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Malinverno oder Die Bibliothek der verlorenen Geschichten

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
416 Seiten
Deutsch
Kiepenheuer & Witsch GmbHerschienen am01.06.20231. Auflage
Es gibt Orte, an denen der Geist der Literatur in der Atemluft liegt. So ein Ort ist Timpamara, und hier lebt Astolfo Malinverno. Bücher und Geschichten bestimmen sein ganzes Leben, und als er seiner großen Liebe begegnet, scheinen die Grenzen zwischen Literatur und Realität auf wundersame Weise zu verschwimmen. In Timpamara, einem fiktiven Dorf in Italien, leben die Menschen schon lange von und mit der Literatur, denn hier entstand im 19. Jahrhundert die erste Papierfabrik Kalabriens. So benennt man Kinder nach literarischen Figuren oder Schriftstellern und spricht Hochitalienisch statt Dialekt. Als Astolfo Malinverno, der Bibliothekar des Ortes, auch noch zum Friedhofswärter berufen wird, gerät sein bisher geruhsames Leben aus den Fugen. Er verliebt sich in das Foto einer wunderschönen Frau auf einem Grabstein, die ihn an Emma Bovary erinnert. Eifersüchtig wacht er über das Grab der schönen Unbekannten, spricht mit ihr, als wäre sie noch am Leben. Doch dann begegnet er im wirklichen Leben Ofelia, dem getreuen Abbild seiner Angebeteten. Gleichzeitig taucht ein Tontechniker auf, der die Stimmen von Verstorbenen aufnimmt, und Malinverno beginnt, den geheimnisvollen Vorgängen auf den Grund zu gehen. In leichtem, aber sehr intelligentem Plauderton behandelt Dara in seinem neuen Roman grundlegende Fragen von Leben, Liebe und Tod, eingebettet in eine Vielzahl skurriler und origineller Szenen, die das Ganze zu einem großen Lesevergnügen machen.

Domenico Dara, geboren 1971 in Catanzaro, Kalabrien, aufgewachsen in Girifalco. Sein Debütroman »Der Postbote von Girifalco oder Eine kurze Geschichte über den Zufall«  und »Der Zirkus von Girifalco« sind in Italien von Lesern und Kritik gleichermaßen begeistert aufgenommen worden. Domenico Dara war damit nominiert für den renommierten Italo-Calvino-Preis und hat zahlreiche weitere Preise gewonnen, u. a. den Premio Palmi, Premio Viadana und die Debütpreise des Premio Corrado Alvaro und des Premio Città di Como.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR18,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextEs gibt Orte, an denen der Geist der Literatur in der Atemluft liegt. So ein Ort ist Timpamara, und hier lebt Astolfo Malinverno. Bücher und Geschichten bestimmen sein ganzes Leben, und als er seiner großen Liebe begegnet, scheinen die Grenzen zwischen Literatur und Realität auf wundersame Weise zu verschwimmen. In Timpamara, einem fiktiven Dorf in Italien, leben die Menschen schon lange von und mit der Literatur, denn hier entstand im 19. Jahrhundert die erste Papierfabrik Kalabriens. So benennt man Kinder nach literarischen Figuren oder Schriftstellern und spricht Hochitalienisch statt Dialekt. Als Astolfo Malinverno, der Bibliothekar des Ortes, auch noch zum Friedhofswärter berufen wird, gerät sein bisher geruhsames Leben aus den Fugen. Er verliebt sich in das Foto einer wunderschönen Frau auf einem Grabstein, die ihn an Emma Bovary erinnert. Eifersüchtig wacht er über das Grab der schönen Unbekannten, spricht mit ihr, als wäre sie noch am Leben. Doch dann begegnet er im wirklichen Leben Ofelia, dem getreuen Abbild seiner Angebeteten. Gleichzeitig taucht ein Tontechniker auf, der die Stimmen von Verstorbenen aufnimmt, und Malinverno beginnt, den geheimnisvollen Vorgängen auf den Grund zu gehen. In leichtem, aber sehr intelligentem Plauderton behandelt Dara in seinem neuen Roman grundlegende Fragen von Leben, Liebe und Tod, eingebettet in eine Vielzahl skurriler und origineller Szenen, die das Ganze zu einem großen Lesevergnügen machen.

Domenico Dara, geboren 1971 in Catanzaro, Kalabrien, aufgewachsen in Girifalco. Sein Debütroman »Der Postbote von Girifalco oder Eine kurze Geschichte über den Zufall«  und »Der Zirkus von Girifalco« sind in Italien von Lesern und Kritik gleichermaßen begeistert aufgenommen worden. Domenico Dara war damit nominiert für den renommierten Italo-Calvino-Preis und hat zahlreiche weitere Preise gewonnen, u. a. den Premio Palmi, Premio Viadana und die Debütpreise des Premio Corrado Alvaro und des Premio Città di Como.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783462302660
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum01.06.2023
Auflage1. Auflage
Seiten416 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2299 Kbytes
Artikel-Nr.11462946
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis 2

Ich bin der Bibliothekar von Timpamara. Der erste, um genau zu sein. Und immer noch der einzige.

Anfangs hatte sich die Bibliothek mitten im Dorf befunden, an dessen tiefstem Punkt, an dem die drei Hauptstraßen des Ortes zusammentrafen, direkt gegenüber der Kirche des heiligen Acarius, des aus Noyon übernommenen Schutzheiligen, der die Kranken von der Melancholie heilte.

Inzwischen sah die Bibliothek mit dem gut sichtbar angebrachten Messingschild und den auf Regalbrettern aneinandergereihten Büchern, auf die man durch die Balkonfenster einen Blick werfen konnte, tatsächlich wie eine Bibliothek aus. Als ich das erste Mal einen Fuß hineinsetzte, war das noch nicht der Fall. Ich war vierunddreißig Jahre alt. Ich betrat die Bibliothek gemeinsam mit Terenzio Feroleto, dem damaligen Gemeinderat. Er führte mich dorthin, weil er gesehen hatte, wie ich in der Eisenwarenhandlung meines Onkels, in der ich seit dem Schulabschluss beschäftigt war, Ciceros Briefe an Atticus las. Feroleto hatte vierzehn Acht-Millimeter-Mutterschrauben bei mir bestellt. Deren Gesamtgewicht von einhundertsiebenundzwanzig Gramm genügte, um die Waagschalen meines Schicksals neu auszubalancieren.

»Liest du gern?«, hatte er mich unvermittelt gefragt.

Eine Woche später war er mit einigen Dokumenten zurückgekehrt. »Nimm dir fünf Minuten Zeit und füll diese Formulare aus.«

Und während ich schrieb, erklärte er meinem Onkel, der Bürgermeister habe sich in den Kopf gesetzt, die Bibliothek zu öffnen, und nun suchten sie nach der richtigen Person dafür. Diese Person war möglicherweise ich, denn es gab ein Gesetz, das die Arbeitsaufnahme von Leuten mit körperlichen Gebrechen förderte, wie ich eines hatte.

Einen Monat später wurde ich als Gemeindebeamter der Besoldungsstufe sechs mit den Aufgaben eines Bibliothekars eingestellt, vierundzwanzig Wochenstunden mit sämtlichen Vergünstigungen, die in dem betreffenden Gesetz vorgesehen waren.

Ich erinnere mich noch an den unangenehmen feuchten Modergeruch, der in der Luft hing, als ich die Bibliothek das erste Mal betrat.

Die Trostlosigkeit der Umgebung, die jeden anderen entmutigt hätte, wirkte auf mich stimulierend, denn sie erlaubte mir, alles nach meinem Geschmack einzurichten. Ich fing an, die Räume zu putzen, zwei Zimmer im Erdgeschoss und eines im ersten Stock. Ich staubte die Regale ab und entsorgte unbrauchbare Gegenstände.

Eine Woche später kamen zwei Gemeindearbeiter vorbei, um den Putz von den Wänden zu entfernen, neuen aufzubringen und sie weiß zu streichen. Ich nutzte die Gelegenheit und ließ mir dabei helfen, die einundzwanzig Bücherkisten aus dem Kellergeschoss heraufzutragen.

Unbekannte Titel und Schriftsteller, deren Namen ich noch nie gehört hatte. Sorgsam nahm ich jeden Text in die Hand, wischte den Staub ab und blätterte die Seiten im Schnelllauf mit dem Daumen durch. Ich las die Zusammenfassung der Handlung auf der Rückseite, bei einigen Büchern sogar das Inhaltsverzeichnis, und am Ende stellte ich sie ins Regal, ihren Standort im Universum.

Zuletzt öffnete ich den Karton, der jahrelang direkt an der Wand gestanden hatte und von der Feuchtigkeit beschädigt worden war. Darin befanden sich vergilbte Bücher, die mit ihren aneinanderklebenden Seiten und Einbänden, die zerbröselten wie uralter Putz, sterbenden Körpern ähnelten. Ich hatte sie in ein gesondertes Regal gestellt wie abgelaufene und zum sofortigen Verzehr bestimmte Kekse vom Rummelplatz, in der Hoffnung, dass Luft und Sauerstoff, die Nähe ihrer Artgenossen und meine Achtsamkeit ausreichen würden, um die Zersetzung ihres faserigen Fleisches hinauszuzögern.

Einen Monat später wurde die Eröffnung der Gemeindebibliothek von Timpamara in großem Stil gefeiert, mitsamt Musikkapelle, Ansprache des Bürgermeisters und Sektempfang.

Seitdem verläuft mein Tag als Bibliothekar nach dem immer gleichen Muster. Er beginnt am Nachmittag, wenn ich nach dem Essen aus dem Haus gehe und die siebenhundertsechsundvierzig Meter zurücklege, die mein Zuhause von meinem Arbeitsplatz trennen. Ich halte die Bibliothek vertragsgemäß von Montag bis Samstag zwischen vierzehn und achtzehn Uhr geöffnet. Tatsächlich schließe ich sie niemals pünktlich. Zu Hause wartet niemand auf mich, darum verspäte ich mich gelegentlich und lasse auch das Abendessen aus. Ginge es nach mir, würde ich dort zwischen den Büchern wohnen. Kaum gehe ich zur Tür hinein, habe ich den Eindruck, nicht mehr zu humpeln. Das stimmt nicht, aber es fühlt sich so an. Es ist, als gäbe es in diesen Räumen weder hinkende Menschen noch schnellfüßige, weder zurückzulegende Entfernungen noch einzuhaltende Zeiten. Es war, als gliche die Sprache alles einander an. Die Bibliothek ist mehr als eine Zuflucht für mich, sie ist meine Höhle, meine Fruchtblase. Hier fühle ich mich weniger allein, und was Einsamkeit ist, weiß ich genau.

In den meisten Nachbarorten gibt es nur deshalb eine Bibliothek, weil diese zu den kommunalen Pflichtaufgaben gehören. Sie sind in Schlössern oder Herrensitzen untergebracht, mal mit Wappen, mal mit Friesen geschmückt und bleiben wochen-, monate-, ja manchmal sogar jahrelang geschlossen, um zu altern und zu zerfallen wie Weinfässer, die man draußen stehen lässt. Meistens gibt es nicht einmal einen Bibliothekar, und die Schlüssel verwahrt der Gemeindesekretär oder der Telefonist. Möglicherweise verbergen sich literarische Raritäten in den Tiefen der staubigen Regale, zumeist aber handelt es sich um unbrauchbare oder nicht mehr lesbare Bücher, die nur zur Dekoration dienen.

Die Bibliothek von Timpamara hingegen lebt und atmet wie ein menschlicher Körper. Jeden Tag kommt jemand, oftmals sogar Fremde, um Bücher auszuleihen oder zurückzubringen, um Platz zu nehmen und Tageszeitungen oder Wochenblätter zu lesen oder auch nur um in dem Saal im Erdgeschoss ein wenig zu plaudern, vor allem an schönen Tagen, an denen ich die Tür weit offen stehen lasse.

Sie haben mich immer den Lahmen genannt. In Timpamara musste man nur dieses Wort aussprechen, schon dachten alle an Astolfo Malinverno, den Sohn von Vito Malinverno und Catena Seminara der Fantasievollen. Und der Lahme wurde ich auch noch genannt, als ich die Arbeit in der Bibliothek aufnahm. Aber jetzt nicht mehr. Abgesehen von einigen böswilligen Menschen, nennen mich alle den Bibliothekar, und wenn sie kommen, um Bücher zu holen oder mich um Empfehlungen zu bitten, sagen sie: »Verzeihung, wären Sie bitte so freundlich« zu mir - Worte, die mir zuvor nicht geläufig waren.

Ich mache alles, was auch andere Bibliothekare tun. Ich informiere mich über Neuerscheinungen, erstelle Listen zu erwerbender Bücher, die ich nach der Anschaffung katalogisiere, ich überprüfe den Zustand des Materials, kümmere mich um die Ausleihe, empfehle passende Lektüren, räume Zeitungen und Illustrierte weg.

Gleichwohl gibt es eine Aufgabe, die nur für die Bibliothekare von Timpamara gilt, also nur für mich. Hin und wieder muss ich zur Papierpresse gehen und in den dort angehäuften Büchern nach brauchbaren Exemplaren suchen, die wieder in Umlauf gebracht werden können. Es gibt eine Art Übereinkunft zwischen dem Bürgermeister und dem Eigentümer der Fabrik, nach der ich an einem oder zwei Freitagen im Monat im Papier herumstöbern und mitnehmen darf, was vielleicht noch verwendet werden kann.

Dies waren die einzigen Augenblicke, in denen sich dank der Lektüre die Eintönigkeit der Tage verflüchtigte. Ich lernte neue, bisher unvorstellbare Welten kennen und las seltsame, außergewöhnliche Geschichten, ohne zu ahnen, dass ich elf Jahre später selbst eine derartige Geschichte erleben sollte.

 

An jenem Nachmittag - es war vier Uhr, ich weiß es noch wie heute - ordnete ich gerade die Tageszeitungen, da kam der Gemeindediener an und händigte mir einen Umschlag aus, in dem sich folgende Mitteilung befand:


Betreff: Interne bereichsübergreifende Versetzung aufgrund zwingenden dienstlichen Erfordernisses

AUFGRUND der unfallbedingten vorzeitigen Pensionierung des derzeitigen Wärters des Gemeindefriedhofs, Graziano Melicuccà, und aufgrund der Tatsache, dass vorgenannter Gemeindefriedhof nach Aussage des Fachreferenten einen Beamten zur Führung des Registers benötigt, das keinem Angestellten höheren Ranges übertragen werden kann, auch nicht vorübergehend,

WIRD FESTGESTELLT, dass die steigende Zahl der Todesfälle die Situation noch verschärft und die Notwendigkeit, alle Friedhofsdienstleistungen in vollem Umfang zu erbringen, in noch höherem Maße als üblich besteht,

UND IM HINBLICK AUF die dringende Notwendigkeit, Maurerarbeiten und weitere Anpassungen auf dem städtischen Friedhof vorzunehmen,

mit sofortiger Wirkung BESCHLOSSEN, dass der werte Empfänger dieses Schreibens mit dem heutigen Datum seinen Dienst auf dem Friedhof antritt, und zwar für den Zeitraum, der für die Führung des Registers unbedingt notwendig ist.


Ich dachte sogleich, es müsse sich um einen Fehler handeln, doch auf dem Umschlag stand tatsächlich Astolfo Malinverno, und zwar nicht mit der Bezeichnung »Bibliothekar«, die mir geschmeichelt hätte, sondern mit dem verhassten Wort »Beamter«, noch dazu unter Angabe meiner Besoldungsstufe, die die niedrigste war. Weil mir schwindelig geworden war, setzte ich mich hin.

Auf diese Art verändert sich ein Leben in einem einzigen Augenblick, während man zu Bett geht, zu Abend isst oder ein Buch an einen anderen Platz stellt. Denn Veränderungen kommen immer...
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Domenico Dara, geboren 1971 in Catanzaro, Kalabrien, aufgewachsen in Girifalco. Sein Debütroman »Der Postbote von Girifalco oder Eine kurze Geschichte über den Zufall«  und »Der Zirkus von Girifalco« sind in Italien von Lesern und Kritik gleichermaßen begeistert aufgenommen worden. Domenico Dara war damit nominiert für den renommierten Italo-Calvino-Preis und hat zahlreiche weitere Preise gewonnen, u. a. den Premio Palmi, Premio Viadana und die Debütpreise des Premio Corrado Alvaro und des Premio Città di Como.Anja Mehrmann, geboren 1965, studierte Romanistik in Osnabrück. Dort lebt sie auch heute und übersetzt aus dem Englischen, Französischen und Italienischen.