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Liebe und Revolution

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
304 Seiten
Deutsch
Klett-Cotta Verlagerschienen am19.08.2023Die Auflage entspricht der aktuellen Auflage der Print-Ausgabe zum Zeitpunkt des E-Book-Kaufes
Eine Geschichte von Sehnsucht, Aufbruch und Vergeblichkeit zwischen Berlin und Nicaragua Die 80er Jahre: Paul verlässt sein Berliner Studentendasein und den Traum der großen Liebe zu Beate, um sich in Nicaragua für den Aufbau einer besseren Gesellschaft einzusetzen. Als er zurückkehrt, fällt die Berliner Mauer. Die Welt verändert sich grundsätzlich, aber ganz anders, als zuvor gedacht. Kann man noch an die Revolution und an die Liebe glauben? Paul lebt Mitte der 80er Jahre im linken Milieu West-Berlins. In den Lesekreisen und aktivistischen Zirkeln wird über die Revolution nachgedacht. Als er Beate trifft, entdeckt er die Liebe und muss erkennen, wie schnell sie einem entgleiten kann. Wie viele aus seiner Generation geht er nach Nicaragua, wo er hofft, sich nützlich machen zu können und Beate zu vergessen. In der Profanität des Revolutionsalltags zwischen Betonmischer und Hängematte deutet sich die Vergeblichkeit des politischen Kampfes an. Wäre da nicht die entschlossene Sigrid, deren Wesen ebenso rätselhaft ist, wie ihr plötzliches Verschwinden. »Liebe und Revolution« ist ein Epochen- und Generationenroman, der mitreißend erzählt, dass das Politische stets auch privat ist.

Jörg Magenau, geboren 1961 in Ludwigsburg, studierte Philosophie und Germanistik in Berlin. Er ist einer der bekanntesten deutschen Feuilleton-Journalisten und schrieb u. a. Biographien über Christa Wolf, Martin Walser und die Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger. Bei Klett-Cotta erschien die literarische Reportage »Princeton 66« und zuletzt sein erster Roman »Die kanadische Nacht« (2021) .
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR18,99

Produkt

KlappentextEine Geschichte von Sehnsucht, Aufbruch und Vergeblichkeit zwischen Berlin und Nicaragua Die 80er Jahre: Paul verlässt sein Berliner Studentendasein und den Traum der großen Liebe zu Beate, um sich in Nicaragua für den Aufbau einer besseren Gesellschaft einzusetzen. Als er zurückkehrt, fällt die Berliner Mauer. Die Welt verändert sich grundsätzlich, aber ganz anders, als zuvor gedacht. Kann man noch an die Revolution und an die Liebe glauben? Paul lebt Mitte der 80er Jahre im linken Milieu West-Berlins. In den Lesekreisen und aktivistischen Zirkeln wird über die Revolution nachgedacht. Als er Beate trifft, entdeckt er die Liebe und muss erkennen, wie schnell sie einem entgleiten kann. Wie viele aus seiner Generation geht er nach Nicaragua, wo er hofft, sich nützlich machen zu können und Beate zu vergessen. In der Profanität des Revolutionsalltags zwischen Betonmischer und Hängematte deutet sich die Vergeblichkeit des politischen Kampfes an. Wäre da nicht die entschlossene Sigrid, deren Wesen ebenso rätselhaft ist, wie ihr plötzliches Verschwinden. »Liebe und Revolution« ist ein Epochen- und Generationenroman, der mitreißend erzählt, dass das Politische stets auch privat ist.

Jörg Magenau, geboren 1961 in Ludwigsburg, studierte Philosophie und Germanistik in Berlin. Er ist einer der bekanntesten deutschen Feuilleton-Journalisten und schrieb u. a. Biographien über Christa Wolf, Martin Walser und die Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger. Bei Klett-Cotta erschien die literarische Reportage »Princeton 66« und zuletzt sein erster Roman »Die kanadische Nacht« (2021) .
Details
Weitere ISBN/GTIN9783608122039
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum19.08.2023
AuflageDie Auflage entspricht der aktuellen Auflage der Print-Ausgabe zum Zeitpunkt des E-Book-Kaufes
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse4172 Kbytes
Artikel-Nr.11546595
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1


Die Nacht, an die er immer wieder zurückdachte, auch jetzt, hier, mitten unter den Schaulustigen vor der Oberbaumbrücke, hatte er ganz allein am Strand verbracht. Er hatte sich auf die Isomatte gelegt, ohne schlafen zu können, weil er mit Sternezählen nicht fertig wurde. Nie zuvor hatte er so viele Sterne gesehen, nie zuvor so tief ins Universum hineingeschaut. Der Pazifik dröhnte, warf unermüdlich Welle um Welle an den Strand, so wie seit Ewigkeiten und für alle absehbare Zukunft. Schwarz rollten die Wellen heran, um weiß aufzuschäumen und gurgelnd im Dunkel zu verlöschen. Paul kam es so vor, als wäre der Himmel räumlich, als ließe sich die Entferntheit der einzelnen Lichtpunkte darin abschätzen - oder vielmehr die Dauer des Unterwegsseins der Lichtstrahlen.

Altert das Licht unterwegs? Hat es eine Geschichte?

Und da, während er nach oben schaute und sich nicht sattsehen konnte, hörte er es schaben und schnaufen und scheuern. Der Strand geriet in Bewegung. Sieben riesenhafte Meeresschildkröten kamen in breiter Front aus dem Wasser. Wie eine Panzerarmee krochen sie auf ihn zu und an ihm vorbei, um sich mit dem Hinterleib in den Sand einzugraben und ihre Eier abzulegen.

Das dauerte, das war ein mühevolles Geschäft.

Die Schildkröte, die ihm am nächsten war, schaute ihn aus ihren hundertjährigen Augen an, als wüsste sie einen Menschen aus Erfahrung einzuschätzen. Paul rührte sich nicht, weil er das Schauspiel nicht stören wollte. Doch hinter den Schildkröten, kaum waren sie fertig mit ihrer Legestrapaze und machten sich schwer atmend auf den Weg zurück ins Meer, näherte sich eilig ein gebückter, kleiner Mann mit einem zerbeulten Strohhut auf dem Kopf, grub seine Arme in den lockeren Sand, holte die Eier, eins nach dem anderen, heraus und verstaute sie vorsichtig in einem Sack. Er lachte glückselig in Pauls Richtung, nickte mehrmals und hielt den Zeigefinger vor den Mund, vielleicht, um Paul zu signalisieren, dass er die Tiere nicht erschrecken dürfe, vielleicht aber auch, um ihm eine Art Schweigegelübde abzunehmen.

Paul hatte keine Ahnung, ob es in einem revolutionären Land erlaubt war, Schildkröteneier zu stehlen.

Im Universum fallen Raum und Zeit zusammen, dachte er. Lichtjahre sind ein Zeitmaß und geben trotzdem die Entfernung an. Was er als gleichzeitig und nebeneinanderliegend wahrnahm, stellte, wie er wusste, tatsächlich ein wildes Durcheinander vergangener Äonen dar, weil es von den näher gelegenen Sonnen vielleicht bloß tausend, von den ferneren aber Millionen Jahre gedauert haben mochte, bis das von ihnen ausgesandte Licht hier am Strand sein Ziel erreichte, indem es in seine Pupillen fiel und auf der Netzhaut ein Bild erzeugte, dem nichts Wirkliches entsprach, weil die Sterne, die er sah, vielleicht schon lange nicht mehr existierten. Oder war Wirklichkeit das, was er für sich zusammenfügte?

Knapp über dem Holzkreuz, am oberen Ende des Strandes, hing als fingernageldünne Sichel der Mond. Der immerhin war gegenwärtig, leuchtete in Echtzeit oder nur um eine gute Sekunde versetzt. Wie auf einem Gemälde von Caspar David Friedrich sah er aus, aber dann würde es sich bloß um die Ostsee handeln und nicht um die palmengesäumte Küste Nicaraguas, und er, Paul, stünde als sinnender Mönch im Nebel. Das Kreuz erinnerte an all die Fischer, die nicht zurückgekehrt waren von ihren Fahrten, damit die verlorenen Seelen sich um diesen Orientierungspunkt herum versammeln konnten. Direkt dahinter mündete der Rio Casares in den Pazifik, ein munteres Flüsschen in felsigem Bett. An Waschtagen standen die Frauen des Dorfes dort bis zur Hüfte im Wasser und im Seifenschaum.

Am nächsten Morgen deutete nichts auf die nächtlichen Ereignisse hin. Die Schildkröten hatten keine Spuren hinterlassen. Paul schaute den Fischern zu, die ihre Boote über den Strand zogen, um noch vor Sonnenaufgang hinauszufahren aufs Meer, das in rötlichen Streifen aufleuchtete.

So weit weg diese Nacht auch war - ob in Kilometern oder in Monaten gerechnet -, blieb sie in ihm lebendig. Er trug sie mit sich herum, die Sterne, das Meer, die Schildkröten, auch jetzt, wo er versuchte zu verstehen, was sich direkt vor ihm unter dem trüben Berliner Novemberhimmel ereignete.

Normalerweise huschten nur ein paar Rentner über die Oberbaumbrücke, denen anzusehen war, wie unwohl sie sich im Visier der Grenzsoldaten fühlten. Die Backsteinzinnen mit den traurigen, von Birken bewachsenen Turmstümpfen, der vermauerte Arkadengang, der hässliche viereckige Wachturm und die Panzersperren in der Mitte der Fahrbahn wirkten wie eine Kriegskulisse, ein Minenfeld, und Paul stellte sich gerne vor, wie es früher gewesen sein musste, mit der U-Bahn oben drüberzufahren und flussaufwärts zu schauen, wo in der Ferne die Schlote eines Kraftwerks qualmten. Er konnte ja nicht ahnen, dass das in ein paar Jahren wieder möglich sein würde. Die Gleise waren mit Stacheldraht und durch ein rostiges Metalltor verrammelt, das ihn an den Eingang zu einem Schrottplatz erinnerte. Am anderen Ufer wurde die Brücke durch das quer über die Straße geklotzte Grenzkontrollgebäude abgeriegelt, ein flacher Plattenbau, der im gelben Neonlicht der Peitschenleuchten zu zerfließen schien.

Exakt zwei Jahre zuvor, im November 1987, war er aus Nicaragua zurückgekehrt. Dort, auf dem Aeropuerto Augusto César Sandino, hatte er sich von allem, was ihm lieb geworden war, verabschiedet. Die Frauen herzten und drückten ihn der Reihe nach, während die Kinder zwischen ihnen herumsprangen, und sie wurden nicht fertig damit, ihn abzuküssen und zu umarmen, obwohl der Flug nach Havanna schon ausgerufen worden war. Paloma hockte still daneben auf ihrem Schwanz, hechelte mit seitwärts aus dem Maul hängender Zunge und blickte in stummem Schmerz zu ihm auf. Pablo, wie Paul dort hieß, kraulte sie hinter den Ohren. Ein ums andere Mal, während er so gebückt neben der Hündin stand, wurde er gefragt, wann er wiederkomme, und jedes Mal sagte er in seinem holprigen Spanisch: »El año que viene, definitivamente«, so sicher war er sich, nach allem, was geschehen war. Er konnte nur hoffen, dass nicht alles vergeblich gewesen sein würde und dass die Kooperative im neuen Gebäude gerüstet wäre für die Zukunft.

Er hatte sogar darüber nachgedacht, das Studium aufzugeben und in Managua zu bleiben, weil er weder Amanda noch Hartmut und am allerwenigsten Sigrid im Stich lassen wollte, der sie aber nicht helfen konnten. Sie hatten das Mögliche getan. Doch die Hoffnung war schwächer geworden mit jedem Tag, an dem sie nichts von ihr hörten, so dass die zersetzende, quälende Ungewissheit allmählich in eine noch schrecklichere Gewissheit überging. Wenn Sigrid noch am Leben wäre, hätte sie längst ein Zeichen gegeben. Irgendwie hätte sie das geschafft. Ein Mensch kann doch nicht einfach spurlos verschwinden.

Inzwischen war das nächste Jahr vorbeigegangen, 1989 war auch schon fast um, und er lebte in diesem eingemauerten Berlin wie ein Zombie vor sich hin. Die Tage reihten sich aneinander, ohne dass er ihnen viel Interesse entgegenbrachte. Er schöpfte aus den Farben und Gerüchen seiner Erinnerungen, aus den Bildern, die in ihm lauerten und so plötzlich wie wilde Tiere im Dschungel hervorbrachen. Das Getümmel auf dem Markt von Masaya. Das Gelb der wimmelnden Küken in einem flachen, runden Korb und daneben das versonnen lächelnde, in sich versunkene Mädchen. Das fette Grün der zu einem Haufen aufgeschichteten Melonen. Die roten Basecaps der Nicas. Die allgegenwärtige rot-schwarze Fahne. Die dämmerige Seilmacherwerkstatt voll altertümlicher hölzerner Gerätschaften, Schwungräder und Kurbeln. Der aufdringlich süße Duft exotischer Früchte an Yolandas Saftbude. Die Marimbaspieler mit den sehr blauen Papageien auf Schultern und Köpfen. Der Geruch von nassem Staub nach dem Abendregenguss. Der Schwefelqualm aus dem Vulkankrater - eine Straße führte dort hinauf und bis an den Rand des Höllenlochs, in das er mit Sigrid und Hartmut hinabgeschaut hatte - und dann der weite Blick über die Kette der schwarzvioletten Bergkegel.

Doch auch die Schuldgefühle blieben und raubten ihm alle Energie, so dass er die Entscheidung einer baldigen Rückkehr immer weiter vor sich herschob. Seine Solidarität verlor unmerklich an Kraft, und auch der Briefwechsel mit Amanda und ihren Söhnen, die ihm Wunschzettel schickten - Schuhe, Stifte, Hefte, Musikkassetten, por favor! -, schlief in dem Maße ein, in dem seine Spanischkenntnisse einrosteten. Dabei hatte es sich doch um ein wirkliches Liebesverhältnis gehandelt, eine Liebe zur spanischen Sprache und zu Land und Leuten, für die Paul in die Ferne hatte reisen müssen, um sie zu erleben, da sie zu Hause, der eigenen...
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Autor

Jörg Magenau, geboren 1961 in Ludwigsburg, studierte Philosophie und Germanistik in Berlin. Er ist einer der bekanntesten deutschen Feuilleton-Journalisten und schrieb u. a. Biographien über Christa Wolf, Martin Walser und die Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger. Bei Klett-Cotta erschien die literarische Reportage »Princeton 66« und zuletzt sein erster Roman »Die kanadische Nacht« (2021) .