Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Der Koloß von New York

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
152 Seiten
Deutsch
Hanser, Carl GmbH + Co.erschienen am29.05.20231. Auflage
New York vom Morgen, wenn die Müllmänner kommen, bis in die Nacht. New York für die Eingeborenen und die Fremden, New York, beschrieben von einzelnen Stimmen an unterschiedlichen Orten wie Times Square, Brooklyn Bridge, Central Park, Coney Island oder Broadway. Colson Whitehead, New Yorker von Geburt und aus Überzeugung, zeichnet ein sehr persönliches Bild einer Stadt, in der nichts gewöhnlich ist.

Colson Whitehead, 1969 in New York geboren, studierte an der Harvard University und arbeitete für die New York Times, Harper's und Granta. Whitehead erhielt den Whiting Writers Award (2000) und den Young Lion's Fiction Award (2002) und war Stipendiat des MacArthur 'Genius' Fellowship. Für seinen Roman Underground Railraod wurde er mit dem National Book Award 2016 und dem Pulitzer-Preis 2017 ausgezeichnet. Für seinen Roman Die Nickel Boys erhielt er 2020 erneut den Pulitzer-Preis. Bei Hanser erschienen bisher John Henry Days (Roman, 2004), Der Koloß von New York (Eine Stadt in dreizehn Teilen, 2005), Apex (Roman, 2007), Der letzte Sommer auf Long Island (Roman, 2011), Zone One (Roman, 2014), Underground Railroad (Roman, 2017), Die Nickel Boys (Roman, 2019) und Harlem Shuffle (Roman, 2021). Der Autor lebt in Brooklyn.
mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR14,90
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR11,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR11,99

Produkt

KlappentextNew York vom Morgen, wenn die Müllmänner kommen, bis in die Nacht. New York für die Eingeborenen und die Fremden, New York, beschrieben von einzelnen Stimmen an unterschiedlichen Orten wie Times Square, Brooklyn Bridge, Central Park, Coney Island oder Broadway. Colson Whitehead, New Yorker von Geburt und aus Überzeugung, zeichnet ein sehr persönliches Bild einer Stadt, in der nichts gewöhnlich ist.

Colson Whitehead, 1969 in New York geboren, studierte an der Harvard University und arbeitete für die New York Times, Harper's und Granta. Whitehead erhielt den Whiting Writers Award (2000) und den Young Lion's Fiction Award (2002) und war Stipendiat des MacArthur 'Genius' Fellowship. Für seinen Roman Underground Railraod wurde er mit dem National Book Award 2016 und dem Pulitzer-Preis 2017 ausgezeichnet. Für seinen Roman Die Nickel Boys erhielt er 2020 erneut den Pulitzer-Preis. Bei Hanser erschienen bisher John Henry Days (Roman, 2004), Der Koloß von New York (Eine Stadt in dreizehn Teilen, 2005), Apex (Roman, 2007), Der letzte Sommer auf Long Island (Roman, 2011), Zone One (Roman, 2014), Underground Railroad (Roman, 2017), Die Nickel Boys (Roman, 2019) und Harlem Shuffle (Roman, 2021). Der Autor lebt in Brooklyn.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783446297623
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum29.05.2023
Auflage1. Auflage
Seiten152 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.11766059
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Stadtgrenzen


ICH WEISS NICHT, wie das bei Ihnen ist, aber ich bin hier, weil ich hier geboren und damit für jeden anderen Ort verdorben bin. Vielleicht sind Sie ja auch von hier, und es stellt sich früher oder später heraus, daß wir irgendwann einmal einen Häuserblock voneinander entfernt gewohnt haben, ohne es zu wissen. Oder vielleicht sind Sie vor ein paar Jahren wegen einer Arbeitsstelle hierhergezogen. Vielleicht sind Sie wegen Ihrer Ausbildung hergekommen. Vielleicht haben Sie den Prospekt gesehen. Die Stadt hat eine Menge Zeit und Geld aufgewendet, um den Prospekt zusammenzustellen, und schließlich gibt es ja auch all die Filme, Fernsehshows und Songs - die ganze Geschichte von wegen »If you can make it there«. Außerdem bemüht sich die Stadt nach Kräften, Ihr Heimatkaff so richtig trist und winzig aussehen zu lassen, bloß falls Sie sich manchmal fragen, warum es so fade ist, dorthin zurückzukehren.

Ganz gleich, wie lange Sie schon hier sind, New Yorker sind Sie, wenn Sie das erste Mal sagen: »Das da war früher Munsey s«, oder: »Das da war früher die Tic Toc Lounge.« Oder wenn Sie sich in dem kleinen Familienbetrieb, der früher da war, wo sich jetzt das Internet-Café eingenistet hat, die Schuhe haben neu besohlen lassen. Sie sind New Yorker, wenn das, was vorher da war, mehr Wirklichkeit und Substanz besitzt als das, was jetzt da ist.

Sie fangen an, sich Ihr eigenes New York zu bauen, sobald Ihr Blick zum ersten Mal auf die Stadt fällt. Vielleicht sind Sie mit einem Taxi vom Flughafen gekommen, als die Skyline sich zum ersten Mal in Ihr Blickfeld schob. All Ihr weltlicher Besitz befand sich im Kofferraum, und in der Hand hatten Sie einen Zettel mit einer Adresse drauf. Guck mal: Da ist das Empire State Building, da drüben sind die Twin Towers. Irgendwo in diesem phantastischen, herrlichen Gewirr war die Adresse auf dem Zettel, Ihr erstes Zuhause hier. Vielleicht haben Ihre Eltern Sie als Kind auf einen Urlaub hierhergeschleppt und Sie die riesigen Avenues auf und ab gekarrt, um Weihnachtsgeschenke zu kaufen. Die einzigen Wolkenkratzer, die Sie von Ihrem Kinderwagen aus sehen konnten, waren die Beine von Erwachsenen, aber den Boden haben Sie ziemlich gut kennengelernt, und Sie haben sich zu fragen begonnen, warum manche Bürgersteige aus einem bestimmten Blickwinkel glitzern und andere nicht. Vielleicht sind Sie hergekommen, um Ihren alten Kumpel zu besuchen, den, der letzten Sommer hergezogen ist, und es lief irgend etwas mit dem vereinbarten Treffpunkt schief. Sie sind aus der Penn Station in das schwindelerregende Getümmel der Eighth Avenue hinausgetreten und in Ohnmacht gefallen. Halten Sie den Film hier an: Dieser Augenblick ist der erste Ziegelstein zu Ihrer Stadt.

Ich habe mein New York im Zug Nr. 1 in Uptown zu bauen begonnen. Meine erste Stadterinnerung ist die an einen Blick aus einem U-Bahn-Fenster, während der Zug auf dem Weg zur 125. Straße aus dem Schacht schoß und sich auf die Hochbahnschienen hinaufquälte. Wir schreiben Anfang der Siebziger, also ist alles dreckig. Das heißt, es ist immer noch alles dreckig, denn das ist meine Stadt, und an der halte ich fest. Ich spreche immer noch vom Pan Am Building, nicht aus Affektiertheit, sondern weil es das ist. Für die frisch aus Des Moines hierher Verpflanzte, die ihre erste Arbeitswoche bei einer Versicherung in der Park Avenue South antritt, ist der Titan, der über Grand Central hockt, das Met Life Building, und für sie wird es das bleiben. Sie hat natürlich unrecht - wenn ich daran hochschaue, sehe ich schließlich klar und deutlich die riesigen Buchstaben, die die Silben Pan Am bilden. Und natürlich habe ich in den Augen der Alteingesessenen unrecht, die den Mythos aufrechterhalten, es gebe eine Zeit vor Pan Am.

Geschichtsbücher und Dokumentarfilme des öffentlichen Fernsehens versuchen einem ständig alle möglichen »Fakten« über New York zu vermitteln. Daß die Canal Street einmal ein Kanal gewesen sei. Daß es sich beim Bryant Park um ein Wasserreservoir gehandelt habe. Alles Quatsch. Ich war in der Canal Street, und einen Fluß habe ich nur ein einziges Mal durchfließen sehen, nämlich als es das letzte Mal zu einem Bruch der Hauptwasserleitung gekommen ist. Hören Sie nicht auf das, was die Leute Ihnen über das alte New York erzählen, denn wenn Sie es nicht selbst erlebt haben, gehört es nicht zu Ihrem New York und könnte genausogut Jersey sein. Ausgenommen die Geschichte, daß die Holländer damals für vierundzwanzig Dollar Manhattan gekauft haben - Großmäuler, die »zum richtigen Zeitpunkt einsteigen«, gibt es und wird es immer geben.

Es gibt in dieser nackten Stadt acht Millionen nackte Städte - sie widerstreiten und widersprechen einander. Das New York, in dem Sie leben, ist nicht mein New York; wie könnte es auch anders sein? Die Stadt vermehrt sich, wenn man gerade nicht hinsieht. Wir ziehen hierhin, wir ziehen dahin. Im Laufe eines Lebens kommen so eine ganze Menge Viertel zusammen, das kunterbunte Baumaterial Ihrer zusammengestoppelten Metropole. Ihre bevorzugten Zeitungskioske, Restaurants, Kinos, U-Bahn-Stationen und Friseursalons werden von denen Ihres nächsten Viertels abgelöst. Das läppert sich. Im Handumdrehen haben Sie Ihre eigene, persönliche Skyline.

Kehren Sie an Ihre alten Lieblingsplätze in Ihren alten Vierteln zurück, und Sie stellen fest: Sie sind geblieben und verschwunden. Die Imbißbude, das Feinkostgeschäft, die Reinigung, die Sie ausgekundschaftet haben, als Sie hier ankamen und versuchten, in diesen Straßen heimisch zu werden: sie sind fort. Aber schauen Sie hinter die Fenster des Reisebüros, das Ihre Pizzeria ersetzt hat. Jenseits der Schreibtische, Computer und Werbeplakate für tropische Abenteuer können Sie immer noch abkühlende Pizzen sehen, den neben einem halben Stück liegenden Pizzaschneider, die Landkarte von Sizilien an der Wand. Es ist immer noch alles da, das versichere ich Ihnen. Der Mann, der gerade einen Flug nach Jamaika bezahlt hat, sieht nichts davon, sieht nur seine romantische Flucht, seinen Familienurlaub, das, was dieser kleine Laden in dieser kleinen Straße ihm gewährt hat. Die verschwundene Pizzeria ist noch da, weil Sie da sind, und wenn der Schönheitssalon das Reisebüro ersetzt, wird der Gentleman immer noch seine Ferienreise bekommen. Und die Lady ihre Maniküre.

Sie müssen schlucken, wenn Sie feststellen, daß das alte Café jetzt die Filiale einer Apothekenkette ist, daß der Ort, wo Sie Soundso zum ersten Mal geküßt haben, jetzt einen Elektronik-Discounter beherbergt, daß dort, wo Sie ebendieses Jackett gekauft haben, Schutt hinter einem blaugestrichenen Sperrholzzaun und ein künftiges Bürogebäude liegen. Ihrer Stadt ist Schaden zugefügt worden. Sie sagen, es sei über Nacht passiert. Aber das stimmt natürlich nicht. Ihre Pizzeria, sein Schuhputzerstand, ihr Hutgeschäft: als es sie noch gab, haben wir sie geringgeschätzt. Gut möglich, daß der Laden dichtgemacht hat, kurz nachdem Sie das letzte Mal zur Tür hinausspaziert sind. (Vor zehn Monaten? Sechs Jahren? Fünfzehn? Sie wissen es nicht mehr, stimmt s?) Und vor dem Reisebüro gab es an dieser Stelle fünf Geschäfte. Fünf verschiedene Viertel, die zwischen damals und heute entstanden und verschwunden sind, andere Städte anderer Leute. Oder fünfzehn, fünfundzwanzig, hundert Viertel. Tausende von Menschen kommen jeden Tag an dieser Ladenfront vorbei, jeder verkehrt in den Straßen seines eigenen New York, und keiner von ihnen sieht das gleiche.

Nie können wir uns richtig verabschieden. Es war Ihre letzte Fahrt in einem Checker-Taxi, und Sie wurden nicht vorgewarnt. Es war das letzte Mal, daß Sie in diesem irgendwie zwielichtigen China-Restaurant Lake Tung Ting Shrimps aßen, und Sie hatten keine Ahnung. Wenn Sie es gewußt hätten, wären Sie vielleicht hinter den Tresen gegangen und hätten jedem die Hand gegeben, hätten die Kamera hervorgeholt und den Leuten gesagt, wie sie sich hinstellen sollen. Aber Sie hatten keine Ahnung. Es gibt unangekündigte Wendepunkte: Wir schließen die Eingangstür einer Wohnung nur soundso viele Male auf. Irgendwann waren Sie dem letzten Mal näher als dem ersten Mal, ohne es zu wissen. Sie wußten nicht, daß Sie sich jedesmal, wenn Sie die Schwelle überschritten, verabschiedeten.

Ich hatte nie Gelegenheit, mich von einigen meiner alten Gebäude zu verabschieden. In manchen habe ich gewohnt, andere gehörten zu einer Skyline, von der ich glaubte, es werde...

mehr