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Träumertänzer

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
269 Seiten
Deutsch
Lübbe Lifeerschienen am29.09.20231. Aufl. 2023
Er ist der Star des deutschen Kinos und ein Grenzgänger, der sich dreißig Kilo anfrisst für seine Rollen, sie brutal wieder abhungert für die nächste. Seit seinem Erfolg mit der Netflix-Serie DARK wird er auch international auf der Straße erkannt. Dass aus ihm ein Weltstar werden würde, war Oliver Masucci nicht in die Wiege gelegt. Sein Vater kam als italienischer Gastarbeiter nach Deutschland, seine Mutter stammt aus einer ostdeutschen Familie, die in den Westen geflohen war. In der Familie treffen zwei Kulturen aufeinander, was zu heftigen Konflikten führt, doch es gibt ein Ritual, das alle miteinander versöhnt: das gemeinsame Essen, egal ob Königsberger Klopse oder Pasta norma. Oliver Masucci erzählt in seinem Buch vom Aufwachsen eines Gastarbeiterkindes im Bonn der Sechzigerjahre, von der Liebe zum Film und Theater und vom Wunsch nach dem Gesehenwerden.


Oliver Masucci wurde 1968 in Stuttgart geboren, wuchs in Bonn auf und war auf allen großen deutschsprachigen Bühnen zuhause. Doch er wollte zum Film und gleich seine erste Hauptrolle in "Er ist wieder da' wurde zum Millionen-Erfolg. Seither dreht er auf der ganzen Welt. Seine einzige Konstante: die italienische Küche. Und die deutsche. Seinen Weg vom Gastarbeiterkind zum Filmpreisträger erzählt er in bewegend-humorvollen Geschichten aus dem Künstlerleben.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
HörbuchCD-ROM
EUR22,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR22,99

Produkt

KlappentextEr ist der Star des deutschen Kinos und ein Grenzgänger, der sich dreißig Kilo anfrisst für seine Rollen, sie brutal wieder abhungert für die nächste. Seit seinem Erfolg mit der Netflix-Serie DARK wird er auch international auf der Straße erkannt. Dass aus ihm ein Weltstar werden würde, war Oliver Masucci nicht in die Wiege gelegt. Sein Vater kam als italienischer Gastarbeiter nach Deutschland, seine Mutter stammt aus einer ostdeutschen Familie, die in den Westen geflohen war. In der Familie treffen zwei Kulturen aufeinander, was zu heftigen Konflikten führt, doch es gibt ein Ritual, das alle miteinander versöhnt: das gemeinsame Essen, egal ob Königsberger Klopse oder Pasta norma. Oliver Masucci erzählt in seinem Buch vom Aufwachsen eines Gastarbeiterkindes im Bonn der Sechzigerjahre, von der Liebe zum Film und Theater und vom Wunsch nach dem Gesehenwerden.


Oliver Masucci wurde 1968 in Stuttgart geboren, wuchs in Bonn auf und war auf allen großen deutschsprachigen Bühnen zuhause. Doch er wollte zum Film und gleich seine erste Hauptrolle in "Er ist wieder da' wurde zum Millionen-Erfolg. Seither dreht er auf der ganzen Welt. Seine einzige Konstante: die italienische Küche. Und die deutsche. Seinen Weg vom Gastarbeiterkind zum Filmpreisträger erzählt er in bewegend-humorvollen Geschichten aus dem Künstlerleben.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783751748551
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum29.09.2023
Auflage1. Aufl. 2023
Seiten269 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse7608 Kbytes
Artikel-Nr.11549816
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


WAS EIGENES

Die Welt flog aus den Angeln. Prager Frühling, Vietnamkrieg, in Paris brannten die Barrikaden, Martin Luther King ermordet, Rudi Dutschke niedergeschossen, 50.000 protestierten im Bonner Hofgarten gegen die Notstandsgesetze. Generationen prallten aufeinander, die Jugend rebellierte, Fassaden bröckelten. Es ist verboten zu verbieten, das war die Maxime der Stunde. Oswalt Kolles »Das Wunder der Liebe« hatte im Februar in Hamburg Premiere, im Kino lief außerdem »Zur Sache, Schätzchen«. 1968 veränderte die Welt, ein Jahrhundertjahr.

Auch für die Bonner Angestellte der Bundesautobahnbetriebe Gitta Perschke brach ihre alte Welt zusammen. Sie war zwanzig und schwanger. Verliebt in einen sensationell aussehenden Italiener, nämlich meinen Vater, mit dem sie gut tanzen konnte, und offenbar nicht nur das. »Einmal gemacht und schon passiert. So war das«, sagt sie heute prosaisch und immer noch ein bisschen verblüfft. Über die Hofgartenwiese vor der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität ging Gitta damals auch. Aber nicht, um zu demonstrieren, sondern, um meinen Vater Pino von der Pizzeria Roma am Rhein abzuholen, wo er als Kellner arbeitete. Gitta und Pino waren keine Hippies, keine Studenten, wahrscheinlich hatten sie noch nicht mal etwas gegen das Establishment, im Gegenteil: Sie wollten ja eher dazugehören, als dagegen zu kämpfen. Was die beiden wollten, war ein freies Leben, eines, für das sie allein verantwortlich waren.

Pino hatte dafür seine Heimat verlassen. Wie er kam auch Gitta aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, sie liebte die Musik der Rolling Stones und Beatles, trug Minirock, Pferdeschwanz, Stiefel und kam sich allein schon deshalb verwegen vor, wie sie mir später erzählte. Sie wollte es krachen lassen, das bedeutete tanzen gehen, Whiskey-Cola trinken, Zigaretten rauchen. Sie beide waren jung und stark. »Wir fühlten uns wie auf der Carnaby Street.« Und das, obwohl Gitta zu diesem Zeitpunkt noch nie in London gewesen war, aber es rührt mich, wenn sie so etwas sagt. Mein Vater hingegen hatte ein paar Monate dort gelebt, bevor er nach Deutschland gegangen war. Swinging London, das war auch seine Vision von Glück und Freiheit, doch die Realität sah anders aus. Er hatte von morgens bis abends in der Küche von Dino´s Ristorante in der Gloucester Road, South Kensington, gearbeitet.

Ich, sein Sohn, stehe ein halbes Jahrhundert später in London für einen internationalen Film vor der Kamera, drehe »Fantastic Beasts« mit Kollegen wie Mads Mikkelsen, Jude Law, Alison Sudol und Eddie Redmayne. Die Premiere ist in der Royal Festival Hall, Ralph Lauren kleidet mich in der New Bond Street für den Empfang auf dem roten Teppich ein. Smoking, Samtschuhe, ich trinke Champagner, während ein Schneider und ein Assistent um mich herumwuseln.

Mein Vater, damals ein armer Schlucker aus Italien, bekam hier nicht mal eine Arbeitserlaubnis, und ich denke, wie so oft in solchen Momenten: Schon unglaublich, ich fliege mit einem Koffer durch die Welt, arbeite heute hier, lebe morgen da, mache also genau das, wovon er als junger Mann träumte. Ob er das auch so sieht? Ich bin mir nicht sicher. Neulich hörte ich, wie jemand ihn fragte, ob er stolz sei auf mich. Seine Antwort: »Mein Sohn iste eine Angeber. Hate immer gemacht, was er wollte. In unserer Familie gibt es alle Berufe, haben wir jetzt auch eine Schauspieler.« Als ob das der normalste Job der Welt wäre. Geschenkt. In Wahrheit gibt er gern mit meinem Bruder und mir an, wir sind schließlich sein Lebenswerk. Die Restaurants und wir.

In Gittas Elternhaus war Adenauer der Held und die Stimmung notorisch schlecht. Piefigkeit kroch durch die Ritzen, Willi und Frieda Perschke stritten ständig oder wechselten wochenlang kein Wort miteinander. Und die fröhliche Gitta immer dazwischen, immer um Ausgleich bemüht. Sonntags gab es Braten und Kartoffeln, Wein trank niemand. Deutschland privat, wie traurig. Ich glaube, meine Mutter wurde eine Frohnatur aus reiner Verzweiflung, aus Protest gegen diese erstickende Stille. Wenn man weiß, wie gern sie redet, kann man sich vorstellen, was für eine Tortur dieses Schweigen für sie bedeutet haben muss. Vielleicht redet sie auch deshalb so viel, bloß damit niemand schweigt. Wobei, die Gefahr besteht in unserer Familie kaum. Jedenfalls wollte Gitta raus aus der Enge, der bleiernen Tristesse. Ich kann in aller Bescheidenheit behaupten: Ich war ihre Rettung. Obwohl es zunächst überhaupt nicht danach aussah.

Ich kam am 6. Dezember an, später ´68er, wenn man so will. Ein passenderes Jahr für meine Geburt hätte es jedenfalls kaum geben können. Chaos allenthalben, das prägt, es wird mein Modus Vivendi, bei Stillstand werde ich nervös. 1968 war auch der Beginn einer neuen Zeitrechnung für meine tapfere Mutter. Ich bin oft streng mit ihr, verliere die Geduld schneller als bei anderen, weil sie mit einer verblüffenden Beharrlichkeit die Realität ausblenden kann. Sie tut so, als wäre sie selbst erst vor fünf Minuten auf die Welt gekommen, und irgendjemand müsste ihr jetzt einmal erklären, was das alles soll. Meine Mutter umhüllt ein magischer Schutzmantel, einer, an dem vieles abperlt. Nur im Frühling 1968 nicht. Da war sie anders, ganz anders. Und auf ihre Art setzte meine ansonsten unpolitische Mutter in diese damalige Welt im Umbruch ihr ganz eigenes Zeichen - nämlich mich. Sie wollte »etwas«, was ihr niemand mehr nehmen konnte, wie sie sich später ausdrückte, sie sagte wirklich: »Etwas Eigenes.«

Gitta war zwanzig und hatte zum ersten Mal mit einem Mann geschlafen, darin bestand ihr Vergehen. Sie wurde gleich schwanger. Ihre eigene Mutter kanzelte sie brutal ab, nannte sie »eine Hure«, als sie sich ihr anvertraute. Wie konnte sie das ihrer Tochter antun, die ihr immer nur alles recht machen wollte? Wenn meine Mutter darüber redet, schießen ihr noch immer Tränen in die Augen. »Warum war sie so gnadenlos?« Sie kann es nicht begreifen, bis heute.

Frieda Perschke zog es durch: Aus Wut, Enttäuschung, Angst vor ihrem Mann, denn sie wusste nicht, wie sie ihm die Schmach erklären sollte, beschloss sie kurzerhand, ihre Tochter wegzuschicken, damit niemand die Schwangere sehen konnte. »Was sollen denn die Leute denken?« Das war ihre einzige Sorge, nicht etwa, wie sie der Tochter helfen könnte. Wie es sich anfühlt, ungewollt schwanger zu werden, wenn auch aus ganz anderen Gründen, das wusste Frieda selbst nur zu genau. Doch das hatte sie wohl aus ihrer Erinnerung verbannt. Ihr ganzes Leben schaffte sie es nicht, mit ihrer Tochter darüber zu reden. Sie ließ sie einfach allein.

Meine Mutter kannte die Pille nicht, die Anfang der Sechziger auf den Markt gekommen war, sie dachte über eine Abtreibung nicht mal nach. Sie wollte dieses Kind und beschloss, es meinem Vater mitzuteilen, noch am selben Tag, nachdem der Arzt ihr gesagt hatte: »Fräulein Perschke, Sie sind schwanger.«

Wie in Trance verließ sie die Praxis an der Poppelsdorfer Allee, lief über die Hofgartenwiese, ihrer Verabredung mit Pino entgegen, und überlegte, wie sie es ihm sagen sollte. Einer konnte kaum Deutsch, die andere so gut wie kein Italienisch, also sprachen die beiden Englisch miteinander. Oder wie Pino mal sagte, als ich ihn mal fragte, wie sie sich eigentlich verständigt hätten: »Deine Mutter und ich, wir sprachen die Sprache der Liebe.« Für so romantisch hätte ich ihn gar nicht gehalten.

Pino Masucci war noch nicht lange in Deutschland. An jenem lauen Abend im April, dem ersten schönen seit Wochen im Regenloch Bonn, kam er aus dem Restaurant und freute sich auf seine hübsche Freundin. Aber die guckte ihn ungewohnt ernst an - dabei hatte er sich vor allem in ihr Lachen verliebt. Er ahnte sogleich etwas. Gitta sagte: »Pino, ich kriege ein Kind.« Er sollte diesen Moment sein Leben lang nicht vergessen, guckte sie genauso erschrocken an wie sie ihn. Er liebte dieses fröhliche deutsche Mädchen. »Dann heiraten«, sagte er. Ganz Italiener, daraus machte er keine Frage. Hand in Hand gingen sie durch die Stadt und hatten keine Ahnung, was aus ihnen werden sollte. Angst hatten sie nicht. Sie hatten ja einander.

»I Want to Hold Your Hand« von den Beatles war das Lieblingslied der beiden. Das erzählte mir meine Mutter, als wir mal an der Straße vorbeiliefen, wo früher die Disco Black Horse war, in der sich meine Eltern beim Rock´n´Roll Tanzen kennenlernten. Und ich hörte ihr zu, auch das kommt vor. »Du kannst dir nicht vorstellen, Olli, was die Beatles für uns bedeuteten. Der Sound, die Texte, wie die Jungs aussahen, wobei, dein Vater sah besser aus. Für uns war diese Musik ein Befreiungsschlag. Wir fuhren total darauf ab.« Meine Mutter war kaum zu bremsen vor Begeisterung, und ich versuchte mir vorzustellen, wie meine Eltern einst »total auf etwas abfuhren«.

Im Black Horse fing also ihre deutsch-italienische Liebesgeschichte an, hier forderte Pino Gitta zum ersten Mal zum Tanzen auf, in Anzug und Weste, das imponierte ihr. Sie spielten »I Want to Hold Your Hand«. Und meine Mutter, in ihrem Minirock, Stiefeln und knallengem orangefarbenem Pullover, gab ihm ihre Hand. Sie tanzten. »Es war Liebe auf den ersten Blick«, sagen beide heute noch. Und ich glaube es ihnen sehr gern.

Als Pino und Gitta sich an jenem Tag im April 1968 trennten, ging Pino in sein Zimmer, das über der Pizzeria lag. Er konnte nicht schlafen, war völlig aufgewühlt. Sein Leben würde sich ändern. Alles würde anders werden, als er geplant hatte. Aus der Traum vom Schiffskoch, der die Welt bereist. Er war gestrandet. Und trotzdem freute er sich, denn er würde nicht mehr allein sein, eine kleine Familie haben. Seine Familie. So schrieb er seiner Mutter noch in derselben Nacht einen langen Brief...

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