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Die philosophische Hintertreppe

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
336 Seiten
Deutsch
Langen - Mueller Verlagerschienen am18.08.2023
Dieser Klassiker hat unzählige Menschen für Philosophie begeistert: Ohne schweres akademisches Gepäck, leicht lesbar, anekdotenreich und humorvoll stellt Wilhelm Weischedel das Leben und Denken der großen Philosophen vor. 32 unterhaltsame Essays präsentieren Personen, Schrullen und große Ideen von der Antike bis zur Moderne - von Thales, Platon und Aristoteles bis zu Heidegger, Russell und Wittgenstein. Einem breiten Lesepublikum werden die großen Traditionen und Ansätze philosophischen Denkens über die »Hintertreppe« verständlich gemacht, denn sie ist laut Weschedel »der Zugang zum unmittelbar Menschlichen«. Jetzt ist der Bestseller des bekanntesten deutschen Philosophen Weischedel endlich wieder lieferbar.mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR30,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR20,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR14,99

Produkt

KlappentextDieser Klassiker hat unzählige Menschen für Philosophie begeistert: Ohne schweres akademisches Gepäck, leicht lesbar, anekdotenreich und humorvoll stellt Wilhelm Weischedel das Leben und Denken der großen Philosophen vor. 32 unterhaltsame Essays präsentieren Personen, Schrullen und große Ideen von der Antike bis zur Moderne - von Thales, Platon und Aristoteles bis zu Heidegger, Russell und Wittgenstein. Einem breiten Lesepublikum werden die großen Traditionen und Ansätze philosophischen Denkens über die »Hintertreppe« verständlich gemacht, denn sie ist laut Weschedel »der Zugang zum unmittelbar Menschlichen«. Jetzt ist der Bestseller des bekanntesten deutschen Philosophen Weischedel endlich wieder lieferbar.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783784484662
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum18.08.2023
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.12255214
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Thales
oder die Geburt der Philosophie

Wer alt geworden ist und sein Ende nahen fühlt, dem mag es wohl geschehen, dass er in einer ruhigen Stunde an die Anfänge seines Lebens zurückdenkt. Das widerfährt auch der Philosophie. Sie ist nun zweieinhalb Jahrtausende alt; es gibt nicht wenige, die ihr einen baldigen Tod prophezeien, und wer heute Philosophie betreibt, den mag wohl manchmal das Gefühl beschleichen, es sei eine müde und ein wenig klapprig gewordene Sache, mit der er sich abgibt. Aus dieser Empfindung kann das Bedürfnis erwachsen, sich in die Vergangenheit zurückzuversetzen und nach den Anfängen zu suchen, in denen die Philosophie noch frisch und mit jungen Kräften im Dasein stand.

Doch wer so der Stunde ihrer Geburt nachforscht, gerät in Verlegenheit. Es gibt ja kein Standesamt für geistige Geschehnisse, dessen Register so weit zurückreichte, dass sich die Eintragung jenes Geburtstages in ihm fände. Wann die Philosophie eigentlich ins Leben getreten ist, weiß keiner mit Sicherheit; ihr Anfang verliert sich im Dunkel früher Zeiten.

Nun sagt eine alte Tradition, die Philosophie habe mit Thales begonnen, einem klugen Manne aus der Handelsstadt Milet im griechischen Kleinasien. Der habe dort im 6. Jahrhundert v. Chr. gelebt und als Erster unter allen Menschen philosophiert. Doch dem stimmt keineswegs der ganze Chor der Gelehrten zu. Einige weisen darauf hin, dass sich doch auch schon bei den frühen Dichtern der Griechen philosophische Ideen finden; so machen sie Hesiod oder gar Homer zu Urvätern der Philosophie. Andere gehen noch weiter zurück und behaupten, es habe auch schon bei den orientalischen Völkern eine Art von Philosophie gegeben, längst ehe das Volk der Griechen in das Licht der Geschichte getreten sei.

Weit radikaler noch ist ein Gelehrter aus dem Anfang des 18. Jhs., Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften, Jakob Brucker, oder, wie er sich, der Sitte der Zeit entsprechend, nennt: Jacobus Bruckerus. Er verfasst ein dickleibiges lateinisches Opus mit dem Titel »Kritische Geschichte der Philosophie, von der Wiege der Welt an bis zu unserem Zeitalter.« Der Beginn der Philosophie reicht also, wenn man diesem Gelehrten trauen will, zurück bis in die allerersten Anfänge, bis zu der Wiege oder, wie man das lateinische Wort auch übersetzen kann, bis zu den Windeln der Menschheit. So findet sich denn auch auf dem Titelblatt des 1. Bandes das Bild einer vorzeitlichen Landschaft, mit einem urwelthaften Bären, der versunken an seiner linken Klaue kaut. Darüber steht die Inschrift: »ipse alimenta sibi«, zu deutsch: »er ist selber seine eigene Speise«, was denn wohl heißen soll: Die Philosophie bedarf keiner fremden Nahrung, keiner vorhergehenden Wissenschaft oder Kunst, sondern sie ist sich selbst genug; kurz: Die Philosophie entspringt aus sich selber, und zwar eben zu der Zeit, als die Menschheit noch in ihren Windeln liegt.

Daher muss Jacobus Bruckerus in seiner Suche nach den Anfängen der Philosophie weiter und weiter zurückgehen, hinter die Griechen und hinter die Ägypter und Babylonier, ja noch hinter die Sintflut, bis in jene Zeit zwischen Adam und Noah, in der die Menschheit ihre ersten Schritte tut. Darum heißt der erste Teil seines voluminösen Werkes: »Vorsintflutliche Philosophie«. Doch auch hier hält Bruckerus noch nicht inne; er erörtert sogar die Frage, ob es nicht vielleicht schon vor Beginn der Menschheit, unter den Engeln und Dämonen, Philosophen gebe. Hier kommt er nun freilich nach scharfsinniger Untersuchung zu dem Ergebnis: Weder Engel noch Dämonen sind Philosophen. Auch Adam und seine Söhne und Enkel werden ihm, wie er sie genauer betrachtet, fragwürdig. Zwar kann er bei ihnen Spuren philosophischer Reflexion entdecken; aber diese reichen doch nicht aus, um jene mit dem Mantel des Philosophen zu umhüllen. Adam etwa, so meint Bruckerus, habe ja gar keine Zeit für philosophische Spekulationen gehabt. Denn wer sich den ganzen Tag um seines Leibes Notdurft kümmern müsse, wer, wie die Bibel sagt, im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen müsse, der habe am Abend keinen Kopf mehr für tiefsinnige Gedanken.

So ähnlich denkt übrigens auch der erste Geschichtsschreiber der Philosophie, der große Aristoteles. Wissenschaft und Philosophie, so etwa sagt er, hätten erst dann beginnen können, als die äußere Notdurft einigermaßen gestillt war und die Menschen für andere Dinge Muße hatten. Das nun sei zum ersten Mal in Ägypten der Fall gewesen, nämlich bei den Priestern dieses Landes; diese hätten darum Mathematik und Astronomie erfunden. Die Philosophie im eigentlichen Sinne aber sei erst bei den Griechen entstanden, und zwar in der Muße, die sich ein großer Handelsherr in der reichen Stadt Milet leisten konnte. So also kommt Aristoteles an den Punkt, an den man seitdem immer wieder den Anfang der Philosophie verlegt: eben zu dem Philosophen Thales aus Milet.

Von seinem Leben und Wesen weiß man. allerdings nicht viel. Aristoteles stellt ihn als einen klugen, fast möchte man sagen gerissenen Geschäftsmann dar. Als er nämlich eines Tages bemerkt, dass die Olivenernte besonders reichlich zu werden verspricht, kauft er sämtliche Ölpressen auf und vermietet sie zu hohem Zinse weiter. Ob diese Geschichte stimmt, ist freilich unsicher. Gewiss ist dagegen, dass Thales sich mit politischen Dingen befasst und sich dann der Mathematik und der Astronomie zuwendet. Auf diesem Felde wird er ein berühmter Mann; es gelingt ihm, eine Sonnenfinsternis exakt vorauszuberechnen, und der Himmel tut ihm den Gefallen, an dem vorhergesagten Tage auch tatsächlich die Sonne sich verdunkeln zu lassen.

Diese Tatsache nimmt übrigens ein gegenwärtiger Geschichtsschreiber zum Anlass, um die Geburtsstunde der Philosophie exakt anzugeben; er schreibt den lapidaren Satz: »Die Philosophie der Griechen beginnt mit dem 28. Mai 585«; denn das eben ist der Tag jener vorausverkündeten Sonnenfinsternis. Man fragt sich freilich, was denn die Philosophie mit Sonnenfinsternissen zu tun habe, es sei denn, die Geschichte der Philosophie sei selber eine Folge nicht von Erleuchtungen, sondern von Finsternissen.

Im Übrigen ist Thales allem Vermuten nach ein echter Weiser: ein Mann nämlich, der nicht nur tief nachdenkt, sondern auch das Leben und seine Absonderlichkeiten kennt. Das wird von antiken Gewährsmännern in hübschen Anekdoten illustriert. Seine Mutter will ihn überreden zu heiraten; er aber antwortet: »Noch ist es nicht Zeit dazu.« Als er dann älter wird und die Mutter ihn immer eindringlicher bestürmt, erwidert er: »Nun ist die Zeit dazu vorüber.« Tiefsinniger noch ist eine andere Geschichte: Auf die Frage, warum er keine Kinder zeugen wolle, antwortet er: »Aus Liebe zu den Kindern.«

Nun mag man die Vorsicht in ehelichen und väterlichen Dingen für eine lobenswerte Eigenschaft halten: sie reicht doch nicht aus, um einen Menschen zum Philosophen zu machen. Was Platon berichtet, ist aber echt philosophisch: »Als Thales die Sterne beobachtete und nach oben blickte und als er dabei in einen Brunnen fiel, soll eine witzige und geistreiche thrakische Magd ihn verspottet haben: er wolle wissen, was am Himmel sei, aber es bleibe ihm verborgen, was vor ihm und zu seinen Füßen liege.« Der Philosoph im Brunnen ist allerdings eine kuriose Erscheinung. Platon aber gibt dieser Geschichte eine ernsthafte Wendung. »Der gleiche Spott trifft alle, die in der Philosophie leben. Denn in Wahrheit bleibt einem solchen der Nächste und der Nachbar verborgen, nicht nur in dem, was er tut, sondern fast auch darin, ob er ein Mensch ist oder irgendein anderes Lebewesen ⦠Wenn er vor Gericht oder irgendwo anders über das reden muss, was zu seinen Füßen oder vor seinen Augen liegt, ruft er Gelächter hervor, nicht nur bei Thrakerinnen, sondern auch beim übrigen Volk; aus Unerfahrenheit fällt er in Brunnen und in jegliche Verlegenheit; seine Ungeschicklichkeit ist entsetzlich und erweckt den Anschein der Einfältigkeit.« Doch nun kommt das Entscheidende: »Was aber der Mensch ist, und was zu tun und zu erleiden einem solchen Wesen im Unterschied von den anderen zukommt, danach sucht er und das zu erforschen müht er sich.« Jetzt also kehrt sich die Sache um. Platon will sagen: Wenn es um das Wesen der Gerechtigkeit und um andere wesentliche Fragen geht, dann wissen die andern nicht aus noch ein und machen sich lächerlich; dann aber ist die Stunde des Philosophen gekommen.

Jetzt versteht man, weshalb Platon, Aristoteles und viele andere nach ihnen gerade diesen Thales aus Milet als den ersten Philosophen bezeichnen. Es geht ihm nicht um die Dinge, sondern um das Wesen der Dinge. Er will dahinterkommen, was es in Wahrheit mit dem auf sich hat, was sich in so vielfältigen Gestalten in der Welt findet: mit den Bergen, den Tieren und den Pflanzen, mit dem Wind und den Sternen, mit dem Menschen, seinem Tun und seinem Denken. Was ist das Wesen von alledem, fragt Thales. Und weiter: Woher kommt, woraus entspringt das alles? was ist der Ursprung von allem? was ist das Eine, alles Umfassende, das Prinzip, das macht, dass das alles wird und ist und besteht? Das sind, wenn auch von ihm selber nicht so ausgesprochen, die Grundfragen des Thales, und indem er sie als Erster stellt, wird er zum Anfänger der Philosophie. Denn nach dem Wesen und nach dem Grunde zu fragen, ist seitdem und bis heute das zentrale philosophische Anliegen.

Die Antwort freilich, die Thales auf diese Frage gibt, ist seltsam. Er behauptet nämlich, so wird berichtet, das Wasser sei der Ursprung von allem. Wie? All das, was wir als Fülle der Weltgestalten vor Augen haben, jene Berge, Sterne und Tiere, wir selber und der Geist, der in uns wohnt, all das soll aus dem Wasser stammen, soll seinem innersten Wesen nach...

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