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Die Vermesserin der Worte

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
HarperCollinserschienen am19.03.2024
Wenn die Liebe zu Geschichten ein Licht im Dunkeln ist

Ida ist eine Autorin ohne Worte. Ihr Kopf ist so leer wie die weißen Blätter Papier auf ihrem Schreibtisch. Aus der Not heraus nimmt sie einen Haushaltsjob an und lebt fortan bei der älteren Dame Ottilie, die ungern spricht und mit jedem Tag ohne Worte und Silben ein wenig mehr zu verblassen scheint. In dem heruntergekommenen Herrenhaus findet Ida bald unter dicken Schichten aus Staub, Moder und Vergangenheit unzählige Schätze aus Papier und Erinnerungen; Erinnerungen eines Lebens in Glanz, der nach und nach abblättert. Bald erkennt Ida, dass Ottilies Faden zur Gegenwart zu reißen droht - und Ida Worte finden muss, um Ottilies Verblassen zu verhindern. Im Schein des Kaminfeuers beginnt Ida eine Geschichte zu erzählen, die nicht nur Ottilies alte Wunden zu heilen vermag, sondern auch Ida eine Antwort auf ihre drängendste Frage liefert - jene nach dem Gewicht der Worte.


Katharina Seck wurde 1987 in Hachenburg geboren und wuchs in dieser mittelalterlichen, von einem Schloss gekrönten Kleinstadt im Westerwald auf, wo sie noch heute lebt und als Autorin arbeitet. In ihrer Freizeit beschäftigt sie sich mit ihren liebsten Menschen und Tieren, Kunst sowie politischem Aktivismus. Mehr Infos zur Autorin finden sich auf katharinaseck.de
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR14,99

Produkt

KlappentextWenn die Liebe zu Geschichten ein Licht im Dunkeln ist

Ida ist eine Autorin ohne Worte. Ihr Kopf ist so leer wie die weißen Blätter Papier auf ihrem Schreibtisch. Aus der Not heraus nimmt sie einen Haushaltsjob an und lebt fortan bei der älteren Dame Ottilie, die ungern spricht und mit jedem Tag ohne Worte und Silben ein wenig mehr zu verblassen scheint. In dem heruntergekommenen Herrenhaus findet Ida bald unter dicken Schichten aus Staub, Moder und Vergangenheit unzählige Schätze aus Papier und Erinnerungen; Erinnerungen eines Lebens in Glanz, der nach und nach abblättert. Bald erkennt Ida, dass Ottilies Faden zur Gegenwart zu reißen droht - und Ida Worte finden muss, um Ottilies Verblassen zu verhindern. Im Schein des Kaminfeuers beginnt Ida eine Geschichte zu erzählen, die nicht nur Ottilies alte Wunden zu heilen vermag, sondern auch Ida eine Antwort auf ihre drängendste Frage liefert - jene nach dem Gewicht der Worte.


Katharina Seck wurde 1987 in Hachenburg geboren und wuchs in dieser mittelalterlichen, von einem Schloss gekrönten Kleinstadt im Westerwald auf, wo sie noch heute lebt und als Autorin arbeitet. In ihrer Freizeit beschäftigt sie sich mit ihren liebsten Menschen und Tieren, Kunst sowie politischem Aktivismus. Mehr Infos zur Autorin finden sich auf katharinaseck.de
Details
Weitere ISBN/GTIN9783749906666
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum19.03.2024
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.12372780
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Eine Annonce und ihr ganz eigener Duft

Die Leere in ihrem Kopf und die in ihrem Kühlschrank bewegten sich seit Wochen in etwa auf demselben Niveau. Eigentlich musste Ida dringend einkaufen und zumindest Letzteren auffüllen. Doch es gab da noch eine dritte Sache auf ihrer Liste schwindender Dinge: ihr Konto.

Ida war mit ihren gerade mal neunundzwanzig Jahren nicht sonderlich wohlhabend, im Gegenteil. Sie begnügte sich mit einer winzigen Einzimmerwohnung in einem grauen, aus der Zeit gefallenen Wohnkomplex mit fast einhundert Parteien, die sich untereinander nicht kannten und auch nicht kennen wollten. Aber obwohl um sie herum nur Plattenbauten, leere Innenhöfe mit Wäschespinnen, heruntergekommene Kinderspielgeräte und von Unkraut überzogene Gehwegplatten dem Zahn der Zeit trotzten, fühlte sie sich in ihrem überschaubaren Reich wohl. Lange war es ausreichend genug gewesen, um sie und die Worte, die sie mit sich herumtrug, zu beherbergen. Ida hatte jede Ecke ihrer vier Wände mit Büchern zugepflastert: Sie stapelten sich in dem einzigen Regal, auf dem runden Couchtisch voller Astmaserungen, neben dem selten genutzten Fernseher und unter einem hohen Drachenbaum. Ein paar lagen auf dem weichen senfgelben Zweisitzer, doch die allermeisten - nämlich die ungelesenen, unangetasteten - ruhten wie stille Gefährten auf der Bettkante und warteten darauf, zerblättert, zerlesen und zerträumt zu werden.

Überhaupt war in den letzten Jahren vor der schicksalhaften Silvesternacht alles erträglich gewesen, solange sie nur in ihre Fantasie und das, was sie niederschrieb, eingehüllt war: Es war aushaltbar gewesen, dass es manchmal Monate gegeben hatte, in denen sie weniger aß, weil ein Buchhonorar auf sich warten ließ, oder dass die Nachbarschaft über ihr jede Nacht zeterte und sich stritt. Dann machte sie einfach die Nacht zum Tag und setzte sich mit Kopfhörern und ihrem Notizbuch auf das gepolsterte, mit einer schmalen Metalllampe ausgestattete Sitzfenster; der einzige Luxus, den ihre Baracke, wie sie ihre Wohnung liebevoll nannte, zu bieten hatte. Sie schrieb vor, was sich mit der Hand besser auf Papier zaubern ließ als mit mechanisch klappernden Tasten, und wenn sie ehrlich war, klang jedes geschriebene Wort in der Dunkelheit ein bisschen schöner, ein bisschen anmutiger, ein bisschen heldenhafter als im grellen Licht des Tages.

Die Nacht und die Kunst, ein gemeinsames Hoch, ein reißender Abgrund, sobald der Morgen graute.

Doch mittlerweile beschäftigte Ida sich mehr mit Zahlen als mit Worten, denn bereits zur Mitte des Monats ging ihr Kontostand bedenklich zur Neige - ein Problem, das sie nicht weiter stur ignorieren konnte. Nein, es rief lautstark nach Beachtung. Sie jonglierte Rechnungen, setzte Prioritäten, überlegte, worauf sie am ehesten verzichten konnte, während jeder Tag ein wenig mehr Druck auf ihren schmalen Schultern hinterließ.

Ein Läuten riss sie aus der Starre, in der Ida auf dem alten Teppich vor dem Couchtisch gekauert und zwei Mahnungen betrachtet hatte, die schon vor vier Wochen, also Ende März, eingetrudelt waren. Ihr Blick glitt unweigerlich zu der immer ein bisschen zu laut tickenden Wanduhr - ein Erbstück irgendeines Familienmitglieds, das seinen Krempel aussortiert hatte.

Ida rappelte sich vom Boden auf. Elf Uhr. Nein, falsch. Vier Minuten nach elf. Normalerweise war Theobald bekannt für seine Pünktlichkeit. Seine Route war exakt so kalkuliert, dass er immer um elf Uhr eines jeden Morgens in der Rosa-Luxemburg-Straße 236b klingelte. Es war ein seltsames Ritual, das sie beide sich da in den letzten drei Jahren angeeignet hatten, musste Ida zugeben, als sie zur Tür huschte. Es hatte sich über die Monate eingeschlichen und war eine Art Zweckgemeinschaft zur gegenseitigen Gesellschaft in Zeiten der Einsamkeit, denn traurigerweise war es heute kein angesehener Beruf mehr, Post auszutragen. Früher hatte man das Eintreffen der Post immer mit einem Gefühl der Aufregung verbunden, mit dem nervösen Hoffen auf den Brief einer geliebten Person oder einer Brieffreundschaft. Doch in Zeiten der digitalen Welt brachten die Mitarbeitenden der Post nur noch lästige Dinge: Rechnungen, Bürokratisches, Amtsschreiben, Werbung für dies und jenes, das man unbedingt kaufen sollte. Vielleicht übersahen die Leute die Menschen in den gelben Autos oder den heruntergekommenen Vans von Subunternehmen deshalb: weil sie eh nichts Schönes mehr zu bringen hatten.

Bei Theobald war das nicht anders. Mit jedem Jahr, in dem er seinem Beruf nachging, schien er ein bisschen mehr zu verblassen, als würden die Blicke der Leute einfach durch ihn hindurchwandern. Sogar in seinem Aussehen machte sich das bemerkbar. Das Haar war lichter geworden, die Farbe seiner Dienstkleidung ausgeblichen und die Iriden seiner müden Augen milchig. Wenn das so weiterging, war bis zu seiner Rente in wenigen Jahren nicht mehr viel von ihm übrig.

Ida riss die Tür auf. »Du bist spät dran«, begrüßte sie ihn.

Auf Theobalds Arm stapelte sich so viel Post, dass sein eingefallenes Gesicht fast gänzlich dahinter verschwand. Wie immer reihte er die Päckchen im Hausflur nebeneinander auf, sorgsam nach den zu empfangenden Personen sortiert. Im Haus war es mittlerweile eine unausgesprochene Tatsache, dass man Ida zwar kaum jemals zu Gesicht bekam, weil sie sich meistens in ihrer Baracke verschanzte, sie aber jeden Morgen für jene die Pakete entgegennahm oder zumindest in den Flur stellen ließ, die auf der Arbeit, auf der Suche nach Pfandflaschen oder sich selbst und somit nicht anzutreffen waren.

Theobald hatte außerdem noch etwas anderes dabei: eine Umhängetasche mit drei Büchern, die er ihr nun überreichte. Seine Ausbeute vom Flohmarkt. Dort trieb er sich an seinen freien Tagen gern herum, und Ida dachte manchmal, dass es Menschen, die mehr und mehr aus der Zeit fielen, möglicherweise an Orte zog, an denen sie sich mit Gegenständen umgeben konnten, mit denen die meisten anderen auch nichts mehr anzufangen wussten.

Sie hatten also alle etwas davon: Die Bewohnenden der Rosa-Luxemburg-Straße 236b bekamen ihre Pakete, Ida Bücher und etwas Gesellschaft, und Theobald wurde am Tag wenigstens von einer einzigen Person wirklich gesehen. Denn zu mehr reichte die streng getaktete Route des Postboten nicht aus. An manchen Tagen, wenn die Zeit es zuließ, erzählte er ihr noch, wie er zufällig mitbekommen hatte, dass in der Rosa-Luxemburg-Straße 236a - eigentlich nur ein Spiegelbild von Idas Gebäudekomplex - mal wieder eine alte Dame nach tagelangem, unbemerktem Dahinsiechen leblos von der sich Zugang verschaffenden Polizei aufgefunden worden war. Das beschäftigte Theobald oft tagelang. Vielleicht, weil er ebenfalls allein in einem solchen Häusergiganten lebte, in dem man nur allzu leicht in Vergessenheit geraten konnte. Man fiel nie auf, selbst dann nicht, wenn man starb.

Sobald er die Abgabe aller Sendungen in seinem kleinen tragbaren Computer verzeichnet hatte, tippte sich Theobald gegen die schwarz-gelbe Kappe, unter der er sein schütteres Haar verbarg.

»Ah, fast hätte ich es vergessen! Ich habe dir noch etwas mitgebracht. Hab´ ich am Sonntag auf dem Markt gesehen. An so einer Aushängetafel. Fand irgendwie, dass es zu dir passt.«

Neugierig sah Ida zu, wie er mit seiner Hand in die Hosentasche griff und umständlich einen zerknitterten Zettel hervorholte. Er reichte ihn Ida in einer feierlich anmutenden Geste, und es hätte sie nicht gewundert, wenn er sich anschließend verbeugt hätte. Sein Verhalten wirkte manchmal, als wäre es einem älteren Jahrhundert entsprungen, was wohl auch der Grund dafür war, dass dieser piepende Computer, den er ungelenk von einer Hand in die andere wandern ließ, immer wie ein Fremdkörper wirkte.

»Was ist das?«, fragte Ida, die den Zettel schon auseinanderfaltete. Das lange fuchsrote Haar war ihr dabei wie ein seidener Vorhang ins Gesicht gefallen.

»Du suchst doch einen Job«, sagte Theobald mit einem nervösen Unterton in der Stimme. Die Route und sein Arbeitgeber, der mit GPS genau trackte, wann er sich wo befand, saßen ihm im Nacken. Die einsame Autorin und der einsame Postbote hatten ausgetauscht, was sie einander zu geben hatten, jetzt musste er weiter und abends in seine leere Wohnung, um vielleicht weiter über den unbemerkten Tod von Frau Hedwig Müller zu grübeln.

»Ich habe einen Job«, widersprach Ida halbherzig. Seit sie sich einmal verplappert hatte, wusste Theobald, dass sie seit vier Monaten nur vorgab, zu schreiben.

»Ich weiß«, sagte ihr Gegenüber freundlich. »Aber vielleicht hast du so viel Platz im Kopf und in deinem Leben, dass du einen zweiten gebrauchen kannst. Die Fantasie und die Hände können ja gleichzeitig arbeiten, würde ich annehmen.« Diesmal deutete er wirklich eine Verbeugung an, ein richtiger Abschied nun, und huschte über die Treppe vom ersten Obergeschoss nach unten zum Ausgang. Noch bevor Ida sich hatte umdrehen können, schnappte im Treppenhaus die uralte Haustür mit einem Krachen zu.

Ida zog sich in ihre Wohnung zurück, ohne Post, weil alle Rechnungen für den Monat bereits da waren, und ohne aufmunternde, unterstützende Briefe oder inspirierende Urlaubspostkarten, weil ihre Familie ohnehin wenig davon hielt, dass sie nichts Richtiges gelernt hatte, sondern den ganzen Tag Löcher in die Luft starrte. Deswegen war sie vor vielen Jahren überhaupt erst ausgezogen, sobald sie genug Geld zusammengekratzt hatte. Weil man sie dazu hatte zwingen wollen, etwas Anständiges zu lernen, eine Ausbildung zu machen, aber bloß nichts mit Literatur zu studieren. Das hatte ihr...
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Autor

Katharina Seck wurde 1987 in Hachenburg geboren und wuchs in dieser mittelalterlichen, von einem Schloss gekrönten Kleinstadt im Westerwald auf, wo sie noch heute lebt und als Autorin arbeitet. In ihrer Freizeit beschäftigt sie sich mit ihren liebsten Menschen und Tieren, Kunst sowie politischem Aktivismus. Mehr Infos zur Autorin finden sich auf katharinaseck.de