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Neue Weltmacht Indien

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
224 Seiten
Deutsch
Westend Verlagerschienen am07.08.20231. Auflage
An Indien scheiden sich die Geister. Obwohl oder gerade weil kaum jemand im Westen dieses widersprüchliche Land versteht. Zwischen Slums und Prunk, zwischen Yoga und Hightech, zwischen Bollywoodkultur und Kastenwesen ist uns das Land, dessen Bedeutung für die Weltgemeinschaft immer größer wird, ein Rätsel geblieben. Oliver Schulz liefert einen tiefen Einblick in die verschiedenen Facetten der indischen Gesellschaft und Kultur und gibt uns einen Überblick über die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsperspektiven der neuen Supermacht, die immer deutlicher ihre Ansprüche auf eine Führungsrolle in der Welt erhebt. Wie tickt dieses Land wirklich? Was hält es zusammen? Wie verlässlich ist es als Partner? Und wie bedrohlich könnte sein Aufstieg für die Weltgemeinschaft werden?

Oliver Schulz, geboren 1968, ist studierter Indologe, Tibetologe und Soziologe und arbeitet als Redakteur bei den Lübecker Nachrichten sowie als freier Journalist. Beim Westend Verlag ist bereits das Sachbuch 8849 von ihm erschienen. Er hat zahlreiche Artikel zur politischen Lage auf dem Subkontinent unter anderem in Die Zeit, Zeit online, taz und Welt verfasst. Oliver Schulz lebt in Hamburg.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99

Produkt

KlappentextAn Indien scheiden sich die Geister. Obwohl oder gerade weil kaum jemand im Westen dieses widersprüchliche Land versteht. Zwischen Slums und Prunk, zwischen Yoga und Hightech, zwischen Bollywoodkultur und Kastenwesen ist uns das Land, dessen Bedeutung für die Weltgemeinschaft immer größer wird, ein Rätsel geblieben. Oliver Schulz liefert einen tiefen Einblick in die verschiedenen Facetten der indischen Gesellschaft und Kultur und gibt uns einen Überblick über die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsperspektiven der neuen Supermacht, die immer deutlicher ihre Ansprüche auf eine Führungsrolle in der Welt erhebt. Wie tickt dieses Land wirklich? Was hält es zusammen? Wie verlässlich ist es als Partner? Und wie bedrohlich könnte sein Aufstieg für die Weltgemeinschaft werden?

Oliver Schulz, geboren 1968, ist studierter Indologe, Tibetologe und Soziologe und arbeitet als Redakteur bei den Lübecker Nachrichten sowie als freier Journalist. Beim Westend Verlag ist bereits das Sachbuch 8849 von ihm erschienen. Er hat zahlreiche Artikel zur politischen Lage auf dem Subkontinent unter anderem in Die Zeit, Zeit online, taz und Welt verfasst. Oliver Schulz lebt in Hamburg.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783987910227
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum07.08.2023
Auflage1. Auflage
Seiten224 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.12134730
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

II Internationale Beziehungen

Indien und die USA sind nicht nur natürliche Partner. Ich glaube, dass Amerika Indiens bester Partner sein kann.

Barack Obama, Neu-Delhi, 27.1.2015
Westliche Verklärung

Die Lehrerin wischt sich die Nase mit einem dunkelblauen Frottee-Tuch. »Der Geist ist ein Affe«, sagt sie. Sie trägt einen hautengen, schwarzen Trainingsanzug und erinnert mich an Jane Fonda in ihrem Siebziger-Aerobic-Outfit. »Er springt den bunten Früchten des Lebens hinterher, bis er sich in den Dornen des Baumes verfängt. Bei unseren Übungen schulen wir Geist und Körper, um die Ewigkeit zu sehen, unser wahres Selbst.«

Ein Dutzend Menschen aus Malaysia, die Frauen mit kurzen Zöpfen in hennagefärbten Haaren, die jungen Männer mit Gel-Frisuren, dazwischen vier mittelalte Inderinnen, hocken in dem turnhallenartigen Raum auf zerschlissenen, bunten Matten. Die Flügeltür steht offen, die Morgensonne wirft sanftes Streiflicht auf den grünen Berghang dahinter. Aus den Mattenreihen dringt vereinzeltes nasales Röcheln, es schwillt an zu einem pneumatischen Quietschen und kulminiert in einem lautstarken kollektiven Hyperventilieren.

Wir lernen Pranayam: reguliertes, bewusstes Atmen. »Jetzt pustet ihr dreimal schnell durch den rechten Nasenflügel aus«, sagt die Lehrerin. Sie hat einen fast militärischen Gesichtsausdruck und einen ebenso durchdringenden wie undurchdringlichen Blick. Sie erklärt mir, welche Finger ich benutzen muss, um die Nasenlöcher zu schließen. Waren am Vorabend Ringfinger und Daumen im Einsatz, so sind es nun Daumen und kleiner Finger. Alles ist Ritual. Man könnte sich ja im Leben verheddern, wenn man keine festen Regeln hat, wie der Affe im dornigen Baum.

Wenn die Lehrerin ausatmet, zieht sich ihre untere Gesichtshälfte zusammen, als wäre sie ein einziges Atemorgan. Dabei pfeift sie lautstark, aber so gleichmäßig, dass es kultiviert wirkt. Dann putzt sie sich wieder die Nase mit dem Frotteetuch

Ich bin erkältet und bringe ein paar Servietten zum Einsatz, während wir zum Ausatmen mit dem linken Nasenloch und mit beiden Nasenlöchern übergehen, dann zum wechselseitigen ruckartigen Einatmen. Mein rechtes Nasenloch ist komplett verschleimt. Ob die Übungen dagegen helfen?

Es folgt eine Art Gymnastik: das rechte Bein nach vorn, den Oberkörper hinterher, die Füße zurückgeworfen, dann eine Art Liegestütz mit Hohlkreuz. Ich orientiere mich an meinen Mitschülern. Sie sind mir immer einen Schritt voraus. Während ich noch den Hintern hebe, um mich aufzurichten, strecken sie bereits kerzengerade die Arme Richtung Sperrholzdach und drehen sich nach Osten, um die Sonne zu begrüßen.

Ein »Om« schallt durch die Halle, glasklar intoniert von der Lehrerin. »Haltet euch Augen und Ohren zu«, sagt sie, bevor alle einstimmen. Die alte vedische Zauberformel vibriert in meiner Hirnrinde. Das Gefühl zum Abschluss der Sitzung ist jenseitig, ich spüre, wie ich falle. Und bekomme Panik. Habe ich Angst, mich ganz zu verlieren?

Vielleicht. Zumal dies das Experiment eines Mannes ist, der sich immer gegen die Esoterik gestemmt hat, mit der Indien von vielen im Westen assoziiert wird. Ich wollte einfach einmal sehen, was die alle meinen. So schlecht finde ich es dann aber auch nicht â¦

Besser jedenfalls als die Realität, der ich nach dieser Übung gewahr werde. Ich sitze am Lakshman Jhula, der Hängebrücke über den Ganges im oberen Teil von Rishikesh, blicke über den heiligen Fluss Indiens und schlage die Zeitung auf. Nach einer Massenvergewaltigung nördlich von Delhi stehen drei Angehörige höherer Kasten im Verdacht. Ein Mann sagt in Uttar Pradesh zum zweiten Mal wegen Mitgiftmord vor Gericht aus. Nach einem Bahnunglück in Westbengalen ist die Zahl der Toten und Verletzten noch unklar. Wo bin ich hier? Was ist das für ein Land? Wieso liegen Spiritualität und Rückständigkeit, die sich in Armut und traditionell begründeter Gewaltbereitschaft äußert, so eng beieinander? Oder sind diese Gegensätze vor allem in meinem Kopf?

Das ist nicht unwahrscheinlich. Denn Indien und den Westen verbindet eine Hassliebe. An diesem Land scheiden sich die Geister. Für die einen ist es die heile Welt, für die anderen eine sozial und wirtschaftlich unterentwickelte Region. Und das verhält sich nicht erst so, seit Pluderhosen tragende Traveller in den Siebzigern den Hippie Trail nach Indien ebneten und die einen voller Begeisterung aus dem rätselhaften Land im Osten zurückkehren - die anderen einfach nur angewidert. Sondern seit der Zeit der Romantik.

Aber die frühesten Bilder, die sich der Westen von Indien macht, sind noch viel älter. Der allererste europäische Blick auf den Subkontinent war weder positiv noch negativ - sondern der auf eine Region der Rätsel, der Wunder und Absonderlichkeiten. Der griechische Autor Ktesias beschrieb Schattenfüßler und Mundlose. Seine Kollegen berichteten von Fabelvölkern, von Hundsköpfigen und Menschen mit einem Auge oder mit Spinnenbeinen, von Leuten, die ihre Ohren benutzen, um sich darin zum Schlafen einzurollen.

Zu einer Legende wurden die Gold grabenden Ameisen, von denen Herodot erzählte. Der Geograf und Völkerkundler schrieb, dass am Oberlauf des Indus ein höchst kriegerisches Volk lebe. In der Nähe ihrer Siedlungen befinde sich eine Wüste, aus der Indiens gewaltiger Goldschatz stamme. Expeditionen von Goldsuchern zögen von Zeit zu Zeit in diese Einöde, aber das seien äußerst gewagte Unternehmungen, da der Schatz von blutrünstigen Ameisen gehütet werde. Diese Wesen seien kleiner als Hunde, doch größer als Füchse und überträfen in ihrer Schnelligkeit sämtliche andere Tiere. Um in den Besitz des Goldes zu gelangen, müssten die Schatzjäger deshalb regelrechte Kriegspläne ausarbeiten. Auch sie beschreibt Herodot detailliert.

Doch nicht nur wegen der vermeintlichen goldgrabenden Ameisen galt Indien als unermesslich reich. Tatsächlich wurden in der Antike wichtige Luxuswaren vom Subkontinent importiert. Seide, Perlen und Duftstoffe kamen aus der Region. Im Land selbst sollte es Gold, Silber, Edelsteine und Gewürze in Hülle und Fülle geben.

Zudem ist Indien, seit im Heer von Alexander dem Großen ein »Nackter Weiser« mitzog, als Land der Weisheit, der Asketen und der Todesverachtung bekannt. Kalanos hieß dieser Yogi den Berichten zufolge. Er war 73 Jahre alt und von den Unbilden der langen Reise geschwächt, als er Alexander mitteilte, dass er lieber sterben, denn als Invalide sein Leben fristen wolle. Kurzerhand verbrannte er sich selbst. Auch in zahlreichen der im Mittelalter populären Alexanderromane waren die der Welt entsagenden indischen Weisen ein Thema - als Gegenpol zu dem nach weltlicher Macht strebenden Alexander.

Viele folgende Indien-Bilder waren wiederum eher fantastisch. So wurde im Mittelalter der Subkontinent zu dem Land erklärt, wo Milch und Honig fließen, das irdische Paradies wurde dort verortet. Vor allem aber vermutete man hier den Zufluchtsort von Priesterkönig Johannes. Mit einer Schar von Gläubigen soll sich der legendäre Regent einst nach Asien geflüchtet haben. So notierte der mittelalterliche Geschichtsschreiber Otto von Freising in seiner Weltenchronik Historia de duabus civitatibus kurz vor dem Zweiten Kreuzzug, dass Johannes dem Geschlecht der Magier aus dem Morgenlande entstamme, von denen das Matthäus-Evangelium berichtet. In einem angeblich von ihm selbst verfassten Brief an Kaiser Manuel von Byzanz schilderte der Priesterkönig die Macht und den Reichtum seines Landes, dass er »Die drei Indien« nennt: Dort fänden sich »Elephanten, Dromedare, Kamele, Panter, Waldesel, weiße und rote Löwen und alle Arten von Tieren, die es auf der Welt gibt«.1

Die diffusen bis fantastischen Vorstellungen, die das europäische Indienbild lange prägten, wurden erst abgelöst, als die Briten die Region für sich entdeckten. Mitte des 18. Jahrhunderts begann die Ostindien-Kompanie von Bengalen aus auf dem Subkontinent Fuß zu fassen. Sie entwickelte sich rasch zur dominierenden Kolonialmacht. Doch es war alles andere als Absicht, dass sie dabei dem Westen die Tür zur alten indischen Kultur aufstieß. Auch wenn Generalgouverneur Warren Hasting, um die Gesetzesbücher der Inder zu übersetzen, höchstselbst dafür sorgte, dass einer der angesehensten Gelehrten des damaligen Englands als Richter an den neu gegründeten High Court in Kolkata berufen wurde: Sir William Jones. Er war es, der 1784 die erste indologische Gesellschaft der Welt gründete, die Asiatic Society of Bengal. Unter ihm entwickelte sich die Forschung: In den folgenden Jahren verfassten wissenschaftlich interessierte Angestellte der Ostindien-Kompanie für deren Journal zahlreiche Forschungsergebnisse. Doch bald richtete sich ihre Aufmerksamkeit nicht mehr nur auf das gegenwärtige Indien - vielmehr wurden sie sich nun der Bedeutung der literarischen und philosophischen Tradition des Landes bewusst. So veröffentlichten sie etwa 1784 die Bhagavad Gita und 1798 Shakuntala vom Dichter Kalidasa.

Diese Literatur fiel vor allem in Deutschland auf fruchtbaren Boden. Als Georg Forster Shakuntala dort mit seiner Übersetzung aus dem Englischen 1791 schlagartig bekannt machte, war die Begeisterung gewaltig. Noch 40 Jahre später sprach Goethe von »Enthusiasmus« und einem »überschwenglichen Eindruck«, wenn er sich an seine erste Lektüre dieses Dramas erinnerte.2

Schon in den 1780er-Jahren hatte Johann Gottfried Herder in seinen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit ein äußerst...
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