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Der nächtliche Lauscher

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
352 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am13.06.2023
«Man verschlingt dieses Buch wie ein nächtliches Mahl in der Küche.» (New York Times) In seiner Mitternachts-Radioshow tröstet Gabriel Noone unzählige Menschen, aber er selbst ist nicht glücklich. Da bekommt er Post von einem 13-jährigen Fan: Pete ist unheilbar krank, verfügt jedoch über Lebenskraft und ein ungewöhnliches Schreibtalent. In langen Telefonaten freunden sich die beiden an, doch als Gabriel auf eine Begegnung drängt, entzieht sich Pete. Lange wehrt sich Gabriel gegen einen schlimmen Verdacht ... Ein neuer Roman vom Autor der «Stadtgeschichten» - «Das stärkste Buch, das Armistead Maupin je geschrieben hat.»(Stern)

Armistead Maupin, geboren 1944 in Washington, studierte Literatur an der University of North Carolina und arbeitete als Reporter für eine Nachrichtenagentur. Er schrieb für Andy Warhols Zeitschrift Interview, die New York Times und die Los Angeles Times. Seine Geschichten aus San Francisco, die berühmten «Tales of the City», verfasste er über fast zwei Jahrzehnte als täglichen Fortsetzungsroman für den San Francisco Chronicle. Maupin lebt mittlerweile in Großbritannien.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR9,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

Klappentext«Man verschlingt dieses Buch wie ein nächtliches Mahl in der Küche.» (New York Times) In seiner Mitternachts-Radioshow tröstet Gabriel Noone unzählige Menschen, aber er selbst ist nicht glücklich. Da bekommt er Post von einem 13-jährigen Fan: Pete ist unheilbar krank, verfügt jedoch über Lebenskraft und ein ungewöhnliches Schreibtalent. In langen Telefonaten freunden sich die beiden an, doch als Gabriel auf eine Begegnung drängt, entzieht sich Pete. Lange wehrt sich Gabriel gegen einen schlimmen Verdacht ... Ein neuer Roman vom Autor der «Stadtgeschichten» - «Das stärkste Buch, das Armistead Maupin je geschrieben hat.»(Stern)

Armistead Maupin, geboren 1944 in Washington, studierte Literatur an der University of North Carolina und arbeitete als Reporter für eine Nachrichtenagentur. Er schrieb für Andy Warhols Zeitschrift Interview, die New York Times und die Los Angeles Times. Seine Geschichten aus San Francisco, die berühmten «Tales of the City», verfasste er über fast zwei Jahrzehnte als täglichen Fortsetzungsroman für den San Francisco Chronicle. Maupin lebt mittlerweile in Großbritannien.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644004764
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum13.06.2023
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse7164 Kbytes
Artikel-Nr.11798903
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1 Der Juwelengeschmückte Elefant

Ich weiß, wie es klingt, wenn ich ihn meinen Sohn nenne. Es wirkt ein bisschen aufgesetzt, ein bisschen zu begehrlich, als dass man es ernst nehmen könnte. Die Blicke meiner Mitmenschen sind mir nicht entgangen, dieses matte, nachsichtige Lächeln, das sich gleich wieder verflüchtigt. Es ist schon klar, wofür sie mich halten: für einen frustrierten Mann jenseits der fünfzig, der schnell nochmal eben die Vaterschaft beansprucht - bei einem fremden Kind.

Aber so ist es nicht. Ehrlich gesagt habe ich nie ein Kind gewollt. Ich bin nie der Ansicht gewesen, dass eine Laune der Natur mich meiner männlichen Bestimmung beraubt habe. Das mit Pete und mir war schlicht und ergreifend Zufall, ein Zusammentreffen verwandter Seelen, das nichts mit verborgenen oder sonstwie gearteten Vatergelüsten zu tun hatte. Das jedenfalls kann ich Ihnen versichern.

Sohn ist natürlich nicht das richtige Wort.

Aber das einzige, das den Geschehnissen gerecht werden kann.

 

Fabulieren ist mein Handwerk, darum möchte ich Sie vorwarnen: Ich habe Jahre damit zugebracht, mein Leben für die Literatur auszuschlachten. Wie eine Elster hebe ich das Glitzerzeug auf und stoße alles andere ab; wenn es der Geometrie der Geschichte nicht dient, kann ich es nicht gebrauchen. Das macht mich nicht unbedingt zu einem zuverlässigen Erzähler. Fragen Sie Jess Carmody, der zehn Jahre mit mir zusammengelebt hat und diese Schwäche aus nächster Nähe kennt. Er hat sie sogar benannt - das Syndrom des juwelengeschmückten Elefanten -, nach einer Geschichte über einen alten College-Freund, die ich ihm des Öfteren erzählt hatte.

Boyd, so hieß der Freund, war in den sechziger Jahren dem Friedenskorps beigetreten. Er wurde in ein indisches Dorf versetzt, verliebte sich dort in eine Einheimische und hielt schließlich um ihre Hand an. Boyds hochwohlgeborene Eltern in South Carolina waren von der Vorstellung brauner Enkel gleichwohl derart entsetzt, dass sie sich weigerten, zur Hochzeit in Neu-Delhi zu erscheinen.

Also schickte ihnen Boyd Fotos. Die Braut entpuppte sich als Aristokratin der höchsten Kaste, vornehmer als irgendein Mitglied von Boyds Familie. Das Paar war in königlicher Pracht getraut worden, auf dem Rücken zweier juwelengeschmückter Elefanten.Gefangen in ihrem bürgerlichen Snobismus, hatten Boyds Eltern es fertig gebracht, das gesellschaftliche Ereignis ihres Lebens zu verpassen.

Ich hatte Jess diese Geschichte so oft erzählt, dass er sie auswendig kannte. Als Boyd auf Geschäftsreise bei uns vorbeikam und Jess kennen lernte, meinte dieser, den idealen Anknüpfungspunkt zu haben: «Also», sagte er vergnügt, «Gabriel hat mir erzählt, dass du auf einem Elefanten geheiratet hast.»

Boyd blinzelte ihn verwirrt an.

Ich spürte, wie ich rot anlief. «Stimmt das nicht?»

«Nein», lachte Boyd verlegen, «wir haben in einer Presbyterianerkirche geheiratet.»

Jess sagte nichts und bedachte mich stattdessen mit einem lidschweren Blick, den ich schon lange zu deuten wusste: Dir kann man aber auch gar nichts glauben.

Zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass der Kern der Geschichte wahr ist. Boyd hatte tatsächlich eine indische Frau geheiratet, die er im Friedenskorps kennen gelernt und die sich als recht wohlhabend erwiesen hatte. Und Boyds Eltern - die in der Tat besonders spießig waren - bereuten dauerhaft, dass sie die Hochzeit nicht miterlebt hatten.

Ich weiß nicht, was ich zu den Elefanten sagen soll, außer, dass ich fest an sie glaubte. Auf jeden Fall habe ich sie nie als Lüge empfunden, eher als eine Art Sinnbild für eine tiefere, kargere Wahrheit. Die meisten Geschichten haben Löcher, die geradezu nach juwelengeschmückten Elefanten verlangen, und mein Impuls ist nun mal, sie beizusteuern.

Das soll nicht passieren, wenn ich von Pete erzähle. Ich will mich bemühen, die Ereignisse so zu schildern, wie ich sie in Erinnerung habe, Schritt für Schritt, so schmucklos wie möglich. Das schulde ich meinem Sohn - uns beiden, besser gesagt - und den unverhofften Verwicklungen des täglichen Lebens.

Doch vor allem möchte ich, dass Sie mir diese Geschichte abnehmen.

Und das wird ohnehin schwer genug.

 

An dem Nachmittag, als Pete in mein Leben trat, war ich nicht ganz ich selbst. Oder vielleicht war ich noch nie so sehr ich selbst gewesen. Jess hatte mich zwei Wochen zuvor verlassen, und diese Erkenntnis war frisch wie eine offene Wunde. Noch nie hatte ich Kummer als etwas so Körperliches empfunden, etwas Greifbares, das wie eine feuchte Faser an den Gliedern klebte. Ich konnte nicht schreiben - jedenfalls tat ich es nicht -, unfähig zu der zermürbenden Selbstbespiegelung, die Geschichten einem abverlangen. Ich fütterte den Hund, führte ihn aus, sah die Post durch, aß, spülte das Geschirr, lag stundenlang auf der Couch und sah fern.

Alles schien meinen Schmerz zu betreffen. Die albernste Kaffeewerbung konnte mich in tiefe tschechowsche Melancholie stürzen. Die Selbstzweifel, die Panik und Wut waren einfach nicht zu umgehen. Meine Ehe war mitten in der Luft explodiert und quer über die Landschaft verstreut worden, und mir blieb nur noch, die Trümmer nach einem Hinweis auf mögliche Ursachen zu durchstöbern, auf der Suche nach einer aussagekräftigen Black Box.

Die unumstößlichen Tatsachen waren zu einer Litanei geworden, die ich Freunden am Telefon herbetete: Jess hatte sich eine Wohnung in Buena Vista Park genommen. Er brauchte Freiraum, hatte er gesagt, einen Ort, an dem er allein sein konnte. Zehn Jahre lang hatte er in Erwartung des Todes gelebt, jetzt hatte er vor, mal ans Leben zu denken. (Ihm war klar geworden, dass er das tun konnte, ohne von Verdrängung sprechen zu müssen.) Er wollte meditieren, lesen und sich endlich mal auf sich selbst konzentrieren. Er konnte nicht genau sagen, wann er zurückkäme oder ob er zurückkäme oder ob ich ihn danach überhaupt noch haben wolle. Ich solle das nicht persönlich nehmen, sagte er; es habe nichts mit mir zu tun.

Als er seine Satteltaschen mit Proteasehemmern voll gestopft hatte, hauchte er mir einen ernsten Kuss auf den Mund und bestieg sein rotes Motorrad. Vor sechs Monaten hatte er sich selbst beigebracht, damit zu fahren. Ich hatte der Maschine immer misstraut, und als ich sie nun den Hügel hinunterdröhnen hörte, begriff ich es: Sie war von Anfang an wie für diesen Augenblick bestimmt gewesen.

Die Einsamkeit, die nun eintrat, trieb mich zur Verzweiflung. Oder zumindest ins Castro-Viertel, das ich nach Pork Chops und Pornovideos durchstreifte, nur um mich unter die Lebenden zu mischen. Es war merkwürdig, nach zehn Jahren des Einigelns mit Jess die Gewohnheit wieder aufzunehmen. All diese glatzköpfigen Jungs mit ihren Goaties und Tattoos. All diese alten Knacker wie ich mit ihren gefärbten Schnauzern und feinen Jeans, maßlos erstaunt, noch immer da zu sein, noch immer auf der Jagd nach Liebe.

Und dazu die schleichende Vermarktung, die Body Shops und Sunglass Huts, die in jeder amerikanischen Mall zu finden sind. Dieses Viertel war zu einem Themenpark für Homos geworden, wo die Namen der Ikonen groß an der Wand der schicken neuen Saftbar standen. Natürlich konnte ich mir einen Blick nicht verkneifen, und tatsächlich, da stand GABRIEL NOONE - gleich links neben der Queckensaftmaschine - zwischen OSCAR WILDE und MARTINA NAVRATILOVA.

In meiner ganzen Niedergeschlagenheit gab mir das doch einen Kick; das und die Art, wie mein Name hinter mir leise die Runde machte, während ich die Straße hinunterging. Einmal hielt mich eine Fremdenführerin an, die eine Tour namens «Cruisin´ the Castro» veranstaltete. Unaufdringlich präsentierte sie mich einem Dutzend Besuchern aus Deutschland und den Niederlanden wie ein einheimisches Artefakt. Sie applaudierten höflich, mitten auf dem gedrängt vollen Bürgersteig. Und einer erkundigte sich nach Jess´ Wohlbefinden. Ich antwortete, es ginge ihm gut, der neue Cocktail wirke Wunder, sein Energieniveau wäre so hoch wie nie, und er hätte eine echte Chance zu überleben, Gott sei Dank. Das hörten sie wirklich gern.

Ich entfernte mich, bevor mich jemand als Schwindler entlarven konnte. Oder entdeckte, dass das Video unter meinem Arm den Titel Dr. Jerkoff and Mr. Hard trug.

 

Eines Nachmittags kam meine Buchhalterin Anna vorbei, um einige Schecks unterschreiben zu lassen. Ich hatte sie telefonisch eingeweiht, da Jess immer unsere Finanzen verwaltet hatte. Sie nahm es gelassen, aber ich bemerkte einen Anflug mütterlicher Fürsorge, ein seltsames Gefühl bei einer Einundzwanzigjährigen, doch ich ließ es dankbar über mich ergehen.

Anna war es, die die ganze Geschichte mit Pete ins Rollen brachte. Ohne sie wäre er nie in meine rapide schwindende Umlaufbahn gelangt. Wir hockten im Büro - Jess´ Büro -, sortierten Quittungen und fischten die Rechnungen aus dem Postberg. Das hätte ich auch allein geschafft, aber Anna hatte offenbar meine geröteten Augen gesehen und wollte mir Gesellschaft leisten. Ihre Augen - schwarz glänzend in einem herzförmigen Gesicht - betrachteten mich ernst, wann immer sie sich unbeobachtet fühlte. Ich weiß noch, dass ich eine gewisse Ähnlichkeit mit Olivia Hussey aus Insel der Verdammten feststellte, eine derart verstaubte Assoziation, dass ich sie gar nicht erst laut aussprach.

«Das sieht interessant aus», sagte sie und schob mir ein Päckchen herüber, einen gefütterten, ungefähr zwanzig mal dreißig...
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Autor

Armistead Maupin, geboren 1944 in Washington, studierte Literatur an der University of North Carolina und arbeitete als Reporter für eine Nachrichtenagentur. Er schrieb für Andy Warhols Zeitschrift Interview, die New York Times und die Los Angeles Times. Seine Geschichten aus San Francisco, die berühmten «Tales of the City», verfasste er über fast zwei Jahrzehnte als täglichen Fortsetzungsroman für den San Francisco Chronicle. Maupin lebt mittlerweile in Großbritannien.