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Alle Farben grau

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
272 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am30.08.20231. Auflage
Paul begeht Suizid. Seine Familie, seine Freunde und sein restliches Umfeld müssen damit klarkommen. Der Roman von Martin Schäuble folgt einer wahren Geschichte. Paul ist sechzehn und war schon immer ein bisschen eigen: Er lernt Japanisch und hört Musik, die keiner in seinem Alter kennt. Er ist unheimlich schlau und könnte alles erreichen, wären da nicht seine Ängste und Abgründe. Über die spricht er lange nicht, erst in der Jugendpsychiatrie. Dort lernt er die junge Alina kennen, die seine Liebe zu Katzen teilt und ihn Jesus nennt. Nach der Zeit dort kehrt er zurück in sein normales Leben, und alle haben riesige Hoffnung. Außer einem, der sich längst verabschiedet. - Nach Pauls wahrer Geschichte: aufrüttelnd und tragisch - Hochaktuell und relevant: Psychische Erkrankungen bei Jugendlichen nehmen seit Jahren dramatisch zu - Als Unterrichtslektüre zu den Themen Depression und Suizidprävention geeignetDer Verlag weist darauf hin, dass dieser Roman von einem jungen Menschen handelt, der sich das Leben nimmt, und außerdem selbstverletzendes Verhalten geschildert wird. Für die Verwendung in der Schule ist unter https://www.fischerverlage.de/verlag/kita-und-schule ein Unterrichtsmodell zu diesem Buch abrufbar.

Martin Schäuble ist für seine kritischen Jugendbücher bekannt, die von der Presse hochgelobt wurden und vielfach als Schullektüre eingesetzt werden. Nach »Endland« bei Hanser veröffentlichte er bei FISCHER SAUERLÄNDER die Dilogie »Die Scanner«/»Die Gesannten« sowie »Sein Reich«, »Cleanland«, »Godland« und »Alle Farben grau«. Als promovierter Politikwissenschaftler verfasst er auch Nahost-Sachbücher.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR15,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextPaul begeht Suizid. Seine Familie, seine Freunde und sein restliches Umfeld müssen damit klarkommen. Der Roman von Martin Schäuble folgt einer wahren Geschichte. Paul ist sechzehn und war schon immer ein bisschen eigen: Er lernt Japanisch und hört Musik, die keiner in seinem Alter kennt. Er ist unheimlich schlau und könnte alles erreichen, wären da nicht seine Ängste und Abgründe. Über die spricht er lange nicht, erst in der Jugendpsychiatrie. Dort lernt er die junge Alina kennen, die seine Liebe zu Katzen teilt und ihn Jesus nennt. Nach der Zeit dort kehrt er zurück in sein normales Leben, und alle haben riesige Hoffnung. Außer einem, der sich längst verabschiedet. - Nach Pauls wahrer Geschichte: aufrüttelnd und tragisch - Hochaktuell und relevant: Psychische Erkrankungen bei Jugendlichen nehmen seit Jahren dramatisch zu - Als Unterrichtslektüre zu den Themen Depression und Suizidprävention geeignetDer Verlag weist darauf hin, dass dieser Roman von einem jungen Menschen handelt, der sich das Leben nimmt, und außerdem selbstverletzendes Verhalten geschildert wird. Für die Verwendung in der Schule ist unter https://www.fischerverlage.de/verlag/kita-und-schule ein Unterrichtsmodell zu diesem Buch abrufbar.

Martin Schäuble ist für seine kritischen Jugendbücher bekannt, die von der Presse hochgelobt wurden und vielfach als Schullektüre eingesetzt werden. Nach »Endland« bei Hanser veröffentlichte er bei FISCHER SAUERLÄNDER die Dilogie »Die Scanner«/»Die Gesannten« sowie »Sein Reich«, »Cleanland«, »Godland« und »Alle Farben grau«. Als promovierter Politikwissenschaftler verfasst er auch Nahost-Sachbücher.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783733605520
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum30.08.2023
Auflage1. Auflage
Seiten272 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse5479 Kbytes
Artikel-Nr.11462844
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

ALINA

Die Ausgangszeiten sind hier das Traurigste überhaupt. Und das hat an diesem Ort schon was zu bedeuten. Schließlich ist hier fast alles traurig, sowohl für die Eltern, die uns abholen und wieder bringen, als auch für uns, die wir hier untergebracht sind.

Untergebracht klingt nach einem Bullterrier im Tierheim, den keiner mehr haben will, weil er zu viel Probleme macht. Oder weil er einfach nur anders ist als andere Hunde. Und bei den Ausgangszeiten darf er mal kurz raus an die frische Luft, wird abgeholt und nach zwei Parkrunden an der dicken Leine zurückgezogen, weil er gar nicht zurückwill, ins Heim.

Untergebracht klingt nach Klassenausflug und Jugendherberge, nach einem Bus voller Kotztüten und vollgeschwitzten Sechsbettzimmern.

Untergebracht ist vielleicht das falsche Wort.

Das hier ist kein Tierheim und keine Schulveranstaltung, sondern der noch fiesere Teil vom Ernst des Lebens. Es ist die Akutstation der Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Wir werden hier nicht untergebracht, sondern eher eingewiesen. In meinem Fall war es fast freiwillig - nachdem mein zweiter Suizidversuch scheiterte, musste ich mal was anderes probieren.

Fast freiwillig, wie gesagt.

Und was war geschehen?

Meine Mutter stand mit roten Augen neben dem Notarzt, und als ich vor Schmerzen aufschrie, sagte sie: »Alinchen, was soll der Scheiß? Was machst du für Sachen?«

Alinchen geht vor anderen Menschen gar nicht, aber ich hatte gerade meinen zweiten Versuch hinter mir und wollte meine Mutter nicht noch mehr stressen. Immerhin wäre ihr legendäres Alinaschätzchen noch peinlicher gewesen.

Meine Mutter musste schon wieder weinen, und der Mann in der orangenen Weste reichte ihr ein Taschentuch, obwohl er sicher längst an anderen Einsatzorten wichtigere Sachen zu tun hatte.

Adipöse und nikotinsüchtige Menschen auf ihrer Wohnzimmercouch reanimieren.

Brandwunden von hyperaktiven Kleinkindern in Reihenhausküchen versorgen.

Dem verunfallten Motorradfahrer auf der Autobahnausfahrt Schmerzmittel spritzen, bevor er sein Bein auf der anderen Straßenseite entdeckt.

Solche Alltagsdinge eben.

Doch Suizidversuche sind kein Alltag.

Das dachte ich zumindest, bis ich die Akutstation von innen sah.

Was meine Mutter in unserem Badezimmer dem Notarzt entgegenheulte, setzte mir ziemlich zu: »Ich kann ...«, fing sie an, holte tief Luft und probierte es noch einmal. »Ich kann echt nicht mehr.«

Ich glaubte das meiner Mutter sofort, so fertig, wie sie aussah. Dabei war es ja nicht mein Ziel gewesen, meine Mutter zu töten, sondern mich selbst. Dass das aufs Gleiche rauskommt, verstand ich erst später in der Psychiatrie so richtig.

Der Notarzt hatte keine Zeit für große Worte, doch immerhin für große Taten. Er drückte meiner Mutter aus einer Packung eine Pille in die Hand. Sie schluckte das Ding trocken herunter.

Kurz schauten sich beide an und überlegten vermutlich synchron, ob das jetzt so das richtige Verhalten war, vor der suizidalen Teenagerin, doch sie sind eben auch nur Menschen.

Noch am selben Abend saß ich in einem krass gelben Raum, und das war noch nicht einmal die Akutstation, sondern die Praxis einer Psychologin.

Überall zwischen dem Gelb hingen große Fotos von Steinen: ein Stein am Strand. Ein Stein neben einem Teich. Ein Stein auf der Wiese. Ein Stein im Wald. Ein Stein in der Wüste. Und dann, total überraschend: drei Steine, übereinandergestapelt.

Die Psychologin auf dem Sessel gegenüber räusperte sich. Sie hätte eigentlich erst in eineinhalb Jahren wieder einen Termin frei gehabt. Doch sie war eine Bekannte der Freundin einer Arbeitskollegin von meiner Mutter. Oder eine Arbeitskollegin der Bekannten von einer Freundin oder was ganz anderes ...

Auf jeden Fall hatte sie eine freie Stunde gefunden oder arbeitete länger für mich.

Kaum hatte die Psychologin die Tür zwischen meiner Mutter im Warteraum und uns beiden im Steinemuseum geschlossen, legte ich los. »Was soll ich hier? Das ist mein Körper, ich allein darf darüber bestimmen, und keiner hat das Recht, mich ...«

»Moment bitte!«, sagte die Frau.

»Das ist hier total sinnlos. Ich will ...«, machte ich weiter.

»Ich weiß, was du willst. Aber stopp jetzt!«

Ich stutzte.

Sie hatte mich zweimal unterbrochen.

Ich dachte immer, bei einer Psychologin kann man sich alles von der Seele reden. Das, was einem durch den Kopf geht, darf man rausbrüllen, ohne Punkt und Komma.

Klassischer Irrtum nach zu viel Netflixen.

Und vermutlich nicht einmal der einzige.

Nach zwei Schluck vom Kamillentee, von dem ich nichts wollte, machte die Psychologin endlich weiter. »Also, Alina, bevor wir miteinander reden, muss ich etwas klarstellen. Wir können eine Therapie machen, gern sogar. Die Uhrzeit passt?«

Ich schaute zur Tür, hinter der meine Mutter saß. Doch was sollte sie gegen diese Uhrzeit haben? Also nickte ich der Psychologin zu. Obwohl die Frage für mich gar nicht war, ob die Uhrzeit passte, sondern so eine Therapie generell.

»Gut, dann bleibt es bei 17 Uhr«, sagte die Psychologin und notierte etwas in ein Buch. »Also, folgender Punkt ist für mich ganz wichtig: Ich mache mit dir keine Sterbebegleitung. Verstanden?«

Keine Sterbebegleitung.

Ich starrte sie sprachlos an, und wer mich kennt, der weiß, das geschieht äußerst selten, denn eigentlich fällt mir immer was ein.

»Keine Sterbebegleitung!«, wiederholte sie. »Du hast zweimal versucht, dich zu töten. Richtig?«

»Ja.«

»Und warum zweimal?«

»Vielleicht war ich nicht gut genug darin? Nicht mal das kriege ich hin!«

»Vielleicht kriegst du es nicht hin, weil du es nicht möchtest.«

Dazu schwieg ich erst einmal eine Runde.

»Und da du eigentlich gar nicht sterben willst, versuchst du jetzt mal zu leben. Ist manchmal schwieriger und kann auch weh tun, ich weiß. Doch deswegen bist du hier.«

Über ihr hier musste ich komischerweise nachdenken. Meinte sie hier in ihrer Praxis für Psychotherapie oder hier insgesamt, also auf der Welt? Andererseits spielte es keine Rolle, ob das jetzt von ihr eher pragmatisch oder philosophisch gemeint war.

»Sind wir uns einig?«, fragte die Psychologin.

Irgendwie waren mir die Argumente ausgegangen und auch die Luft und die restliche Energie in meinem Körper sowieso. Ich sackte zusammen, als hätte mir jemand den Stecker gezogen. Überall sah ich schwarze Flecken im Raum, der sich plötzlich auch noch um mich drehte.

Ohne zu fragen legte ich mich auf das rote Sofa, das sicher nicht rein zufällig direkt neben meinem Sessel stand. Oder war es die Psychologin gewesen, die mich dorthin führte? Ich bekomme es nicht mehr zusammen.

Auf diesem Sofa liegend, sagte ich zu allem ja, ohne das Kleingedruckte zu hören, was eigentlich nie eine gute Idee ist.

Erst einmal sollte ich für einige Wochen in die Akutstation, die Psychiatrie. Erst dann könnte die wöchentliche Therapie zur vereinbarten Zeit beginnen.

Ich war laut der Psychologin in einem zu schlechten Zustand und immer noch gefährdet. Beide Punkte waren übrigens vollkommen zutreffend.

Die Psychologin konnte mich nicht bei sich einziehen lassen und mir von früh bis spät Kamillentee kochen und aufpassen.

Das leuchtete mir alles ein.

Daher lautete unsere Vereinbarung, die sie sogar schriftlich festhielt und die ich unterschreiben musste: erst die Psychiatrie, dann die Therapie, und diese Therapie ist keine Sterbebegleitung.

Außerdem musste ich ausdrücklich versichern, keinen Suizidversuch mehr zu unternehmen, was zugegeben etwas seltsam war, weil mir doch im Fall der Fälle jeder Vertrag egal sein würde.

 

So stehe ich nun in meiner dritten Woche vor dem Eingang der Psychiatrie.

Die Ausgangszeit endet in drei Minuten und dreißig Sekunden.

In diesem grauen Betonklotz bin ich also untergebracht.

Meine Mutter wischt sich die Augen mit ihrem Pullover trocken, ich versuche sie mit einem Lächeln aufzumuntern, obwohl ich es doch bin, die gleich wieder eingeschlossen ist.

Meine Mutter lebt in Freiheit weiter, darf entscheiden, was sie morgen zu Mittag essen möchte, wen sie nach der Arbeit sehen will und wann sie einschlafen mag.

Mich wird in drei Minuten und zehn Sekunden ein Plan für jeden Lebensbereich erwarten: Essensplan, Medikamentenplan, Aktivitätenplan, Einschlaf- und Aufwachplan.

Ich verstehe das Prinzip schon: Wer beschäftigt ist, kommt nicht auf dumme Gedanken, soweit die Theorie von Prof. Dr. Dr. Soundso, vermute ich.

Meine Mutter zieht ihr Handy aus dem Mantel. »Du musst rein Alinaschääätz... Alina. Ich rufe jetzt an, okay?«

Sie muss anrufen, damit mich jemand vom Personal abholt. Das ist Vorschrift für die schweren Fälle wie mich, damit ich nach der Verabschiedung nicht doch noch abhaue, obwohl ich keine Ahnung hätte, wohin überhaupt.

Ich nicke meiner Mutter zu und lächele, so haben wir das vereinbart.

An den ersten Ausgangstagen erdrückte sie mich fast, also jetzt nicht metaphorisch, sondern in echt. Meine Mutter konnte mich einfach nicht mehr loslassen, und am Ende heulten wir beide nur noch.

Diese peinliche Vorstellung wollten wir vermeiden und einigten uns auf ein wenig mehr Distanz und auf folgenden Ablauf: Den Abschiedskuss gibt es zu Hause, die Umarmung auf dem Parkplatz im Auto. Vor der Psychiatrie ist es nur noch ein nettes Zunicken und ein...
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Martin Schäuble ist für seine kritischen Jugendbücher bekannt, die von der Presse hochgelobt wurden und vielfach als Schullektüre eingesetzt werden. Nach »Endland« bei Hanser veröffentlichte er bei FISCHER SAUERLÄNDER die Dilogie »Die Scanner«/»Die Gesannten« sowie »Sein Reich«, »Cleanland«, »Godland« und »Alle Farben grau«. Als promovierter Politikwissenschaftler verfasst er auch Nahost-Sachbücher.