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Sind wir nicht alle ein bisschen Alman?

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Herder Verlag GmbHerschienen am11.09.20231. Auflage
Die Migrationsdebatte in Deutschland in der Sackgasse? Auf der einen Seite eine vermeintliche Mehrheitsgesellschaft, die diversen Migrantengruppen pauschal vorwirft, die Integration zu verweigern. Auf der anderen Seite eine junge Generation, die ihre eigene Identität betont und sich gegen ein von Rassismus geprägtes Land wehrt. Aber entspricht dies auch der Wirklichkeit? Was verbirgt sich hinter den gegenseitigen Beschuldigungen, und welche eigentlichen Probleme werden dadurch in den Hintergrund gedrängt? Sineb El Masrar sieht sich in der Szene der sogenannten Migranten um und bricht die verhärtete Debatte humorvoll und pointiert auf. Ihre These: Cool down! Die meisten Einwanderernachkommen und Migranten sind schon viel mehr Alman, als ihnen bewusst ist. Und: 'Deutschland ist ein Kartoffelacker, in dem ein bunter Haufen Almans gedeiht.' Eine äußerst unterhaltsame, tabubefreite Recherche von einer, die es wissen muss.

Sineb El Masrar, geb. 1981, als Tochter marokkanischer Einwanderer in Hannover. Sie ist Publizistin und Gründerin des multikulturellen Frauenmagazins »Gazelle«, das sie als Heraus-geberin leitet. Als Teilnehmerin der Arbeitsgruppe »Medien und Integration« saß sie 2006 im Kanzleramt und war von 2010 bis 2013 Mitglied der Deutschen Islam-Konferenz. Zuletzt erschienen »Emanzipation im Islam« und »Muslim Girls«. Sie lebt als freie Autorin in Berlin.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR11,99

Produkt

KlappentextDie Migrationsdebatte in Deutschland in der Sackgasse? Auf der einen Seite eine vermeintliche Mehrheitsgesellschaft, die diversen Migrantengruppen pauschal vorwirft, die Integration zu verweigern. Auf der anderen Seite eine junge Generation, die ihre eigene Identität betont und sich gegen ein von Rassismus geprägtes Land wehrt. Aber entspricht dies auch der Wirklichkeit? Was verbirgt sich hinter den gegenseitigen Beschuldigungen, und welche eigentlichen Probleme werden dadurch in den Hintergrund gedrängt? Sineb El Masrar sieht sich in der Szene der sogenannten Migranten um und bricht die verhärtete Debatte humorvoll und pointiert auf. Ihre These: Cool down! Die meisten Einwanderernachkommen und Migranten sind schon viel mehr Alman, als ihnen bewusst ist. Und: 'Deutschland ist ein Kartoffelacker, in dem ein bunter Haufen Almans gedeiht.' Eine äußerst unterhaltsame, tabubefreite Recherche von einer, die es wissen muss.

Sineb El Masrar, geb. 1981, als Tochter marokkanischer Einwanderer in Hannover. Sie ist Publizistin und Gründerin des multikulturellen Frauenmagazins »Gazelle«, das sie als Heraus-geberin leitet. Als Teilnehmerin der Arbeitsgruppe »Medien und Integration« saß sie 2006 im Kanzleramt und war von 2010 bis 2013 Mitglied der Deutschen Islam-Konferenz. Zuletzt erschienen »Emanzipation im Islam« und »Muslim Girls«. Sie lebt als freie Autorin in Berlin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783451831126
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum11.09.2023
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse1035 Kbytes
Artikel-Nr.11541862
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Nervig, peinlich und stets bemüht
AAA: Alman - Azzlack - Asozial

Der Duden beschreibt peinlich mit den Worten ein Gefühl der Verlegenheit, des Unbehagens, der Beschämung o. Ä. auslösend . Jeder Mensch hat in seinem Leben dieses Gefühl schon einmal erlebt und erlebt es immer wieder. Meine prägendste Erinnerung an eine für mich sehr peinliche Situation führt mich in meine Grundschulzeit zurück. An einem sehr warmen Sommertag hatten wir eine Doppelstunde Sport, gleich darauf folgte der Mathematikunterricht. Ich hatte das Gefühl, ich würde endgültig zerlaufen, würde ich nicht umgehend das Sweatshirt ausziehen. Nur hatte ich völlig vergessen, dass ich mein Sweatshirt nach dem Sport schon längst in meinen Turnbeutel gestopft hatte. Während unsere liebe Mathelehrerin uns in die Welt der Subtraktion einführte, zog ich, völlig fertig von der Hitze, mein Sweatshirt aus. Den mir gegenübersitzenden Mitschülern entglitten die Gesichtszüge, und ich merkte, dass mein Sweatshirt kein Sweatshirt, sondern mein T-Shirt war. Schnell zog ich mein Shirt wieder runter und schämte mich in Grund und Boden. Kein Unterhemd, geschweige denn einen BH. Einfach nackter Oberkörper mit flachen Brüsten - und das in einem nicht für FKK berühmten Bundesland. Lautes Gelächter oder Kommentare von meinen Mitschülern und unserer Lehrerin blieben mir erspart. Der Unterricht ging weiter, und ich versuchte meinen hochroten Kopf in meinem T-Shirt-Ausschnitt zu verstecken. Peinlich berührt schien niemand zu sein.

Manchmal kommen Scham und Peinlichkeit auch nur beim Gegenüber auf und werden dann Fremdscham genannt. Unter Fremdscham versteht Mensch laut Duden, das Gefühl, sich für einen anderen schämen zu müssen; in Bezug auf das Verhalten eines anderen empfundene Peinlichkeit . Die beiden Psychologen Sören Krach und Frieder Paulus von der Universität Lübeck fanden in einer Studie heraus, dass wir, je mehr wir über Empathie verfügen, desto mehr zur Fremdscham neigen. Fremdscham entsteht in der späten Kindheit im Alter zwischen ca. sechs und elf Jahren. Vielleicht war das der Grund, warum meine Klasse mit irritiertem Gesichtsausdruck noch nach dem passenden Gefühl tief in sich selbst suchte. Deutlich älter und mit Fremdscham ausgestattet werden wir noch viele Momente dieses Gefühls erleben. Sie, als mehrheitlich Deutsche ohne Migrationshintergrund, sollen den Klischees zufolge einen ganzen Katalog vorweisen, für den Sie sich selbst schämen müssen, oder meine Wenigkeit, die zu den Deutschen mit jüngerer Einwanderungsgeschichte gehört. Zu den Alman-Fremdscham-Klassikern gehört unter anderem, alles viel zu ernst zu nehmen und sich über alles Mögliche aufzuregen. Sandalen mit weißen Socken etwa oder das Handtuch auf der Liege.

Den Deutschen selbst sind laut einer Umfrage8 aus dem Jahr 2019 unter anderem Mund- und Achselgeruch (38 Prozent), schlechte Zähne (34 Prozent) und Blähungen (29 Prozent) peinlich. Alles Dinge, die auch Leuten aus dem Ausland hierzulande und im Ausland selbst peinlich sind. Und auch wenn in anderen Teilen der Welt vielleicht Dinge wie Rülpsen als Lob für die Kochkunst gelten und lautes Schmatzen als Zeichen dafür, dass einem das Essen schmeckt, gilt das nie für alle Menschen eines Landes.

Wenn in der Öffentlichkeit zu viel in der Nase gebohrt oder gefurzt wird und die Frustration darüber in leicht erregbare Aggression mündet, assoziiert Mensch damit oft asoziales Verhalten. Wenn man der Fantasie weiter freien Lauf lässt und sich eine Bierflasche in der einen Hand und eine Kippe in der anderen vorstellt, gepaart mit einer Vokuhila-Frisur und Schnauzbart sowie (Deutschland)-Trainingsanzug, dann haben wir einen Alman-Klischee-Rüdiger. Der gibt sich gerne in der Eckkneipe seines Vertrauens die Kante und redet am Stammtisch über Gott und die Welt und besteht auf seine Rechthaberei über die da oben . Manche nennen das auch Frühschoppen, ein geselliger Trunk am Vormittag , wie der Duden weiß. All jene, die nach 2000 geboren wurden und mit der Typbeschreibung nicht so viel anfangen können, bekommen einen kleinen Eindruck durch den Ost-Berliner Rapper Finch Asozial.
Es war einmal: Kanake & ihre Brüder

Womit wir bei der Frage sind, wie viel asozial eigentlich im Kanaken und im Alman steckt.

Doch bevor wir diese Frage und viele weitere beantworten, wie zum Beispiel: Was war zuerst da, Azzlack-Huhn oder Asozialen-Ei? Bevor wir also dazu kommen, zunächst die Frage: Was ist ein Kanake überhaupt? Und woher kommt diese Bezeichnung? Also ursprünglich?

Der Begriff findet in drei Feldern Gebrauch. Zunächst einmal wird er in der Umgangssprache für Menschen verwendet, deren Herkunft im türkisch-, persisch-, kurdisch-, paschtu-, farsi-, dari- und arabischsprachigen Raum verortet wird, sowie für Menschen aus Nordafrika und Süd- und Osteuropa. Oder wie manche Leute mit und ohne Migrationshintergrund sagen: für Schwarzköpfe.

Doch auch die Ureinwohner im südpazifischen Neukaledonien heißen Kanak. Hinzu kommt natürlich auch die griechische Mythologie. Denn früher oder später landen wir Menschen immer mal wieder bei den antiken Griechen. Aiolos, der als mythische Gründungsfigur eines der bedeutendsten Stämme des antiken Griechenlands gilt, hatte eine Tochter mit dem Namen Kanake. Passend zum Klischee und um einen Bogen in unsere heutige Zeit zu schlagen: Diese Tochter Kanake hatte viele Brüder, genau genommen sieben. Und der bekannteste unter ihnen dürfte auch Nichtkennern der griechischen Mythologie etwas sagen: Sisyphos. Er galt als gerissen und als Schlitzohr und konnte mit seiner skrupellosen Art öfters sogar den Tod überlisten. Doch irgendwann trieb auch er es zu wild, und Hermes, der Gott der Reisenden und Kaufleute, bestrafte ihn damit, dass Sisyphos in der Unterwelt auf ewig einen Felsenblock den Berg hinaufwälzen musste, der, wenn Sisyphos den Gipfel fast erreicht hatte, jedes Mal aufs Neue ins Tal zurückrollte. Vermutlich wälzt er ihn noch heute. Vergleichbar mit jenen Streifenpolizisten, die, selbst den sogenannten Kanaken zugeordnet, tagein, tagaus Kriminelle in Berlin, Offenbach oder in Köln und Bonn durchsuchen und festnehmen, um sie wenige Stunden später wieder auf freien Fuß zu setzen. Das aber nur, um sie ein paar Tage später wieder wegen ähnlicher Gewaltdelikte oder Drogenbesitz zu durchsuchen und festzunehmen und aufs Revier mitzunehmen. Eine klassische Sisyphusarbeit eben.

Die Ereignisse in der Silvesternacht 2022/2023 hinterließen in verschiedenen deutschen Städten Bilder der Verwüstung, was, verbunden mit einer neuen Qualität der Aggressivität gegenüber Einsatzkräften, für große Entrüstung sorgte. Ein Berliner Feuerwehrmann, der in dieser Nacht im Einsatz war, beschrieb das Erlebte sowie die Frustration und Wut mit folgenden Worten: Ich nenne das Kind beim Namen, die hier auf uns geschmissen haben, diese ganzen Böller und Flaschen, das waren keine Links-Autonomen, die ein Problem mit dem System haben. Das waren junge Heranwachsende, größtenteils mit Migrationshintergrund. Und das sage ich selber, obwohl ich einen Migrationshintergrund habe. Mein ganzes Leben lang kämpfe ich schon gegen Vorurteile an. 9

Aggressiv, machohaft, bildungsfern und vor allem männlich, das sind die Attribute, die mit Kanaken assoziiert werden.

Wer den Begriff in Deutschland zum ersten Mal hinausposaunt hat, lässt sich nicht mehr lückenlos zurückverfolgen. Vermutlich fiel das Wort in dieser oder einer ähnlichen Form auf einem Schiff auf hoher See, bevor es seinen Weg von der Südsee in die Elbe antrat. Die Geschichte des Wortes beschreibt die SWR-Redakteurin Gabriele Trost so: Im späten 19. Jahrhundert war Kannakermann oder Kannaker noch positiv besetzt. Deutsche Seeleute nannten ihre Kameraden aus der Südsee so, die in der Regel als sehr zuverlässig und treu galten. Um 1900 tauchte Kanake dann im Berliner Wortschatz (im Gaunerjargon) auf und wurde dort gleichbedeutend wie Hanake gebraucht. Unter einem Hanaken verstand man einen groben, plumpen oder sogar niederträchtigen Menschen. Nun kommt noch ein Detail hinzu, das die Begrifflichkeit gänzlich negativ konnotierte. Denn mit Hanaken waren die in der heutigen Tschechischen Republik angesiedelten Slawonen gemeint, und da im deutschsprachigen Böhmen ein regelrechter Abwehrkampf gegen die slawische Volksgruppe herrschte, war der Begriff alles andere als positiv besetzt. Antislawischer Rassismus scheint nicht erst seit dem Angriffskrieg der Russen auf die Ukraine aktuell zu sein.

Doch bevor ein Schwabe den Gedanken Des isch ja wie mid uns in Berlin ausspricht: Nein! Die Schwaben bewegten sich auch in Berlin stets frei, den ersten sogenannten Gastarbeitern in den 1960ern hingegen wurden durch Anwerbeabkommen strenge Verhaltensregeln auferlegt. Die Gemeinsamkeit liegt vielmehr darin, dass ihre Nachkommen mit einigen Ausnahmen von der fleißigen und harten und auch von Verzicht gezeichneten und jahrzehntelangen Schufterei profitierten. Die Kinder und Enkel können sich heute an den Immobilien und deren Erbe erfreuen. Egal, ob in Antalya, Hammamat, Nador, Belgrad, Athen oder im Prenzlauer Berg.

Zurück zum Begriff Kanake, der heute immer noch negativ besetzt ist, obwohl er seit Jahrzehnten als Selbstbezeichnung der oben genannten Personengruppen Verwendung findet. Ende der 1990er Jahre wurde der Begriff durch eine Gruppe Kreativer mit Einwanderungsgeschichte,...
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