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Der Mond macht keine halben Sachen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
214 Seiten
Deutsch
Books on Demanderschienen am31.08.20231. Auflage
Philipp ist Mädchen gegenüber schüchtern, einsam, in der Schule ein Außenseiter. Die Schuld daran gibt er vor allem seiner Familie. Den Vater erlebt er als cholerisch, die Mutter als abwesend, die ältere Schwester als gemein. Nach dem Abitur entscheidet er sich zu einem radikalen Schritt: Er verlässt seine Familie und lässt sich von einem kinderlosen Ehepaar adoptieren. Selbstvertrauen holt er sich unter anderem beim Klettern in den Bergen. Doch dann passiert gerade beim Bergsteigen ein schlimmer Unfall. Plötzlich ist Philipp auf seine alte Familie angewiesen. Wird sie ihm seine Flucht, seine Abkehr verzeihen? Ein Roman zwischen Leben und Tod, Liebe und Hass, Verzweiflung und Hoffnung. Der Wert einer Familie steht dem Gefühl entgegen, in der Familie gefangen zu sein. Und über allem die Frage, was wir vom anderen Menschen, und sei er uns noch so nah, wirklich wissen. "Manchmal passieren Dinge, da ist danach nichts mehr so, wie es vorher war. Bei mir ist das gerade der Fall. Ich habe das Gefühl, alles zerfällt, löst sich auf."

Felix Leibrock hat in Freiburg im Breisgau, Bern und München Literaturwissenschaften und Geschichte mit dem Abschluss Staatsexamen und Promotion sowie in Neuendettelsau und Erlangen Evangelische Theologie studiert. Er war viele Jahre Gemeindepfarrer und Stadtkulturdirektor von Weimar. Er leitet das Evangelische Bildungswerk München, ist Seelsorger bei der Bayerischen Bereitschaftspolizei, spricht das Format "Nachgedacht" bei Antenne Bayern und schreibt eine wöchentliche Kolumne im Allgemeinen Anzeiger (Auflage knapp 1 Million). Er schreibt Krimis, Romane, Musicals und Bücher zur Lebenshilfe. In seiner Freizeit engagiert er sich ehrenamtlich für Obdachlose. Mit seinen Literaturveranstaltungen begeistert er seit 25 Jahren das Publikum. Er lebt in München. Mit seinem neuen Buch hat Leibrock ein sehr persönliches Buch geschrieben. Er hat selbst mehrere Operationen mit Transplantaten gut überstanden und bringt Erfahrungen mit jungen Menschen ein, die in der Polizei ihren Dienst beginnen. "Leibrock ist ein fesselnder Geschichtenerzähler." Süddeutsche Zeitung 02.05.2023
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR9,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,49

Produkt

KlappentextPhilipp ist Mädchen gegenüber schüchtern, einsam, in der Schule ein Außenseiter. Die Schuld daran gibt er vor allem seiner Familie. Den Vater erlebt er als cholerisch, die Mutter als abwesend, die ältere Schwester als gemein. Nach dem Abitur entscheidet er sich zu einem radikalen Schritt: Er verlässt seine Familie und lässt sich von einem kinderlosen Ehepaar adoptieren. Selbstvertrauen holt er sich unter anderem beim Klettern in den Bergen. Doch dann passiert gerade beim Bergsteigen ein schlimmer Unfall. Plötzlich ist Philipp auf seine alte Familie angewiesen. Wird sie ihm seine Flucht, seine Abkehr verzeihen? Ein Roman zwischen Leben und Tod, Liebe und Hass, Verzweiflung und Hoffnung. Der Wert einer Familie steht dem Gefühl entgegen, in der Familie gefangen zu sein. Und über allem die Frage, was wir vom anderen Menschen, und sei er uns noch so nah, wirklich wissen. "Manchmal passieren Dinge, da ist danach nichts mehr so, wie es vorher war. Bei mir ist das gerade der Fall. Ich habe das Gefühl, alles zerfällt, löst sich auf."

Felix Leibrock hat in Freiburg im Breisgau, Bern und München Literaturwissenschaften und Geschichte mit dem Abschluss Staatsexamen und Promotion sowie in Neuendettelsau und Erlangen Evangelische Theologie studiert. Er war viele Jahre Gemeindepfarrer und Stadtkulturdirektor von Weimar. Er leitet das Evangelische Bildungswerk München, ist Seelsorger bei der Bayerischen Bereitschaftspolizei, spricht das Format "Nachgedacht" bei Antenne Bayern und schreibt eine wöchentliche Kolumne im Allgemeinen Anzeiger (Auflage knapp 1 Million). Er schreibt Krimis, Romane, Musicals und Bücher zur Lebenshilfe. In seiner Freizeit engagiert er sich ehrenamtlich für Obdachlose. Mit seinen Literaturveranstaltungen begeistert er seit 25 Jahren das Publikum. Er lebt in München. Mit seinem neuen Buch hat Leibrock ein sehr persönliches Buch geschrieben. Er hat selbst mehrere Operationen mit Transplantaten gut überstanden und bringt Erfahrungen mit jungen Menschen ein, die in der Polizei ihren Dienst beginnen. "Leibrock ist ein fesselnder Geschichtenerzähler." Süddeutsche Zeitung 02.05.2023
Details
Weitere ISBN/GTIN9783757858988
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum31.08.2023
Auflage1. Auflage
Seiten214 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.12319373
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

6

Frank und Sabine kommen von einer Einladung zum Brunch bei Freunden in Haidhausen. Es ist ein später Julinachmittag, die Sonne über München tanzt immer noch ein bisschen Samba. Weil sie beide Aperol Spritz und Bardolino trinken wollten, sind Frank und Sabine mit Tram und U-Bahn zum Brunch gefahren. Jetzt sind sie zu Fuß unterwegs, zurück nach Harlaching, wo sie leben. Seit einigen Wochen habe ich mein Quartier in den Isarauen unweit der Wittelsbacher Brücke aufgeschlagen. Das marineblaue Trekkingzelt, das mir meine Eltern zur Konfirmation geschenkt haben, erweist sich bei Regen als Segen. An schwülen Tagen wie diesen, die selbst in der Nacht kaum abkühlen, lasse ich das Zelt zusammengerollt neben dem Schlafsack liegen.

Nur wenige Meter von meiner Schlafstelle entfernt verläuft der Weg, auf dem sich Radfahrer und Partygänger auf und ab drängeln. Auf den Wiesen überall feiernde, lachende, scherzende Gruppen junger Menschen. Grasgeruch, Gitarrenklänge, Grillrauch. Die Frauen in Shorts und knappen Tops, die Männer mit eng anliegenden T-Shirts, Bierdosen in der Hand und Oakley-Sonnenbrillen. Um mich herum die pralle Lust von Open Air, Flirt und Party. Am Rande der von den Alpen gespeiste Fluss, der so tut, als ginge ihn das alles nichts an. An solchen Abenden spüre ich meine Isolation besonders stark. Ich bin physisch ganz nah an der Gesellschaft der Glücklichen. Und doch trennen mich von ihr Welten. Ich bin wie die Isar - teilnahmslos.

Aus dem Elternhaus zu fliehen, das habe ich mir lange und gründlich überlegt. Schon mit vierzehn, dann mit sechzehn Jahren bin ich so weit gewesen. Aber mir fehlteder Mut, auch eine Idee, wie ich nach der Flucht leben wollte. So schlimm es auch zuhause war, hatte ich dort doch ein Bett zum Schlafen und einen Ort, um für die Schule zu lernen. Erst als ich das Abitur vor Augen hatte, stand der Plan. Ich wollte die Schule abschließen, dann fliehen und mir einen Job suchen, eine Bleibe. Vielleicht irgendwann studieren. Hauptsache weg von zuhause! So kam es dann auch.

Der Abifeier bin ich ferngeblieben. Meine Mutter, da war ich mir sicher, würde sowieso nicht zur Feier erscheinen. Meine Schwester erst recht nicht. Ich hatte meinem Vater die Einladung auf den Schreibtisch gelegt. Wir redeten seit Jahren fast kein Wort mehr miteinander. Warum also hätte ich die Einladung zur Abifeier persönlich aussprechen sollen?

Den Betrag für eine oder zwei Personen überweisen, auf dieses Konto, meinen Beitrag zahle ich selbst, schrieb ich trotzig auf die gedruckte Einladung. Mit einem Pfeil auf die Bankverbindung. Mensch, wie bockig war ich damals! Ich habe die Gelegenheit versemmelt, über ein freudiges Ereignis, das Abitur, eine neue Basis des Gesprächs mit meinem Vater und meiner Familie zu finden. Wie gut wäre es gewesen, mit einem Prosecco anzustoßen. Die Verwerfungen der Jahre davor wenigstens ein bisschen wegzuspülen. Familienereignisse machen es manchmal möglich, Wunden heilen zu lassen. Ich habe die Abifeier benutzt, oder sagen wir ruhig missbraucht, um alte Narben wieder aufzureißen. Heute bereue ich das. Ich frage mich, warum es erst eine schwere Erkrankung oder ein anderes tragisches Ereignis braucht, um einem den Wert familiären Zusammenhaltens bewusst zu machen.

Die Zeugnisse gab es schon am Vormittag in der Schule. Am späten Nachmittag stellte ich mich versteckt an den Rand des Schulhofs, unter die drei großen Eichen. Vondort beobachtete ich, wie meine Klasse mit ihrem Anhang auflief. Die Mitschülerinnen schwebend wie Schmetterlinge, in farbigen Tüllkleidern mit Pailletten und Ziersteinen. Die Jungs in stylischen Anzügen, die Krawatten schief, die Scheitel pomadig. Ich dagegen, mit meiner schwarzen Baumwollhose und dem weißen Hemd, ohne Jackett, erinnerte an ein männliches Aschenputtel. Ich sah meinen Vater auftauchen. Mit seinem orangebraunen Anzug und dem kobaltblauen Strohhut erinnerte er mich an einen überdimensionierten Eisvogel. Schwitzend drehte er sich hin und her, sah sich mit angestrengter Miene nach mir um. Ein Fremdkörper zwischen all den Familien mit ihren erwartungsvollen und freudigen Gesichtern. Mich überkam ein Moment der Rührung, eine warme Regung im Herzen. Auch seine Kindheit war durch einen überstrengen Vater eingetrübt. War es nicht verständlich, dass er diese Strenge an mich weitergab? Solche Empathie hatte mich schon öfter beschlichen. Aber jetzt wollte sie mich übermannen. Schon tat ich einige Schritte aus meinem Versteck hervor, ging auf ihn zu. Da sah ich ihn ins Handy tippen. Sekunden später spürte ich das Vibrieren in meiner Hosentasche.

WO BIST DU???

Drei Fragezeichen. Jedes für sich ein Ausdruck von diesem Galligen, was unzählige Male am Anfang seiner Wutausbrüche gegen mich stand. Ein Ausdruck von erstens: Einfordern von absolutem Gehorsam. Von zweitens: Gnadenloser Strenge, wenn ich das Geforderte nicht gut erledigte. Und drittens: Anderweitig herrührendem Frust, den er an mir abreagierte. Nicht mal an so einem Tag hatte er sich im Griff. Mein Herz kühlteab, gefror. Auch wegen dieser drei Fragezeichen ging ich nicht zur Abifeier.

Aber das lag nicht nur an meinem galligen Vater. Auch meine Bindungen zu den Mitschülern waren nicht besonders gut. Sie waren genau genommen schlecht. Ich galt als Außenseiter. Man verspottete mich oft wegen meiner Aknenarben. In der Pubertät überfielen mich die Pickel wie Ameisen den Himbeersirup. Als Jugendlicher war ich oft hypernervös. Das lag an den Wutanfällen meines Vaters. An den Ängsten vor Mädchen. An den Hänseleien der Mitschüler, die sagten, ich sei ein Weichei, weil ich Rilke und überhaupt Gedichte und Romane gut fand. Das alles waren Gründe, warum ich mir ständig im Gesicht herumfummelte. Die Akne hinterließ dort bleibende Spuren. Gleichzeitig brannten sich die Wutanfälle, die Ängste in meiner Seele ein.

Ich sah noch, wie mein Vater in die Aula zur Abifeier ging, auch ohne mich. Vielleicht glaubte er, ich sei schon drinnen. Nichts wie weg, dachte ich, und rannte zum See. Dort ließ ich Steine auf der Oberfläche tanzen. Man würde mir, das war durchgesickert, für einen Aufsatz über Rilkes Gedichte einen Sonderpreis verleihen. Mein Name wird gerade aufgerufen, stellte ich mir vor und warf sanft einen flachen Stein auf den See. Alle schauen sich um, fixieren schließlich meinen Vater. Er sitzt am Tisch der Eltern, deren Kinder einen Sonderpreis bekommen. Sie fragen ihn: Wo ist Ihr Sohn? Die Schulleiterin wird eine verlegene Ausrede ins Mikrofon stammeln. Ich sei vielleicht irgendwo aufgehalten worden. Dann gibt sie die Urkunde meinem Vater. Applaus. Er wird sie dem Herrn Sohn später aushändigen, schiebt die Schulleiterin noch hinterher. So, und jetzt schnell zum nächsten Sonderpreis.

Wo ist Ihr Sohn? Ich rannte vom See nach Hause. Meine Mutter schlief, was sonst. Meine Schwester hatte ichgerade noch gesehen, wie sie mit einem Verehrer in einem Cabrio davonfuhr. Sie hatte mich nicht bemerkt. Schnell holte ich meine im Keller verstauten Sachen, das Trekkingzelt, den Schlafsack. In meinem Zimmer warf ich einige Bücher, das Abizeugnis, Ausweis, Sparbuch, Bargeld, Taschenlampe, Trinkbehälter, Klamotten in meine Sporttasche. Die Geräusche, die ich verursachte, weckten meine Mutter. Sie stöhnte im Schlafzimmer auf. Sollte ich mich von ihr verabschieden, schoss es mir durch den Kopf. Sie wird nicht verstehen, was vor sich geht, beruhigte ich mein Gewissen. Außerdem war ich wütend auf sie. Sie war nie, nie, nie für mich dagewesen. Natürlich war ihre kaputte Psyche schlimm. Jetzt erwartete ich von ihr nichts mehr. Aber sie hatte die Karriere über alles gestellt. Ich war ihr da mehr oder weniger egal gewesen. Jeder Mensch ist für sich selbst verantwortlich. Sie also auch für ihr verpfuschtes Leben. Nicht ich. Manchmal frage ich mich auch, ob das Verhältnis zwischen mir und meinem Vater nicht so zerrüttet wäre, wenn ich eine normale, sich kümmernde Mutter gehabt hätte. Da sie in vielem ausfiel, war mein Vater überfordert. Und er war cholerisch veranlagt. Ständig brannte die Lunte. Die Familie ein Sprengstofflager. Mit achtzehn jedenfalls ging es mir nur um eine Frage: Wer ist schuld? Ich selbst war es, so dachte ich damals, jedenfalls nicht. Deswegen musste ich auch bei meiner Flucht keine Rücksichten nehmen.

Mit raschen Schritten ging ich zum S-Bahnhof und atmete erst auf, als der Zug Richtung München losfuhr. Die Nacht meiner Abifeier war die erste, die ich unter freiem Himmel verbrachte. Mit achtzehn war ich ein freier Mensch. Eine Vermisstenanzeige meiner Eltern würde keine Suchaktion auslösen. Vorsorglich schrieb ich um Mitternacht eine Nachricht an meinen Vater.

Ich verlasse euch und will mit euch nie wieder etwas zu tun haben. Lasst mich in Ruhe!

Eine Antwort kam nicht. Wenn ein Sohn sich so radikal verabschiedet, warum sollte man ihm noch hinterherlaufen? Vielleicht dachten meine Eltern, so glaubte ich damals: Der soll sich austoben. Kommt irgendwann wieder. Erst nach meinem Unfall erfuhr ich, wie sie mich gesucht haben. Über meine wenigen Bekannten, von denen sie wussten. Dass meine Mutter, weil sie wegen meiner Flucht so verzweifelt war, ein paar Tage später in die Klinik kam. Mein Vater griff in...
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