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Wäre es schön? Es wäre schön!

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
416 Seiten
Deutsch
Schöffling & Co.erschienen am22.06.2023
»Wäre es schön? Es wäre schön!« lautet die Überschrift eines von vielen Leitartikeln des glänzenden Journalisten Rudolf Herrnstadt. Bekannt wird der aus einer jüdischen Familie aus Oberschlesien stammende engagierte Kommunist, den es früh nach Berlin zieht, in der Weimarer Republik als Redakteur des Berliner Tageblatts. Langjährige Aufenthalte in Moskau, wo er auch eine Familie gründet, prägen ihn. Nach seiner Rückkehr steigt er auf zum Chefredakteur der Parteizeitung der DDR, bleibt aber eine streitbare Stimme. Aufgrund seiner Kritik am Umgang der Partei mit den Menschen wird er am Ende aus der SED ausgeschlossen. Aus Irina Liebmanns Gesprächen mit Zeitzeugen entsteht das Bild eines leidenschaftlichen und ironischen, humorvollen und radikalen Menschen, der bei den eigenen Genossen immer wieder aneckt. Mit der Vision einer Gesellschaft, in der die Einzelnen sich frei entfalten können, ist Herrnstadt tragisch gescheitert. Als großer Akteur der Zeitgeschichte bleibt er in diesem Buch lebendig.

Irina Liebmann, geboren 1943 in Moskau als Tochter des deutschen Journalisten Rudolf Herrnstadt und der russischen Germanistin Valentina Herrnstadt, lebt als freie Schriftstellerin in Berlin. Fu?r ihre Bu?cher wurde sie vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Berliner Literaturpreis (1998), dem Preis Von Autoren fu?r Autoren des Lu?becker Literaturtreffens (2015) und mit dem Uwe-Johnson-Preis (2020). Fu?r Wäre es schön? Es wäre schön! erhielt sie 2008 den Preis der Leipziger Buchmesse. Ihr Werk erscheint in Neuausgaben bei Schöffling & Co. www.irina-liebmann.de
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR28,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR21,99

Produkt

Klappentext»Wäre es schön? Es wäre schön!« lautet die Überschrift eines von vielen Leitartikeln des glänzenden Journalisten Rudolf Herrnstadt. Bekannt wird der aus einer jüdischen Familie aus Oberschlesien stammende engagierte Kommunist, den es früh nach Berlin zieht, in der Weimarer Republik als Redakteur des Berliner Tageblatts. Langjährige Aufenthalte in Moskau, wo er auch eine Familie gründet, prägen ihn. Nach seiner Rückkehr steigt er auf zum Chefredakteur der Parteizeitung der DDR, bleibt aber eine streitbare Stimme. Aufgrund seiner Kritik am Umgang der Partei mit den Menschen wird er am Ende aus der SED ausgeschlossen. Aus Irina Liebmanns Gesprächen mit Zeitzeugen entsteht das Bild eines leidenschaftlichen und ironischen, humorvollen und radikalen Menschen, der bei den eigenen Genossen immer wieder aneckt. Mit der Vision einer Gesellschaft, in der die Einzelnen sich frei entfalten können, ist Herrnstadt tragisch gescheitert. Als großer Akteur der Zeitgeschichte bleibt er in diesem Buch lebendig.

Irina Liebmann, geboren 1943 in Moskau als Tochter des deutschen Journalisten Rudolf Herrnstadt und der russischen Germanistin Valentina Herrnstadt, lebt als freie Schriftstellerin in Berlin. Fu?r ihre Bu?cher wurde sie vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Berliner Literaturpreis (1998), dem Preis Von Autoren fu?r Autoren des Lu?becker Literaturtreffens (2015) und mit dem Uwe-Johnson-Preis (2020). Fu?r Wäre es schön? Es wäre schön! erhielt sie 2008 den Preis der Leipziger Buchmesse. Ihr Werk erscheint in Neuausgaben bei Schöffling & Co. www.irina-liebmann.de
Details
Weitere ISBN/GTIN9783731762416
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum22.06.2023
Seiten416 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2659 Kbytes
Artikel-Nr.12068304
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Prolog

Es ist gewagt, über seinen Vater zu schreiben, wenn man sechzig ist, aber vorher ist es mir nicht eingefallen. Da wollte ich ein eigenes Leben führen, selbst gebaut und selbst verantwortet, und nicht die Tochter eines berühmten Mannes sein, nur das nicht!

Es ist ein sogenanntes emanzipiertes Leben geworden, aber nun, wo ich auf Eigenes zurückblicken könnte, sehe ich zu ihm. Mehr noch - alles, was ich geschrieben habe, die Bücher, die Dramen, die Lieder mit ihren unterschiedlichen Themen erscheinen mir wie Stückchen, abgebrochen von dem Ganzen, das ich ausgelassen habe, und in der Mitte davon steht er.

Das ist natürlich auch das Bild eines psychischen Schadens: Vaterkomplex. Auch deswegen, weil ich davon immer wusste, unterließ ich es, sein Leben in meiner Arbeit zu beschreiben, ich führte auch gern einen anderen Namen, aber manchmal erwähnte ich ihn im Gespräch, und wenn dann ein in der jüngsten deutschen Geschichte gebildeter Mensch gerade dabeistand, dann kam dieses: »Ach!«

Und sofort war er wieder da, dieser Mann, den eine Zeit lang alle gekannt hatten und über den sie nichts wussten oder zu wenig, der aber Beunruhigung hinterlassen hatte, eine Spur in der Luft sozusagen, die nur langsam verebbte.

Aber tat sie das überhaupt?

Bei einem meiner letzten Umzüge geriet mir wieder ein Kinderbild in die Hände: Ich selber im Sommerkleid, etwa vier Jahre alt. Dieses Foto steckte in einem ordentlichen Passepartout, Seidenpapier war drübergelegt und hinten auf der Pappe ein Stempel der Fotografin: Eva Kemlein Pressefotos.

Da ich oft umzog, war mir der Name der Fotografin mit den Jahren geläufig, also hörte ich hin, als einmal im Radio ein Gespräch mit ihr angekündigt wurde. Sie lebt noch, dachte ich, es gibt sie also wirklich. Ich suchte den Namen im Telefonbuch und fand ihn. Rief sie an und sie war da. Wir verabredeten einen Besuch.

Es war Februar. Sie wollte, dass ich abends komme. Trotz der Dunkelheit fand ich das Haus ziemlich schnell, ein billiges Mietshaus, die Wohnung weit oben, ich klingelte. Diesen Weg zu ihr war ich bereits wegen meines Vaters gegangen, warum nun auf einmal, das weiß ich nicht, es trieb mich an, dass sie ihn gekannt hatte, das hatte ich ihr auch als Begründung gesagt. Ich klingelte also - nichts rührte sich. Ein Hund bellte. Ich wartete eine Weile vor der Wohnungstür, dann klingelte ich wieder. War sie nicht da? Hatte sie mich vergessen oder Angst bekommen oder ging es ihr schlecht? Die Frau war dreiundneunzig Jahre alt und lebte allein.

Alles blieb still. Sie kam nicht. Nur der Hund bellte.

Ich stand noch eine Weile vor der Tür, dann wollte ich gehen, da schob sich die Tür einen Spalt auf. Da stand ein Gnom, eine kleine, bizarre Figur! Einen Meter dreißig vielleicht in der Höhe. Der Kopf hing herunter, der Körper verdreht, stützte sich auf einen Stock mit breitem Elfenbeingriff, und die Beine, die Beine! Voreinander zusammengekrumpelt und in orthopädischen Schuhen.

Als der Hund sich beruhigt hatte, konnte ich zusehen, wie sie sich vorwärtsbewegte - Zentimeter um Zentimeter. Sie hatte zehn Minuten gebraucht, um zur Tür zu kommen. So war das also.

Sie schob sich mit äußerster Kraftanstrengung voran.

- Tut es weh?

- Fragen Sie nicht.

Eine kräftige, tiefe Stimme kam aus ihrem Winzlingskörper.

Eva Kemlein konnte den Kopf nicht heben. Wenn sie mich ansah, sah sie von unten hoch, die Augen blickten nach oben aus einem hängenden Kopf. Sie freute sich!

Die kleine Wohnung hatte zwei Zimmer, der Tisch war gedeckt. Ein Abendbrot!

Dafür musste sie Stunden gebraucht haben. Sie brauchte ja viele Minuten, bis sie den Tisch nun auch wieder erreichte. In niedrigen Sesseln saßen wir dran, ich stand aber wieder auf, um den Tee zu kochen, und sah sie von hinten, so grau und den Kopf auf der Brust hängend, das kleine Figürchen - ein Geist, dachte ich, wie ein Geist!

Die Stimme passte gar nicht dazu.

- Ihr Vater ist hier gewesen, sagte sie, ohne dass ich fragen musste.

Im Mai 1945, genau an dem Tag, als sie mit ihrem Mann diese Wohnung bekommen hätte, da habe ein Auto dort unten gehalten und Fritz Erpenbeck habe vor der Tür gestanden und gesagt, er sei einer von den KPD-Leuten, die gerade aus Moskau zurück seien, und nun würden sie eine Zeitung machen und brauchten dafür einen Fotografen.

- Und im Auto, da saß Ihr Vater.

Er habe einen ungeheueren Eindruck auf sie gemacht, sagte Eva Kemlein, einen ganz unbeschreiblichen Eindruck.

Ich bat sie, genauer zu sein, aber das konnte sie nicht. Sie sei eben so einem Menschen vorher noch nie begegnet und später auch nicht mehr.

An dieser Stelle winkte ich ab, so sei ja meine Erinnerung auch, sagte ich, aber bei mir sei es der Vaterkomplex.

- Sie haben keinen Vaterkomplex.

Das sagte die kräftige Stimme aus dem uralten Menschen, und weil diese Stimme ganz anders war als heute Stimmen sind, aus einer ganz anderen Zeit, war sie glaubwürdig, und zwar so sehr, dass ich mich schämte. Ich nannte ihn ja seit vielen Jahren im Stillen nicht anders als einen Deppen und einen Idioten.

- Das war der Anfang von unserem Ende.

Sie meinte seinen Sturz.

- Wir haben verloren. Vorläufig. Die Amerikaner haben gesiegt. Aber den Glauben darf man nicht verlieren.

Und in die Pause, die eintrat:

- Sie glauben doch noch daran?

Ich schwieg. Ich wollte sie nicht verletzen, sie war dreiundneunzig Jahre alt, sie war eine kranke Greisin, was konnte sie ertragen an Widerspruch? Ich schwieg.

- Man muss daran glauben.

Ich schwieg.

- Ihr Vater hat gewiss daran geglaubt.

Das stimmte. Seine Genossen hatten ihn umbringen wollen, sie hatten ihn aus ihrer Partei ausgeschlossen und Lügen verbreitet, zu Tode gehetzt, aber den Glauben hatte er behalten.

- Sehen Sie.

Ich sagte, ich hätte das immer als absurd empfunden. Und überhaupt: Im Radio damals hätte ich gehört, dass sie ihr Leben lang hier in Westberlin gewohnt hätte, aber im Osten gearbeitet. Als wir dort alle eingesperrt waren, sei sie so hin- und herspaziert, wie hatte sie das fertiggebracht?

- Ich habe hier gewohnt und dort gearbeitet.

Aus solchen zwei Zimmern mit der U-Bahn zum Zoo und dann mit der S-Bahn zur Friedrichstraße, das war nicht der Westen, von dem wir geträumt hatten, das sah ich wohl, und doch - warum hat sie nicht im Westen gearbeitet?

- Für Adenauer??!!

- Es gab in der BRD keine politischen Gefangenen, keine Folter und Kinder, die ihren Eltern weggenommen wurden so wie in der DDR, immerhin.

- Davon wusste man nichts.

- Sie haben es nicht geglaubt.

- Natürlich nicht. Und nach einer Pause: Wir wollten ja rüber. Aber die Partei hat verlangt, dass wir im Westen wohnen bleiben, um die demokratischen Kräfte zu stärken.

- Na, sagte ich zufrieden, ich war nie in einer Partei.

- Mich haben sie 1952 ausgeschlossen.

- Und? Haben Sie auch so darunter gelitten wie mein Vater?

- Ach wo! Da musste man ständig Versammlungen haben und irgendwelche Verpflichtungen. Ich bin Künstlerin! Keine Zeit für so was!

- Aber im Osten zu arbeiten, das war doch auch schlecht mit dem Geld.

- Natürlich war es schlecht, und ich habe ja auch nichts. Aber das waren meine Leute, ja. Meine Familie. Dort habe man sie übrigens auch immer loswerden wollen, aber es habe immer Genossen gegeben, die ihr eine kleine Arbeit verschafft hätten.

- Aber es wurde doch immer schlimmer dort drüben!

- Die Funktionäre haben alles verdorben.

- Ich bin weggegangen von dort, das sagte ich vorsichtig, ich wollte sie nicht verletzen.

- Aber Sie sind wiedergekommen!

- Berlin. Für mich ist es Berlin.

Wir schweigen eine Weile, dann sagt sie so leise, dass ich es kaum verstehe: Der Antifaschismus. Es war wegen dem Antifaschismus.

- Ja, sage ich, der unehrliche Antifaschismus, und wieder ist lange Pause.

Sie sitzt da, gekrümmt, mit hängendem Kopf, ringsherum Bilder an den Wänden, Fotos. Viele davon zeigen denselben Mann, sieht aus wie ein Schauspieler, sieht schön aus, ein blonder Siegfried mit wehenden Locken.

- Wer war das?

- Der Stein.

Folgt die Geschichte des Mannes Werner Stein, tatsächlich ein Schauspieler, aber auch Regisseur, sie war ja Theaterfotografin, so hat sie ihn kennengelernt in den vierziger Jahren, nachdem sie sich von dem ersten Mann mit dem Namen Kemlein scheiden ließ, weil der die vielen Schwierigkeiten wegen der Mischehe nicht aushielt, sie war ja jüdisch. Der Stein aber auch, und als ihre Mutter abgeholt wurde, musste sie sich verstecken, und der Stein ging mit ihr zusammen, denn er liebte sie ja. Das war im Februar 1942.

- Wir haben uns drei Jahre versteckt.

- Drei Jahre?

- Jede Nacht woanders, ja.

- Bis 1945?

- Ja.

- Zu zweit?!

- Ja.

Ich kann es nicht glauben, sie nennt Namen, Adressen, Bruchstücke von Erinnerungen - ein Zaun zur Lietzenburger Straße, ein Zimmer in einer Gemeinschaftswohnung, aber es sind nicht drei Jahre Angst und Flucht, die sie erzählt, sondern drei Jahre Liebe, und immer von ihm - der Stein!

Er hat tagsüber bei Leuten Sessel gepolstert, so verdiente er Geld zum Leben,...

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Autor

Irina Liebmann, geboren 1943 in Moskau als Tochter des deutschen Journalisten Rudolf Herrnstadt und der russischen Germanistin Valentina Herrnstadt, lebt als freie Schriftstellerin in Berlin. Für ihre Bücher wurde sie vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Berliner Literaturpreis (1998), dem Preis Von Autoren für Autoren des Lübecker Literaturtreffens (2015) und mit dem Uwe-Johnson-Preis (2020). Für Wäre es schön? Es wäre schön! erhielt sie 2008 den Preis der Leipziger Buchmesse. Ihr Werk erscheint in Neuausgaben bei Schöffling & Co. irina-liebmann.de