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Ein Mann ohne Beschwerden

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
Zsolnay-Verlagerschienen am24.07.20231. Auflage
Franz Schuh - der 'titanisch gebildete Denker' (Eva Menasse, 'Die Zeit') - widmet sein neues Buch dem Jahr 2022 und schreibt ein Panorama der menschlichen Tragikomödie.
'Dieses Buch ist von der ersten bis zur letzten Seite dem Jahr 2022 gewidmet, dem 'annus horribilis' im Lebenslauf vieler Menschen, auch in meinem.'
Nach elf Monaten in verschiedenen Krankenhäusern ist Franz Schuh, dieser Solitär der österreichischen Literatur, wieder aufgetaucht. Seine Erzählungen, Essays, Gedichte analysieren die herrschenden Lebensformen und fügen sich mit unterhaltsamem, manchmal melancholischem Witz zu einem Panorama der menschlichen Tragikomödie. Ob er von Erlebnissen in der Eisenbahn berichtet, von seiner Kindheit in der Wiener Vorstadt oder sich mit Anna Netrebkos Widersprüchen auseinandersetzt, Schuh hat einen ausgeprägten Sinn für das Komische im Tragischen. Das Lachen auf gescheite Weise ist sein Metier.

Franz Schuh, geboren 1947 in Wien, studierte Philosophie, Geschichte und Germanistik. Er ist Lehrbeauftragter an der Universität für Angewandte Kunst in Wien und Kolumnist für Zeitschriften und Rundfunkstationen. Er erhielt u.a. 2006 den Preis der Leipziger Buchmesse, 2011 den Österreichischen Kunstpreis und 2021 den Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay. Bei Zsolnay erschienen zuletzt Sämtliche Leidenschaften (2014), Fortuna. Aus dem Magazin des Glücks (2017) und Lachen und Sterben (2021).
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR18,99

Produkt

KlappentextFranz Schuh - der 'titanisch gebildete Denker' (Eva Menasse, 'Die Zeit') - widmet sein neues Buch dem Jahr 2022 und schreibt ein Panorama der menschlichen Tragikomödie.
'Dieses Buch ist von der ersten bis zur letzten Seite dem Jahr 2022 gewidmet, dem 'annus horribilis' im Lebenslauf vieler Menschen, auch in meinem.'
Nach elf Monaten in verschiedenen Krankenhäusern ist Franz Schuh, dieser Solitär der österreichischen Literatur, wieder aufgetaucht. Seine Erzählungen, Essays, Gedichte analysieren die herrschenden Lebensformen und fügen sich mit unterhaltsamem, manchmal melancholischem Witz zu einem Panorama der menschlichen Tragikomödie. Ob er von Erlebnissen in der Eisenbahn berichtet, von seiner Kindheit in der Wiener Vorstadt oder sich mit Anna Netrebkos Widersprüchen auseinandersetzt, Schuh hat einen ausgeprägten Sinn für das Komische im Tragischen. Das Lachen auf gescheite Weise ist sein Metier.

Franz Schuh, geboren 1947 in Wien, studierte Philosophie, Geschichte und Germanistik. Er ist Lehrbeauftragter an der Universität für Angewandte Kunst in Wien und Kolumnist für Zeitschriften und Rundfunkstationen. Er erhielt u.a. 2006 den Preis der Leipziger Buchmesse, 2011 den Österreichischen Kunstpreis und 2021 den Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay. Bei Zsolnay erschienen zuletzt Sämtliche Leidenschaften (2014), Fortuna. Aus dem Magazin des Glücks (2017) und Lachen und Sterben (2021).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783552073791
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum24.07.2023
Auflage1. Auflage
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.11589563
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Keine Klinik unter Palmen

Eine Krankengeschichte


Ich habe eine gute Nachricht aus dem Internetlexikon. Dort steht: »Seit 2020 verbringt Schuh krankheitsbedingt viel Zeit in Krankenhäusern als Pflegefall .« Das ist eine gute, eine sehr gute Nachricht, weil sie nicht stimmt. Ich bin nach elf Monaten, ich glaube im Mai 2021, fürs Erste aus der Patientenlaufbahn ausgestiegen. Zuerst war ich intensiv im Spital, dann - auf eine Rückoperation wartend - im Pflegeheim, um schließlich zwei Spitälern meine Aufwartung zu machen. Mir ist das natürlich unvergesslich, dieses auratische Moment, dieser Einschnitt in mein Leben, da die Rettung mich auf der Bahre trug und im Erdgeschoss um die Ecke brachte.

Ich hatte nicht vor, darüber jemals ein Wort zu verlieren und mich zum stolzen Pflegefall aufzuspielen, der seine Halbprominenz mit einer Krankengeschichte aufbessert. Dass es dann doch so gekommen ist, rührt daher, dass das Interesse an Schauergeschichten bei meinen Nächsten groß ist. Der Voyeurismus macht sie munter, und nichts ist wichtiger als eine aufgemunterte Umgebung. Es liegt selbstverständlich auch an meiner Redseligkeit, mit der ich seit alters her meine Einsamkeit übertöne.

Außerdem verdient der Sachverhalt meiner eventuell tödlichen Krankheit mein Schweigen - Schweigen wie ein Grab. Aber je mehr ich mich in diese Richtung schreibend bewege, desto deutlicher wird mir eine Rechtfertigung des Gegenteils: Es gibt überhaupt keine Stimme, es gibt nicht einen Diskurs, der souverän von Patientinnen und Patienten gesteuert wird. Gewiss, wir sind bettlägerig, für die Hilfe dankbar und zugleich von ihr abhängig. Viele von uns sind so krank, ja so kaputt, dass sie etwas anderes zu tun, nein, zu erleiden haben, als Öffentlichkeit herzustellen. Und wenn das doch passiert, dann in den liebenswürdigsten Äußerungen über die aufopfernden Leistungen des Personals.

Na gut, ich habe hervorragende Ärztinnen und Ärzte kennengelernt, und vor allem zur Mitternacht, als die Rettung mich ins Krankenhaus Rudolfstiftung brachte, und da war tatsächlich ein Arzt da, der so etwas konnte wie einen Nabelbruch operieren, durch den sich das ganze reale Innenleben eines Menschen nach unten hin auflöste. Dieser Chirurg spricht derzeit nicht mit mir; es könnte deshalb sein, weil er mein Buch »Lachen und Sterben« gelesen hat, mit dem ich dem Gesundheitssystem keine Ehre mache. Aber zum Lachen ist auch manches: Als ich aus der Intensivstation auf die normale Station verlegt wurde, hatte ich ein technisch hochstehendes Bett, mit vielen Bedienungselementen. Auf einem Knopf stand »Exit«. Dieser Knopf ist dafür da, dass man den schließlich Toten nicht umständlich aus dem Bett herausziehen muss, sondern es schleudert die Leiche nach vorne, und der einstige Mensch fällt in den Sack, mit dem man ihn dann wegschleppt.

Aber die Spitzenleistung der Realkomödie einer Todkrankheit brachte eine niedergelassene Ärztin zusammen. Ich telefonierte mit ihr, während eine Ohrenzeugin dem Telefonat zuhörte. Von Frau Doktor wollte ich eine Bestätigung, dass ich Monate in Spitälern lag, wenn auch nur ein Spital meine Anwesenheit krankenkassamäßig korrekt dokumentiert hatte. Frau Doktor, bitte, möge mir bestätigen, dass ich nicht zu Hause herumtollte, sondern auf höchstem Level litt. Sie bestätigte natürlich gar nix - die haben alle Todesangst, sich in die Stricke der Bürokratie zu verwickeln -, aber sie schenkte mir die Anekdote des letzten Drittels meines Lebens. Der krankenkassamäßig zu erfassende Sachverhalt, den ich am Telefon schilderte, war nämlich bürokratisch dermaßen verwickelt, dass die Ärztin bei der Anhörung vertraulich ins Ohr der Zuhörerin den ernst gemeinten medizinischen Befund flüsterte: »Jetzt halluziniert er.«

In der Krankheit erfährst du dich selbst als nicht funktionierend, eine interessante Erfahrung: Wie kommst du durch, ohne zu funktionieren? Und in unseren Breiten erfährst du in der Krankheit das sogenannte Gesundheitssystem. Dass das sogenannte Gesundheitssystem funktioniert, ist bei Krankheiten, wie ich sie hatte, essentiell. In Amerika hätte man mich schlicht auf die Müllkippe geworfen. Unser großartiges Gesundheitssystem hat jedoch eine unglaubliche Pannenanfälligkeit und besteht in vielen Fällen aus wechselseitigen Missverständnissen der Akteure. Die Routinen zum Beispiel: Einerseits sind Routinen notwendig, andererseits verschleiern und ermöglichen sie eine sagenhafte Empathielosigkeit. Die dicke Schwester Doris blaffte mich an: »Wenn Ihna was net passt, lass i Sie liegen, wia Sie san!«

Schön war auch die Begegnung mit einem dieser Jungärzte, die einem das altmodisch-konservative, ja das reaktionäre Wort »Rotzbub« nahelegen. Da stand so einer vor meinen Bett und kreischte, mich zurechtweisend: »Hern S amol, des do is a Akutgeriatrie. Des is nur füa de Oidn und für n Lebensabschluss. Se g hern da gar net her, und waon S net in ana Woch n a klore Verbesserung zeigen, dann schmeiß i Se holt raus, beziehungsweise muaß Se heimschicken. Ham S daham a Stiagn auffe in de Wohnung?« - »Gewiss«, sagte ich (erwidern kann man bei meiner leise gewordenen Stimme nicht sagen), »gewiss, Herr Obermedizinalrat. Sie müssen verzeihen, es war nämlich so: Ich saß im kühlen Sommerwind auf einer Bank im Stadtpark, wohin mich die freundliche Rettung transportierte, im Ambulanzwagen, und ich studierte mit Genuss die Prospekte des Wiener Gesundheitsverbands. Nach langer Bedachtnahme, sehr geehrter Herr Medizinalrat, entschied ich mich für Ihr Etablissement mitten im Herzen von Wien, und auch weil in meinem Alter mein Bleiben in der Akutgeriatrie eventuell nicht sonderlich lang dauern wird.« - »Jo«, sagte der Obermedizinalrat, »des waß i scho, dass Sie Ihnen des net söba ausg suacht ham. Oba i ma a net.«

Dem Sinn nach stimmt die Geschichte ganz. Dramaturgisch habe ich sie ein wenig eingerichtet. Ich sage ja nichts, aber auf den Wegen und Abwegen einer schweren Krankheit trifft man ebenso den Anti-Typen zum oben gezeichneten Arzt, und zwar in zweierlei Gestalt: Man trifft auf den Könner und auf die Ärztin, die Könnerin, die nicht den Patienten, sondern ihren Job perfekt erledigen. Diese Ärzte sind schnell in ihrer Arbeit und doch höchst gewissenhaft, und dann gibt es den Gentleman-Arzt. Es kommt inmitten der Ärzteschaft auch die Lady vor. Das sind Könner, die ihren Beruf nicht nur pragmatisch ausüben, sondern die eine unsentimentale Nähe zum Patienten haben. Sie haben einen ausgeprägten Sinn für den Wert der Hilfe, die sie leisten, aber auch für die Not, die den Kranken peinigt. Ich warne alle frisch Eingelieferten: Nach meiner Erfahrung sind diese Ärzte, die den Betrieb vermenschlichen, eine Erscheinung, nämlich eine Ausnahmeerscheinung. Niemand kann damit rechnen, dass sie erscheinen. Falls doch, bedanken Sie sich bei der geistlichen Schwester oder schnell vor der Letzten Ölung noch beim Anstaltspriester.

Ein Spital ist vor allem für die Ärzte gut und kommt ihnen entgegen. Der Dienst ist hart, Tennis spielen ist besser - ein Plauscherl im Schwesternzimmer, ein Meinungsaustausch mit dem Primar, ein Semmerl aus der Kantine. Das Einzige, das nicht wenige Ärzte am Spital stört, sind die Patienten: Der Dienst ist eben hart, und diese Leute, privilegiert durch ihr Kranksein, liegen in der Komfortzone herum, gepflegt von hervorragend ausgebildeten Krankenschwestern. Es gibt einen Kabarettisten, der den harten Konkurrenzkampf in der Unterhaltungsbranche überstehen wird, und wenn nicht, macht s auch nix - der Mann ist nämlich - hoffentlich im Nebenberuf - Arzt. Auf der Bühne liest er aus den »Ambulanzprotokollen« vor, die er aus der Hack n mitgebracht hat, um endgültig zu beweisen, was für Idioten Patienten sind. Zum Beispiel vertraut so ein Idiot den Ärzten schriftlich an: »Habe vor drei Tagen einen Eiswürfel geschluckt und bis jetzt noch nicht herausbekommen.«

Möge das doch als Protokoll gefakt sein. Immerhin kriegt man eine Ahnung von einer christlichen Botschaft, dass nämlich angesichts des großen Gottes wir »geistlich Armen« selig sind, also genau wir, die auf einer Kabarettbühne vom Arzt als zu blöd ausgestellt werden. Jedoch haben wir sogar in der Ambulanz einen Gutschein für das Himmelreich. »Selig sind die, die da Leid tragen.« So einen Schein hat nicht einmal ein Kabarettist in Österreich!

Übrigens habe ich der Realität...

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