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Fiskalische Herrschaft

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
512 Seiten
Deutsch
Hamburger Edition HISerschienen am15.05.2023
Lohnzahlungen, Konsumentscheidungen, Erbschaften oder Eheschließungen: Steuerstaaten sind Schicksalsmächte, die tief in das Leben ihrer Bevölkerung eingreifen. Indem der Staat Geld eintreibt, verpflichtet er seine Bürgerinnen und Bürger zudem aufeinander und drückt den persönlichen wie den öffentlichen Angelegenheiten seinen Stempel auf. Dabei wandeln sich seine so gestrickten fiskalischen Beziehungen permanent. Wer - wie viel und in welcher Form - zahlt, ist und bleibt umkämpft. Im 20. Jahrhundert wurden daher für manche Bevölkerungsgruppen, etwa Arbeitnehmerinnen, die Rückzugsräume vor fiskalischer Herrschaft immer kleiner, während andere, wie multinationale Konzerne, ihre Steuerlast auf ein Minimum reduzierten. Lars Döpking vollzieht diesen Wandel am Beispiel einer der größten Volkswirtschaften Europas nach und zeigt, welch brisante Prozesse Steuerstaaten ausmachen. Er analysiert, wie der Aufbau von Verwaltungskapazitäten, die kontinuierliche Bekämpfung von Steuerhinterziehung, transnationale Verstrickungen und politische Konflikte in Italien seit 1945 ineinandergriffen und letztlich zu einer Vervielfachung des Steueraufkommens führten. So erklärt dieses Buch auch, warum die italienische Bevölkerung heute mehr Steuern zahlt als je zuvor - und weshalb das wohl weiterhin so bleibt.

Lars Döpking ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in Rom. Zuvor war er Mitglied in der Forschungsgruppe Demokratie und Staatlichkeit am Hamburger Institut fu?r Sozialforschung.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR45,00
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
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Produkt

KlappentextLohnzahlungen, Konsumentscheidungen, Erbschaften oder Eheschließungen: Steuerstaaten sind Schicksalsmächte, die tief in das Leben ihrer Bevölkerung eingreifen. Indem der Staat Geld eintreibt, verpflichtet er seine Bürgerinnen und Bürger zudem aufeinander und drückt den persönlichen wie den öffentlichen Angelegenheiten seinen Stempel auf. Dabei wandeln sich seine so gestrickten fiskalischen Beziehungen permanent. Wer - wie viel und in welcher Form - zahlt, ist und bleibt umkämpft. Im 20. Jahrhundert wurden daher für manche Bevölkerungsgruppen, etwa Arbeitnehmerinnen, die Rückzugsräume vor fiskalischer Herrschaft immer kleiner, während andere, wie multinationale Konzerne, ihre Steuerlast auf ein Minimum reduzierten. Lars Döpking vollzieht diesen Wandel am Beispiel einer der größten Volkswirtschaften Europas nach und zeigt, welch brisante Prozesse Steuerstaaten ausmachen. Er analysiert, wie der Aufbau von Verwaltungskapazitäten, die kontinuierliche Bekämpfung von Steuerhinterziehung, transnationale Verstrickungen und politische Konflikte in Italien seit 1945 ineinandergriffen und letztlich zu einer Vervielfachung des Steueraufkommens führten. So erklärt dieses Buch auch, warum die italienische Bevölkerung heute mehr Steuern zahlt als je zuvor - und weshalb das wohl weiterhin so bleibt.

Lars Döpking ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in Rom. Zuvor war er Mitglied in der Forschungsgruppe Demokratie und Staatlichkeit am Hamburger Institut fu?r Sozialforschung.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783868544916
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum15.05.2023
Seiten512 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse5828 Kbytes
Artikel-Nr.11717005
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
I Steuern und StaatII Theorien steuerstaatlichen Wandels. Fiskalsoziologischen ErkundungenIII Steuerstaat: Begriff und MethodeIV Junge Republik und Steuerstaat (1945-1970)V Die >Vingt Glorieusesmehr
Leseprobe

IITheorien steuerstaatlichen Wandels. Fiskalsoziologische Erkundungen

»Goldscheids Verdienst wird es für immer bleiben, [â¦] daß er weiten Kreisen die Wahrheit verkündete, daß das Budget das aller täuschenden Ideologien entkleidete Gerippe des Staats ist, ein Gemenge nackter, harter Tatsachen, die erst noch in den Bereich der Soziologie gezogen werden müssen.«1

Was ist ein Steuerstaat und wie wandelt er sich? Knapp hundert Jahre nach der Debatte zwischen Joseph Schumpeter und Rudolf Goldscheid um seine Krise und Zukunft2 und mehr als ein Jahrzehnt, nachdem Isaac W. Martin, Ajay K. Mehrotra und Monica Prasad die New Fiscal Sociology ausgerufen haben,3 ist diese Frage sozialtheoretisch nicht abschließend beantwortet. Während Erstere auf die Rolle von Galionsfiguren degradiert worden sind - sie werden häufig zitiert, aber selten diskutiert -, meidet das Forschungsprogramm der Letzteren den Begriff. Weil die New Fiscal Sociology sich von modernisierungs-, eliten- und militärtheoretischen Traditionslinien der Fiskalsoziologie abgrenzt, behandelt sie staats- und herrschaftssoziologische Fragen eher stiefmütterlich.4 Das vorliegende Kapitel stellt vor diesem Hintergrund Erkundungen an, um Bedeutungsdimensionen des Steuerstaatsbegriffs zu bergen und Dynamiken seines Wandels zu systematisieren. Die an diesen zwei Leitfragen - was ist ein Steuerstaat, wie wandelt er sich - orientierte Literaturumschau folgt der New Fiscal Sociology aber in einem wichtigen Punkt: Sie geht auf Distanz zu Arbeiten, die Steuern allein als Symptom gesellschaftlicher Veränderungen behandeln.5 Dieser Prämisse folgend kann die Literatur in vier Ansätze unterteilt werden: An erster Stelle diskutiere ich Arbeiten, die ihn als politische Gemeinschaft thematisieren und primär Konflikte um seine institutionelle Gestalt adressieren. Darauffolgend stehen Theorien im Mittelpunkt, die den Steuerstaat als souveränen Akteur behandeln und Wandel aus der Interaktion mit seinesgleichen erklären. Drittens fokussiere ich staatszentrierte Ansätze, die ihm eine Autonomie von solchen Faktoren zubilligen und ihn damit selbst als Quelle fiskalischen Wandels identifizieren. An vierter Stelle behandele ich Studien, welche die moralische Dimension des Fiskus hervorheben und dessen Wandel ursächlich Diskursen und Interaktionen zuschreiben. Fünftens systematisiere ich die Ansätze und formuliere vier Thesen, die ein Begriff des Steuerstaats abbilden können muss.
Der Steuerstaat als politische Gemeinschaft

In den Sozialwissenschaften deutet die Mehrzahl der Studien den Steuerstaat als ein Gefüge politisch ausgehandelter Institutionen. Je nach normativer und theoretischer Färbung tritt dieser Ansatz in drei Varianten auf: Entweder werden die steuerpolitischen Handlungsmuster von Parteien, Verbänden oder sozialen Bewegungen auf die Interessen ökonomischer Klassen zurückgeführt. Alternativ wird dem Staat und seinen demokratischen Institutionen bei der Konstituierung fiskalpolitischer Akteure eine konstitutive Rolle zugesprochen. Dagegen kann, drittens, eingewandt werden, dass Klassen im Gegensatz zu demokratischen Institutionen den nationalstaatlichen Rahmen überschreiten - womit jeder dieser Ansätze ganz eigene Antworten auf die Frage gibt, was ein Steuerstaat ist und wie er sich wandelt.

So findet sich die Identifikation von Steuerpolitik und Klassenkampf bereits bei Karl Marx. Er sieht alsbald jedoch in den Auseinandersetzungen um Steuern lediglich das »Steckenpferd aller radikalen Bourgeois«.6 Seine Kritik des Gothaer Programms setzt jegliche Steuern mit Klassenherrschaft gleich und spricht Einkommensteuern ihr progressives Moment ab.7 Marx später ökonomischer Reduktionismus nimmt damit die weitere marxistische Debatte vorweg. Diese begreift Steuern als einen Schleier, der sich über das Produktionsverhältnis legt. Da sie keinerlei Rückwirkung auf die Produktion des Mehrwerts hätten, sondern denselben lediglich umverteilen, würde Steuerpolitik zwar Profite mindern, den Kapitalismus selbst aber kaum tangieren. Am Begriff des Steuerstaats zeigt die marxistische Diskussion deshalb lange Zeit kaum Interesse.8 Dies ändert sich erst mit Rudolf Goldscheid. Sein Plädoyer für eine eigenständige Finanzsoziologie deklariert eine prinzipielle Krisenaffinität des Steuerstaats, die sich aus sich aus zwei Quellen speist: Erstens hänge er am Tropf der herrschenden Klassen.9 Weil ihm ein eigenes Fundament fehle, expropriiere er sich fortlaufend und begebe sich qua Verschuldung in politische Abhängigkeit.10 Zweitens werde im »verschuldeten Steuerstaat [â¦] notwendig beinah jede Steuer ungerecht und unzweckmäßig zugleich«.11 Die einzige Alternative zur deshalb dauerhaften politischen und sozialen Krise des Fiskus sieht er in dessen »Repropriation«. Sie soll den »kapitalistischen Machtstaat« in den »machtvollen Kapitalstaat« verwandeln.12 Damit reduziert aber auch Goldscheid den Steuerstaat auf ökonomische Faktoren: Seine Wesensmerkmale - Verschuldung und Lastenüberwälzung - sind Ausdruck von Klassenherrschaft und zeichnen Wandel vor, der entweder als permanente Krise abläuft oder seine Transformation vorbereitet.

Als in den 1970er Jahren der US-amerikanische Soziologe James O Connor an die Überlegungen Goldscheids anschließt, arbeitet er eine andere Aporie des Steuerstaats heraus: Dieser schöpfe zwar mittlerweile genügend Mittel ab, müsse mit ihnen aber nun die kapitalistische Akkumulation durch Investitionen am Laufen halten und gleichzeitig die Legitimation der ökonomischen Verhältnisse sicherstellen.13 Beides zugleich sei ihm aber als Vehikel von Klassenherrschaft unmöglich. Die institutionelle Gestalt des Steuerstaats sorge gewissenhaft dafür, dass die Steuerlast etwa aufgrund von Steuerschlupflöchern und Inzidenz primär auf die Arbeiter entfalle, deren fiskalische Ausbeutung verschleiert werde. Steuern bauen demnach prinzipiell die Machtstellung der Bourgeoisie aus und verhindern zugleich den sozialen Aufstieg der Arbeiterklasse.14 Ein Wandel dieses Arrangements stehe nach O Connor nur ins Haus, wenn aufgrund fiskalischer Engpässe Wirtschaft und Wohlfahrt stagnierten. Für eine solche Situation, die er in den 1970er Jahren zu beobachten glaubt, prognostiziert er die Wiederkunft fiskalischer Klassenkämpfe, die den staatlichen Monopolkapitalismus stürzen und die systemimmanente fiskalische Krise sozialistisch überwinden würden.15

Michael Krätke kann etwa 10 Jahre später solcher Krisenrhetorik nur wenig abgewinnen. Denn jedem Krisenpostulat müsse ein Verständnis steuerstaatlicher Normalität vorangehen - welches Goldscheid fehle und O Connor völlig abhandengekommen sei.16 Sie würden verkennen, dass Steuern nicht nur Reichtum effektiv umverteilen, sondern auch das »Reproduktionsproblem« des Kapitals lösen und die »einseitige Marktexistenz« des Staates als Käufer von Waren garantieren.17 Die marxistische Theorie des Fiskus, welche Krätke angesichts dessen entwickelt, stellt daher nicht Krisen, sondern fiskalische Konflikte scharf. Deren Akteure seien aber nicht bipolar strukturierte Klassen, sondern kleinteilige, sich spontan bildende Allianzen, die Chancen für Steuerüberwälzung, -evasion oder -vermeidung erstreiten. Da diese Steuerkämpfe nie völlig ruhiggestellt werden könnten, müsse der Fiskus dafür sorgen, dass sie nicht »zu Klassenkämpfen eskalieren oder die Innenpolitik dominieren«.18 Hierzu greife er erfolgreich zu Techniken, die die Zensiten ohne größeres Aufsehen abschöpfen und ihre wahre Belastung verschleiern. Die Steuerkämpfe seien deshalb für die Zensiten, die nach Evasionsoptionen suchen, wie für den Staat, der politische Unruhen aushebeln wolle, eine technische und keine politische Frage mehr, weil die Kämpfe aufgrund von Partikularisierung ausreichend latent gehalten werden könnten.19

Dieser These widersprechen die Argumente von Jacob Hacker und Paul Pierson. Die beiden US-amerikanischen Politikwissenschaftler haben im Anschluss an die Finanzkrise von 2007/2008 gezeigt, wie Unternehmen seit den 1970er Jahren ihre politische Aktivität bündelten, um u. a. steuerliche Lasten zu senken.20 Üppige finanzielle Ressourcen, weitgehend homogene Interessen und kreative Aktionsformen hätten ihnen seither erlaubt, sowohl die Interessen der Arbeiter- als auch die der Mittelklasse weitgehend auszustechen.21 Bipolarer Klassenkampf fand demnach sehr wohl statt, allerdings klandestin. Zugespitzt formuliert führte hiernach nämlich einzig die Bourgeoise einen gut organisierten und erfolgreichen fiskalischen Klassenkampf von oben.22 Die von Krätke diagnostizierte Partikularisierung der Steuerkämpfe weist sich im Lichte dessen als hochgradig einseitig aus: Oben herrscht im Gegensatz zu unten...
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Autor

Lars Döpking ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in Rom. Zuvor war er Mitglied in der Forschungsgruppe Demokratie und Staatlichkeit am Hamburger Institut für Sozialforschung.
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Döpking, Lars