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Die 101 wichtigsten Fragen - Antisemitismus

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
156 Seiten
Deutsch
C.H. Beckerschienen am24.08.2023
Warum werden ausgerechnet Juden so gehasst? Ist Antisemitismus nur eine Form von Rassismus? War der Antisemitismus der ideologische Kern des Nationalsozialismus? Ist der Glaube an antisemitische Verschwörungsmythen ansteckend? Wie kann man Antisemitismus messen? Gibt es immer mehr Antisemitismus oder reden wir nur mehr darüber? Und warum möchte heute eigentlich niemand mehr Antisemit sein, auch die Antisemiten nicht? Antisemitismus ist beides - ein uralter Hass auf eine kleine Minderheit und ein brandaktuelles Phänomen unserer Zeit. In beide Dimensionen, in Geschichte und Gegenwart des Antisemitismus, sowie in seine Ursachen und Folgen wird in diesem Buch in 101 zum Nachdenken anregenden Fragen eingeführt. Der Ausgangspunkt ist dabei die Gegenwart, die heutige Bundesrepublik Deutschland, wenngleich der Blick selbstverständlich auch in die Geschichte zurück und über ihre Grenzen hinaus geht.

Markus Roth ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fritz Bauer Institut in Frankfurt am Main und forscht zu Geschichte und Wirkung des Holocaust.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextWarum werden ausgerechnet Juden so gehasst? Ist Antisemitismus nur eine Form von Rassismus? War der Antisemitismus der ideologische Kern des Nationalsozialismus? Ist der Glaube an antisemitische Verschwörungsmythen ansteckend? Wie kann man Antisemitismus messen? Gibt es immer mehr Antisemitismus oder reden wir nur mehr darüber? Und warum möchte heute eigentlich niemand mehr Antisemit sein, auch die Antisemiten nicht? Antisemitismus ist beides - ein uralter Hass auf eine kleine Minderheit und ein brandaktuelles Phänomen unserer Zeit. In beide Dimensionen, in Geschichte und Gegenwart des Antisemitismus, sowie in seine Ursachen und Folgen wird in diesem Buch in 101 zum Nachdenken anregenden Fragen eingeführt. Der Ausgangspunkt ist dabei die Gegenwart, die heutige Bundesrepublik Deutschland, wenngleich der Blick selbstverständlich auch in die Geschichte zurück und über ihre Grenzen hinaus geht.

Markus Roth ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fritz Bauer Institut in Frankfurt am Main und forscht zu Geschichte und Wirkung des Holocaust.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783406807343
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Verlag
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum24.08.2023
Reihen-Nr.7052
Seiten156 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.12166144
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Antisemitismus heute


15. Gibt es immer mehr Antisemitismus oder reden wir nur mehr darüber?  Antisemitismus ist unzweifelhaft seit einigen Jahren sehr viel häufiger Thema in der Öffentlichkeit. Es liegt nahe, die Ursache dafür in einer Zunahme antisemitisch motivierter Gewalt und judenfeindlicher Äußerungen zu sehen, wofür einiges spricht. Die Zahl der offiziell in einer Statistik des Bundesinnenministeriums erfassten antisemitischen Straftaten ist seit 2018 rasant angestiegen. Zuvor lag sie seit dem Beginn ihrer Erfassung 2001 im Durchschnitt bei rund 1600 pro Jahr, von denen 45 bis 47 Gewaltdelikte waren. 2019 waren es schon 2032 antisemitische Straftaten, 2020 dann 2351 und 2021 schließlich 3027. Die Zahl der Gewalttaten darunter betrug 2019 73, im Jahr darauf 57, 2021 stieg sie wieder auf 64. Andere Statistiken weisen abweichende Zahlen auf, da die Kriterien unterschiedlich sind. Auch in der Einschätzung der Hintergründe und Motive der Täter weisen die Statistiken große Unterschiede auf. Das Bundesinnenministerium spricht davon, dass die weit überwiegende Zahl der Fälle einen rechtsextremen Hintergrund hat, während von 553 von der Universität Bielefeld befragten Jüdinnen und Juden 62 Prozent sagten, dass verbale Angriffe von Muslimen ausgegangen seien und sogar 81 Prozent der körperlichen Angriffe. Eine Rolle könnte dabei spielen, dass etliche der in der Bielefelder Studie eingeflossenen Fälle gar nicht in der Statistik auftauchen, da sie keine Straftatbestände darstellen oder weil Betroffene sie gar nicht erst gemeldet haben, sei es, weil sie kein Vertrauen in die Sicherheitsbehörden haben, sie der Meinung sind, eine Anzeige bringe nichts, oder aus anderen Gründen. Überdies ist die Zuordnung weder in der offiziellen Statistik noch in der Einschätzung der Betroffenen aus der Bielefelder Studie trennscharf.

Die Statistiken hängen von der Meldebereitschaft ab, die wiederum mit einer zunehmenden Sensibilisierung für das Thema steigt. Überdies gibt es mitunter große Unterschiede in der Bewertung von Tatmotiven zwischen den Behörden und den Personen, die Taten melden. Als antisemitisch taucht eine Tat aber nur in der Statistik auf, wenn Justiz und Polizei auch eine antisemitische Motivation registrieren.

Abseits der Erfassung antisemitischer Straftaten bleibt das weite Feld des sogenannten Alltagsantisemitismus, der sich oft unterhalb der Schwelle des Strafgesetzbuches bewegt, vielfach im Dunkeln. Das hat auch damit zu tun, dass Jüdinnen und Juden über Jahrzehnte hinweg in der medialen Wahrnehmung nur wenig vorkamen. Meist fokussierte sich die Öffentlichkeit auf Vertreter des Zentralrats der Juden in Deutschland, die in einer Mahnerrolle auftraten und nicht selten genau deswegen angefeindet wurden. Die Erfahrungs- und Erlebnisperspektive der vielfältigen jüdischen Bevölkerung war nicht präsent, sie wurde nicht wahrgenommen oder sie wurde aus einer Selbstzurückhaltung, aus Ängsten und anderen Gründen von den Jüdinnen und Juden gar nicht erst öffentlich vorgetragen. Dies hat sich seit einigen Jahren deutlich geändert. Vor allem jüngere Jüdinnen und Juden, aber nicht nur sie, melden sich selbstverständlich zu Wort und beschränken sich dabei auch nicht «nur» auf die Anprangerung von Antisemitismus und auf «jüdische Themen».

16. Wie kann man Antisemitismus messen?  Für eine wirksame politische und gesellschaftliche Bekämpfung des Antisemitismus ist es wichtig, neben den Motiven und Funktionsweisen auch das Ausmaß der Verbreitung der Judenfeindschaft und ihr Gefahrenpotential genau zu kennen. Da sich jedoch die wenigsten offen als Antisemiten zu erkennen geben (siehe Frage 11), muss man andere Wege finden.

Wenn es um Erhebungen zur Bedrohungslage von Jüdinnen und Juden in Deutschland geht, besteht das grundlegende Problem für Demoskopen, die Umfragen durchführen wollen, darin, eine ausreichend große und repräsentative Gruppe von Personen zu finden, die bereit sind, die Fragen zu beantworten. Dabei behilft man sich auf verschiedene Weise. Manche wählen aus Telefonbüchern jüdisch klingende Namen aus und rufen diese Personen an. Dies hat zur Folge, dass ein großer Anteil dieser Gruppe immer wieder befragt wird. Andere Forscherinnen rufen über jüdische Gemeinden und Organisationen zur Teilnahme an Befragungen auf. Der große Teil der jüdischen Bevölkerung, der nicht Mitglied einer jüdischen Gemeinde ist, wird so nicht erreicht.

Das Ausmaß und verschiedene Formen des Antisemitismus sind ebenfalls nur schwer über Umfragen zu erfassen. Eine direkte Frage danach, ob jemand Antisemit sei oder an antisemitische Verschwörungsmythen glaube, würde sicherlich von nahezu allen Befragten verneint. Daher müssen sich die Forscher einen Fragenkatalog überlegen, mit dem sie dieses Problem umgehen und dennoch zu aussagekräftigen Ergebnissen kommen. Eine wachsende Rolle spielen dabei Fragen zur Haltung zu Israel und dem Nahostkonflikt. Andere Fragen zielen auf die Erhebung judenfeindlicher Einstellungen, indem nach der Akzeptanz jüdischer Nachbarn oder der Einschätzung jüdischen Einflusses auf Medien, Banken oder Politik gefragt wird. Aus einem ganzen Katalog von Fragen wird dann eine Einschätzung über das Vorhandensein antijüdischer Einstellungen, des sogenannten latenten Antisemitismus, gewonnen. Da die Methoden, Gewichtungen und Fragenkataloge mitunter stark voneinander abweichen, lassen sich unterschiedliche Umfragen nur sehr eingeschränkt vergleichen. Medial werden die Ergebnisse häufig verkürzt und latenter Antisemitismus mit manifestem Judenhass, der sich in Straftaten gegen Jüdinnen und Juden niederschlägt, vermischt. Letzterer wird von Polizei und Justiz statistisch erfasst, wobei es auch Schwierigkeiten in der eindeutigen Zuordnung gibt (siehe Frage 15).

In der Tendenz zeigt sich, dass manifester Antisemitismus, die Zahl antisemitischer Straftaten, seit 2019 deutlich ansteigt. Das hängt unter anderem mit der Coronapandemie ab 2020 zusammen, in deren Zusammenhang auf Protestkundgebungen oder im Internet zahlreiche antisemitische Delikte vorkamen. Ein durch einige Debatten und Aufsehen erregende Fälle geschärftes Bewusstsein bei Justiz und Polizei wird sicher auch eine gewisse Rolle spielen. Latenter Antisemitismus, also judenfeindliche Einstellungen, werden auch vermehrt registriert. Welche Rolle erhöhte Sensibilisierung, eine höhere Meldebereitschaft und eine bessere Infrastruktur von Einrichtungen, die Informationen zusammentragen, und anderes mehr dabei spielen, lässt sich nicht sagen.

17. Wie antisemitisch ist die AfD?  Für die Antwort auf die Frage, wie antisemitisch eine Partei ist, gibt es keine klare Skala, auf der sich ein Grad an Antisemitismus benennen ließe. Naturgemäß folgt aus der Einschätzung einer Partei als antisemitisch nicht automatisch, dass jedes einzelne Mitglied Juden hassen muss. Ein Gradmesser, wofür eine Partei steht, sind neben der Programmatik Äußerungen und Praktiken ihrer führenden Funktionäre, die als gewählte Vertreterinnen und Vertreter den Kurs der Partei prägen. Die Alternative für Deutschland (AfD) hat in erheblichen Teilen in den Jahren seit ihrer Gründung eine fortwährende Radikalisierung in Richtung einer völkisch-rechtsextremen Partei durchlaufen. Dies ging einher mit einer Zunahme antisemitischer Äußerungen, die zum Teil Kern des politischen Selbstverständnisses der AfD bzw. ihrer Führungskräfte sind. In erster Linie bedienen sie sich beim sekundären Antisemitismus (siehe Frage 8) und befeuern diesen, indem Funktionäre wie der ehemalige Bundessprecher bzw. Parteivorsitzende und Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag und heutige Ehrenvorsitzende der AfD, Alexander Gauland (geb. 1941), oder der thüringische Landesvorsitzende Björn Höcke (geb. 1972) den NS-Staat und seine Verbrechen als «Vogelschiss» (Gauland) kleinreden oder die kritische Aufarbeitung des Holocaust ablehnen, indem sie eine «erinnerungspolitische Wende um 180 Grad» (Höcke) fordern und das Denkmal für die ermordeten Juden Europas als «Denkmal der Schande» (Höcke) verunglimpfen. Gauland forderte für die Deutschen zudem das Recht ein, «stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen». Welche Leistungen genau er meinte, ließ er wohlweislich offen, bediente so bewusst vage den Mythos von der «sauberen Wehrmacht» und blendete den Kontext des nationalsozialistischen Angriffs- und Vernichtungskriegs aus. Dies geht einher mit einer nationalistisch aufgeladenen Glorifizierung der deutschen Geschichte.

Tonangebende radikale Kräfte der Partei wie Höcke bedienen sich überdies immer wieder antisemitischer Codes und Verschwörungsmythen, wenn sie gegen die Globalisierung wettern ...
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