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Der ewige Spießer. Erbaulicher Roman in drei Teilen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
235 Seiten
Deutsch
Reclam Verlagerschienen am21.07.20231. Auflage
Was macht den modernen Typus des Spießers aus? Diese Frage steht im Zentrum von Horváths erstem Roman, der während der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre spielt. Scharfsinnig nimmt der Autor sein kleinbürgerliches Personal in den Blick, von der arbeitslos gewordenen Näherin bis zum betrügerischen Automobilverkäufer: Sie alle versuchen in schwierigen Zeiten durchzukommen und haben sich angewöhnt, anpassungsfähig und sich selbst am nächsten zu sein. Horváths Roman ist Spießersatire und brillante Gesellschaftsanalyse in einem. Mit einem Nachwort und Anmerkungen. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

Nicole Streitler-Kastberger, geb. 1972, und Martin Vejvar, geb. 1982, sind beide als wissenschaftliche Mitarbeiter an der historisch-kritischen Ausgabe der Werke Ödön von Horváths beteiligt.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR5,20
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR3,99

Produkt

KlappentextWas macht den modernen Typus des Spießers aus? Diese Frage steht im Zentrum von Horváths erstem Roman, der während der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre spielt. Scharfsinnig nimmt der Autor sein kleinbürgerliches Personal in den Blick, von der arbeitslos gewordenen Näherin bis zum betrügerischen Automobilverkäufer: Sie alle versuchen in schwierigen Zeiten durchzukommen und haben sich angewöhnt, anpassungsfähig und sich selbst am nächsten zu sein. Horváths Roman ist Spießersatire und brillante Gesellschaftsanalyse in einem. Mit einem Nachwort und Anmerkungen. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

Nicole Streitler-Kastberger, geb. 1972, und Martin Vejvar, geb. 1982, sind beide als wissenschaftliche Mitarbeiter an der historisch-kritischen Ausgabe der Werke Ödön von Horváths beteiligt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783159621616
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum21.07.2023
Auflage1. Auflage
Seiten235 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1231 Kbytes
Artikel-Nr.12165960
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
Der ewige Spießer
Erster Teil. Herr Kobler wird Paneuropäer
Zweiter Teil. Fräulein Pollinger wird praktisch
Dritter Teil. Herr Reithofer wird selbstlos

Zu dieser Ausgabe
Anmerkungen
Literaturhinweise
Nachwort
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Leseprobe

8

Der D-Zug, der den Kobler bis über die deutsche Grenze bringen sollte, fuhr pünktlich ab, denn der Herr mit der roten Dienstmütze hob pünktlich den Befehlsstab. »Das ist die deutsche Pünktlichkeit!« hörte er jemanden sagen mit hannöverschem Akzent.

[33]Da stand auf dem Bahnsteig unter anderen eine junge Kaufmannsgattin und winkte begeistert ihrem Gatten im vorderen Wagen nach, der in die Fremde fuhr, um dort einen andern Kaufmann zu übervorteilen.

Kobler drängte sich dazwischen. Er beugte sich aus dem Fenster und nickte der jungen Frau gnädig zu. Die verzog aber das Gesicht und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Jetzt ärgert sie sich«, freute sich Kobler und musste an das Fräulein Pollinger denken. »Auch Anna wird sich jetzt ärgern«, dachte er weiter, »es ist nämlich grad acht, und da beginnt ihr Büro. Ich würd mich auch ärgern, wenn jetzt mein Büro beginnen tät, es geht doch nichts über die Selbständigkeit. Was wär das für ein Unglück, wenn alle Leut Angestellte wären, wie sich das der Marxismus ausmalt - als Angestellter hätte ich mich doch niemals so angestrengt, den Portschinger zu betrügen. Wenn das Kabriolett Staatseigentum gewesen wär, hätt ichs halt einfach einschmelzen lassen, wie sichs eigentlich gehört hätt. Aber durch diese drohende Sozialisierung würden halt viele Werte brachliegen, die sich noch verwerten ließen. Das wär nicht anders, weil halt die persönliche Initiative zerstört wär.« Er setzte sich schadenfroh auf seinen Fensterplatz und fuhr stolz durch die tristen Vorortbahnhöfe, an den Vorortreisenden vorbei, die ohne jede Bewegung auf die Vorortzüge warteten. Dann hörte die Stadt allmählich auf. Die Landschaft wurde immer langweiliger, und Kobler betrachtete gelangweilt sein Gegenüber, einen Herrn mit einem energischen Zug, der sehr in seine Zeitung vertieft war. In der Zeitung stand unter der Überschrift »Nun erst recht!«, dass ein Deutscher, der sagt, er sei stolz, dass er ein Deutscher sei, denn wenn er nicht stolz wäre, würde er ja [34]trotzdem auch nur ein Deutscher sein, also sei er natürlich stolz, dass er ein Deutscher wäre - »ein solcher Deutscher«, stand in der Zeitung, »ist kein Deutscher, sondern ein Asphaltdeutscher.«

Auch Kobler hatte sich mit Reiselektüre versorgt, nämlich mit einem Magazin. Da schulterten im Schatten photomontierter Wolkenkratzer ein Dutzend Mädchen ihre Beine, als wärens Gewehre, und darunter stand: Der Zauber des Militarismus, und dass es eigentlich also gespenstisch wirke, dass Girls auch Köpfe hätten. Und dann sah Kobler auch noch ein ganzes Rudel weiblicher Schönheiten - die eine stand auf einer dressierten Riesenschildkröte und lächelte sinnlich. Sonst hatte er keine Lektüre bei sich.

Nur noch einige Wörterbücher, ganz winzig bedruckte mit je zwölftausend Wörtern. Deutsch - Italienisch, Français - Allemand, Deutsch - Französisch, Español - Alemán usw. Auch eine Broschüre hatte er sich zugelegt mit Redensarten für den Reisegebrauch in Spanien (mit genauer Angabe der Aussprache), herausgegeben von einem Studienrat in Erfurt, dessen Tochter immer noch hoffte, von einem reichen Deutschargentinier geheiratet zu werden, der ihr dies in der Inflation mal versprochen hatte. Nun beklagte der Studienrat in der Einleitung, es sei tief betrüblich, dass man in deutschen Landen so wenig Spanisch lerne, wo doch die spanische Welt arm an Industrie sei, während sie uns Deutschen die mannigfachsten Naturprodukte liefere. Diese Tatsachen würden von der jungen Handelswelt noch lange nicht genügend gewürdigt. Und dann zählte der Studienrat die Länder auf, in denen Spanisch gesprochen wird: zum Beispiel in Spanien und in Lateinamerika, ohne Brasilien.

[35]Kobler las: Ich bin hungrig, durstig. Tengo hambre, sed. Aussprache: tengo ambrre, ßed. Wie heißt das auf Spanisch? Como se llama eso en Castellano? Aussprache: komo ße ljama ehßo en kasteljano? Wollen Sie freundlichst langsamer sprechen? Tenga usted la bondád de ablárr máss despászio? Wiederholen Sie bitte das Wort. Sie müssen etwas lauter sprechen. Er führt eine stolze Sprache, aber er drückt sich gut aus. Kofferträger, besorgen Sie mir mein Gepäck. Ich habe einen großen Koffer, einen Handkoffer, ein Plaid und ein Bund Stöcke und Regenschirme. Ist das dort der richtige Zug nach Figueras? Geben Sie mir trockene Bettwäsche. Bitte Zwiebeln. Jetzt ist sie richtig. Seit längerer Zeit entbehren wir Ihre Aufträge. Was bin ich schuldig? Sehr wohl, mein Herr, ich bleibe alles schuldig. Was haben Sie? Nichts. Wollen Sie zahlen? Nein. Sie wollen nicht zahlen? Nein. Es scheint, dass Sie mich verstanden haben. Auf Wiedersehen also! Grüßen Sie Ihre Frau Gemahlin (Ihren Herrn Gemahl)! Tausend Dank! Glückliche Reise! Gott schütze Sie!

»Was lesens denn da?« hörte er plötzlich seinen Nachbar fragen, der dem Herrn Portschinger ähnlich sah. Er hatte bereits seit einiger Zeit misstrauisch in das Werk des Erfurter Studienrats geschielt. Er hieß Thimoteus Bschorr.

»Ich fahr nach Barcelona«, erwiderte Kobler lakonisch und wartete gespannt auf den Erfolg dieser Worte. Sein Gegenüber mit dem energischen Zug hob ruckartig den Kopf, starrte ihn hasserfüllt an und las dann zum zwanzigsten Mal die Definition des Asphaltdeutschen.

In der Ecke saß noch ein dritter Herr, aber auf den schienen Koblers Reisepläne gar keinen Eindruck zu machen. Er lächelte nur müde, als wäre er bereits einige Mal um die Erde gefahren. Der Kragen war ihm zu weit.

[36]»Alsdann fahrens nach Italien«, konstatierte der Herr Bschorr phlegmatisch.

»Barcelona liegt bekanntlich in Spanien«, meinte Kobler überlegen.

»Des is gar net so bekanntlich!« ereiferte sich der Bschorr. »Bekanntlich hätt i gschworn, dass des Barcelona bekanntlich in Italien liegt!«

»Ich fahr durch Italien nur lediglich durch«, sagte Kobler und strengte sich an, genau nach der Schrift zu sprechen, um den Thimoteus Bschorr zu reizen. Aber der ließ sich nicht. »Da werdens lang brauchen nach Barcelona hinter«, meinte er stumpf. »Sehr lang. Da beneid ich Sie scho gar net. Überhaupts muss Spanien recht drecket sein. Und eine heiße Zone. Was machens denn in Madrid?«

»Madrid werde ich links liegen lassen«, erklärte Kobler. »Ich möcht nur mal lediglich das Ausland sehen.«

Bei diesen Worten zuckte sein Gegenüber wieder furchtbar zusammen und mischte sich ins Gespräch, klar, kurz und bündig: »Ein Deutscher sollte sein ehrlich erworbenes Geld in diesen wirtschaftlich depressiven Zeiten unter keinen Umständen ins Ausland tragen!« Dabei fixierte er Kobler strafend, denn er hatte ein Hotel in Partenkirchen, das immer leer stand, weil es wegen seiner verrückt hohen Preise allgemein gemieden wurde.

»Aber Spanien war ja im Krieg neutral«, kam der dritte Herr in der Ecke Kobler zu Hilfe. Er lächelte noch immer.

»Egal!« schnarrte der Hotelier.

»Spanien ist uns sogar sehr freundlich gesinnt«, ließ der in der Ecke nicht locker.

»Uns is überhaupts niemand freundlich gesinnt!« entgegnete ihm erregt der Thimoteus. »Es wäre ja ein Wunder, [37]wenn uns jemand freundlich gesinnt wäre!! Oder wars ka Wunder, Leutl?!«

Der Hotelier nickte: »Ich wiederhole: ein Deutscher soll sein ehrlich erworbenes Geld in der Heimat lassen!« Kobler wurde allmählich wütend. Was geht dich dem Portschinger sein Kabriolett an, du Hund! dachte er und wies den Hotelier in seine Schranken zurück: »Sie irren sich! Wir jungen deutschen Handelsleute müssten noch bedeutend innigere Beziehungen mit dem uns wohlgesinnten Ausland anknüpfen. Zu guter Letzt müssen wir dabei natürlich die nationale Ehre hochhalten.«

»Das mit dem Hochhalten der Ehre sind Redensarten!« unterbrach ihn der Hotelier unwirsch. »Wir Deutsche sind eben einfach nicht fähig, kommerzielle Beziehungen zum Ausland ehrenvoll anzuknüpfen!«

»Aber die Völker!« meinte der Dritte und lächelte plötzlich nicht mehr. »Die Völker sind doch aufeinander angewiesen, genau wie Preußen auf Bayern und Bayern auf Preußen.«

»Sie, wanns mir Bayern schlecht machen!« brüllte der Thimoteus. »Wer is angwiesen? Was is angwiesen? Die Schnapspreißn solln halt nach der Schweiz fahren! Zuwas brauchn denn mir an Fremdenverkehr, bei mir kauft ka Fremder was, i hab a Ziegelei und war früher Metzger!«

»Oho!« fuhr der Hotelier auf. »Oho, Herr! Ohne Fremdenverkehr dürfte die bayerische Eigenstaatlichkeit beim Teufel sein! Wir brauchen die norddeutschen Kurgäste, wir bräuchten auch die ausländischen Kurgäste, besonders die angelsächsischen Kurgäste, aber bei uns fehlt es leider noch häufig an der entgegenkommenden Behandlung des ausländischen Fremdenstromes, wir müssten uns noch viel [38]stärker der ausländischen Psyche anpassen. Jedoch natürlich, wenn der Herr...
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