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Ein Bild von Eintracht und Verlorenheit

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
368 Seiten
Deutsch
Pendragon Verlagerschienen am17.02.2012
Das Besondere an Max von der Grün ist, dass seine literarischen Texe Zeitdokumente und dennoch zeitlos sind. Seine pointierten Beschreibungen der Arbeitswelt und ihrer Unzulänglichkeiten haben ihn bekannt gemacht. Doch Max von der Grün hat zu einer Vielzahl anderer Themen gearbeitet. So erzählt er in diesem Band vom Krieg und von der Zeit danach. Von Mühsal, Elend und dem schwierigen Umgang mit den diktatorischen Machthabern. Er urteilt nicht, bezieht aber unmissverständlich Stellung. Er berichtet von seiner Fahrt zu einer KZ Gedenkstätte. Beschreibt Gedanken und Gefühle, bietet Identifikationsflächen. Seine lebendigenReisereportagen zeugen zudem von einem weitsichtigen Blick über den Tellerrand. Sie sind unterhaltsam und spannend zugleich.

Der 1926 in Bayreuth geborene Max von der Grün gilt als einer der wichtigsten deutschen Vertreter derLiteratur der Nachkriegszeit. Seine Werke haben noch heute eine Aktualität, die sich der 2005 in Dortmund verstorbene Schriftsteller wahrscheinlich selbst kaum hätte vorstellen können. Sein literarisches Niveau zusammen mit dem Mut, keiner Konfrontation aus dem Weg zu gehen, hat Max von der Grün viel Respekt, aber auch viel Ärger eingebracht.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextDas Besondere an Max von der Grün ist, dass seine literarischen Texe Zeitdokumente und dennoch zeitlos sind. Seine pointierten Beschreibungen der Arbeitswelt und ihrer Unzulänglichkeiten haben ihn bekannt gemacht. Doch Max von der Grün hat zu einer Vielzahl anderer Themen gearbeitet. So erzählt er in diesem Band vom Krieg und von der Zeit danach. Von Mühsal, Elend und dem schwierigen Umgang mit den diktatorischen Machthabern. Er urteilt nicht, bezieht aber unmissverständlich Stellung. Er berichtet von seiner Fahrt zu einer KZ Gedenkstätte. Beschreibt Gedanken und Gefühle, bietet Identifikationsflächen. Seine lebendigenReisereportagen zeugen zudem von einem weitsichtigen Blick über den Tellerrand. Sie sind unterhaltsam und spannend zugleich.

Der 1926 in Bayreuth geborene Max von der Grün gilt als einer der wichtigsten deutschen Vertreter derLiteratur der Nachkriegszeit. Seine Werke haben noch heute eine Aktualität, die sich der 2005 in Dortmund verstorbene Schriftsteller wahrscheinlich selbst kaum hätte vorstellen können. Sein literarisches Niveau zusammen mit dem Mut, keiner Konfrontation aus dem Weg zu gehen, hat Max von der Grün viel Respekt, aber auch viel Ärger eingebracht.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783865322876
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum17.02.2012
Seiten368 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2111 Kbytes
Artikel-Nr.11957119
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Christoph Klein und der Stier

Den Grubenlokführer Christoph Klein kannte ich, noch bevor sein Beruf ihn zum Krüppel schlug. Ein stiller Mann, er unterband jeden aufkommenden Streit, indem er weglief, und dreißig Arbeitsjahre konnten ihn nicht dazu bringen, den rauen Umgangston anzunehmen, der in der Regel unter Tage herrscht.

Bescheiden und gewissenhaft verrichtete er ohne großes Aufsehen die ihm zugeteilte Arbeit, fuhr die Kohlenzüge aus den Revieren zum Schacht, die Leerzüge vom Schacht in die Reviere, und manchmal auch die Personenzüge.

Fünfzig Jahre war er alt, als ich ihn kennen lernte. Wieder hatte ich verschlafen, und es war unmöglich, innerhalb der eingegrenzten Seilfahrtszeit in die Grube zu kommen; mit halbstündiger Verspätung gelangte ich zur 6. Sohle. Natürlich war der Personenzug längst abgefahren, und fünf Kilometer Fußmarsch auf schlüpfriger Sohle ist kein Vergnügen, zumal noch die kräfteraubende Schicht bevorstand, und hätte Lokführer Klein mich nicht eingeladen, in das Führerhaus seiner Maschine zu steigen - er wollte mich zur achten Abteilung fahren -, so hätte ich die fünf Kilometer tatsächlich laufen müssen. Dazu brauchte man immerhin über eine Stunde. Die dazukommenden Unannehmlichkeiten am Arbeitsplatz wiegen schwerer als der Verdienstausfall. Dank Kleins Hilfsbereitschaft erreichte ich fast pünktlich meinen Betriebspunkt.

Tage später trug mir ein Freund zu, über den Lokführer sei meinetwegen ein Donnerwetter niedergegangen, der Steiger sei so wütend über die Eigenmächtigkeit des Mannes gewesen, dass er ihn beim Betriebsführer angeschwärzt habe.

Auf meine Frage, wie der Mann sich verteidigt habe, antwortete mein Freund, Klein habe zu Steiger und Betriebsführer gesagt, man hätte mich doch nicht zu Fuß laufen lassen dürfen, ich wäre dann ermüdet an die Arbeit gekommen. Seine einfältige Antwort entwaffnete die anderen, wahrscheinlich deswegen, weil seine kleine Menschlichkeit so ungeheuerlich war und in einem Großbetrieb überflüssig; er hatte gewagt, Mensch zu sein, das machte seine Vorgesetzten stumm.

Es war damals mein erstes und zugleich letztes Zusammentreffen mit Christoph Klein, in der Folgezeit erfuhr ich aber noch sehr viel über sein Leben, und nichts Erfreuliches.

Zehn Jahre sind seitdem vergangen - und in dieser Zeit widerfuhren ihm Dinge, die ich nicht ertragen hätte.

Vier Wochen, nachdem ich ihn kennen gelernt hatte, starb seine Frau an den Folgen eines Verkehrsunfalls, ein Jahr später verunglückte sein einziger Sohn in der Grube tödlich. Vierzehn Tage nach dem Verlust seines Sohnes verunglückte Klein selbst schwer; beim Ankoppeln der Förderwagen rutschte er so unglücklich, dass sein rechtes Bein vor das Rad eines eisenbeladenen Wagens zu liegen kam und sein Kopf zwischen die aufeinander klatschenden Puffer sackte. Man hielt ihn schon für tot; er lag drei Wochen im Krankenhaus ohne Bewusstsein, nach zwei Jahren konnte er, geheilt, aber nicht mehr arbeitsfähig, entlassen werden. Sprache und Gehör hatte er verloren, er hinkte, und seine rechte Schulter stieß spitz nach oben, die linke hing schlaff.

Die Rente, die er zugesprochen bekam, war nicht allzu hoch, dennoch konnte er bescheiden leben. Er zog zu einem entfernten Verwandten seiner Frau, der im Münsterländischen einen Hof besaß und einige Hektar Land bebaute.

Der Bauer nahm ihn auf, weniger aus Mitleid, als vielmehr in der Hoffnung, eine billige Arbeitskraft zu bekommen, denn außer einem Zimmer und der Mahlzeit beanspruchte der einstige Kumpel nichts. Dafür aber war Klein täglich auf den Beinen und bald war er dem Bauern eine unersetzliche Hilfe geworden, denn Bergleute sind in der Regel handwerklich geschult und begabt für alle möglichen Arbeiten, und der Bauer sparte hinfort Zimmermann, Maurer und Dachdecker.

Das Leben des einstigen Bergmannes ging seinen ruhigen und geregelten Gang, seine Existenz auf dem Hof war nur durch Essen und die geleistete Arbeit bemerkbar.

Im vergangenen Frühjahr hörte ich noch einmal von ihm, las über ihn in der Zeitung und sah sein Bild. Am nächstfreien Samstag fuhr ich in das Dorf und ließ mir die Geschichte erzählen.

Das fünfhundert Einwohner zählende Bauerndorf W., unweit der Eisenbahnlinie Dortmund-Münster, durcheilte in den späten Nachmittagsstunden der Ruf: Felix ist ausgebrochen!

Felix, der mehrfach preisgekrönte Bulle des Bauern Wöhrmann, war nicht nur der Stolz des Bauern und des Dorfes, er war zu einem Wahrzeichen des Münsterlandes geworden. Der Bauer hatte die leere Box vorgefunden und dachte erst, das wertvolle Tier sei gestohlen worden, er ließ den Gedanken aber schnell fallen, nachdem er Spuren an den Eichenwandungen der Box bemerkte, die darauf hinwiesen, dass der Bulle ausgebrochen war.

Sein Angstschrei schreckte das ganze Dorf auf, und plötzlich rannten alle zu einer bestimmten Stelle, von der es hieß, dass Felix dort aufzufinden sei.

Massig stand der Bulle am Rande eines Wassertümpels auf der Koppel, die unmittelbar an den Obstgarten grenzte und wohin er ab und zu, natürlich am Nasenring gesichert, zum Weiden geführt wurde. Der Stier glotzte in das brackige Wasser, und alle guten und beschwörenden Worte des Bauern nützten nichts, das Tier wehrte sich, indem es gegen seinen Herrn anrannte, und Felix Wut steigerte sich in dem Maße, wie erregte Rufe aus der anwachsenden Menschenmenge in die Koppel drangen.

Zu allem Übel donnerte nah ein Schnellzug vorbei. Sein Geratter regte Felix noch mehr auf, so dass er mit gesenktem Kopf durch die Koppel galoppierte, gegen alle anraste, die nur den leisesten Versuch wagten, sich ihm zu nähern. Mistgabel- und stangenbewehrt umkreisten die Männer das wütende Tier, das aber fand stets eine Lücke, sich der Einkreisung zu entziehen.

Die Feuerwehr, vom Dorfpfarrer telefonisch herbeigerufen, fuhr mit zwei Löschwagen in das Dorf ein, und ein paar Minuten später begrenzten die ausgestoßenen Wasserstrahlen den Bewegungsraum des Bullen. Man glaubte sich schon am Ziel, das Tier ausbruchssicher eingeengt zu haben, da setzte der für schwerfällig gehaltene Felix mit mächtigen Sätzen durch die Umklammerung des Wassers, über den Weidezaun auf das freie Feld, und erst einige hundert Meter weiter, vor dem steilen Bahndamm, stand das Tier zitternd still. Die Männer brüllten vor Wut, die Frauen schrien aus Angst, die Kinder johlten, sie hatten im öden Alltag ihren Spaß gefunden.

Niemand weiß, wer die Bundeswehr benachrichtigte, vielleicht kam sie auch von ungefähr vorbei, jedenfalls fuhren, als der Bulle über das Land tobte - sei es aus Lust über die vorher nie geschmeckte Freiheit oder aus Angst über so viele Menschen -, drei Lastwagen in das Dorf, und die schnell abgesprungenen Soldaten reihten sich in die Verfolgergruppe ein. Die Bauern hatten nun durch Feuerwehr und Bundeswehr uniformierte Verstärkung bekommen.

Noch ehe die ersten Verfolger den Bullen erreichten, schnaufte der die Böschung hoch, stand wenige Sekunden zwischen den Schienen still und war plötzlich wie vom Erdboden verschwunden.

Bauern, Uniformierte, Frauen und Kinder rannten auf den Bahndamm, aber sie sahen nur das weite Land nach Süden, verstreut ein paar rot bedachte Häuser; unmittelbar vor ihnen, in einer Senke, einen übermannshohen Strohhaufen und auf dem anschließenden Feld einen verkrüppelten Mann, der mit Rübenverziehen beschäftigt war.

Da erhob sich der Mann, es war der taubstumme Christoph Klein, weil er im Strohhaufen etwas Glitzerndes sah, golden in der schrägen Sonne, und er wollte wissen, was es war. Er ließ seine Harke fallen, ging an den Strohhaufen, fasste das Aufglänzende, in dem er nun einen Ring fühlte, und zog daran. Auf dem Bahndamm aber standen die Menschen und suchten das Land ab, es war ihnen unbegreiflich, wohin der Bulle in den wenigen Sekunden gelaufen sein konnte. Einige Männer waren den Bahndamm hinuntergelaufen, Christoph Klein zu warnen, der aber sah und hörte nichts, er zog nur und zog an dem Ring im Strohhaufen. Plötzlich schälte sich unter Prusten und Schnaufen aus dem Haufen, von gebrochenen Halmen umkleidet, der Bulle, und wenn Klein auch erschrocken war, er zerrte nur fester den Ring und damit den Bullen zu sich. Je kraftvoller er zog, desto gefügiger wurde das Tier, so dass es schließlich lammfromm hinter dem Buckligen hertrottete, die wenigen Meter zum Aschenweg, der in geringem Anstieg die Bahngeleise kreuzte und sich dann weiter zum Dorf wand.

Das Angstgeschrei der Menge löste sich in Lachen auf, und alle, die vorher Felix aus sicherer Entfernung verflucht hatten, kamen nun angelaufen und klopften die prallen Hinterteile des Bullen und auch die verkrüppelten Schultern des einstigen Kumpels.

Christoph Klein ahnte, dass er und der Bulle zum Mittelpunkt großer Freude geworden waren. Klein lachte, er führte den Bullen in den Stall, die Johlenden kehrten zu ihrer Arbeit zurück, die Bundeswehr fuhr singend aus dem Dorf, die Feuerwehr begoss bis spät in die Nacht den glücklichen Fang.

Vier Wochen nach meinem Besuch las ich Christoph Kleins Todesanzeige in der Zeitung, der, wenn auch nur für einen Tag, eine lokale Berühmtheit gewesen war. Er sei das Opfer eines tragischen Unfalls geworden, hieß es.

Wieder fuhr ich hinaus, mich interessierte sein Ende, so wie mich früher sein Leben interessiert hatte. Im Wirtshaus, als einziger Gast, erkundigte ich mich nach den Einzelheiten, und der Wirt gab mir auch bereitwillig Auskunft.

Tja, sagte er, der Christoph war ja nun nicht richtig im Kopf; seit er den Stier gefangen hat, arbeitete er keinen Handschlag mehr. Er ging nur noch spazieren. Mit Hut.

Tja, und immer hat er den Felix geärgert, und der wurde...
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Autor

Der 1926 in Bayreuth geborene Max von der Grün gilt als einer der wichtigsten deutschen Vertreter derLiteratur der Nachkriegszeit. Seine Werke haben noch heute eine Aktualität, die sich der 2005 in Dortmund verstorbene Schriftsteller wahrscheinlich selbst kaum hätte vorstellen können. Sein literarisches Niveau zusammen mit dem Mut, keiner Konfrontation aus dem Weg zu gehen, hat Max von der Grün viel Respekt, aber auch viel Ärger eingebracht.