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Der Untergang der Stadt Wrest

Bärenklau Exklusiverschienen am01.07.2023
In der Nacht von Donnerstag, 24.April 1986, auf Freitag, 25.April 1986, wurde die Stadt Wrest durch ein gewaltiges Erdbeben und ein dadurch verursachtes Großfeuer in Schutt und Asche gelegt. Einen Tag später brach in Folge dieses Bebens eine Bergwand ein, hinter der ein großer und tiefer See lag, dessen Wasser die Ruinen anschließend völlig überflutete. Die Zahl der Menschen, die dabei ums Leben kamen, ist unbekannt. Gleiches gilt bis heute für die genauen Umstände, wie es zu dieser Katastrophe kam.
Im Folgenden wird versucht, ein wenig Licht ins Dunkel dieser Ereignisse zu bringen, Ereignisse, die ihren Ursprung in einem alten, verheerenden Fluch haben, von dem niemand glauben wollte, dass er jemals in Erfüllung gehen würde...


Alfons Winkelmann ist ein deutscher Autor und mehrfach preisgekrönter Literatur-Übersetzer.
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Verfügbare Formate
Book on DemandKartoniert, Paperback
EUR22,99

Produkt

KlappentextIn der Nacht von Donnerstag, 24.April 1986, auf Freitag, 25.April 1986, wurde die Stadt Wrest durch ein gewaltiges Erdbeben und ein dadurch verursachtes Großfeuer in Schutt und Asche gelegt. Einen Tag später brach in Folge dieses Bebens eine Bergwand ein, hinter der ein großer und tiefer See lag, dessen Wasser die Ruinen anschließend völlig überflutete. Die Zahl der Menschen, die dabei ums Leben kamen, ist unbekannt. Gleiches gilt bis heute für die genauen Umstände, wie es zu dieser Katastrophe kam.
Im Folgenden wird versucht, ein wenig Licht ins Dunkel dieser Ereignisse zu bringen, Ereignisse, die ihren Ursprung in einem alten, verheerenden Fluch haben, von dem niemand glauben wollte, dass er jemals in Erfüllung gehen würde...


Alfons Winkelmann ist ein deutscher Autor und mehrfach preisgekrönter Literatur-Übersetzer.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783757940898
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum01.07.2023
Seiten496 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse623
Artikel-Nr.12062110
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

2015: Die verlorene Mutter

 

Wir hatten meinen Vater Tomas begraben, und das war ein sehr schmerzlicher Gang gewesen, zumal die Umstände seines Todes reichlich merkwürdige gewesen waren. Acht Wochen war es her, da war er auf einmal verschwunden. Er hatte wie üblich am frühen Nachmittag unsere Wohnung verlassen, hatte Sabine, der Frau, die ich zu diesem Zeitpunkt noch immer für meine Mutter gehalten hatte, seinen üblichen Abschiedskuss gegeben, war ins Auto gestiegen und losgefahren. Wie sie gedacht hatte, in die Gaststätte, in der er arbeitete. Aber schon zwei Stunden später war der Anruf gekommen. Der Chef meines Vaters, Josef van Galen, war am Apparat und fragte nach, wo denn sein Angestellter bliebe. Er sei doch sonst immer pünktlich. Ob er plötzlich erkrankt sei?

Meine Mutter war völlig fassungslos. Auch ihr war es ein Rätsel, warum ihr Mann nicht bei seiner Arbeitsstelle erschienen sein sollte. Das sagte sie Herrn van Galen, und sie versprach, sie wolle so schnell wie möglich in Erfahrung bringen, was denn los sei. Nachdem sie aufgelegt hatte, rief sie sogleich bei mir an. Ich war an diesem Tag etwas früher nach Hause gekommen, weil es meiner Frau Kordula nicht so gut ging und ich mich daher um unsere Kinder kümmern wollte. Ich war natürlich ebenso überrascht und erschrocken wie sie, wusste mir jedoch zunächst auch keinen Rat. Ja, er sei weggefahren wie immer, kurz nachdem sie aus der Praxis zurückgekehrt sei. Er habe mit keinem Wort angedeutet, dass er nicht zur Arbeit fahren wolle. Ja, es stimme, dass er in letzter Zeit immer mehr in sich gekehrt gewesen sei. Das sei ihr schon aufgefallen. »Ich komme gleich mal rüber«, sagte ich abschließend und legte auf. Es tat mir leid für Kordula, aber meine Frau hatte mitbekommen, um was es ging, und sie versicherte mir: »So schlecht geht es mir auch wieder nicht. Fahr los und kümmere dich um deine Mutter und sieh mal, ob du was tun kannst.«

Da ich immer noch einen Schlüssel zur Wohnung meiner Eltern hatte, tippte ich, wie gewöhnlich, nur zweimal kurz auf den Klingelknopf, bevor ich die Tür öffnete. Ich fand meine Mutter in Vaters Arbeitszimmer vor. Er nannte es so, obwohl es im Grund gar keines war. Es war ein Raum, der als zweites Kinderzimmer gedacht gewesen war, wohin er sich regelmäßig zurückzog und wo ihn niemand stören durfte. Eine seltsame Gepflogenheit, so war es mir immer erschienen, aber eine, die meine Mutter offenbar hinnahm, ohne zu fragen. Einmal, da war ich vielleicht vierzehn, fünfzehn Jahre alt gewesen, war ich hineingegangen, ohne vorher anzuklopfen, und hatte meinen Vater dabei ertappt, wie er vor einem - seinem - Atlas saß, eine ganz bestimmte Seite aufgeschlagen hatte und davor brütete. Als ich ihn ansprach, fuhr er herum, sprang auf und wurde richtiggehend wütend. Er hob sogar die Hand, als ob er mich schlagen wollte, etwas, was er sonst nie getan hätte. Ich weiß noch, dass ich zurückschreckte, aus seinem Arbeitszimmer floh und Trost bei meiner Mutter in der Küche suchte. Sie saß dort auf ihrem Höckerchen neben dem kleinen Arbeitstisch und studierte ein Pflanzenbuch, wie sie es häufig tat, wenn sie die Hausarbeit erledigt und einen Moment für sich hatte, und auch häufig, wenn sie von ihrer Arbeit in der Arztpraxis zurückgekehrt war. An besagtem Tag blickte sie auf und fragte: »Stepan, was ist?«

Sie sah müde aus. Wahrscheinlich war in der Praxis wieder sehr viel zu tun gewesen. Vielleicht hatte es auch einen besonders schweren Fall gegeben. Ich war inzwischen alt genug, um das zu erkennen und auch zu wissen, dass sie in solchen Momenten wirklich ihre Ruhe brauchte. Dennoch berichtete ich ihr vom seltsamen Verhalten meines Vaters, und sie nickte nur und sagte: »Stepan, nimm es nicht zu schwer. Dein Vater braucht das manchmal, und du weißt doch, dass er dann wirklich nicht gestört werden möchte.« Und sie fügte lächelnd hinzu, wie um ihre Worte abzuschwächen: »Es sind Geister, die ihn da heimsuchen. Das wirst du vielleicht irgendwann mal verstehen.« Sie legte das Buch beiseite, stand auf und nahm mich in die Arme, wie sie es häufig tat. Auf der einen Seite war mir das als pubertierendem Jungen unangenehm, auf der anderen tröstete es mich trotz allem, und ich ließ mir sogar über meine sehr lang gewachsenen Haare streicheln, weil ich wusste, dass sie das ihrerseits brauchte. Zudem sah es ja sonst niemand.

An jenem Nachmittag also, als mein Vater spurlos verschwand, war sie unmittelbar nach dem Anruf bei mir in Vaters Arbeitszimmer gegangen, wo ich sie vorfand. Sie war gerade dabei, den großen Schreibtisch abzusuchen. Sie schob Papiere herum, eng beschriebene Papiere, zog die Schubladen auf, wühlte darin, schob in den Regalen die Bücher beiseite, soweit das möglich war, und murmelte dabei wiederholt: »Wo ist er, wo ist er, er muss doch hier sein?« »Tag, Mutter, was suchst du?« Sie fuhr erschrocken herum, und der Schrecken wich erst, als sie mich erkannte. Sie kam zu mir und legte mir, wie sie es schon immer gern getan hatte, die Arme auf die Schultern. Da ich inzwischen wesentlich größer als sie war, musste sie sich dazu fast auf die Zehenspitzen stellen. Auf ihrem Gesicht entdeckte ich jedoch etwas, was mich mit großer Sorge erfüllte: einen Kummer, gepaart mit so etwas wie Resignation. Als ob sie etwas wüsste oder wenigstens ahnte. Es musste mit dem zu tun haben, was sie da bisher vergebens gesucht hatte. »Komm«, sagte ich zu ihr. »Lass uns in die Küche gehen, ja? Du hast doch bestimmt einen Kaffee aufgesetzt?« Ich wusste, dass sie das immer tat, wenn sie nach Hause zurückgekehrt war. Sie nickte, und wir setzten uns, wie früher so häufig, an den kleinen Arbeitstisch, und meine Mutter schenkte uns beiden jeweils einen Becher voll. Ich goss mir Milch in den Kaffee, meine Mutter trank ihn schwarz.

»Also«, begann ich, nachdem wir beide einen Schluck getrunken hatten, »was könnte passiert sein?« Ich gab mir Mühe, so nüchtern und sachlich wie möglich zu klingen. Mir erschien es wie die einzig vernünftige Herangehensweise, und meine Mutter hatte das offenbar ebenfalls begriffen, denn sie antwortete ebenso sachlich: »Ich kann s dir nicht sagen, Stepan. Alles war so wie sonst auch. Er ist aus dem Haus und mit unserem Wagen losgefahren. Wie immer. Ich habe ihm vom Küchenfenster aus nachgesehen, wie ich das auch fast immer mache.« Sie musste sich beherrschen, um nicht erneut in Tränen auszubrechen. »Zwei Stunden später rief Herr van Galen an.« Ich trank erst noch einmal einen Schluck. Dann stellte ich den Becher zurück, stützte die Ellbogen auf die Tischplatte und legte das Kinn in die Hände. Überlegte. Konnte mir allerdings nicht im Geringsten einen Reim darauf machen, was da plötzlich in meinen Vater gefahren sein sollte, dass er einfach so mir nichts, dir nichts verschwunden war. »War er in letzter Zeit irgendwie anders?«, fragte ich noch einmal. Ich hätte erwartet, dass sie sogleich heftig den Kopf schütteln würde. Zu meiner erneuten Überraschung nickte sie jedoch langsam. »Ja, da ist vor ein paar Wochen etwas Merkwürdiges passiert. Ich habe mir nicht viel dabei gedacht, aber deinen Vater hat es offenbar sehr erschüttert. Warum, kann ich mir beim besten Willen nicht erklären.« Sie hielt inne, und ich wurde ungeduldig. »Nun, sag schon!« Sie sah mich an. »Du hältst mich nicht für â¦ überspannt, Stepan, nein?«

»Wie kommst du denn darauf?«, fragte ich verblüfft zurück, woraufhin sie erwiderte: »Na ja, das klingt jetzt wirklich etwas seltsam, aber da ist vor ein paar Wochen auf der Straße unten eine Frau aufgetaucht, die ich hier noch nie zuvor gesehen habe. Du weißt, dass wir ein bisschen am Ende der Welt wohnen und sich normalerweise keine Fremden hierher verirren. Aber diese Frau â¦ sie war schlank, hatte wunderbares, tiefschwarzes Haar, das sie zu zwei Zöpfen geflochten hatte, die ihr bis auf den Hintern reichten. Dazu trug sie ein Kleid, das eine Art von Tracht gewesen sein muss, die ich allerdings auch nie zuvor gesehen hatte. Es war kurz bevor dein Vater zur Arbeit fahren wollte. Wir standen hier in der Küche, und ich hatte nur zufällig hinausgesehen und machte Tomas auf die Frau aufmerksam. Er hatte sie kaum erblickt, da wurde er totenblass, und er sah rasch wieder weg. Auf meine Frage, was er habe, gab er keine Antwort, sondern sagte nur, dass er jetzt losmüsse. Dann ging er.« Sie streckte die Hände aus und ergriff mich an den Unterarmen. »Seit dem Tag war er anders geworden«, sagte sie. »Aber er wollte mir nicht erklären, was eigentlich war. Die Frau war übrigens verschwunden, als ich noch einmal aus dem Fenster geguckt habe. Ich weiß bis heute nicht, ob sie wirklich irgendetwas mit dem Verhalten deines Vaters zu tun hatte.« Sie versuchte sich sogar in einem Lächeln, das jedoch etwas kläglich ausfiel. »Widmen wir uns doch pragmatischeren Dingen«, fuhr sie gespielt munter fort. »Was tun wir? Die Polizei anrufen? Ich glaube, dazu ist es noch etwas früh. Abwarten, ob er nicht doch vielleicht auftaucht? Bleibt uns etwas anderes übrig?«

Mir fiel etwas ein. »Was hast du da vorhin eigentlich in Vaters Arbeitszimmer gesucht?« Sie schüttelte den Kopf. »Das war nur so eine Idee gewesen, weißt du, Stepan. Er hat sich doch immer wieder diesen Atlas vorgenommen, den sonst keiner anfassen durfte. Ich habe mir gedacht, dass sich da vielleicht etwas drin finden lässt â¦ aber er ist ebenfalls verschwunden. Vielleicht hat er ihn mitgenommen.« Auf einmal brach sie zusammen. »Stepan, ich weiß nicht, was ich tun soll! Ich fühle mich so hilflos! So absolut hilflos! So etwas hat er doch noch nie getan!« Sie schluchzte, und ich trat zu ihr und nahm sie meinerseits fest in die Arme. Noch nie war mir so richtig zu Bewusstsein gekommen, dass meine Mutter so klein war, und mir kam es - absurder...
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