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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
636 Seiten
Deutsch
hockebookserschienen am08.06.2023Überarbeite Neuausgabe
London 1938: Sie sind das Traumpaar der swingenden Themsestadt: Amarna, Archäologin aus Berlin, und Arman, genialer Bildhauer armenischer Herkunft. Bewunderer und Neider ahnen jedoch nicht, dass ein dunkler Schatten ihre Liebe belastet: Durch den Völkermord an den Armeniern hat Arman seine Familie verloren und kann nicht tatenlos zusehen, wie in Deutschland von Neuem ein mörderisches Regime erstarkt. Eine Mauer scheint zwischen den Liebenden zu wachsen, und als der Krieg ausbricht, meldet Arman sich freiwillig zur Royal Air Force. Amarna muss sich ihren schlimmsten Ängsten stellen, um ihren Mann nicht zu verlieren. Am Fuß des Ararat, dem Schutzberg des armenischen Volkes, wird sich erweisen, was stärker ist - die Liebe oder der Hass.

Charlotte Lyne wurde 1965 in Berlin geboren, studierte Germanistik, Latein und Italienische Literatur in Neapel und Berlin sowie Anglistik in Berlin und London. Als Übersetzerin, Lektorin und Autorin lebt sie mit ihrem britischen Mann und ihren drei Kindern in London. Sie hat unter ihrem Namen und Pseudonymen zahlreiche Bücher unter anderem bei Droemer Knaur und Lübbe veröffentlicht, ihr Roman »Als wir unsterblich waren« stand wochenlang auf der Bestseller-Liste.
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Produkt

KlappentextLondon 1938: Sie sind das Traumpaar der swingenden Themsestadt: Amarna, Archäologin aus Berlin, und Arman, genialer Bildhauer armenischer Herkunft. Bewunderer und Neider ahnen jedoch nicht, dass ein dunkler Schatten ihre Liebe belastet: Durch den Völkermord an den Armeniern hat Arman seine Familie verloren und kann nicht tatenlos zusehen, wie in Deutschland von Neuem ein mörderisches Regime erstarkt. Eine Mauer scheint zwischen den Liebenden zu wachsen, und als der Krieg ausbricht, meldet Arman sich freiwillig zur Royal Air Force. Amarna muss sich ihren schlimmsten Ängsten stellen, um ihren Mann nicht zu verlieren. Am Fuß des Ararat, dem Schutzberg des armenischen Volkes, wird sich erweisen, was stärker ist - die Liebe oder der Hass.

Charlotte Lyne wurde 1965 in Berlin geboren, studierte Germanistik, Latein und Italienische Literatur in Neapel und Berlin sowie Anglistik in Berlin und London. Als Übersetzerin, Lektorin und Autorin lebt sie mit ihrem britischen Mann und ihren drei Kindern in London. Sie hat unter ihrem Namen und Pseudonymen zahlreiche Bücher unter anderem bei Droemer Knaur und Lübbe veröffentlicht, ihr Roman »Als wir unsterblich waren« stand wochenlang auf der Bestseller-Liste.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783957514035
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum08.06.2023
AuflageÜberarbeite Neuausgabe
Seiten636 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse4074 Kbytes
Artikel-Nr.11844203
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

Eva

Vor Berlin. Juni 1937

Weißt du, was noch widerlicher ist, als mit Schweinen zu verkehren?

Die Stimme ihres Geliebten schreckte Eva aus ihrer Betrachtung. Sie stand über die Halbtür des Kobens gebeugt, der Gestank war zum Gotterbarmen, und der Anblick kein bisschen erfreulicher. Dennoch musste sie sich zwingen, den Blick von den zwei Tieren abzuwenden. Mit den aufgetriebenen Leibern der Schweine erging es ihr wie mit allem, das aus der Masse hervorstach und ihren Blick einfing. Ihre Augen saugten sich fest. Ihr Hirn nahm Maß und fertigte eine Skizze an.

Ich habe dich etwas gefragt , sagte Martin. Aber dass du eine Frage, die derart absurd klingt, ignorierst, wundert mich nicht.

Statt zu antworten, nahm Eva ihn in Augenschein. Sein Gesicht hätte zu einem asketischen Mönch des Mittelalters gehören können. Sandhell und fein wie Kinderflaum tanzten Haarsträhnen über seiner Stirn und ließen die Haut auf dem markanten Schädel schimmern. Von seinen Augen schwärmte die halbe Nation. Ihr vages Graublau war die einzige Farbe, die nicht in der Tierwelt, sondern nur bei Menschen vorkam.

Eva lebte seit fünf Jahren mit ihm, sie neigte eher zum Spötteln als zum Schmachten, doch der Schnitt seiner Züge weckte noch immer die Schwärmerin in ihr. Sie war Künstlerin, Ästhetin, sie hatte das Recht, sich einen Mann zum Gefährten zu wählen, nach dem der Rest der weiblichen Bevölkerung mit umwölkten Blicken lechzte. Der schöne Martin. Etwas erschrocken lachte sie auf, weil eine gewisse Ähnlichkeit mit den Schweinen sich nicht leugnen ließ. Die rosige Nacktheit. Die Borsten, die aus der Schwarte wuchsen.

Beschimpften Menschen einander deshalb als Schweine? Weil die Ähnlichkeit sich aufdrängte?

Darf ich wissen, was so lustig ist? , fragte Martin.

Darf ich wissen, was dir die Petersilie verhagelt hat? , fragte Eva zurück.

Das alles hier. Martins Lippen wurden schmal. Dieser traurige Zirkus. Er zog sie an sich und küsste sie, als wollte er im Schweinestall mit ihr ins Bett. Lass uns nach Hause fahren, ja? Jetzt gleich.

Ohne das heilige Abendbrot? Eva zog die Brauen hoch und äffte den leidenden Tonfall von Martins Mutter nach: Jetzt habe ich extra meinen feinen Kartoffelsalat gemacht, soll ich den etwa wegschmeißen?

Martin verzog keine Miene. Mir egal , sagte er. Ich will zurück nach Berlin.

Aber Eva war noch nicht fertig. Während der Wochenendbesuche bei Martins Eltern fühlte sie sich stets, als müsste sie rund um die Uhr die Luft anhalten, und irgendwann platzte es dann aus ihr heraus. Unsereins hat s nicht so dicke , wimmerte sie, die Stimme der Mutter weiter imitierend. Bei uns wird die ganze Woche gekratzt, damit s am Sonntag zu Buletten reicht, aber ihr seid natürlich was Feineres gewöhnt. Mit einfacher Hausmannskost kann man solchen wie euch ja nicht kommen.

Wen Hildchen Serner mit solchen wie euch meinte, brauchte sie Eva nicht zu erklären. Ihren Zorn lebte sie an ihrem Haarknoten aus und rupfte daran, bis die Nadeln sich lösten. Auf der Schulter spürte sie schwere, streichelnde Strähnen, und ihr Hirn produzierte das Bild, das sich Martin bot: Eva, die Versucherin, den Verlust des Paradieses wert. So erging es ihr ständig: Immer sah sie das Bild, das andere von ihr hatten, so, als hätte sie die Augen ihrer Mitmenschen im Kopf.

Meine Schädelinnenwand muss als Leinwand für mein ewiges Selbstporträt herhalten , hatte sie Wilma erklärt, der göttlichsten Freundin, die eine Frau nur haben konnte.

Wilma hatte gelacht. Das kann ich deiner Schädelinnenwand nicht verdenken, bijou. Sie lachten so viel, wenn sie zusammen saßen, vor sich die hohen Tassen mit Wilmas Kaffee, in denen sie je nach Weltlage den Anteil an Pernod erhöhten, und eingenebelt in Wolken von Wilmas schwarzem Zigarettentabak. An manchen Tagen lachten sie die ganze Nazi-Partei, deren tausendjähriges Reich und alles, was daran kaputtging, weg.

Martins Miene war noch immer unbewegt. Er hielt Eva bei den Schultern und blickte sie mit seinen Menschenaugen an. Sie wollte auch weg. Weg von Schweineställen und Bouletten, Blicken voll Argwohn und der Düsternis in Brandenburgs Dorfstraßen. Zurück nach Berlin, in ihr brausendes Meer von Lärm und Lichtern, zurück in ihre weltschönste Straße, die selbst die Nazis nicht kleinkriegten, und auf einen Pernod in Wilmas Bistro.

Zurück zu Chaja.

Eva gehörte nicht zu den Frauen, die es kein Wochenende ohne die kostbare Frucht ihres Leibes aushielten. Sie gehörte nicht einmal zu den Frauen, die sich eine solche Frucht gewünscht hatten. Ich male Bilder, von mir bleibt genug auf der Welt , hatte sie denen entgegnet, die sich mit gekrauster Stirn erkundigt hatten, ob sie sich denn keine Kinder wünsche.

Sie hätte noch immer das Gleiche gesagt. Gegen ihre Sterblichkeit malte sie wie besessen an, dafür brauchte sie kein Kind. Sie war auch noch immer wild auf durchliebte Wochenenden ohne Chaja. Nicht gerade im Brandenburgischen, bei Hildchen Serners Schlachtschweinen, aber in Florenz oder am liebsten in Paris, diesem Schmelztiegel, der sämtliche Sinne zum Überkochen brachte. Es war ein köstliches Vergnügen, auf die Kulturschätze einer Traumstadt zu pfeifen und zwei Tage nur im Bett zu vertrödeln, ohne dass eine goldige Vierjährige ihre Himbeerbonbons in die Besucherritze zwischen den Matratzen klebte.

Aber zu Chaja nach Hause zu kommen, war nicht weniger köstlich. Irgendwann während des Heimwegs stellte sich unweigerlich der Chaja-Hunger ein, die Gier, diesen kleinen Körper an den eigenen zu pressen, die zarten Glieder zu spüren und die Nase in den Duft nach Honigmilch und Seife zu tauchen. Dem Vogelstimmchen zu lauschen, der atemlosen Folge von Liebeserklärungen. Chaja liebte den Postboten, den Sprecher der Funkstunde, den Hund des Eiermanns, Martins Agenten Hagen Fidelis, Wilma, die sie ma tante nannte, sämtliche Kinder, die sie kannte, und ihre Kinderfrau, das Fräulein Podewils. Inniger als all jene zusammen liebte sie jedoch Martin und Eva, und am allerinnigsten liebte sie sich selbst.

Ich bin Chaja Löbel, das zuckersüße Zentrum des Universums.

Eva musste noch einmal lachen.

Darf ich jetzt vielleicht wissen, was so komisch ist? , fragte Martin gereizt.

Nichts , sagte Eva. Ich habe nicht gelacht, weil etwas komisch wäre.

Die Schweine wühlten im Breischleim und gaben röchelnde Geräusche von sich. Als das fettere zu schmatzen begann, kapitulierte Evas Magen.

Martin fixierte sie. Fahren wir nach Hause?

Eva nickte und trat schon zum Ausgang. Der Gestank war auf einmal nicht mehr auszuhalten.

Die meisten Menschen, die aus dem brandenburgischen Kaff, in dem Martins Eltern lebten, nach Berlin reisten, nahmen den Zug. Martin hatte einen Chauffeur, den die Reichskulturkammer ihm stellte, aber während dieser Wochenendbesuche fuhr er selbst, um von niemandem gesehen zu werden. Er tat es, weil er das Kaff samt den Eltern, die ihn dort aufgezogen hatten, tunlichst verschwieg. Der schöne Martin verschwieg so manches.

Sie kamen rasch voran. Seit die Nazis ihre Reichsautobahnen bauten, als müssten alle Straßen nach Berlin führen, war die Strecke nur noch ein Katzensprung. Obendrein war es Sommer und der Abend hellgolden.

Eva war eine Stadtpflanze, süchtig nach menschlicher Schönheit und blind für die Reize von Landschaften. Sie malte Straßenschluchten, Hinterhöfe, Irrenhäuser, Gefängnisse und Leichenhallen, doch vor allem malte sie die Gestalten, die darin herumgeisterten. Gesichter, die im steinernen Dschungel verloren gingen, wenn niemand sie auf eine Leinwand bannte. Dinge, die unvergänglich waren, malte sie nicht. Keine Sonnenuntergänge über sandigen Urstromtälern, kein Gelb von Rapsfeldern, über die sich Nachtschwere senkte, keinen blühenden Holunder zwischen Tannenzweigen.

Dass auf dieser Reise in den Abend dennoch ein Zauber wirkte, überraschte sie. Jäh sehnte sie sich danach, die Geschwindigkeit zu drosseln, in der Schläfrigkeit des Ackerlandes dahinzuzockeln, statt Berlin entgegenzurasen, als könne keine Naturgewalt den Zwölfzylinder aufhalten. Als warte daheim, auf ihrer Insel in der Bleibtreustraße, eine Katastrophe auf sie.

Die letzten Male schon, als sie von einem Besuch bei Gerhard und Hildchen Serner zurück nach Berlin gefahren waren, hatte Eva einen Anflug von Beklommenheit verspürt, aber der hatte sie nie so eisig gepackt wie heute. Lass uns anhalten, hätte sie gern zu Martin gesagt, und im hohen Frühsommergras ein Picknick teilen, das nur aus Champagner besteht. So wie damals, als wir uns gerade gefunden hatten, als unsere Liebe uns derart einzigartig schien, dass alles, was wir taten, ebenfalls einzigartig sein musste.

Unsere Liebe ist einzigartig. Ich war die wilde Eva, der Sündenfall auf langen Beinen, in der Berliner Boheme gab es keinen einzigen hübschen Kerl, der nicht wusste, wie ich im Hotelbett schmeckte. Mit dir bin ich nicht in ein Hotel gegangen, sondern in mein Turmzimmer über der Kunsthandlung, in mein gläsernes Traumkabinett. Um deinetwillen bin ich weitergezogen, fort aus dem Turmzimmer, in deine Bleibtreustraße. Für dich bin ich sesshaft geworden und so gut wie treu, von ein paar Nächten, die nicht zählen, abgesehen. Von dir habe ich mir ein Kind machen lassen, einen dicken Bauch, in dem ein Tropfen Du und ein Tropfen Ich zu einem Ganzen schmolzen. Meine Liebe zu dir ist einzigartig, ob ich hundert Kerle vor dir hatte oder tausend. Ich habe von keinem ein Kind. Nur von...
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Autor

Charlotte Lyne wurde 1965 in Berlin geboren, studierte Germanistik, Latein und Italienische Literatur in Neapel und Berlin sowie Anglistik in Berlin und London. Als Übersetzerin, Lektorin und Autorin lebt sie mit ihrem britischen Mann und ihren drei Kindern in London. Sie hat unter ihrem Namen und Pseudonymen zahlreiche Bücher unter anderem bei Droemer Knaur und Lübbe veröffentlicht, ihr Roman »Als wir unsterblich waren« stand wochenlang auf der Bestseller-Liste.