Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Ich habe keine Angst

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Eisele eBookserschienen am27.07.2023Auflage
Süditalien in den späten 70ern: Es ist ein drückender, flimmernder Sommer, in dem sich das Leben des neunjährigen Michele für immer verändert. Auf einem der Streifzüge durchs Dorf entdeckt er mit seinen Freunden ein altes, verfallenes Haus - in das Michele allein einsteigen soll. Was als Mutprobe beginnt, wird für den Jungen im Laufe des Sommers zum Albtraum, denn in dem Haus findet er einen am Fuß gefesselten, verwahrlosten Jungen. Michele behält seine Entdeckung für sich, füttert und pflegt den Jungen. Doch nach und nach stellt sich heraus, dass nicht nur er im Dorf ein Geheimnis zu haben scheint ... 

NICCOLÒ AMMANITI, geboren 1966 in Rom, ist einer der erfolgreichsten und international renommiertesten Autoren italienischer Sprache. Der wohl bekannteste seiner bisher acht Romane, der Weltbestseller Ich habe keine Angst gewann den Premio Viareggio, sein Roman Wie es Gott gefällt den Premio Strega. All seine Bücher wurden von international herausragenden Regisseuren für das Kino verfilmt, darunter Gabriele Salvatores und Bernardo Bertolucci. Auch Ammaniti selbst ist als Regisseur tätig. Er machte Furore mit der internationalen TV-Serie Ein Wunder, für die er auch das Drehbuch schrieb. Auch seinen dystopischen Roman Anna verfilmte er als Mehrteiler fürs Fernsehen. Nach längerer Schreibpause erscheint nun endlich sein neuer Roman Intimleben. Niccolò Ammanitis Werke wurden in 44 Sprachen übersetzt. Er lebt mit seiner Frau in Rom.
mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextSüditalien in den späten 70ern: Es ist ein drückender, flimmernder Sommer, in dem sich das Leben des neunjährigen Michele für immer verändert. Auf einem der Streifzüge durchs Dorf entdeckt er mit seinen Freunden ein altes, verfallenes Haus - in das Michele allein einsteigen soll. Was als Mutprobe beginnt, wird für den Jungen im Laufe des Sommers zum Albtraum, denn in dem Haus findet er einen am Fuß gefesselten, verwahrlosten Jungen. Michele behält seine Entdeckung für sich, füttert und pflegt den Jungen. Doch nach und nach stellt sich heraus, dass nicht nur er im Dorf ein Geheimnis zu haben scheint ... 

NICCOLÒ AMMANITI, geboren 1966 in Rom, ist einer der erfolgreichsten und international renommiertesten Autoren italienischer Sprache. Der wohl bekannteste seiner bisher acht Romane, der Weltbestseller Ich habe keine Angst gewann den Premio Viareggio, sein Roman Wie es Gott gefällt den Premio Strega. All seine Bücher wurden von international herausragenden Regisseuren für das Kino verfilmt, darunter Gabriele Salvatores und Bernardo Bertolucci. Auch Ammaniti selbst ist als Regisseur tätig. Er machte Furore mit der internationalen TV-Serie Ein Wunder, für die er auch das Drehbuch schrieb. Auch seinen dystopischen Roman Anna verfilmte er als Mehrteiler fürs Fernsehen. Nach längerer Schreibpause erscheint nun endlich sein neuer Roman Intimleben. Niccolò Ammanitis Werke wurden in 44 Sprachen übersetzt. Er lebt mit seiner Frau in Rom.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783961611805
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum27.07.2023
AuflageAuflage
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3504 Kbytes
Artikel-Nr.11420891
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1.

Ich war kurz davor, Salvatore zu überholen, als ich meine Schwester heulen hörte. Ich drehte mich um und sah sie verschwinden, verschluckt vom Korn, das den Hügel bedeckte.

Ich hätte sie nicht mitnehmen dürfen. Mama würde mich schwer dafür büßen lassen.

Ich blieb stehen. Mir lief der Schweiß. Ich holte Luft und rief nach ihr: »Maria? Maria?«

Ein leidendes Stimmchen antwortete: »Michele!« »Hast du dir wehgetan?«

»Ja, komm.«

»Wo hast du dir wehgetan?«

»Am Bein.«

Sie schwindelte, sie war müde. Geh weiter, sagte ich mir. Und wenn sie sich wirklich wehgetan hatte?

Wo waren die anderen?

Ich sah ihre Schneisen im Korn. Sie kletterten langsam, nebeneinander, wie die Finger einer Hand, zum Gipfel des Hügels hinauf, hinterließen eine Spur umgeknickter Halme.

In jenem Jahr stand das Korn hoch. Im Spätfrühling hatte es viel geregnet, und Mitte Juni waren die Pflanzen üppiger denn je. Sie wuchsen dicht, waren über und über mit Ähren beladen und warteten nur darauf, geerntet zu werden.

Alles war mit Korn bedeckt. Die niedrigen Hügel folgten aufeinander wie Wellen eines goldenen Ozeans. Bis zum Horizont nur Korn, Himmel, Grillen, Sonne und Hitze.

Ich hatte keine Vorstellung davon, welche Hitze herrschte, ein Neunjähriger versteht nicht viel von Celsiusgraden, doch ich wusste, dass es nicht normal war.

Dieser verdammte Sommer 1978 blieb als einer der heißesten des Jahrhunderts in Erinnerung. Die Hitze drang in die Steine ein, ließ die Erde zerbröckeln, verbrannte die Pflanzen, tötete die Tiere und erfüllte die Häuser mit Glut. Die Tomaten im Garten waren ohne Saft, die Zucchini klein und hart. Die Sonne nahm einem den Atem, die Kraft, die Lust, zu spielen, alles. Und auch in der Nacht meinte man, vor Hitze umzukommen.

In Acqua Traverse gingen die Erwachsenen nicht vor sechs Uhr abends aus dem Haus. Sie verkrochen sich drinnen, die Fensterläden geschlossen. Nur wir wagten uns hinaus auf das sengend heiße, verlassene Land.

Meine Schwester Maria war fünf Jahre alt und folgte mir mit der Beharrlichkeit eines Hündchens, das man aus dem Tierheim geholt hat.

»Ich will das Gleiche tun wie du«, sagte sie immer. Und Mama gab ihr Recht.

»Bist du der große Bruder oder nicht?« Da half nichts, ich musste sie mitschleppen.

Niemand war stehen geblieben, um ihr zu helfen. Normal. Es war ein Wettkampf.

»Geradeaus, den Hügel hoch. Keine Kurven. Es ist verboten, hintereinander zu gehen. Es ist verboten, stehen zu bleiben. Wer als Letzter oben ist, muss was zur Strafe tun.« Der Totenkopf hatte entschieden und mir ein Zugeständnis gemacht: »In Ordnung, deine Schwester zählt nicht. Sie ist zu klein.«

»Ich bin nicht zu klein!«, hatte meine Schwester Maria protestiert. »Ich will auch mitmachen!« Und dann war sie gefallen.

Verflixt, ich war Dritter.

Erster war Antonio. Wie immer.

Antonio Natale, genannt der Totenkopf. Warum wir ihn den Totenkopf nannten, weiß ich nicht mehr. Vielleicht, weil er sich einmal einen Totenkopf auf den Arm gepappt hatte, eines von diesen Abziehbildchen, die man im Tabakladen kaufen konnte und anfeuchten musste, damit sie klebten. Der Totenkopf war der Älteste der Bande. Zwölf Jahre. Und er war der Anführer. Er hatte gern das Sagen, und wenn man nicht gehorchte, wurde er böse. Er war keine Leuchte, doch er war groß, stark und mutig. Und er kletterte diesen Hügel hoch, als würde er nach oben gezogen.

Zweiter war Salvatore.

Salvatore Scardaccione war neun, genauso alt wie ich. Wir waren im selben Jahrgang. Er war mein bester Freund. Salvatore war größer als ich. Ein Einzelgänger. Manchmal kam er mit uns, doch oft kümmerte er sich um seine eigenen Sachen. Er war schlauer als der Totenkopf, er hätte ihn ganz leicht absetzen können, aber es interessierte ihn nicht, Anführer zu werden. Sein Vater, der Advokat Scardaccione, war ein wichtiger Mann in Rom. Und er hatte eine Menge Geld in der Schweiz. Das erzählte man sich.

Dann kam ich, Michele. Michele Amitrano. Und auch diesmal war ich Dritter. Der Aufstieg war gut gelaufen, aber wegen meiner Schwester saß ich jetzt fest.

Ich war mir noch nicht klar darüber, ob ich umkehren oder sie dalassen sollte, als ich auf den vierten Platz zurückfiel. Von der anderen Seite hatte mich Remo Marzano überholt, diese Flasche. Und wenn ich nicht sofort weiterkletterte, würde mich auch noch Barbara Mura hinter sich lassen.

Das wäre furchtbar. Überholt von einem Mädchen. Einem dicken Mädchen.

Barbara Mura kletterte auf allen vieren, wie eine wild gewordene Sau. Verschwitzt und verdreckt.

»Was ist, gehst du nicht zu deiner kleinen Schwester? Hast du sie nicht gehört? Sie hat sich wehgetan, die Arme«, grunzte sie glücklich. Dieses eine Mal wäre sie nicht die Letzte.

»Ich gehe ja schon Und dich schlage ich trotzdem.« Ich konnte nicht einfach so aufgeben.

Ich machte kehrt und lief wieder nach unten, wirbelte mit den Armen durch die Luft und stieß ein Geheul aus wie ein Sioux. Die Ledersandalen rutschten über das Korn. Ein paar Mal setzte ich mich auf den Hintern.

Ich sah sie nicht. »Maria! Maria! Wo steckst du?« »Michele ...«

Na also, da war sie ja. Klein und unglücklich. Sie saß in einem Kreis umgeknickter Halme. Mit einer Hand massierte sie sich den Knöchel, mit der anderen hielt sie ihre Brille fest. Ihre Haare klebten an der Stirn, und die Augen glänzten. Als sie mich sah, verzog sie den Mund und blies sich auf wie ein Truthahn.

»Michele ...?«

»Maria, wegen dir hab ich verloren! Ich hatte dir doch gesagt, du sollst nicht mitkommen, verflixt noch mal.« Ich setzte mich hin. »Was ist passiert?«

»Ich bin gestolpert. Ich hab mir am Fuß wehgetan und ...« Sie riss den Mund auf, kniff die Augen zusammen, wackelte mit dem Kopf und fing an zu wimmern. »Die Brille! Die Brille ist kaputtgegangen!«

Ich hätte ihr am liebsten eine Ohrfeige verpasst. Es war das dritte Mal in diesen Ferien, dass sie die Brille kaputtgemacht hatte. Und wem gab Mama die Schuld?

»Du musst auf deine Schwester Acht geben, du bist der große Bruder.«

»Mama, ich ...«

»Kein Mama ich. Du hast immer noch nicht verstanden, dass das Geld nicht auf der Straße herumliegt. Das nächste Mal, wenn die Brille kaputtgeht, kannst du dich auf was gefasst machen ...«

Die Brille war in der Mitte zerbrochen, wo sie schon geklebt gewesen war. Jetzt konnte man sie wegwerfen. Meine Schwester heulte immer noch.

»Mama ... Sie wird bestimmt böse ... Was sollen wir tun?«

»Was wir tun sollen? Wir machen sie mit Klebstreifen wieder ganz. Steh auf, los.«

»Die Brille sieht hässlich aus mit Klebstreifen. Ganz hässlich. Gefällt mir nicht.«

Ich steckte mir die Brille in die Tasche. Ohne konnte Maria nicht viel sehen. Sie schielte, und der Doktor hatte gesagt, sie müsse operiert werden, solange sie noch klein sei. »Das ist doch nicht so schlimm. Steh auf.«

Sie hörte auf zu weinen und fing an, die Nase hochzuziehen. »Mir tut der Fuß weh.«

»Wo?« Ich dachte immer noch an die anderen, sie waren bestimmt schon seit einer Stunde oben auf dem Hügel. Ich war der Letzte. Ich hoffte nur, dass der Totenkopf sich keine allzu harte Strafe für mich ausdachte. Einmal hatte er mich gezwungen, durch Brennnesseln zu laufen, bloß weil ich verloren hatte.

»Wo tut es dir weh?«

»Da.« Sie zeigte mir den Knöchel.

»Du hast ihn dir verstaucht. Das ist nichts. Geht gleich vorbei.«

Ich schnürte ihr den Turnschuh auf und zog ihn ganz vorsichtig aus. Wie es ein Doktor gemacht hätte.

»Ist es jetzt besser?«

»Ein bisschen. Gehen wir nach Hause? Ich habe solchen Durst. Und Mama ...«

Sie hatte Recht. Wir waren zu weit von zu Hause weg. Und schon viel zu lange. Es war längst Zeit fürs Mittagessen, und Mama stand bestimmt am Fenster und hielt nach uns Ausschau.

Ich sah schwarz für die Rückkehr nach Hause.

Doch wer hätte sich das ein paar Stunden vorher denken können?

An jenem Morgen hatten wir die Fahrräder genommen.

Normalerweise drehten wir zwei kleine Runden, um die Häuser, bis an den Rand der Felder und zum ausgetrockneten Bach, kehrten dann zurück und machten Wettkämpfe.

Mein Fahrrad war ein altes Eisen, mit geflicktem Sattel, und so hoch, dass ich mich biegen und krümmen musste, um auf den Boden zu kommen.

Alle nannten mein Fahrrad »Schrottesel«. Salvatore sagte, es sei ein Gebirgsjägerrad. Aber mir gefiel es, es war das Rad meines Vaters.

Wenn wir nicht Rad fuhren, waren wir auf der Straße und spielten Ball, »Fahnenraub« und »Ochs vorm Berg«, oder wir blieben unter dem Dach des Schuppens und taten nichts Besonderes.

Wir konnten machen, was wir wollten. Es kamen keine Autos vorbei. Es gab nichts, das gefährlich war. Und die Erwachsenen verkrochen sich in den Häusern, wie Kröten, die das Ende der Hitze abwarteten.

Die Zeit verging langsam. Am Ende des Sommers konnten wir es kaum erwarten, dass die Schule wieder anfing.

An jenem Morgen hatten wir über Melichettis Schweine gesprochen.

Wir sprachen unter uns oft über Melichettis Schweine. Es hieß, dass der alte Melichetti sie abrichtete, Hühner zu zerfleischen, manchmal sogar Kaninchen und Katzen, die er auf der Straße auflas.

Der Totenkopf spuckte einen Strahl weißen Speichel aus. »Bis jetzt habe ich euch das nie...

mehr

Autor

NICCOLÒ AMMANITI, geboren 1966 in Rom, ist einer der erfolgreichsten und international renommiertesten Autoren italienischer Sprache. Der wohl bekannteste seiner bisher acht Romane, der Weltbestseller Ich habe keine Angst gewann den Premio Viareggio, sein Roman Wie es Gott gefällt den Premio Strega. All seine Bücher wurden von international herausragenden Regisseuren für das Kino verfilmt, darunter Gabriele Salvatores und Bernardo Bertolucci. Auch Ammaniti selbst ist als Regisseur tätig. Er machte Furore mit der internationalen TV-Serie Ein Wunder, für die er auch das Drehbuch schrieb. Auch seinen dystopischen Roman Anna verfilmte er als Mehrteiler fürs Fernsehen. Nach längerer Schreibpause erscheint nun endlich sein neuer Roman Intimleben. Niccolò Ammanitis Werke wurden in 44 Sprachen übersetzt. Er lebt mit seiner Frau in Rom.