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Sommerwasser

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
192 Seiten
Deutsch
Unionsverlagerschienen am10.07.2023
Der Regen trommelt auf den schottischen See, schluckt das Licht des langen Sommertages und lässt die Pfützen brodeln. Hinter den Fenstern der wenigen Ferienhütten bleibt kaum etwas zu tun, als die Nachbarn zu beobachten. Während die Stunden fast unmerklich vergehen, formen die Urlaubsgäste aus flüchtigen Eindrücken ihr Urteil. Über die Mutter, die bei Tagesanbruch in ein paar kostbare Stunden Einsamkeit flüchtet. Den Jungen, der den windgepeitschten See seinen nervtötenden Eltern vorzieht. Und vor allem über diese eine Familie mit dem komischen Nachnamen, die hier einfach nicht hingehört. Mit Witz und Einfühlungsvermögen erzählt Sarah Moss von der menschlichen Fähigkeit zu Grausamkeit und Güte.

Sarah Moss, geboren 1975 in Schottland, wuchs in Manchester auf und promovierte an der Oxford University in Literatur. Nach Stationen in Kent, Exeter, Reykjavík und Warwick lehrt sie heute Kreatives Schreiben am University College of Dublin. 2009 hat sie ihren ersten Roman Schlaflos veröffentlicht. Ihre Romane wurden mehrfach für den Wellcome Book Prize nominiert, mit dem sie 2015 ausgezeichnet wurde.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextDer Regen trommelt auf den schottischen See, schluckt das Licht des langen Sommertages und lässt die Pfützen brodeln. Hinter den Fenstern der wenigen Ferienhütten bleibt kaum etwas zu tun, als die Nachbarn zu beobachten. Während die Stunden fast unmerklich vergehen, formen die Urlaubsgäste aus flüchtigen Eindrücken ihr Urteil. Über die Mutter, die bei Tagesanbruch in ein paar kostbare Stunden Einsamkeit flüchtet. Den Jungen, der den windgepeitschten See seinen nervtötenden Eltern vorzieht. Und vor allem über diese eine Familie mit dem komischen Nachnamen, die hier einfach nicht hingehört. Mit Witz und Einfühlungsvermögen erzählt Sarah Moss von der menschlichen Fähigkeit zu Grausamkeit und Güte.

Sarah Moss, geboren 1975 in Schottland, wuchs in Manchester auf und promovierte an der Oxford University in Literatur. Nach Stationen in Kent, Exeter, Reykjavík und Warwick lehrt sie heute Kreatives Schreiben am University College of Dublin. 2009 hat sie ihren ersten Roman Schlaflos veröffentlicht. Ihre Romane wurden mehrfach für den Wellcome Book Prize nominiert, mit dem sie 2015 ausgezeichnet wurde.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783293311572
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum10.07.2023
Seiten192 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2087 Kbytes
Artikel-Nr.12134942
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe




Das Gegenteil von Tanzen


Nach all den Jahren, in denen er aufgestanden ist und das Haus verlassen hat, bevor die anderen wach waren, weiß David, wie er es anstellen muss, damit ihn niemand hört. Er ließ den Geist seines besseren Ichs an seinem rechtmäßigen Platz neben ihr zurück, während sein verstohlenes Ich, sein Arzt-Ich, die Treppe hinunter und in die Küche glitt, leise die Tür schloss, nicht das Radio anstellte - obwohl er gern Nachrichten gehört hätte -, Kaffee und Toast machte und den für diesen Tag bestimmten Teil der Wochenendausgabe las. Earl Grey in das Teesieb mit dem kniffligen Verschluss, ein Schuss Milch in die Porzellantasse mit den Veilchen, die er ihr vor Jahren geschenkt hat, nicht zu voll, denn zuletzt, bevor er Schuhe und Jacke anzog, seine Aktentasche nahm und ging, war er mit dem Tee noch mal die Stufen hochgestiegen und hatte gesagt, Mary, Mary, Liebes, ich bin dann weg, hab einen schönen Tag. Sie hatte ganz schön was leisten müssen, diese Tasse Tee: Als die Kinder klein waren, vergingen Tage, bis er sie mal wach erlebte, und Wochenenden hatte er auch nicht immer gehabt. Jetzt macht er den Tee, wenn sie aufwacht, nicht vorher.

In der Hütte ist es schwerer als zu Hause, sie in Frieden zu lassen, aber er hat es lange genug geübt, und wenn er mal vermutet, dass sie nur tut, als ob sie schläft, dass sie nur noch nicht richtig bereit ist für ihn und den Tag, hofft, ein paar Minuten lesen zu können, wenn er aus dem Weg ist, dann sagt er es nicht. Ist er darauf nicht selber aus, eine gestohlene Stunde Einsamkeit? Es gibt Momente in seinem Ruhestand, die das Gegenteil von Tanzen zu sein scheinen, ein tägliches Versteckspiel, dessen unausgesprochenes Ziel es ist, die Liebste zu meiden. Er drückt den Stempel der Cafetière nach unten - eine richtige Kaffeemaschine lohnt sich hier nicht - und trägt sie zusammen mit einer unelegant großen Steinguttasse zum Tisch neben seinem Sessel. Er ringt mit dem Schloss, schiebt die Terrassentür auf, lässt den Tag herein. Es ist kalt, wird sie sagen, können wir die Tür zumachen, soll heißen, warum hast du sie aufgemacht, du weißt doch, dass ich es nicht mag, wenn es zieht, aber fürs Erste kann er hier sitzen und das Gefühl haben, sowohl drinnen als auch draußen zu sein, kann Wind und Wetter atmen in einem schönen Samtsessel mit seinem Kaffee. Er schenkt ein, von weiter oben als nötig, bewundert die Form der fallenden Flüssigkeit und den sich ringelnden Dampf, die Drinnen-Variante des Nebels zwischen den Bäumen. Der Duft steigt auf, diese Mischung hat er zu seiner liebsten erkoren, nachdem er sich in dem neuen Deli zu Hause am Bahnhof durch das Regal gearbeitet hat - ein gutes Zeichen, dass der Laden aufgemacht hat, die Immobilienpreise halten sich -, und die er jetzt immer in kleinen Tüten kauft, frisch geröstet.

Mit Regen muss man hier rechnen, aber so ist es normalerweise nicht. Es regnet Bindfäden, hätte sein Vater gesagt. Wenn das so weitergeht, ist die Straße unten bald überschwemmt. Es ist kein schottischer Regen, eher tropisch, nicht dass er mal in den Tropen gewesen wäre oder auch nur dort hingewollt hätte, Insekten und Parasiten, Gastroenteritis, Melissa, die, genau wie er es vorhergesagt hatte, mit Sonnenbrand und Untergewicht und mysteriösem Fieber von der Reise zurückkam. Sicher wird sich das Wetter bald beruhigen. Als die Kinder noch klein waren, war das hier immer die Rettung gewesen, das Einzige, was man über das Wetter mit Sicherheit sagen konnte, war, dass es nicht anhielt. An den meisten Tagen war es irgendwann trocken, und wenn nicht - wofür gab es Regenjacken und Gummistiefel, und in späteren Jahren Taucheranzüge und Kajaks. Sein Kajak liegt immer noch unter der Veranda, ruht im hohen Gras. Vielleicht nisten Eichhörnchen darin, aber wenn er wollte, könnte er es rausholen, dieses Plastikzeug rostet und verrottet nicht, allerdings hat er die Rettungswesten seit Jahren nicht mehr gesehen. Wahrscheinlich verrotten die auch nicht, werden die nicht noch nach Jahren an Stränden angeschwemmt, zusammen mit Turnschuhen und Plastikflaschen? Er nimmt noch einen Schluck, und da ist ja das Mädel, das das ehemalige Pollocks-Haus gemietet hat, rennt, als würde sie vor einem Bären davonlaufen. Hat ihr Oberteil ausgezogen, die muss doch frieren, und das in ihrem Alter, also wirklich - er musste früher manchmal eine Anstandsdame dazuholen, um Frauen zu untersuchen, die mehr anhatten als das, damals, als die Inder anfingen, in die Vorstädte zu ziehen. Man wundert sich, was sich unter diesen Burkas und Schleiern und so weiter oft findet, kein Wunder, dass sie verlegen werden. Er beugt sich vor, um sicherzugehen, dass wirklich keiner hinter dem Mädchen her ist, auch wenn er weiß, dass sie an den meisten Tagen Joggen geht. Hätte Mary das gemacht, er hätte es nicht gut gefunden, ganz allein in dem Stretchzeug zu den unmöglichsten Zeiten, und dann mit den Dingern in den Ohren, sie würde ja nicht mal merken, wenn jemand hinter ihr her wäre, und was ist mit ihren Kindern, wer kümmert sich um die, während sie ihre Gelenke abnutzt und in Unterwäsche den Hügel runterrast? Sie sieht aus, als würde sie beim Laufen lachen, sie achtet nicht mal drauf, wo sie ist, als wären der Loch und die Hügel ein gigantisches Fitnessstudio. Die Anlage ist nicht mehr, was sie mal war, als sie die Hütte gekauft haben; zieht nicht mehr die gleiche Art Leute an. Sie haben sie vom Reißbrett gekauft, als noch hohe Bäume standen, wo jetzt die Häuschen stehen. Dir ist klar, sagte Mary, dass wir gerade dein halbes Erbe ausgegeben haben für eine Zeichnung von etwas, das noch nicht mal existiert? Aber seinem alten Vater hätte es gefallen, sein Sohn, der Arzt, mit einem Haus in Bearsden und einer Hütte in den Trossachs, die Kinder auf guten Schulen. Wahrscheinlich hätte ihnen trotzdem klar sein müssen, was kommen würde, sie hätten verkaufen sollen, als Duncan und Maggie auszogen, danach war es nicht mehr dasselbe, obwohl die Pollocks noch da waren. Aber gefeiert haben sie damals, das muss er schon sagen, natürlich haben sie gefeiert. Sommerabende, Lagerfeuer am Strand, Würstchen am Spieß, ein Haufen Kinder, die viel zu lange aufblieben, und die Erwachsenen saßen am Ufer, bis aus der Abend- die Morgendämmerung wurde. Sogar Silvester, wenn nicht gerade so viel Schnee lag, dass man mit dem Auto nicht die Straße hochkam, aber manchmal auch dann, er weiß noch den einen Winter, als Mary und die Kinder ausstiegen und sich unter die Bäume stellten, während er den alten roten Ford den Hügel hochtrieb, was ihm tatsächlich gelang. Aber das war was anderes, da kamen alle zusammen, es war nicht eine Partei, die alle anderen die ganze Nacht wach hielt, und damals war auch die Musik echt, Duncan mit seiner Fidel, und war nicht auch ein Dudelsackspieler dabei, kann das sein? Er ist sicher, sich an einen Dudelsackspieler zu erinnern, jedenfalls ein, zwei Mal, hört ihn über dem Wasser, so wie es sein soll. Noch vor fünf oder zehn Jahren hätte es so was wie diese Rumänen in den letzten beiden Nächten hier nicht gegeben, im Sommer mal ein französisches Kennzeichen oder ein deutsches, aber die wussten sich zu benehmen. Und diese ganzen Radfahrer hatte es auch nicht gegeben und die schrecklichen Jetskis, wie riesige Mücken, und die Jogger in hautengem Neon. Nicht dass sie nicht auch die Berge bestiegen hätten, noch vor zwei, vielleicht auch drei Jahren waren sie auf dem Ben, als Marcus fürs Wochenende kam und die Sonne brannte und Unerschrockene am Ufer entlangschwammen, aber Wandern ist nicht Laufen, dabei ist ja keine Zeit zum Gucken und Hinhören. Wildblumen, Vogelgesang, Mary kannte normalerweise die Namen. Er würde es sicher immer noch da hoch schaffen. Wahrscheinlich jedenfalls. Man hatte bei dem Wetter ja keine Lust, es zu versuchen. Mehr Kaffee.

Er beobachtet den Regen. Er hört ihn übers Dach laufen, hört das Trommeln auf die südlichen Fenster und das Klingeln in Dachtraufe und Fallrohr. In Japan, sagt Mary, das hat ihr Melissa erzählt, gibt es Gärten, die entworfen wurden, um im Regen zu singen, mit verschieden langen Bambusrohren über Teichen und Bronzeglocken, die von Regentropfen zum Klingen gebracht werden. Aus einem schottischen Tal ließe sich ein Orchester machen, sogar aus einer Ferienanlage, man könnte Glocken und Glockenspiele aufhängen und damit alle verrückt machen. Im Haus nebenan läuft die Regenrinne über, tropft auf deren Picknicktisch aus Metall. Peter hätte sich darum kümmern müssen, nur weil er seine Hütte ständig vermietet, heißt das nicht, dass jemand anders die Verantwortung dafür hätte. Da waren sie sich im Verwaltungsausschuss immer einig gewesen, unnötig, Geld für Pförtner und Hausmeister und sonst was zu verschwenden, die Männer waren alle sehr gut in der Lage, sich selbst um ihren Besitz zu kümmern. Na ja, einige mehr als andere. Immer besser weggehen, bevor es schlimm wird, man sollte meinen, David hätte das inzwischen gelernt, man sollte meinen, die letzten Jahre im Beruf hätten ihn jedenfalls das gelehrt. Noch können er und Mary ja raus, rüber zu dem anderen Loch, eine schöne Fahrt und dann eine Runde mit der Fähre. Früher war so eine Spritztour in Ordnung, einfach die Reifen auf der Straße spüren und die Hügel im Rückspiegel kleiner werden sehen, schnell schaltend bergauf fahren und wieder bergab rollen, bevor jeder einen CO-Fußabdruck hatte oder jedenfalls bevor ständig davon geredet wurde. Das ist eine gute Straße, da hoch. Mary wird inzwischen wach sein, denkt er, oder beinahe, und er stellt seine leere Tasse ab und steht auf, um ihr Tee zu machen.

Mary macht Frühstück. Sie mag es nicht, wenn...


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Autor

Sarah Moss, geboren 1975 in Schottland, wuchs in Manchester auf und promovierte an der Oxford University in Literatur. Nach Stationen in Kent, Exeter, Reykjavík und Warwick lehrt sie heute Kreatives Schreiben am University College of Dublin. 2009 hat sie ihren ersten Roman Schlaflos veröffentlicht. Ihre Romane wurden mehrfach für den Wellcome Book Prize nominiert, mit dem sie 2015 ausgezeichnet wurde.

Bei diesen Artikeln hat der Autor auch mitgewirkt