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Das endlose Leben

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
448 Seiten
Deutsch
Pendragon Verlagerschienen am06.03.2019
'Gewöhne dich an den Gedanken, dass der Tod kein Problem für uns ist.' Mit elf Jahren erlebt Theo Mannlicher, wie sein Vater sich umbringt. Er beschließt daraufhin, den Tod nicht mehr zu akzeptieren und streicht das Wort aus seinem Wortschatz. Später wandert Theo mit seiner Mutter und seinem Onkel nach Amerika aus. Im Ersten Weltkrieg meldet er sich freiwillig an die Front. Er wird verwundet und landet in Mailand in einem Lazarett. Dort ereilt ihn ein ungewöhnlicher Auftrag ... Andreas Kollender beschreibt die faszinierende Lebensgeschichte des Schriftstellers Theo Mannlicher. Er wurde 1899 in Hamburg geboren und durchlebte das gesamte 20. Jahrhundert. In der Nacht vor seinem 100. Geburtstag verschwindet er spurlos auf Bali. Hat Mannlicher, dieser große Freund des Lebens, den Tod überlistet?

Andreas Kollender wurde 1964 in Duisburg geboren und studierte in Düsseldorf Germanistik und Philosophie. Seit 1995 lebt er als freier Autor in Hamburg und leitet Kurse für literarisches Schreiben. Er hat ein Faible für spannende historische Persönlichkeiten, die er in seinen Romanen wieder zum Leben erweckt. Bisher hat er Fritz Kolbe (»Kolbe«), Ludwig Meyer (»Von allen guten Geistern«) und Carl Schurz (»Libertys Lächeln«) gewu?rdigt. In seinem neusten Werk, »Mr. Crane«, widmet er sich dem legendären Schriftsteller Stephen Crane.
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Produkt

Klappentext'Gewöhne dich an den Gedanken, dass der Tod kein Problem für uns ist.' Mit elf Jahren erlebt Theo Mannlicher, wie sein Vater sich umbringt. Er beschließt daraufhin, den Tod nicht mehr zu akzeptieren und streicht das Wort aus seinem Wortschatz. Später wandert Theo mit seiner Mutter und seinem Onkel nach Amerika aus. Im Ersten Weltkrieg meldet er sich freiwillig an die Front. Er wird verwundet und landet in Mailand in einem Lazarett. Dort ereilt ihn ein ungewöhnlicher Auftrag ... Andreas Kollender beschreibt die faszinierende Lebensgeschichte des Schriftstellers Theo Mannlicher. Er wurde 1899 in Hamburg geboren und durchlebte das gesamte 20. Jahrhundert. In der Nacht vor seinem 100. Geburtstag verschwindet er spurlos auf Bali. Hat Mannlicher, dieser große Freund des Lebens, den Tod überlistet?

Andreas Kollender wurde 1964 in Duisburg geboren und studierte in Düsseldorf Germanistik und Philosophie. Seit 1995 lebt er als freier Autor in Hamburg und leitet Kurse für literarisches Schreiben. Er hat ein Faible für spannende historische Persönlichkeiten, die er in seinen Romanen wieder zum Leben erweckt. Bisher hat er Fritz Kolbe (»Kolbe«), Ludwig Meyer (»Von allen guten Geistern«) und Carl Schurz (»Libertys Lächeln«) gewu?rdigt. In seinem neusten Werk, »Mr. Crane«, widmet er sich dem legendären Schriftsteller Stephen Crane.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783865326539
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum06.03.2019
Seiten448 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1051 Kbytes
Artikel-Nr.11721897
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1

Der Tod des Vaters

Dein Großvater hat sich umgebracht, Theo. Das kommt bei Geisteswissenschaftlern häufig vor. Und jetzt hat sich dein Vater umgebracht. Wie sind deine Pläne? , fragte Onkel Paul. Theo saß auf seinem Schoß. Er war elf Jahre alt und zu schlaksig, um noch bequem auf dem Schoß des Onkels sitzen zu können, aber es war ihm gleich, und die Wärme der Lehne aus Oberkörper und Armen beruhigte ihn.

Sei nicht so zynisch mit dem Kind, Paul , sagte Tante Agnes leise. Der Junge hat viel mitgemacht. Er versteht das nicht.

Er soll Selbstmörder nicht verstehen , sagte Onkel Paul. Er wippte mit den Füßen, sodass Theo auf seinem Schoß hopste. Onkel Paul schloss die Arme um Theo, und Theo hörte das Herz des Onkels und war in den Armen und der Wärme. Sie saßen im Wohnzimmer, Onkel Paul und Tante Agnes, Mutter, Theos Schwester Silvia, Kollegen des Toten, Freunde der Familie, Großmutter in einer Ecke des Ohrensessels. Auf dem Tisch standen Kaffeekannen, Porzellanschalen mit Gebäck und vorgewärmte Teller mit Gemüsetörtchen. Im Lichtschein vor den vier Fenstern schwebten Rauchteilchen, die aus den Mündern der Zigarrenraucher quollen. Die Wanduhr tickte über das Gemurmel der Anwesenden hinweg ihren Takt in den Raum. Onkel Paul sah zur Uhr hinauf. Unten von der Straße hörte man eine Straßenbahn rattern.

Wir müssen bald los , sagte Onkel Paul, den alten Heinrich unter die Erde bringen.

Himmel, Paul , sagte Tante Agnes, wie redest du über die Beerdigung deines Bruders? Denk an die Kinder. Und denk an Elsa.

Theo sah, wie Onkel Paul die Lippen unter dem Schnurrbart verzog, als habe er eine bittere Medizin schlucken müssen. Es war das erste Mal, dass Theo den Onkel böse sah.

Ich hasse diese ganze Scheiße , sagte Onkel Paul, und Theo roch seinen bitteren Atem.

Herrgott, ich weiß es, Paul, aber wir sind hier nicht allein. Reiß dich zusammen. Und hör mit der Sauferei auf.

Was hasst du, Onkel?

Den Tod.

Onkel Paul zog den Glaspfropfen aus einer Karaffe und goss eine braune Flüssigkeit in seine Kaffeetasse. Er trank mit großen Schlucken, und Theo sah seinen Adamsapfel auf und ab springen.

Weißt du übrigens, wie dein Großvater sich umgebracht hat? Er hat sich den Bauch aufgeschnitten. Mit einem Küchenmesser. Das ist eine eher seltene Art, sich umzubringen. Außer bei Japanern.

Japaner bringen sich nicht mit Küchenmessern um , sagte Tante Agnes. Paul, denk an den Jungen.

Der Junge ist Theo Mannlicher. Sein Vater mag ja ein Ass als Mediziner gewesen sein, der Junge soll ein Ass als Mensch werden.

Theo sah zu seiner Mutter auf der anderen Seite der Tafel hinüber. Sie hatte den Kopf gesenkt, die Stirn auf ihre Hand gestützt, und aus ihrer Frisur strähnte es dick und schwarz. Ihre Schultern zuckten, und Tränen tropften von ihrem Kinn auf die polierte Tischplatte. Jeder Tropfen fiel in die Lache, die sein Vorgänger gemacht hatte, hüpfte einmal auf und vergrößerte den silbernen See. Wenn sie für einige Sekunden aufsah, kritzelte sie mit einem Bleistift auf die Serviette neben ihrem Kuchenteller. Theo hatte seine Mutter nie weinen sehen. Wenn er jetzt in ihre Augen blickte, war es, als sehe er durch ein Aquarium. Silvia hockte neben ihr am Boden, umarmte die Beine der Mutter und weinte. Theo schmiegte sich an Onkel Pauls Brustmuskeln. Er spürte Pauls Hand auf seinem Haar und hörte ihn murmeln: Der ganze Scheiß.

Als sie zum Ohlsdorfer Friedhof fuhren, sah Theo aus dem Horch auf die breiten Straßen und die Häuserfronten hinter den Bäumen und Vorgärten, und die Kanäle, die in der Sonne lagen, waren golden, und die, die im Schatten lagen, waren grün oder grau. Manchmal streckte Theo den Kopf aus dem Fenster, um die Sonne zu sehen. Die Wärme im Gesicht tröstete ihn und ließ ihn für kurze Zeit vergessen, wie nass und rot er im Bett neben Vater aufgewacht war. Er hatte sich den Pyjama vom Leib gerissen und gegen die Wand geschleudert. Der Stoff blieb einen Moment lang haften, bevor er hinabrutschte, die Textiltapete verschmierte und sich als nasses Bündel auf den Dielen ausbreitete.

Auf den Hügeln des Waldfriedhofs standen Bäume und Sträucher windstill in voller Pracht, aber Theo sah auf Wiesen und Wegen auch erste welke Blätter liegen. Grabmale versteckten sich hinter Eichen und Buchen, lagen unter weiten Ästen oder im Dunkel des dichten Schattens von Rhododendren.

Friedhof, Theo, Friedhof , sagte Onkel Paul im Vorbeigehen. Als ob der Tod etwas mit Frieden zu tun hätte. Tante Agnes zog Paul am Ärmel weiter, und Paul schlitzte die Augen, ballte eine Faust und lächelte Theo an.

Theo ging allein. Die Mutter hatte nach ihm gerufen, aber er fürchtete sich vor ihr. Immer wieder zerschnitten Schreie ihr Gesicht, es waren Laute mit tiefen Ms und Rs, keine erkennbaren Wörter, Rufe von außerhalb der Sprache, und jedes Mal zuckte Theo zusammen. Er hatte beide Hände in den Hosentaschen und sah in die Bäume, und ein alter Mann sagte ihm, das mit den Händen in den Taschen gehöre sich nicht und außerdem solle seine Mutter sich zusammenreißen. Theo streckte ihm die Zunge raus. Ihm war schlecht, und er wollte alles ausspeien, das Blut und die Tränen und die Gesichter der Trauergäste.

In der Kapelle hielt der Pfarrer eine Rede. Auf Onkel Pauls Geheiß hin legte Theo sich die Hände vor die Ohren. Er sah, dass Onkel Paul den Pfarrer angrinste und ein Wort mit den Lippen formte. Die Augen des Pfarrers wurden kleiner und der Mund schmaler. Tränen liefen Theo über die Wangen, und so fest Onkel Pauls Hand auch seine Schulter drückte, es war Onkel Pauls Hand und nicht die des Vaters.

Auf dem Weg zur Grabstätte starrte Theo den Sarg an. Schwarzes Edelholz, eigentlich viel zu teuer für den Tod, hatte Onkel Paul gesagt. Theo versuchte sich vorzustellen, dass sein Vater auf dem Rücken darin lag. Der Vater war ein großer Mann gewesen und Theo befürchtete, dass er sich Kopf und Füße an den Enden des Sarges stieß und vielleicht gekrümmt liegen musste, um es halbwegs bequem zu haben. Er fragte sich, warum jetzt nicht genug sei mit dieser Quälerei. Konnte sein Papa jetzt nicht aufstehen und aus dem Sarg klettern und endlich alles wieder gut sein?

Neben einem rechteckigen, bitter riechenden Loch auf einem kleinen Hügel war ein Erdhaufen, in dem ein Schippchen steckte. Der Sarg wurde neben dem Loch abgestellt, und der Pfarrer sagte wieder etwas. Mutter weinte laut, sie atmete stoßweise, und ihr Körper wurde so stark geschüttelt, dass sich Strähnen aus dem Dutt lösten. Theo hielt sich die Ohren zu. Er sah seine Mutter an, die verzweifelt gegen etwas anschrie. Sie wurde von Tante Agnes und einem Freund des Vaters gestützt, an ihren Beinen lehnte Silvia. Viele Frauen weinten, die meisten Männer guckten, als trügen sie Pistolen unter der Achseln, einige schüttelten den Kopf, einer spuckte aus, und das weißliche Geschoss verfehlte knapp eine Wade in schwarzer Strumpfhose. Theos Herz raste. Er ballte die Fäuste in den Taschen, er hielt die Luft an, hielt sie an, bis ihm die Ohren dröhnten, und dann war ihm, als sei er gar nicht da, Augen zu, Mund auf, als sei er weg in dimensionsloser Schwärze, und dann öffnete er die Augen und schrie. Er schrie, riss sich von Onkel Paul los und trat gegen den Sarg, trat immer wieder, bis der Pfarrer ihn wegriss. Theo begann nach dem Pfarrer zu treten und zu schlagen. Seine Finger wurden feucht, als er ein Auge traf. Der Pfarrer stöhnte, warf den Kopf zurück und schlug die Hände vor das Auge.

Die Beerdigung endete in einem Tumult. Irgendwer gab Theo eine Ohrfeige, die Mutter schrie und ohrfeigte ihrerseits mit voller Wucht den Mann, der Theo geschlagen hatte. Onkel Paul, die Fäuste geballt, machte Schattenboxen, schlug imaginäre Gegner nieder und rief: Erstklassig. So geht s, was, Agnes?

Das darfst du nicht tun, Theo , sagte der Pfarrer. Theo beobachtete, wie sich Krümel von Streuselkuchen auf den Lippen des Mannes bewegten. Einer speichelweich auf der Oberlippe und drei auf der fleischigen Unterlippe. Sie waren wieder in der Wohnung, das Hausmädchen hatte Kaffee gekocht, die Dielen knarrten, und der Mann in Schwarz hatte auf die Mutter eingeredet und Silvia die Hand auf den Kopf gelegt. Theos Vater stand rot mit verschränkten Armen in der Ecke bei der Stehlampe und lächelte.

Ich verstehe, wie traurig du bist , sagte der Pfarrer. Er tupfte sich das Auge mit einem Taschentuch ab.

Das alles hier macht dich ganz verwirrt. Aber du darfst deinem Vater nicht böse sein. Er hat etwas sehr Schlimmes getan. Er hat sich aufgegeben. Wir alle müssen jetzt inständig für ihn beten, damit Gott ihm verzeiht und er in den Himmel kommt. Ich verüble dir nicht, dass du versucht hast, mich zu hauen, kleiner Mann.

Theo starrte erst seine Schuhe an und dann in die Augen des Pfarrers.

Wir müssen alle sterben, Theo , sagte der Pfarrer und lehnte sich zurück. Er öffnete die Hände, lächelte und atmete tief durch die Nase. Erst der Tod gibt unserem Dasein auf dieser Welt einen Sinn. Der Tod ist der einzige wirkliche Sinnstifter. Du könntest dir den Sonnenschein auch nicht vorstellen, wenn du die Nacht nicht kenntest, nicht wahr?

Doch , sagte Theo.

Kleiner Mann, kleiner Mann , sagte der Pfarrer und wollte Theos Haar zerzausen. Theo zog den Kopf zurück. Onkel Paul setzte sich neben ihn. Er hatte ein bauchiges Glas mit einer braunen Flüssigkeit in der Hand und blickte undeutlich, als könne er keinen Gegenstand mehr klar fixieren, seine Hand nicht, die Tassen und Gläser und Theos Gesicht...

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Andreas Kollender wurde 1964 in Duisburg geboren und studierte in Düsseldorf Germanistik und Philosophie. Seit 1995 lebt er als freier Autor in Hamburg und leitet Kurse für literarisches Schreiben. Er hat ein Faible für spannende historische Persönlichkeiten, die er in seinen Romanen wieder zum Leben erweckt. Bisher hat er Fritz Kolbe (»Kolbe«), Ludwig Meyer (»Von allen guten Geistern«) und Carl Schurz (»Libertys Lächeln«) gewürdigt. In seinem neusten Werk, »Mr. Crane«, widmet er sich dem legendären Schriftsteller Stephen Crane.

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