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Blick in den Abgrund

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
238 Seiten
Deutsch
C.H. Beckerschienen am17.10.20231. Auflage
Israel steht am Abgrund. Das Israel, das wir kannten. Saul Friedländer, der große Historiker des Holocaust, hat ein Tagebuch geschrieben, in dem er die aktuellen Ereignisse schildert und kommentiert, in Rückblenden aus der Geschichte des Landes, das er mit aufgebaut hat, erzählt, Konflikte analysiert und über Lösungen nachdenkt. Sein Tagebuch geht unter die Haut und jeden etwas an, dem an Israel was liegt. «Man kann gar nicht so viel essen, wie man kotzen möchte.» Mit diesem herben Kommentar Max Liebermanns zur «Machtergreifung» der Nationalsozialisten beginnt das israelische Tagebuch von Saul Friedländer. Eine neue, mit rechtsradikalen Kräften koalierende Regierung unter Führung von Benjamin Netanjahu versucht mit einer Justizreform, die Demokratie auszuhebeln und ein autoritäres Regime zu etablieren. Hunderttausende gehen auf die Straße, um dagegen zu demonstrieren. Saul Friedländer, weltberühmt, mit höchsten Preisen ausgezeichnet und im 90. Jahr seines Lebens angekommen, kann nicht mehr mitdemonstrieren, aber er schreibt ein «israelisches Tagebuch», um dieser dramatischen Entwicklung entgegenzutreten. Es ist eine schmerzhafte, bewegende Lektüre und ein Appell an uns alle, den Absturz Israels in eine autoritäre Pseudo-Demokratie zu verhindern.

Saul Friedländer, geboren 1932, überlebte als Kind den Holocaust in einem katholischen Waisenhaus. Seine Eltern wurden von den Deutschen ermordet. Mit fünfzehn Jahren ging er mit einem gefälschten Pass, der ihn zwei Jahre älter machte, von Frankreich nach Palästina, um den Staat Israel mitaufzubauen. Der Autor von "Das Dritte Reich und die Juden", der kanonischen Darstellung des Holocaust, wurde u.a. mit dem Geschwister-Scholl-Preis, dem Preis der Leipziger Buchmesse, dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels, dem MacArthur-Fellowship, dem Dan-David-Preis und dem Balzan-Preis geehrt. Seine Bücher erscheinen in Deutschland bei C.H.Beck.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
EUR17,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextIsrael steht am Abgrund. Das Israel, das wir kannten. Saul Friedländer, der große Historiker des Holocaust, hat ein Tagebuch geschrieben, in dem er die aktuellen Ereignisse schildert und kommentiert, in Rückblenden aus der Geschichte des Landes, das er mit aufgebaut hat, erzählt, Konflikte analysiert und über Lösungen nachdenkt. Sein Tagebuch geht unter die Haut und jeden etwas an, dem an Israel was liegt. «Man kann gar nicht so viel essen, wie man kotzen möchte.» Mit diesem herben Kommentar Max Liebermanns zur «Machtergreifung» der Nationalsozialisten beginnt das israelische Tagebuch von Saul Friedländer. Eine neue, mit rechtsradikalen Kräften koalierende Regierung unter Führung von Benjamin Netanjahu versucht mit einer Justizreform, die Demokratie auszuhebeln und ein autoritäres Regime zu etablieren. Hunderttausende gehen auf die Straße, um dagegen zu demonstrieren. Saul Friedländer, weltberühmt, mit höchsten Preisen ausgezeichnet und im 90. Jahr seines Lebens angekommen, kann nicht mehr mitdemonstrieren, aber er schreibt ein «israelisches Tagebuch», um dieser dramatischen Entwicklung entgegenzutreten. Es ist eine schmerzhafte, bewegende Lektüre und ein Appell an uns alle, den Absturz Israels in eine autoritäre Pseudo-Demokratie zu verhindern.

Saul Friedländer, geboren 1932, überlebte als Kind den Holocaust in einem katholischen Waisenhaus. Seine Eltern wurden von den Deutschen ermordet. Mit fünfzehn Jahren ging er mit einem gefälschten Pass, der ihn zwei Jahre älter machte, von Frankreich nach Palästina, um den Staat Israel mitaufzubauen. Der Autor von "Das Dritte Reich und die Juden", der kanonischen Darstellung des Holocaust, wurde u.a. mit dem Geschwister-Scholl-Preis, dem Preis der Leipziger Buchmesse, dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels, dem MacArthur-Fellowship, dem Dan-David-Preis und dem Balzan-Preis geehrt. Seine Bücher erscheinen in Deutschland bei C.H.Beck.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783406809101
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Verlag
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum17.10.2023
Auflage1. Auflage
Seiten238 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse407 Kbytes
Artikel-Nr.12370733
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


JANUAR 2023


17. Januar 2023


Wenn man bequem in Kalifornien lebt, ist es leicht, «es reicht» zu rufen. Aber es ist für mich, mit über neunzig Jahren, unmöglich geworden, aus meiner Heimat Los Angeles nach Tel Aviv zu fliegen. Und doch können meine Frau Orna und ich an nichts anderes denken.

Eingehend studieren wir die täglichen Nachrichten auf Hebräisch: Wir sezieren sie, kauen sie, schlucken sie und erbrechen sie. Das erinnert mich an den deutschen Film Des Teufels General, in dem der berüchtigte Nazi-Pilot Ernst Udet irgendwann enttäuscht sagt: «Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte.» Irgendwie ist mir der Satz, der wohl auf den Maler Max Liebermann zurückgeht, der damit die «Machtergreifung» durch die Nationalsozialisten kommentiert haben soll, über zig Jahre im Gedächtnis geblieben, und jetzt ist er, passenderweise, wieder da. (Udet hat 1941 Selbstmord begangen.)

Nun, so weit sind wir noch nicht, aber wie wird das enden? Wer hätte sich vorstellen können, dass in Israel im Jahr 2023 ein Premierminister, der drei Anklagen wegen Betrugs, Bestechlichkeit und Untreue entgehen will, mit Hilfe einer mit dünner Mehrheit regierenden ultrarechten und religiösen Koalition und eines durch und durch fügsamen Justizministers, Yariv Levin, versuchen würde, das gesamte Rechtssystem umzustürzen und damit die demokratischen Fundamente des Landes zu zerstören? Es ist zu ersten Massendemonstrationen gegen die Regierung und ihre Pläne gekommen, aber werden sie beharrlich und stark genug sein, um Netanjahu zum Einlenken zu zwingen und letztlich zu Neuwahlen zu führen? Und wenn die Koalition nicht einlenkt und keine Neuwahlen in Sicht sind, was dann?

Das Ende dieses Tagebuchs ist offen. Vorerst ist es nur meine private Chronik eines fortdauernden Dramas, das entweder zu einer Feier des Sieges der Demokratie oder zu dem Eingeständnis führen wird, dass das pulsierende Land, in dem ich jahrzehntelang gelebt und gearbeitet habe, tot ist, dass etwas anderes, etwas Unannehmbares, an seine Stelle getreten ist.

20. Januar 2023


Vor zwei Tagen entschied der Oberste Gerichtshof Israels mit einer Mehrheit von 10:1, dass Arje Deri, der Vorsitzende der Schas-Partei und Netanjahus wichtigster Verbündeter, der in seiner ultrarechten Regierung zum Innenminister ernannt wurde, aufgrund zweier früherer Verurteilungen wegen Steuerbetrugs und seines eigenen Versprechens, im Jahr 2022 kein öffentliches Amt mehr anzustreben, um eine Verurteilung wegen eines Kapitalverbrechens zu vermeiden, nicht als Minister fungieren kann. Er hat das Gericht belogen und sich in der jetzigen Koalition wieder in ein öffentliches Amt gedrängt. Wir wissen noch nicht, wie Netanjahu auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs reagieren wird.

In vielerlei Hinsicht ähnelt die neue israelische Regierungskoalition den ultrarechten Regierungen im heutigen Europa und darüber hinaus (Ungarn, Polen, Italien, Türkei) sowie dem politischen Programm der ultrarechten Republikaner (Trumpisten). Aber sie hat auch ihre besonderen Merkmale. So ist beispielsweise diese Art von Regierungen in Europa in den Händen einer wohlhabenden Oberschicht, die von der etablierten Religion, der Armee und einer Mehrheit von verblendetem «white trash» (stark nationalistisch, fremdenfeindlich und meistens antisemitisch) unterstützt wird, aber im Fall der Trumpisten nicht von «People of Color». In Israel hingegen ist Deris Partei im Wesentlichen eine Partei der «People of Color», also der Menschen, deren Familien in den 1950er Jahren aus Nordafrika und dem Nahen Osten eingewandert sind, die jahrelang in heruntergekommenen Transitlagern lebten und die untersten Ränge des Arbeitsmarkts besetzten. Und diese «Sephardim» (historisch gesehen meint das aus Spanien stammende Juden) wurden von den «Aschkenasim» (aus Deutschland und hauptsächlich aus Osteuropa stammenden Juden) verachtet.

Ich kam aus Frankreich, wohin wir 1939 aus Prag geflohen waren, nach Israel. Meine Eltern hat die Flucht nicht gerettet. Ich wurde versteckt, sie wurden gefasst und ermordet. Das israelische Dorf, in dem meine Onkel lebten und in dem ich im Juni 1948 ankam, war von deutschsprachigen tschechischen Juden bevölkert, den aschkenasischsten Aschkenasim, die man sich nur vorstellen kann: keine Religion, wenig Hebräisch und sämtliche Gewohnheiten von anno dazumal. Israel war kein Zufluchtsort, es war ein Land, das man «Heimat» nannte. Aber leider gab es in dieser neuen Heimat auch Rassismus.

Ich will das ganz deutlich formulieren: Schon bald nach seiner Gründung, zur Zeit der massenhaften Einwanderung aus Nordafrika in den frühen 1950er Jahren, wurde Israel, bewusst oder unbewusst, zu einer rassistischen Gesellschaft: Für uns alle, die Aschkenasim, war es offensichtlich, dass diese Neuankömmlinge irgendwie minderwertig waren, natürlich nicht offiziell, nicht rechtlich - wir waren nicht Südafrika -, aber implizit, in der Praxis.

Wir waren uns freilich nicht nur unseres Rassismus gegenüber den Einwanderern aus Nordafrika kaum bewusst, sondern hatten auch ganz vergessen, dass es unter uns eine kleine arabische Minderheit gab, die am Rande des Staates, an seiner Ostgrenze, lebte und der Militärverwaltung durch die sozialistische Regierung Ben-Gurions unterstand.

Zu dieser Zeit, Ende der 1950er Jahre, arbeitete ich als politischer Sekretär von Nachum Goldmann. Goldmann war damals der Präsident des Jüdischen Weltkongresses und der Zionistischen Weltorganisation. Politisch gehörte er zur linken Mitte und unterstützte verschiedene linke Organisationen und Publikationen finanziell, wie etwa Simha Flapans Monatszeitschrift New Outlook. Goldmann beschloss, eine Reise in einige arabische Dörfer zu unternehmen und einige der dortigen Bürgermeister zu besuchen, um Genaueres über die Situation zu erfahren. Ich begleitete ihn. Von dem Bürgermeister, an den ich mich erinnere, wurden wir herzlich empfangen, aber welche Unterwürfigkeit, welche Demütigung! Auf der einen Seite des Schreibtischs des Bürgermeisters stand ein großes Foto von David Ben-Gurion, auf der anderen Seite ein großes Foto des Begründers des Zionismus: Theodor Herzl.

Die demografische Mehrheit Israels verlagerte sich im Laufe der Zeit von den Aschkenasim zu den Sephardim oder Misrachim (aus dem Orient, d.h. aus dem Nahen und Mittleren Osten stammend), aber deren gesellschaftlicher Status änderte sich nicht groß. Was sich änderte, war ihre politische Vertretung, als 1977 der rechtsgerichtete Menachem Begin und seine Likud-Partei die Wahlen gewannen. Begin hatte sich vehement für die Misrachim eingesetzt (wobei er selbst polnischer Jude war und die meisten Mitglieder seiner Regierung weiter Aschkenasim waren). Aber die Misrachim hatten das Gefühl, dass Begin ihre Würde wiederhergestellt hatte, und sie stimmten in großer Zahl für ihn.

Ein paar Jahre später, 1984, gründete der sephardische Oberrabbiner Ovadja Yosef die Partei, die diese misrachische Wählerschaft vertreten sollte: «Schas» (Shomrei-Torah Sfaradim - Sephardische Tora-Wächter); sein gesalbter Schüler und Nachfolger war Arje Deri. Schas ist streng religiös, rechtsgerichtet und denkt immer noch in Kategorien der traditionellen Feindschaft zu den Aschkenasim (obwohl Netanjahu ein waschechter Aschkenasim ist). Nichtsdestotrotz haben Deri und Bibi (Netanjahus gängiger Spitzname) eine wichtige Gemeinsamkeit: Gegen beide wurde oder wird Anklage erhoben, gegen Ersteren wegen Steuerhinterziehung, gegen Letzteren wegen dreifacher Korruption.

Und Schas ist bei weitem nicht am schlimmsten. Die neue Koalition umfasst wahrhaft abscheuliche Exemplare: Bezalel Smotrich und seine Partei Religiöser Zionismus, Itamar Ben-Gvir, einen ehemaligen Schüler von Rabbi Kahane, der die Demokratie in Israel zugunsten einer jüdischen Theokratie beseitigen wollte, und sein Kontingent der Partei Jüdische Stärke.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen der israelischen Rechtskoalition und den üblichen autoritären Regierungen, die heute an der Macht sind, ist die Rolle des Militärs. Normalerweise unterstützt die Armee eine nationale autoritäre Regierung. Im heutigen Israel hat die Armee, einschließlich ihres Chefs, des Likud-Verteidigungsministers Joav Galant, klar zu verstehen gegeben, dass alle Angelegenheiten, die die besetzten palästinensischen Gebiete betreffen, ihr ausschließlicher Zuständigkeitsbereich bleiben würden, wie es seit dem Ende des Sechs-Tage-Kriegs 1967 der Fall gewesen ist: Smotrich, ein rechtsextremer Ideologe, den Netanjahu zum Finanzminister ernannt hat und der zudem als Minister im Verteidigungsministerium...
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Autor

Saul Friedländer, geboren 1932, überlebte als Kind den Holocaust in einem katholischen Waisenhaus. Seine Eltern wurden von den Deutschen ermordet. Mit fünfzehn Jahren ging er mit einem gefälschten Pass, der ihn zwei Jahre älter machte, von Frankreich nach Palästina, um den Staat Israel mitaufzubauen. Der Autor von "Das Dritte Reich und die Juden", der kanonischen Darstellung des Holocaust, wurde u.a. mit dem Geschwister-Scholl-Preis, dem Preis der Leipziger Buchmesse, dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels, dem MacArthur-Fellowship, dem Dan-David-Preis und dem Balzan-Preis geehrt. Seine Bücher erscheinen in Deutschland bei C.H.Beck.