Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Wenn es an Licht fehlt

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
448 Seiten
Deutsch
Schöffling & Co.erschienen am28.08.2023
Im Oktober 2016 besucht der kolumbianische Regisseur Sergio Cabrera eine Retrospektive seiner Werke in Barcelona. Es ist eine schwere Zeit für ihn: Sein Vater Fausto ist vor Kurzem gestorben, seine Ehe ist zerrüttet, und sein Land hat gerade ein Abkommen zurückgewiesen, das nach fünfzig Jahren kriegerischer Gewalt endlich Frieden ermöglicht hätte. Das Wiedersehen mit seinen Filmen und der katalanischen Hauptstadt lenken den Blick zurück auf sein Leben und das seines Vaters. Sie entstammen einer Familie von Antifaschisten, die im Spanischen Bürgerkrieg das Land verlassen und in Südamerika neu anfangen müssen. Durch ihre sozialistische Gesinnung zieht es sie nach China, wo sie alles lernen, was sie für den Kampf gegen die Ungerechtigkeit brauchen. Doch nicht erst als sie sich der kolumbianischen Guerilla anschließen, merken sie, welche Opfer sie dabei bringen müssen. Basierend auf der wahren Geschichte einer Familie von Rebellen, die sich am Ende um ihre tiefsten Überzeugungen betrogen sehen, erzählt Juan Gabriel Vásquez von politischen Erschütterungen mit erschreckend heutiger Resonanz.

Juan Gabriel Vásquez, geboren 1973, machte bereits mit seinem Debu?troman Die Informanten (2010) international Furore. Fu?r seinen Roman Das Geräusch der Dinge beim Fallen (2014) wurde er mit dem Alfaguara-Literaturpreis sowie dem IMPAC Award ausgezeichnet. Die Gestalt der Ruinen (2018) gelangte auf die Shortlist des Man Booker-Preises, Wenn es an Licht fehlt (2023) erhielt den Premio Bienal de Novela Mario Vargas Llosa. Seine Werke wurden bisherin 16 Sprachen u?bersetzt. Juan Gabriel Vásquez lebt mit seiner Frau und zwei Töchtern in Bogotá.
mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR28,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR21,99

Produkt

KlappentextIm Oktober 2016 besucht der kolumbianische Regisseur Sergio Cabrera eine Retrospektive seiner Werke in Barcelona. Es ist eine schwere Zeit für ihn: Sein Vater Fausto ist vor Kurzem gestorben, seine Ehe ist zerrüttet, und sein Land hat gerade ein Abkommen zurückgewiesen, das nach fünfzig Jahren kriegerischer Gewalt endlich Frieden ermöglicht hätte. Das Wiedersehen mit seinen Filmen und der katalanischen Hauptstadt lenken den Blick zurück auf sein Leben und das seines Vaters. Sie entstammen einer Familie von Antifaschisten, die im Spanischen Bürgerkrieg das Land verlassen und in Südamerika neu anfangen müssen. Durch ihre sozialistische Gesinnung zieht es sie nach China, wo sie alles lernen, was sie für den Kampf gegen die Ungerechtigkeit brauchen. Doch nicht erst als sie sich der kolumbianischen Guerilla anschließen, merken sie, welche Opfer sie dabei bringen müssen. Basierend auf der wahren Geschichte einer Familie von Rebellen, die sich am Ende um ihre tiefsten Überzeugungen betrogen sehen, erzählt Juan Gabriel Vásquez von politischen Erschütterungen mit erschreckend heutiger Resonanz.

Juan Gabriel Vásquez, geboren 1973, machte bereits mit seinem Debu?troman Die Informanten (2010) international Furore. Fu?r seinen Roman Das Geräusch der Dinge beim Fallen (2014) wurde er mit dem Alfaguara-Literaturpreis sowie dem IMPAC Award ausgezeichnet. Die Gestalt der Ruinen (2018) gelangte auf die Shortlist des Man Booker-Preises, Wenn es an Licht fehlt (2023) erhielt den Premio Bienal de Novela Mario Vargas Llosa. Seine Werke wurden bisherin 16 Sprachen u?bersetzt. Juan Gabriel Vásquez lebt mit seiner Frau und zwei Töchtern in Bogotá.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783731762409
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum28.08.2023
Seiten448 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse5500 Kbytes
Artikel-Nr.12314899
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



II

Von der Dachterrasse konnte man den Montjuïc sehen. Fausto, damals dreizehn, stieg gern mit seinem Bruder Mauro aufs Dach und sah sich den Himmel und das ferne Meer an und Francos Flugzeuge dort oben, die die widerständige Stadt überflogen. Der Bürgerkrieg war vieles zugleich: ein Pfarrer, der im Viertel vom Kirchturm auf die unbewaffnete Menge schießt, aber auch dieses Pfeifen einer rolligen Katze, das eine Bombe kurz vor dem Aufprall von sich gibt, und ebenso das Beben der Explosion, das man im Magen spürt wie ein Grimmen in den Eingeweiden. Der Krieg bedeutete für die Brüder, sich unter dem Esstisch zu verstecken, wenn die Umrisse einer feindlichen Junkers über den Himmel wanderten. Dann lernten sie, bei Sirenengeheul in den Luftschutzbunker zu flüchten; doch bald schon wurden die Sirenen alltäglich, und sie gaben die Gewohnheit auf. Dann versteckte sich im Bunker nur noch Pilón, der Wolfshund der Familie. Fausto hörte Bomben, die anderswo niedergingen - nah oder fern, aber anderswo -, und als er die Erwachsenen danach fragte, erfuhr er, dass die Flugzeuge von den Balearen kamen, die bereits an Franco gefallen waren, doch zugleich beruhigte man ihn, Barcelona werde niemals in die Hände der Faschisten fallen. Warum nicht? Weil sein Vater das sage.

Er hieß Domingo Cabrera. Zu Kriegsbeginn besaß er noch einen durchtrainierten Körper, war außerdem Hobbydichter und Gitarrenspieler mit einer guten Stimme und dem Gesicht eines Filmschauspielers. Er war ein Abenteurer. Mit sechzehn hatte er das Provinzleben auf den Kanaren leid gehabt, seine Habseligkeiten gepackt und das nächste Schiff nach Amerika genommen. Er hatte gerade einmal genug Geld zusammengekratzt, um an Bord gelassen zu werden, musste sich die Überfahrt aber im Schweiße seines Angesichts verdienen, in seinem Fall buchstäblich, denn zur Empörung und Faszination der Passagiere organisierte er gemeinsam mit einem Gefährten auf dem Deck Schaukämpfe im Freistilringen. Auf dieser abenteuerlichen Reise machte er Station in Kuba, arbeitete auf den Feldern Argentiniens und verwaltete eine Hazienda in Guatemala, wenige Kilometer von Antigua entfernt. Dort lernte er den spanischen Oberst Antonio Díaz Benzo kennen, vom König persönlich dorthin geschickt, damit er eine Militärakademie eröffnete. Und damit änderte sich sein Leben.

Im Kuba-Krieg wurde er zu einem Helden, an dessen Uniform kein weiterer Orden mehr Platz gefunden hätte. Was dann kam, hatte niemand vorhergesehen: Domingo, der junge Draufgänger, verliebte sich in Julia, die Tochter des Offiziers, und schlimmer noch, die Offizierstochter verliebte sich in den jungen Draufgänger. Julia Díaz Sandino war eine Aristokratin aus Madrid und eingefleischte Monarchistin. Eine unwahrscheinlichere Beziehung war kaum denkbar. Doch man bedachte nicht, dass die Monarchistin auch eine eifrige Leserin spanischer Dichtung war, Lope de Vega rezitierte, solange es kein obszönes Gedicht war, und den Guatemalteken vom Nicaraguaner Rubén Darío erzählte, als stammte der aus Madrid. Das frischgebackene Ehepaar kehrte nach Las Palmas auf die Kanaren zurück. Dort, in einem Haus in der Calle Triana mit Blick aufs Meer, in einem Zimmer, dessen Fensterrahmen in der Salzluft abblätterten, kamen ihre Kinder auf die Welt - Olga, Mauro und Fausto -, und dort wären sie ihr Leben lang geblieben, wäre dieses Leben nicht aus heiterem Himmel aus dem Gleis geraten.

Eines Abends, sie hatten den kleinen Fausto gerade zu Bett gebracht, klagte Julia zum ersten Mal über Halsschmerzen. Man schrieb sie dem Herbstanfang zu - gewiss habe sie etwas aufgeschnappt -, doch die Schmerzen wurden mit den Tagen immer stärker, dann fast unerträglich. Binnen Wochen hatte ein Arzt einen aggressiven Krebs diagnostiziert und gab ihr eine aufrichtige Empfehlung: Sie solle lieber in die Hauptstadt reisen, dort habe man eine neue Behandlung entdeckt.

»Was für eine?«, fragte Domingo.

Der Arzt antwortete fachmännisch.

»Die Trigeminuspunktion«, sagte er. »Der Name ist sogar hübsch.«

Es herrschten schwere Zeiten, als sie in Madrid eintrafen. Die Monarchie unter Alfonso XIII. wurde schon seit Monaten vom Gespenst der Republik bestürmt, und obwohl man es noch in Schach hielt, bezweifelte niemand, dass sich in Spanien etwas ändern würde. Doña Julia litt mit ihrem König, denn in ihrer Familie gab es die übermächtige Gestalt des heroischen Oberst, der im Kuba-Krieg das Territorium der Krone verteidigt hatte, aber zugleich litt sie auch mit ihrem Bruder Felipe Díaz Sandino, einem der großen Piloten der spanischen Luftfahrt. Der Luftwaffenkommandeur Díaz Sandino von Aire de Cataluña zählte zu den Persönlichkeiten, die ihr Familienwappen auf die Brust tätowiert zu tragen scheinen, und das Wappen enthielt zehn unheilverkündende Wörter: Lebe das Leben, auf dass es lebendig bleibe im Tod. Julia wäre stolz auf ihn gewesen und hätte diesen Stolz an ihre Familie weitergegeben, hätte Onkel Felipe, der die Cabreras jeden zweiten Tag besuchte, nicht drei Fehler gehabt: Zum einen war er überzeugter Republikaner, zum anderen war er an einer Verschwörung zum Sturz des Königs beteiligt, und zum Dritten hatte er Domingo überzeugt, sich den Verschwörern anzuschließen.

1930 warteten sie eines Nachts vergebens auf Domingo, der gewöhnlich früh nach Hause kam, um sich um seine krebskranke Frau zu kümmern. Niemand wusste etwas, niemand hatte ihn tagsüber gesehen, niemand konnte versichern, dass nichts Beunruhigendes geschehen war. In Madrid wehte bereits der Wind des Umsturzes, und in einer solchen Stadt kann es zu ernsten Vorfällen kommen, ohne dass man davon erfährt. So gingen sie zu Bett - Fausto sollte sich später erinnern, dass ihm die üblichen Worte seiner Eltern damals, nein, da passiere nichts weiter, das seien Erwachsenengeschichten, schon immer als Lüge vorgekommen waren -, und sie hatten gerade zwei Stunden geschlafen, als sie von Kolbenschlägen an der Tür geweckt wurden. Es waren drei Sicherheitsbeamte, die nicht den Hut abnahmen oder ihre Pistolen wegsteckten, sondern gewaltsam wie in das Haus eines Verbrechers eindrangen und nach Felipe Díaz Sandino fragten, Türen auftraten und unter die Betten sahen. Als sie sich davon überzeugt hatten, dass Onkel Felipe nicht da war, fragten sie nach dem Hausherrn. Julia sah einen nach dem anderen an.

»Der ist auch nicht da«, sagte sie. »Ich weiß nicht, wo er sein könnte. Und selbst wenn ich es wüsste, würde ich es euch nicht sagen.«

»Nun, dann sagen Sie ihm, Señora, sobald Sie ihn sehen«, sagte einer der Beamten, »dass wir ihn in der Zentrale erwarten.«

»Und wenn ich ihn nicht sehe?«

»Das werden Sie«, sagte der Mann. »Das werden Sie, kein Zweifel.«

Sie sah ihn in der Morgendämmerung. Domingo kam so leise, dass Fausto seine Rückkehr erst bemerkte, als er die Mutter weinen hörte. Er brachte keine guten Nachrichten: Die Polizei hatte sie beide verfolgt, Domingo und Onkel Felipe, und nachdem sie sich stundenlang versteckt hatten und von Haus zu Haus, von Café zu Café geflüchtet waren, um ihre Verfolger abzuschütteln, hatte man sie eingeholt. Domingo hatte entwischen können, aber Onkel Felipe war festgenommen worden, wegen Verschwörung gegen König Alfonso XIII., und saß im Militärgefängnis.

»Gut, gehen wir ihn besuchen«, sagte Doña Julia.

»Was redest du da«, schimpfte Domingo. »Du bist krank.«

»Dafür bin ich nicht zu krank«, sagte sie. »Wir gehen sofort. Und zwar alle.«

Fausto war sechs, als er zum ersten Mal ein Gefängnis betrat. Für Olga und Mauro war es bloß ein düsterer, hässlicher Ort, auf Fausto dagegen wirkte das Gefängnis verkommen und gefährlich, und Onkel Felipe litt dort, weil er ein gerechter Mann war oder gegen die Ungerechtigkeit kämpfte. Aber das entsprach nicht den Tatsachen. Der Ort war weder verkommen, noch gab es klaustrophobische Gänge, und Onkel Felipe hatte auch keine Foltern oder Misshandlungen erlitten. Die Militärgefängnisse, vor allem für adlige Offiziere mit Orden an der Brust, waren eher bequeme Orte. Aber all das war Fausto egal. Die Tage im Gefängnis machten Onkel Felipe zu seinem Helden. Die Familie besuchte ihn während seiner Haft jede Woche, und Fausto umarmte Onkel Felipe, als käme er gerade aus dem Krieg zurück. Julia flehte ihren Bruder an: »Sag ihm, dass alles gut wird, bitte, der Junge bekommt kein Auge zu. Sag ihm, dass sie dich nicht foltern, dass sie dich gut behandeln und du bald frei sein wirst.« Onkel Felipe ging sogar noch weiter: »Ich werde bald frei sein, Fausto«, sagte er ihm, »und wenn ich draußen bin, ist Spanien eine Republik.«

An diese Worte musste Fausto später denken, als er die Leute auf der Straße feiern sah. Onkel Felipe wurde auf den Schultern durch Madrid getragen, man hielt mit der einen Hand sein Bein, wedelte mit der anderen eine dreifarbige Fahne und schmetterte die Riego-Hymne, während Doña Julia in ihrem Zimmer weinte und jammerte, die Welt gehe unter. Über Monate wurden die Tischgespräche unerträglich, denn Julia war nicht in ihrer Überzeugung zu erschüttern, dass die Familie zur Hölle verdammt war, wie ihr auch der Pfarrer bestätigte, den sie möglichst oft anschleppte. Domingo und Onkel Felipe hatten sich zu einem Bündnis zusammengetan, das eher einer Mafia glich. Dank Onkel Felipe hatte Domingo nun eine halbe Stelle im Innenministerium, wurde jedoch abends zu etwas anderem: zum Geheimagenten für den Nachrichtendienst. Fausto und seine Geschwister hatten strenge Anweisungen, nicht über diese Tätigkeit zu reden, denn - erklärte man ihnen - die Wände hätten...

mehr

Autor

Juan Gabriel Vásquez, geboren 1973, machte bereits mit seinem Debütroman Die Informanten (2010) international Furore. Für seinen Roman Das Geräusch der Dinge beim Fallen (2014) wurde er mit dem Alfaguara-Literaturpreis sowie dem IMPAC Award ausgezeichnet. Die Gestalt der Ruinen (2018) gelangte auf die Shortlist des Man Booker-Preises, Wenn es an Licht fehlt (2023) erhielt den Premio Bienal de Novela Mario Vargas Llosa. Seine Werke wurden bisherin 16 Sprachen übersetzt. Juan Gabriel Vásquez lebt mit seiner Frau und zwei Töchtern in Bogotá. Aus dem Spanischen von Susanne Lange.