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Die Frauen von Shonagachi

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
336 Seiten
Deutsch
CulturBooks Verlagerschienen am22.08.2023
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR23,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR16,99

Produkt

Details
Weitere ISBN/GTIN9783959882378
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum22.08.2023
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.12270306
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Kapitel 2

Wie so viele Männer mit omnipotenter Macht innerhalb ­eines begrenzten Kosmos genoss es Samsher Singh, sie breit zu demon­strieren. Ein paar Monate, nachdem man ihn zum Leiter des Burtolla-Polizeireviers ernannt hatte - zugleich zeitweilige Unterkunft für Shonagachis Zuhälter, Schlepper, Puffmütter und kleine Halbstarke, die in die Unterwelt vorstießen -, ließ er sich eine private Toilette einbauen. Der Zutritt war strengstens verboten. Alle anderen mussten sich mit Generationen von Graffiti, nicht herunterspülbaren Zigarettenkippen und dem Gestank der Gemeinschaftstoilette abfinden. Jeden Morgen schlängelte er sich seitwärts durch die Blechtür, die sich nie ganz öffnen ließ, in sein schmales Klosettprovisorium.

Nur kurz nachdem Samsher sich niedergelassen hatte, pochte Naskar an die glänzende Blechtür. Er war der neueste Rekrut, daher wurde immer er mit den unangenehmen Aufgaben ­betraut.

»Sir?«, rief er zaghaft mit seiner Samtstimme, die viel besser zu einem Sänger romantischer Balladen gepasst hätte.

Samsher grunzte. Naskars Stimme hatte so etwas Einschmeichelndes, was jedes Wort nach Heiratsantrag klingen ließ. Es war die letzte Stimme, die Samsher in einem derart unpassenden Augenblick hören wollte. »Was?«, fragte er auf Englisch, das tat er nur, wenn er zeigen wollte, dass er sich ärgerte.

»Ach, Sir, bitte lassen Sie sich von mir nicht stören, Sir â¦ Ich meine, Sir, Balok-da sagt, ich soll Sie holen, Sir, es geht um den Mordfall, aber ich weiß nicht â¦«

Samsher drehte rasch den Wasserhahn zu und fragte: »Was? Mord?«

»Ja, ich meine, Sir, es ist eine Prostituierte.«

Samsher ließ das Wasser wieder laufen und Naskars Stimme übertönen. Nach einer Weile mühte er sich mit dem Riegel ab, der dazu neigte, im entscheidenden Moment Widerstand zu leisten. Schließlich gab er einen gedämpften Kraftausdruck von sich und trat gegen die Tür. Dann kam er heraus und saugte an seinem blutenden Zeigefinger.

Naskar bemühte sich redlich, die Stille zu füllen. Er begann vielversprechend mit »ähm«, dann folgte ein beschwichtigendes »Sir«, das er in die Länge zog und zum Ende hin modulierte. Unter Samshers ungeduldigem Blick haspelte er schließlich: »Ich hole lieber Constable Ghosh, Sir«, und ergriff die Flucht.

***

Constable Balok Ghosh nahm einen letzten Zug von seiner Selbstgedrehten und zerquetschte die Kippe unter seinem ­Stiefel.

»Maity ist schon auf dem Weg hierher, Sir«, sagte er.

»Aber was genau ist vorgefallen?«, fragte Samsher.

»Khoon - eine Bluttat, Sir. Mord.«

»Das Opfer?«

»Rendi magi, Sir. Prostituierte. Eine von den Huren aus dem Blauen Lotus - Sie wissen schon, dem Laden gegenüber der NGO. Oberliga, hochklassig. Eins von Shefali Madams Mädels.«

Samsher kannte Shefali Madam, zwar nicht näher, aber ihre Wege hatten sich in dem multidimensionalen Gewebe aus Bestechungen und Absprachen, das die Welt von Shonagachi zusammenhielt, schon gekreuzt. Die Frau führte in einem fünfstöckigen Altbau namens Blauer Lotus ihr eigenes Reich. Niemand kannte die wahre Anzahl der Frauen, die sie dort unter­brachte. An einem Ort wie Shonagachi, wo jedes Gebäude zwischen zwanzig und fünfzig Zimmer barg und darin zahllose Mädchen, war es schwer, den Überblick zu behalten, was wo lief. Sie hielt das Getriebe gut geschmiert, so dass die Gesetzeshüter sie nicht behelligten. Samsher fühlte sich immer etwas unbehaglich in Gegenwart der großen Despotin.

»Oberliga heißt doch, sie hat einen Zuhälter? Welcher ist es?«

Balok Ghosh breitete die Arme aus, zuckte die Achseln. »Könnte sonst wer sein, vielleicht Chintu.«

Samsher zog eine Braue hoch und versuchte dem Namen ein Gesicht zuzuordnen.

»Ich hab Maity herzitiert, der könnte es auch sein. Die ­Mädels haben ja jetzt alle Handys - sie übergehen die Zuhälter und Schlepper, machen ihr Geschäft allein. Gibt viel böses Blut, was ich so höre. Maity könnte was wissen«, sagte Balok.

Samsher nickte nachdenklich. Mobiltelefone hatten die Landschaft der Prostitution stark verändert. Die Mädchen hatten dadurch selbst ein Fenster zur Welt, auch ohne Zuhälter oder Madam, was die natürliche Ordnung der Dinge gefähr­dete. »Escort-Dienste« schossen wie Pilze aus dem Boden, die warben die Mädchen ab, und die komplexe Hierarchie aus Schmiergeldern, Beteiligungen, Proporz und Unter-der-Hand-Deals, durch die Shonagachi erst gedieh, wandelte sich. Die Mädchen wechselten einfach den Zuhälter oder suchten sich selbst Kunden und verhandelten auf eigene Faust mit Polizisten, was deren Schnitt betraf.

Balok wartete einen Moment, dann sagte er: »Maity kommt gleich, Sir. Neuerdings will er ein bisschen hoch hinaus, aber er wird schon was wissen.«

***

Rambo Maity hockte etwas verkrampft auf dem hartlehnigen Behördenstuhl und starrte mit leerem Blick auf das Standardporträt Gandhis, das ihn von der Wand hinter Samshers Schreibtisch anlächelte. Er zog eine Schachtel Marlboros aus der Hemdtasche und bot Samsher eine an. Seine Goldrand-Pilotenbrille behielt er im Gesicht.

»Arrey, Sir, das ist gar kein Grund zur Sorge, jeder weiß, dass es Salman Khan war«, Rambos Mund verzog sich zu einem schmierigen Lächeln.

Samshers Arm hielt auf halbem Weg zur Zigarettenpackung inne. »Der Filmstar? Was hat der denn damit zu tun?«

Rambo sagte: »Nein, Sir. Ihr Babu. War früher mal ihr Kunde und hat dann eine Beziehung mit ihr angefangen. Hat in der Sudder Street gedealt, hat Ganja und Mädchen an die ausländischen Touristen verkauft. Sie kennen ihn bestimmt.«

»Nä, kann mich nicht erinnern.«

»Ach, das würden Sie schon, wenn Sie ihn sehen.«

Samsher lehnte sich zurück und warf Rambo einen langen prüfenden Blick zu. Rambo Maity war ein aufstrebender Zuhälter. Bis vor kurzem war er ein ganz kleiner Fisch, aber ­Samsher fand ihn als Informanten immer sehr entgegenkommend, ein Leichtgewicht, unsicher genug, um bereitwillig Informatio­nen anzudienen. In letzter Zeit schien er einen Lauf zu haben. Sein duckmäuserisches Gehabe hatte sich verflüchtigt, ebenso wie seine ständige Geldknappheit. Inzwischen kam sein Katalog laminiert daher. Er brüstete sich damit, die größte Sammlung jungfräulicher Collegegirls anzubieten, jedenfalls hatte Balok so etwas nebenbei erwähnt. Letzten Monat hatte Rambo sogar Visitenkarten drucken lassen und Samsher stolz eine überreicht.

Jetzt nahm er seine Pilotenbrille ab. Samsher stellte mit Genug­tuung fest, dass das billige Metall seinen Nasenrücken grünlich verfärbt hatte. Typisch, dachte Samsher. Klasse kann man eben nicht kaufen.

»Hören Sie, Sir, die regeln das schon unter sich. Hat gar keinen Sinn, sich da einzumischen. Solcher Scheiß passiert einmal im Monat - Sie wissen ja, wie das ist.«

Samsher empfand Erleichterung, hütete sich jedoch, Gefühle zu zeigen. Er würde es unbedingt vorziehen, sich nicht einzumischen. Das byzantinische Geflecht aus Verbrechen und Gewalt und Beteiligungen und Bestechung war einfach zu ­anstrengend, und was bekam man schon für seine Mühe? ­Beamte wie ihn gab es wie Sand am Meer, und das Polizeirevier Burtolla interessierte kein Schwein.

»Wie ich sehe, läuft es ganz gut für dich«, sagte Samsher und beäugte das fast volle Päckchen Marlboros.

»Oh, das ist ein Geschenk extra für Sie, Sir.« Rambo schob ihm die Schachtel hin. »Hab mir gedacht: Unser Chef-Sir mag was Gutes zum Rauchen. Bringen wir ihm doch was mit. Schließlich haben wir uns so lange nicht mehr gesehen.«

»Kanntest du das Mädchen?«, fragte Samsher und bemerkte das offenkundige Zögern, das über Rambos Gesicht huschte.

»Sie wissen ja, wie das ist«, brachte Rambo schließlich vor. »Hab sie hier und da mal gesehen. Eins von Shefali Madams Mädchen. Attraktiv, Oberliga, wie es so schön heißt, hat gutes Geld verdient bis zum Notebandi.«

»Die verfluchte Demonetisierung«, knurrte Samsher. Die Regierung hatte die Fünfhundert-Rupien-Scheine aus dem Verkehr gezogen, und das hatte allen geschadet, überall, wo es drauf ankam. Aber das konnte er nicht laut sagen oder gar seine Zweifel vor den eigenen Untergebenen äußern. Wer wusste schon, welcher Schwanzlutscher welcher Partei angehörte, und vor allem, für wen er spionierte? Immerhin musste man sich bei Kriminellen da weniger Gedanken machen.

»Keine Sorge, Sir, ich halte die Augen offen. Sobald sich irgend­was tut, berichte ich es Ihnen. Aber da kommt bestimmt nichts weiter. Ein glasklarer Fall. Der Kerl war eifersüchtig und hat sie gekillt, da bin ich ganz sicher. Welcher heißblütige Mann würde schon hinnehmen, dass seine Freundin so ihr Geld verdient?«

»Na, alle Babus in Shonagachi. Sie kassieren immerhin Anteile.«

»Natürlich, natürlich. Aber jedenfalls lasse ich Sie nicht im Unklaren, Sir, darauf können Sie ganz fest bauen.«

***

Nachdem Rambo seine Pilotenbrille eingesammelt hatte und gegangen war, saß Samsher still in seinem Sessel. Er war nicht der schnellste Denker, das gab er ja selber zu, und er hatte auch nie sehr schnell denken müssen. Aber wozu auch? Es kamen keinerlei Anrufe, es gab keine Anweisungen von oben, niemanden scherte es und ihn besser auch nicht.

Er erhob sich und trat nach dem streunenden Köter, der sich oft auf dem Revier herumdrückte. Das mottenzerfressene Vieh winselte und schlich hinter die...

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