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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
242 Seiten
Deutsch
Books on Demanderschienen am25.04.20231. Auflage
Was ist eine Chimäre? Wo leben sie? Wo können wir sie antreffen? Wie müssen wir uns verhalten, wenn wir eine Chimäre treffen? Antworten auf diese Fragen und vieles mehr über ihre Geschichte, einzelne Gestalten und ihre Organisation findet man in diesem Buch.

Ute-Marion Wilkesmann hat einen Fachhochschulabschluss als Grafikdesignerin. Hauptberuflich arbeitete sie als Übersetzerin.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR11,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR6,49

Produkt

KlappentextWas ist eine Chimäre? Wo leben sie? Wo können wir sie antreffen? Wie müssen wir uns verhalten, wenn wir eine Chimäre treffen? Antworten auf diese Fragen und vieles mehr über ihre Geschichte, einzelne Gestalten und ihre Organisation findet man in diesem Buch.

Ute-Marion Wilkesmann hat einen Fachhochschulabschluss als Grafikdesignerin. Hauptberuflich arbeitete sie als Übersetzerin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783757868918
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum25.04.2023
Auflage1. Auflage
Seiten242 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.11588000
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Die Konferenz der Chimären

Als die erste Konferenz der Chimären im 20. Jahrhundert abgehalten wurde, hatten viele Teilnehmer wegen der Klangähnlichkeit das Buch Die Konferenz der Tiere von Erich Kästner gelesen. So ein bahnbrechendes Werk, das humorvoll und ernsthaft zugleich die Friedensproblematik aufgreift! Deshalb stand auf der ersten Tagesordnung als einziger Punkt Wir und die Konferenz der Tiere . Niemand nahm Anstoß an der unhöflichen Art, den Satz mit Wir einzuleiten. Aus Protokollen dieser ersten Konferenz, die sich über fünf Tage erstreckte, lässt sich leicht erkennen, dass es dort hoch herging. Teils amüsierten sich die Chimären über die Probleme der Tiere, wie z.B. die Schwierigkeit, ein passendes Bett für eine Giraffe zu finden. Teils fanden sie die tierischen Maßnahmen wie Nagetier- und Mottenüberfälle und als negativen Höhepunkt die Kindstötung zu drastisch. Man war sich einig, dass man von solchen Eingriffen absehen wollte, auch wenn das Tier in uns etwas anderes verlangt , so der Konferenzvorsitzende.

Auf der zweiten Sitzung des vergangenen Jahrhunderts wurden in Gruppenarbeit Berichte und Protokolle der Konferenzen aus der Urzeit diskutiert. Alle waren begeistert von der hohen Qualität dieser Dokumente, die teils Hunderttausende von Jahren vor der neuen Zeitrechnung verfasst worden waren. Die Beschaffung der Steinplatten war etwas mühsam gewesen, da herrschte Einigkeit.

Die Konferenzen aus der grauen Anfangszeit waren nur in mündlicher Form überliefert worden. Bei den Menschen nennt man das Sagen und Fabeln, die haben keine Ahnung, wie sie mit ihrer eigenen Geschichtsschreibung umgehen sollten. Solche arroganten Einstellungen den Menschen gegenüber hörte man während dieser Konferenzen häufig. Obwohl die Alten gern den Zeigefinger anhoben: Arroganz kommt vor den Fall! Nein , rief ein junger Heißsporn aus dem Zuhörerbereich, Es heißt, Hochmut kommt vor den Fall! . Daraufhin war es still in der Halle, denn die Alten bekamen in der Regel Respekt und keinen direkten Widerspruch. Mein lieber junger Freund , antwortete dem Heißsporn der Konferenzvorsitzende, der diesen Posten schon seit einigen Jahrhunderten innehatte, Hast du noch nie etwas von Wortspielen gehört? Oder glaubst du, ich wüsste nicht, wie die Redewendung tatsächlich heißt? Ja, schon gut murmelte der junge Mensch-Stier und dachte: Mein Tag wird noch kommen, Alter! Woran man sieht: Auch bei den Chimären ist nicht alles vorbildlich.

Es gibt zwei Arten von Konferenzen: die turnusmäßig gepflegten und die angesichts eines Notstands spontan einberufenen. Vor einhundertvierundzwanzig Jahren wurde die letzte Notstandssitzung abgehalten. Anlass war ein Glaubenskrieg gewesen: Eine Partei war überzeugt, dass man als Chimäre Tier und Mensch überlegen sei (TM), die andere glaubte, dass man als Chimäre Mensch und Tier überlegen (MT) sei. Da mag man stocken und denken: Wo ist denn da der Unterschied? Das zeigt eben nur, wie wenig feinsinnig ein Menschengehirn ist, dass es nicht so fein differenziert. Es gab eine furchtbare Auseinandersetzung, ganze Ehen und Familienverbände zerbrachen an dieser Frage. Kurz bevor die TM-Partei Waffengewalt gegen die MT-Partei einsetzte, konnte man sich darauf einigen, eine Notfallkonferenz einzuberufen. Auf diesem Treffen, das eine Woche dauerte, schlugen die Wellen hoch, brodelte die Stimmung mehrmals so stark, dass man Tätlichkeiten befürchten musste. Letztendlich gelang es dann dem Senat der Ältesten, wenigstens für Ruhe in den Sitzungssälen zu sorgen. Wie genau sie das erreichten, blieb im Verborgenen, aber es wird immer noch gemunkelt, dass man mit Entzug von Obst und Gemüse während der Konferenz drohte, falls diese Aggressionen nicht beigelegt würden. Danach setzen sich alle Vertreter der beiden Parteien, wenn auch unter starkem Murren oder mit Flüchen auf den Lippen, an mehrere runde Tische und einigten sich letzten Endes auf das, was der Konferenzleiter gleich zu Anfang vorgeschlagen hatte: Dass man als Chimäre von der Sache her absolut überlegen sei, und zwar jedem und immer. Damit war dieses kritische Thema ein für alle Mal abgehakt.

Die jüngste Konferenz fand im Februar 2018 in Luzern (Schweiz) statt. Das Vorgehen bei der Festlegung des Konferenzorts folgte dem üblichen Muster: Der Leiter der vorherigen Konferenz zog das Los von allen eingereichten Städten, in diesem Fall waren es zwei. Luzern hatte gewonnen und bekam vierzig Tage Gelegenheit, sich auf die unvergleichliche Veranstaltung vorzubereiten. Die Beteiligung schien neue Rekorde zu brechen: Das Exekutivkomitee hatte 547 Einladungen verschickt und 723 Zusagen erhalten. Die scheinbare Diskrepanz von Einladungen und Zusagen liegt darin begründet, dass die Hälfte der Einladungen in Wäldern an die Bäume genagelt wird, damit auch Chimären ohne festen Wohnsitz davon erfahren. Der einzige Tagesordnungspunkt war die Terminfestlegung für die nächste Konferenz.

Die rekordverdächtige Zahl von Zusagen wurde nur übertrumpft von der Zahl der Teilnehmer. Gegen Ende der Konferenz wurden 1776 Teilnehmer gezählt, das hatte es nie zuvor gegeben. Es hatten sich Alt und Jung auf den Weg gemacht.

Die große Konferenzhalle in der Nähe des Bahnhofs war geschmückt worden. Die Chimären strömten in das Gebäude, einige wenige hatten ihre Reise komplett zu Fuß unternommen, andere hatten sich einen Karren gemietet. Da Chimären der Erwerb eines Führerscheins untersagt ist ( Welch eine Dreistigkeit der menschlichen Überheblichkeit! ), gab es glücklicherweise keine Parkplatznot. Karren wurden gestapelt, das war s!

Als Erstes meldete sich Ludmillus zu Wort. Warum nicht der von ihm vorgeschlagene Tagesordnungspunkt Namensgebung mit aufgenommen worden sei? Einige Chimären raunten sich zu, wer denn dieser Ludmillus sei? Halb Mensch, halb Ziege, und seht nur sein modisch geckenhaftes Gehabe: Aus der Dreiviertel-Hose lässt er die Ziegenbeine schauen und am Kinn trägt er einen Ziegenbart. Das war dieses Jahr der Modetrend: Der Menschenteil versuchte, etwas von seinem Tier ins Menschsein zu bringen. Eine Mensch-Löwen-Frau trug wirre Haare auf dem Kopf und behauptete, das sei eine wilde Löwenmähne. Ein Mensch-Einhorn trug einen Einhorn-Rucksack bei sich und zwirbelte den Pony mit Hilfe von Gel zu einer Art Horn zusammen, denn sonst hätte man das Unterteil für ein Pferd, nicht für ein Einhorn gehalten.

Der Vorsitzende des diesjährigen Treffens, ein Mensch-Huhn, rief zur Ruhe auf. Man habe noch nicht die menschlich-akademische halbe Stunde gewartet, bis auch die Älteren, etwas Langsameren eingetroffen seien. Die Mensch-Fischin (oder: Meerjungfrau) schob sich mit ihrem Rollator nach vorn. Sie wollte nichts verpassen. Als Letztes kam die Mensch-Löwin, die Sphinx. Die Haare voller Reisestaub saß sie in einem Rollstuhl, die Tatzen wollten es nicht mehr so recht tun. Sie war die älteste Teilnehmerin und wurde mit einem kleinen Ständchen geehrt. Müde hob sie die Augenlider, der Pyramidenstaub rieselte über ihre Bluse. Wie viele Konferenzen hatte sie nicht schon gesehen! Immer wieder sagte sie sich, dass sie danach an keiner mehr teilnehmen werde, aber dann konnte sie doch der nächsten wohlformulierten Einladung nicht widerstehen. Ihre mit den Jahrhunderten weiter gewachsene Eitelkeit riet ihr auch zu den jeweiligen Reisen, denn wo bekommt man heute noch ein Altersständchen gehalten?

Bleibt die Tagesordnung wie angekündigt? , fragte sie mit kaum hörbarer Stimme. In der Tat war sie so leise, dass niemand sie hörte. Sie stieß daraufhin ihren Vordermann, einen Mensch-Wolf, mit ihrem Wanderstab in den Rücken. Er dreht sich ärgerlich um, ach ja, die alte Sphinx, was wollte die denn? Einen jungen Burschen vernaschen? Sie winkte ihm zu, dass er seinen Kopf näherbringen sollte, und flüsterte ihm ihre Frage ins Ohr. Okay, okay, ich frag s für dich. Er richtete sich zu voller Höhe auf: Die Sphinx hier lässt fragen, ob es Änderungen an der Tagesordnung gibt.

Ein weibliches Mensch-Schaf, das zum Protokollführen abkommandiert worden war, antwortete: Nein, wie immer gibt es zahlreiche Änderungsanträge. Der Mensch-Wolf drehte sich zur Sphinx um, er wollte ihr dies mitteilen, aber sie war soeben sanft eingeschlafen (nicht entschlafen).

Man hatte sich im Vorsitz darauf geeinigt, die Tagesordnung etwas zu erweitern. Sie lautete jetzt:

1. Festlegung des nächsten Konferenztermins

2. Festlegung des nächsten Konferenzorts

3. Namensgebung

4. Modetrends der letzten beiden Jahrhunderte

Punkt 1 und 2 waren schnell erledigt. Die nächste Routinekonferenz würde in genau zwei Jahren, zwei Monaten und zwei Tagen stattfinden, das war Tradition. Das Mensch-Huhn zog aus der Lostrommel, die dieses Mal mit fünfundzwanzig Losen bestückt war, den nächsten Konferenzort: Zürich, Schweiz . Stimmen wurden laut Schiebung! Jemand rief Das stinkt nach...
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