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E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
348 Seiten
Deutsch
Eichbornerschienen am29.09.20231. Aufl. 2023
Mit gerade mal 22 Jahren steht Sean an einem Scheidepunkt. Aufgewachsen im von der Wirtschaftskrise erschütterten Belfast, inmitten von Arbeitslosigkeit, Tristesse und den schwelenden Nachwirkungen der Nordirland-Konflikte, scheint sein Traum, Schriftsteller zu werden, vollkommen unerreichbar. Stattdessen hängt er fest in einem Teufelskreis aus Partys und Drogen - bis er im Rausch einen jungen Mann niederschlägt und vor Gericht landet. Erst jetzt findet er die Kraft, sein Leben neu zu sortieren. Wie konnte er zu dem Menschen werden, der er ist, der ihm aber doch so fremd ist? Eine offenherzige, gleichermaßen raue wie zarte Selbsterkundung, zutiefst berührend in ihrer Verletzlichkeit.



Michael Magee, Jahrgang 1990, studierte Creative Writing an der Queen's University in Belfast und ist Mitherausgeber des literarischen Magazins THE TANGERINE, für das er einige der talentiertesten jungen Autor:innen Großbritanniens entdeckt hat. Seine Texte erschienen in verschiedenen Zeitschriften und einer Anthologie. Sein Debütroman hat bei britischen sowie amerikanischen Verlagen für großes Aufsehen gesorgt. Michael Magee lebt in Belfast.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR23,99

Produkt

KlappentextMit gerade mal 22 Jahren steht Sean an einem Scheidepunkt. Aufgewachsen im von der Wirtschaftskrise erschütterten Belfast, inmitten von Arbeitslosigkeit, Tristesse und den schwelenden Nachwirkungen der Nordirland-Konflikte, scheint sein Traum, Schriftsteller zu werden, vollkommen unerreichbar. Stattdessen hängt er fest in einem Teufelskreis aus Partys und Drogen - bis er im Rausch einen jungen Mann niederschlägt und vor Gericht landet. Erst jetzt findet er die Kraft, sein Leben neu zu sortieren. Wie konnte er zu dem Menschen werden, der er ist, der ihm aber doch so fremd ist? Eine offenherzige, gleichermaßen raue wie zarte Selbsterkundung, zutiefst berührend in ihrer Verletzlichkeit.



Michael Magee, Jahrgang 1990, studierte Creative Writing an der Queen's University in Belfast und ist Mitherausgeber des literarischen Magazins THE TANGERINE, für das er einige der talentiertesten jungen Autor:innen Großbritanniens entdeckt hat. Seine Texte erschienen in verschiedenen Zeitschriften und einer Anthologie. Sein Debütroman hat bei britischen sowie amerikanischen Verlagen für großes Aufsehen gesorgt. Michael Magee lebt in Belfast.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783751748407
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Verlag
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum29.09.2023
Auflage1. Aufl. 2023
Seiten348 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2401 Kbytes
Artikel-Nr.11547012
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1

Es ging ganz schnell. Ich habe zugelangt und getroffen, und er ist umgefallen. Ein Mädchen ging auf mich los und schubste mich: Warum hast du das gemacht? Der Typ lag da, und ich stand über ihm, und um mich rum waren auf einmal tausend Leute und brüllten. Als ich endlich aus dem Getümmel rauskam, waren schon zwei Land Rover vorgefahren. Ein müder Polizist mit Geheimratsecken kam auf mich zu.

Ist das Blut?, fragte er und zeigte auf einen Fleck auf meinem Hemd, der alles Mögliche hätte sein können. Er schrieb sich meinen Namen und meine Nummer auf und sagte, er werde sich melden.

Ich hielt die Hände hoch und sagte okay.

Der Typ ist auf mich losgegangen, erklärte ich. Ich wusste nicht, was ich machen soll.

Vorn an der Straße hoben sie den Kerl auf eine Trage, und die Trage hievten sie in den Krankenwagen.

Ich glaube, du gehst jetzt am besten erst mal nach Hause, sagte der Polizist.

Ich beschloss, dass er ein guter Bulle war und wirklich helfen wollte. Wir melden uns, sagte er, und ich bedankte mich.

Vielen Dank, sagte ich.

Zu Hause stapfte Ryan mit dem Handy vorm Gesicht durch unsere Wohnung und wollte unbedingt noch eine Party finden. Aber es war schon fünf Uhr morgens, und die Vögel zwitscherten. Er zog den Lamellenvorhang zu, als würde das helfen, und riss dabei fast die Halterung runter. So grell. Ich griff nach der lila Tagesdecke, die uns meine Ma zum Einzug geschenkt hatte, zog sie mir über den Kopf und starrte vom Sofakissen aus zwischen den leeren Flaschen durch. Ryan riss den Kühlschrank auf, dann den Schrank neben dem Kühlschrank. Er nahm eine Dose vom Tresen und schüttelte sie.

Ich geb auf, sagte ich.

Du gibst auf? Wir haben noch gar nicht angefangen.

Ich geh ins Bett.

Scheiße, Mann, Sean. Lass mich nicht allein hier hängen.

Ich lass dich nicht allein, bin bloß nebenan.

Dann komm wenigstens mit zu mir. Wir glotzen noch was.

Wir müssen damit aufhören.

Womit denn? Komm schon.

Das Fenster über dem Bett stand offen, und eine kalte Brise kam rein. Ich zog mich bis auf die Boxershorts aus und kroch unter die Decke, aber blieb ganz am Rand, damit ich mich in mein eigenes Bett schleichen konnte, sobald Ryan eingepennt war. Die Wand war schwarz vor Schimmel, und das roch man auch. Überall lagen Klamotten und Fast-Food-Verpackungen herum. Becher und Gläser und leere Dosen. Ryan kiffte zu viel, deshalb. Das machte ihn faul. Deshalb war ihm alles scheißegal. Ich sagte, Du rauchst zu viel von dem Zeug, und nahm ihm den Spliff ab. War ihm egal. Er ließ sich wohlig tiefer hinabsinken und machte seinen Lieblingsfilm an: Die Verurteilten. Den musste ich jedes Mal mit ihm gucken, wenn wir so versackten. Er gab ihm Hoffnung.

Guck dir das an, sagte er.

Es war die Szene, die er so toll fand, die, als Andy Dufresne im Gefängnis ankommt und die Insassen durchdrehen und ihn anbrüllen. Ihn und die anderen Neuen Frischfleisch nennen.

Ich muss zugeben, ich hab von Andy nicht viel gehalten, als ich ihn das erste Mal sah ...

Das war Ryans Lieblingssatz, den fand er genial. Ich auch. Der äußere Eindruck trügt oft, sollte das heißen. Erlaub dir kein vorschnelles Urteil über jemanden, denn man kann nie wissen.

Am nächsten Morgen, oder später am selben, wie man´s nimmt, war jemand an der Tür. Ich drehte mich um und versuchte wieder einzuschlafen, aber Ryan war schon aufgestanden und schüttelte mich und sagte so was wie: Das hört sich gar nicht gut an. Ich setzte mich auf die Bettkante, besser erst mal langsam angehen lassen, und beobachtete Ryan, wie er an der Tür horchte.

Sind mehrere, flüsterte er.

Männer?

Aye. Männer.

Ich spähte aus dem Fenster und sah einen Wagen vor dem Block parken. Die Fahrertür stand offen. Ich hörte ein Rauschen. Wahrscheinlich ein Funkgerät.

Sind keine Bullen, sagte Ryan.

Wieso?

Die hätten gebrüllt. Machen sie immer.

Das Klopfen hörte auf. Im Flur hallten Schritte, dann waren sie weg.

Im Wohnzimmer herrschte Chaos. Alles war voller Kippen und Getränkelachen. Irgendein Penner hatte in Kronkorken geascht, und die Kronkorken waren auf den Boden gefallen. Ich schrubbte und wischte und brachte die Dosen raus, dann setzte ich mich ein bisschen hin und schaute aus dem Fenster. Wir hatten einen schönen Blick, die Wohnung lag im vierten Stock, sodass man über die Dächer bis zum Casement Park sehen konnte. Und der Berg, der Berg ist sowieso immer da. Er ist überall, wo man hingeht, in jeder Straße und Ecke von West-Belfast, man kann ihm nicht entkommen. Wer auch immer diese Botschaften da oben hinschreibt, weiß das ganz genau, eine bessere Stelle gibt es gar nicht. Heute prangte dort eine riesige irische Flagge, und darunter hatten sie geschrieben:

END INTERNMENT

Was meinst du, wer das war?, fragte Ryan.

Keine Ahnung. Dissidenten?

Warum sollten denn Dissidenten bei uns klopfen?

Ich dachte, du meinst den Berg.

Ryan schaute aus dem Fenster. Das sind doch keine Dissidenten, du Spinner.

Wer denn dann?

Keine Ahnung. Könnte was-weiß-ich-wer sein, sagte er, dann klatschte er in die Hände.

Die Illuminaten. Die Illuminaten haben die IRA unterwandert.

Er öffnete den Kühlschrank und starrte in die leeren Fächer. Die Akne auf seinem Rücken war schlimmer geworden. Die Pickel hatten sich lila verfärbt und blähten sich unter der Haut. Das kam von sechs Monaten Fitnessstudio und den Steroiden, die er sich alle zwei Tage von mir in die Arschbacke jagen ließ. Man sah es ihm auch am aufgedunsenen Gesicht an. An der hochgeputschten Rötung um Hals und Schultern.

Wir brauchen was zu beißen, sagte er.

Hast du Kohle?

Am Arsch. Gestern Abend alles rausgehauen.

Ich auch.

Ich machte im Kocher Wasser heiß, kippte es im Bad ins Waschbecken und ließ kaltes dazulaufen. Der Boiler war kaputt. Die Heizung funktionierte nicht, warmes Wasser gab es auch nicht, aber wir konnten nicht einfach den Vermieter anrufen, damit er das reparieren ließ; er war pleitegegangen und nach Spanien abgehauen, und jetzt sollte hier ein Haufen Häuser gepfändet werden. Deshalb hatten wir an dem Morgen die Tür nicht geöffnet - es hätten Leute sein können, die uns rauswerfen wollen.

Ich fing mit den Haaren an und massierte ordentlich Shampoo ein. Mit einem Becher spülte ich mir den Schaum raus, dann besprenkelte ich mir die Eier und den Oberkörper mit Wasser. Danach setzte ich mich auf den Badewannenrand und sah mir meine Hand an. Die Knöchel waren nicht geschwollen, und an den Fingern war auch nichts zu sehen. Ich machte eine Faust, starrte sie an und ließ den Blick meinen Arm hoch bis zur Schulter wandern. Die dünnen schwarzen Linien meines Tribal-Tattoos waren so dunkel, dass sie fast blau schimmernd wirkten.

Ich muss hier raus, dachte ich.

Ich wusste bloß nicht, was hier war.

Zur Arbeit ging es am schnellsten mit der Bahn. Am Ende unserer Straße war eine Haltestelle. Ich setzte mich auf eine Bank in der Mitte des Bahnsteigs und zählte nach, wie viel Geld ich noch hatte: Mit neun Pfund musste ich bis Ende nächster Woche auskommen, und es war erst Samstag. Die Bahn hielt. Ich stieg ein, suchte mir aber keinen Sitzplatz, sondern versteckte mich ein paar Stationen auf dem Klo vor dem Kontrolleur und konnte mich so an der Central Station mit dem billigsten Ticket durch die Sperre schummeln. Das El Divino befand sich gleich auf der anderen Straßenseite. Es war einer dieser Läden, in die man früher kaum reingekommen war. Jetzt wimmelte es dort von Studenten. Ein klares Zeichen dafür, dass es mit einem Club bergab geht. Dann werden an fünf Abenden die Woche irgendwelche Sonderaktionen angeboten, die exklusivere Klientel zieht weiter, der Laden macht nicht mehr genug Umsatz, und nach ein paar Monaten rasseln endgültig die Gitter runter. Bald würden wir alle unsere Jobs verlieren. Das wussten wir, aber wir blieben trotzdem; es gab nichts anderes, wo wir hätten arbeiten können.

Am Hintereingang wartete eine Lieferung auf mich: fünf Paletten. Ich nahm mir das Cuttermesser, das auf der Fensterbank bereitlag, schnitt die Plastikverpackung auf und schob einen Getränkekasten nach dem anderen ins Lager. Ich ging hoch in den Club, schrieb mir ins Notizbuch, was ich brauchte, ging wieder ins Lager und lud all die Schnäpse und Getränke zum Mischen in den Warenaufzug. Ich musste ihn dreimal befüllen und brauchte dann eine halbe Stunde, um die Bar zu bestücken, was ich auf eine Dreiviertelstunde streckte. Ich hatte alle Flaschen säuberlich mit dem Etikett nach vorn aufgereiht, als eine Gruppe von PR-Schnöseln aus dem Backstagebereich kam. Sie trugen schwarze Steppwesten mit dem Clublogo auf dem Rücken und kamen sich sehr wichtig vor, wie sie so mit ihren beigefarbenen Chinos und Ralph-Lauren-T-Shirts herumstolzierten. Einer von ihnen drückte den Knopf für die Nebelmaschine, und der Nebel waberte über die Tanzfläche. Unser Chef war bei ihnen. Er hieß Dee. Er war jung, nur ein paar Jahre älter als ich, und angeblich hatte sein Vater, ein stinkreicher Bauunternehmer aus Holywood, County Down, ihm den Club zum Geburtstag geschenkt. Er hatte noch nie im Leben an der Bar gearbeitet. Hatte von nichts eine Ahnung, gab aber den großen Macker, weil das hier alles seine Show war, weil er das Sagen hatte, obwohl wir den Laden am Laufen hielten. Er lehnte sich mit dem Ellenbogen auf den Tresen und sah mir zu, wie ich warmes Wasser ins Becken...

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Autor

Michael Magee, Jahrgang 1990, studierte Creative Writing an der Queen¿s University in Belfast und ist Mitherausgeber des literarischen Magazins THE TANGERINE, für das er einige der talentiertesten jungen Autor:innen Großbritanniens entdeckt hat. Seine Texte erschienen in verschiedenen Zeitschriften und einer Anthologie. Sein Debütroman hat bei britischen sowie amerikanischen Verlagen für großes Aufsehen gesorgt. Michael Magee lebt in Belfast.
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