in Wien und Berlin lebt sie heute in Augsburg. Ihre Texte wurden bereits mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Schwäbischen Literaturpreis für eine Novelle (2020) und dem Netlitpreis des Münchner Kurzgeschichtenwettbewerbs (2021). Für den Beginn ihres ersten Romans Auto erhielt sie 2018 den Vorarlberger Literaturpreis.

Bei Braumüller erschienen:
Auto, Roman (2021)