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Das Licht zwischen den Schatten

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
Deutsch
Bastei Entertainmenterschienen am25.08.20231. Aufl. 2023
So fremd und doch so nah

Der Arbeiterjunge Konrad schwört der schönen Selma aus reichem Hause, Medizin zu studieren, um ihre behinderte Schwester Alma zu heilen. Erst die Nazis ermöglichen es ihm, seinen Schwur zu erfüllen. Brigitte muss mit ihren Eltern gegen ihren Willen in den Westen flüchten und revoltiert gegen alles und jeden. Das treibt sie schließlich in die Arme der RAF. Andrés Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Die DDR bietet dem talentierten Kunstspringer eine sozialistische Vorzeigefamilie als Ersatz. Doch seine ungeklärte Vergangenheit lässt ihn nicht los.

Drei Menschen, die die Geschichte des 20. Jahrhunderts entfremdet hat. Und doch gibt es etwas, das sie untrennbar verbindet.

Kraftvoll, eindringlich, prall von Leben - ein großer deutscher Familienroman




Michaela Beck lebt in Berlin und arbeitet als Autorin, Dramaturgin und Dozentin. 2024 erschien bei Lübbe ihr zweiter Roman, DAS LAUTE IM LEISEN, der von einer komplizierten Frauenfreundschaft im Weimar der frühen 80er-Jahre handelt.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR26,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
HörbuchCD-ROM
EUR22,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextSo fremd und doch so nah

Der Arbeiterjunge Konrad schwört der schönen Selma aus reichem Hause, Medizin zu studieren, um ihre behinderte Schwester Alma zu heilen. Erst die Nazis ermöglichen es ihm, seinen Schwur zu erfüllen. Brigitte muss mit ihren Eltern gegen ihren Willen in den Westen flüchten und revoltiert gegen alles und jeden. Das treibt sie schließlich in die Arme der RAF. Andrés Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Die DDR bietet dem talentierten Kunstspringer eine sozialistische Vorzeigefamilie als Ersatz. Doch seine ungeklärte Vergangenheit lässt ihn nicht los.

Drei Menschen, die die Geschichte des 20. Jahrhunderts entfremdet hat. Und doch gibt es etwas, das sie untrennbar verbindet.

Kraftvoll, eindringlich, prall von Leben - ein großer deutscher Familienroman




Michaela Beck lebt in Berlin und arbeitet als Autorin, Dramaturgin und Dozentin. 2024 erschien bei Lübbe ihr zweiter Roman, DAS LAUTE IM LEISEN, der von einer komplizierten Frauenfreundschaft im Weimar der frühen 80er-Jahre handelt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783751748032
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum25.08.2023
Auflage1. Aufl. 2023
SpracheDeutsch
Dateigrösse2678 Kbytes
Artikel-Nr.11546974
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


KONRAD
Berlin
1919
Konrads Vater, Hans Sollmann, musste im Krieg fallen, damit Konrad das Mädchen Selma, die Liebe seines Lebens, treffen konnte. Noch ein halbes Jahr zuvor hatte er den Tod seines Vaters als etwas vollkommen Sinnloses empfunden, aber als Selma dann in ihrem weißen Rüschenkleid in ihrer ärmlichen Küche stand, wusste Konrad, dass der Tod des Vaters auch etwas Gutes hatte.

Hans Sollmann hatte, wohl in dem Glauben, dass sein Leben keinen Pfifferling mehr wert war - der Krieg war verloren und seine Ehe zerrüttet -, sich vor seinen verwundeten Hauptmann und in den feindlichen Kugelhagel geworfen, um dessen Leben zu retten. So sah es später Selma, so würden es alle sehen, außer Konrads Mutter und Konrad selbst. Sie wussten, der Vater löste mit seiner angeblich heldenhaften Tat nur ein Versprechen ein, das er ihnen in seinem ersten Brief von der Front im Jahr 1916 gegeben hatte: Ihr Leben würde nach dem Krieg ein besseres sein. Dass dieses bessere Leben ohne den Vater stattfinden würde, nur ohne ihn ein besseres werden konnte, hatte Konrad nicht geahnt.

Konrad war erst zehn und sein kleiner Bruder Fritz neun, als im Dezember 1918 der amtliche Brief mit der Mitteilung kam, dass Hans Sollmann »für Kaiser und Vaterland auf dem Feld der Ehre geblieben« war. Während Konrads Mutter den Brief öffnete, waren Konrad und Fritz gerade auf dem Hof, wo sie mit ihren Holzschwertern als Franzosen und Deutsche gegeneinander kämpften und wo Konrad, obwohl ihn eine Münze zum Franzosen bestimmt hatte, verlor, weil sein kleiner Bruder immer gewann, alles daransetzte zu gewinnen, auch unlautere Mittel wie Kratzen und Beißen einsetzte, was meist nicht einmal nötig war, denn Fritz war zwar kleiner als Konrad, aber viel robuster und auch ehrgeiziger.

Als Konrad und sein Bruder damals nach oben in den dritten Stock gerufen wurden, hatte ihre Mutter ganz ruhig auf ihrem Lieblingsplatz in der Küche, auf dem Kohlenkasten neben dem Herd, gesessen und zwischen zwei Zügen aus ihrer Zigarette ihre beiden Söhne seit Langem mal wieder angelächelt. Ganz ruhig angeschaut hatte ihre Mutter sie, und Konrad hatte sofort gewusst, dass irgendetwas nicht stimmte. Auf ihrem Schoß hatte ein offener Brief gelegen, also konnte der nicht vom Vater sein, denn in den letzten zwei Jahren hatte sie keinen seiner Briefe mehr geöffnet. Das hatte sie stattdessen Konrad überlassen, sollte der sich ruhig mit den törichten Versprechungen seines Vaters vergnügen, wenn er unbedingt wolle.

»Euer Vater hat seinem Hauptmann das Leben gerettet, und deshalb bekomme ich jetzt eine Witwenrente«, hatte sie mit unverhohlener Freude gesagt und wieder einen Zug von ihrer Zigarette genommen. Dann hatte sie versonnen zum Fenster hinausgeschaut, als dächte sie bereits darüber nach, was sie sich von der Rente kaufen könnte, und vergaß das erste Mal, ihre Söhne ans Händewaschen zu erinnern. Kein Wort des Bedauerns war über ihre Lippen gekommen, sie hatte nur die Mundwinkel nicht nach unten gezogen, so wie sonst, wenn sie über ihren Mann sprach, und ihn auch nicht »Mistkerl« oder »dieser Hurenbock, der euer Vater ist« genannt.

In den darauffolgenden Monaten hatte Konrad beinahe jede Nacht unter der Bettdecke geweint und die Mutter gehasst, die über den Tod ihres Mannes keine einzige Träne vergoss. Im Gegenteil. Sie war froh und erleichtert über die Todesnachricht gewesen, weil sie auf diese Weise »mit Anstand« ihren Mann losgeworden war, den sie sowieso niemals wieder in ihr Bett, in ihre Wohnung gelassen hätte, wie sie einmal Kaltmamsell Günzel beim Kartoffelschälen flüsternd anvertraute, während Konrad lauschte und vorgab, mit Fritz Zigarettenbildchen zu sortieren.

Andere Frauen, deren Männer als vermisst galten, hatten da viel weniger Glück, wie Konrad mitbekommen hatte. Die mussten sich damals sogar fragen, ob ihr Mann vielleicht im Krieg nur eine andere kennengelernt hatte. Vielleicht in Polen, in Frankreich oder in Afrika? Und gern verschollen blieb, um dort ein neues Leben mit einer neuen Frau, mit einer neuen Familie zu beginnen, ohne dass seine Frau daheim durch eine Witwenrente wenigstens ein bisschen abgesichert gewesen wäre. Solche Geschichten gab es: »Jeder Stoß ein neuer Franzos´!«, kommentierten die Frauen das gehässig und gackerten gellend.

So hatte Else Krause vom dritten Hinterhof ihrer Mietskaserne einen heimkehrenden Kameraden ihres Mannes so lange zu seinem Verschwinden ausgequetscht, bis sie durch die Unstimmigkeiten in seinen Aussagen ihren Verdacht bestätigt bekam. Konrads Mutter wäre über so eine Geschichte nicht zerbrochen, so wie diese Else, die sich bald darauf in die Spree warf mitsamt ihren beiden Kleinkindern aus zwei Fronturlauben. Konrads Mutter hätte höchstens gelacht, so wie sie immer lachte, wenn ihr das Schicksal einen Wunsch erfüllte - den Kopf in den Nacken, die Hände auf den knochigen Hüften.

Mit der Nachricht vom Tod des Vaters war für Bertha Sollmann das Thema Ehe beendet. Nie wieder sollte sie ihren Mann erwähnen. Nicht im Guten und nicht im Bösen. Er war die größte Enttäuschung ihres Lebens, hatte sie betrogen und belogen und oft seinen Lohn noch am selben Tag versoffen, während sie nicht wusste, wie sie die Jungs satt kriegen sollte.

Ihre Klagen und ihr Gezeter über den Vater kannte Konrad von klein auf, aber die wohl größte Enttäuschung bereitete der Mutter sein erster Brief von 1916. Denn der war nicht, wie sie zuerst glaubte, aus dem fernen Amerika, aus New York oder Chicago gekommen, sondern aus dem elsässischen Colmar von einem Infanterieregiment.

Wie Konrad auch, hatte seine Mutter nämlich bis dahin insgeheim gehofft, dass ihr Mann es endlich nach Amerika geschafft hätte, zwar ohne sie und die Kinder, aber immerhin nach Amerika, und bestimmt hatte sie vermutet, dass der Brief eine Einladung, ihm zu folgen, oder vielleicht sogar eine bezahlte Schiffspassage für sie und die Söhne enthielt.

Aber der »Schweinehund, der Konrads Vater war«, war nicht, nachdem Bertha Sollmann ihn im September 1914 rausgeschmissen hatte, nach Hamburg gegangen, um sich dort im Hafen eine Fahrkarte nach New York zu verdingen, so, wie es mal ihr gemeinsamer Plan gewesen war, sondern er hatte sich freiwillig in den Krieg gemeldet, wie er in seinem ersten Brief aus Colmar Bertha und den Söhnen mitteilte, die ihm nun angeblich so sehr fehlten. »Ihr sollt ihm fehlen?«, hatte Konrads Mutter gehöhnt. »Halbtot geprügelt hat er euch an dem Tag, Konrad, besoffen, wie er war. Frag die Nachbarn. Deshalb hab ich ihn rausgeschmissen, deshalb, Konrad.«

Konrad glaubte seiner Mutter kein Wort. Denn warum hätte sein Vater seine damals sechs- und fünfjährigen Söhne halbtot prügeln sollen? Was hätten sie in dem Alter schon getan haben können, um einen solchen Zorn bei ihm hervorzurufen?

»Weil er glaubte, dass ihr an seinem beschissenen Leben schuld seid«, erklärte ihm seine Mutter und fügte abschließend verächtlich hinzu: »Aber in Wirklichkeit ist er schuld an unserem beschissenen Leben.«

Konrad, der sich mit seinen zehn Jahren kaum noch an das Gesicht seines Vaters erinnern konnte, kannte viele weitere hässliche Geschichten über seinen Vater, die ihm seine Mutter immer dann erzählte, wenn er sich besonders dringend wünschte, der Vater würde endlich heimkehren, ihn in die Arme nehmen und ihm von all den Schlachten berichten, die er seit seinem Rauswurf bei ihnen als Soldat erlebt hatte.

Erst der Brief mit der amtlichen Todesmeldung hatte all seine Hoffnungen zunichtegemacht, und Konrad versuchte gar nicht erst, sich einzureden, dass sein Vater irrtümlicherweise für tot erklärt worden und ein anderer anstelle des Vaters »für Kaiser und Vaterland auf dem Felde der Ehre geblieben« war, denn zwei Wochen später hatte die Mutter die Bestätigung für die Witwenrente, und das verstand selbst Konrad mit seinen zehn Jahren, dass die Mutter die Rente niemals auf einen möglichen Irrtum hin bekommen würde. Sein Vater war tot, und abends im Bett fragte sich Konrad, worauf er jetzt noch hoffen konnte. Sein zukünftiges Leben schien so sinnlos wie der Tod des Vaters.

Bis dann Selma über seinen Hinterhof spaziert kam.

Konrad lebte gern in Prenzlauer Berg, einem Stadtteil von Berlin, in dem hauptsächlich Arbeiter und Tagelöhner in den viel zu engen Hinterhöfen wohnten und in den Vorderhäusern die etwas besseren, eher bürgerlichen Leute lebten. Besonders seine Straße, die Schönhauser Allee, mochte er, weil sie so breit war, dass dort vor ein paar Jahren sogar eine Hochbahnstrecke durch den Magistrat genehmigt worden war. Unter der konnte jeder bei Regen trockenen Fußes spazieren gehen, selbst wenn er keinen Schirm besaß, so dass die Hochstrecke schnell ihren Spitznamen »Magistratsschirm« weghatte. Doch die Schönhauser Allee war seitdem keine Flaniermeile mehr. Die richtig feinen Leute waren aus den großzügigen Wohnungen der Vorderhäuser fortgezogen, weil die Züge so viel Lärm und Dreck machten, wenn sie an den Fenstern vorbeirumpelten, dass die vornehmen Damen beim Kaffeekränzchen im Salon ihr eigenes Wort nicht mehr verstanden.

Im vierten Hinterhof der Schönhauser Allee war die Bahn jedoch nicht zu hören, nur ein leises Zittern und Vibrieren war zu spüren, das sich wellenartig nach jeder Durchfahrt im ganzen Quartier ausbreitete und das Bertha Sollmann als Ausrede nutzte, wenn Konrad und Fritz darum bettelten, hochkommen zu dürfen, weil sie so froren und vor Kälte zitterten.

»Das ist nur die Hochbahn«, rief sie dann aus dem Küchenfenster herunter und riet ihnen, sich mehr zu bewegen.

Auch an diesem Tag, dem 20. März des Jahres 1919, war es noch...

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