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Back to the USSR

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
406 Seiten
Deutsch
Kohlhammer Verlagerschienen am13.09.20231. Auflage
1991 löste sich die Sowjetunion auf - 2022 überfiel Russland die Ukraine. Auch wenn Letzteres nicht zwingend aus Ersterem folgte, so hängen beide Ereignisse doch zusammen. Während den meisten Ländern Ost- und Südosteuropas nach dem Ende des Sowjetsystems die politische und wirtschaftliche Transformation gelang, trägt Russland noch immer schwer am historischen Erbe der sowjetischen Strukturen. Mit seinem Großmachtstreben, der Neigung zu militärischen Interventionen, der Position des Präsidenten als monarchischer Diktator und dem Umgang der Bevölkerung mit gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen zeigen sich dort noch heute deutliche Spätwirkungen der Sowjetzeit. Katrin Boeckhs Geschichte der Sowjetunion und ihrer Nachwirkungen setzt ein mit der Entstehung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken nach der Oktoberrevolution 1917. Sie zeichnet die Etablierung ihrer Staatlichkeit und ihre imperiale Expansion nach, bis hin zu ihrem Verfall sowie der Entwicklung im Nachfolgestaat Russland. Neben der politischen Geschichte und ihren Akteuren gilt es, auch die Gesellschaft nicht aus dem Blick zu verlieren: jene Mehrheit, die das System vor allem aushielt, jene, die dagegen ankämpften, und jene, die zu Hunderttausenden als 'Volksfeinde' in den Gulag gesperrt oder umgebracht wurden. Was von dem, was die macht- und ideologiegetriebene Politik der herrschenden Kommunistischen Partei gebot, kam wie in der gesellschaftlichen Wirklichkeit, im Alltag der Bevölkerung an? Ins Blickfeld kommen der lange Arm der Partei, die ökonomischen Auswirkungen der Planwirtschaft, die kulturpolitischen Besonderheiten im Zeichen des Diktats des Sozialistischen Realismus, die gesellschaftliche Formierung des Homo Sovieticus, des 'Neuen Menschen', und schließlich - trotz massiver Repression - das Überleben der Religion. Boeckhs Erzählperspektive ist ähnlich einer 'Mauerschau': Es ist der Blick des 'Westlers' gleichsam über die Mauer des Eisernen Vorhangs nach Osten, um die Vergangenheit dort aus der zeitgenössischen Sicht und aus der räumlichen Distanz zu kommentieren.

Prof. Dr. Katrin Boeckh forscht am Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung und ist apl. Professorin an der LMU München.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR39,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR34,99
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
EUR34,99

Produkt

Klappentext1991 löste sich die Sowjetunion auf - 2022 überfiel Russland die Ukraine. Auch wenn Letzteres nicht zwingend aus Ersterem folgte, so hängen beide Ereignisse doch zusammen. Während den meisten Ländern Ost- und Südosteuropas nach dem Ende des Sowjetsystems die politische und wirtschaftliche Transformation gelang, trägt Russland noch immer schwer am historischen Erbe der sowjetischen Strukturen. Mit seinem Großmachtstreben, der Neigung zu militärischen Interventionen, der Position des Präsidenten als monarchischer Diktator und dem Umgang der Bevölkerung mit gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen zeigen sich dort noch heute deutliche Spätwirkungen der Sowjetzeit. Katrin Boeckhs Geschichte der Sowjetunion und ihrer Nachwirkungen setzt ein mit der Entstehung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken nach der Oktoberrevolution 1917. Sie zeichnet die Etablierung ihrer Staatlichkeit und ihre imperiale Expansion nach, bis hin zu ihrem Verfall sowie der Entwicklung im Nachfolgestaat Russland. Neben der politischen Geschichte und ihren Akteuren gilt es, auch die Gesellschaft nicht aus dem Blick zu verlieren: jene Mehrheit, die das System vor allem aushielt, jene, die dagegen ankämpften, und jene, die zu Hunderttausenden als 'Volksfeinde' in den Gulag gesperrt oder umgebracht wurden. Was von dem, was die macht- und ideologiegetriebene Politik der herrschenden Kommunistischen Partei gebot, kam wie in der gesellschaftlichen Wirklichkeit, im Alltag der Bevölkerung an? Ins Blickfeld kommen der lange Arm der Partei, die ökonomischen Auswirkungen der Planwirtschaft, die kulturpolitischen Besonderheiten im Zeichen des Diktats des Sozialistischen Realismus, die gesellschaftliche Formierung des Homo Sovieticus, des 'Neuen Menschen', und schließlich - trotz massiver Repression - das Überleben der Religion. Boeckhs Erzählperspektive ist ähnlich einer 'Mauerschau': Es ist der Blick des 'Westlers' gleichsam über die Mauer des Eisernen Vorhangs nach Osten, um die Vergangenheit dort aus der zeitgenössischen Sicht und aus der räumlichen Distanz zu kommentieren.

Prof. Dr. Katrin Boeckh forscht am Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung und ist apl. Professorin an der LMU München.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783170313446
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum13.09.2023
Auflage1. Auflage
Seiten406 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse6298 Kbytes
Illustrationen22 Abbildungen
Artikel-Nr.12434013
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1          Depression: Das Russische Reich und der Sturz des Zaren
Vermessung

Das Russische Reich reichte von der Ostsee bis an den Pazifik und vom Kaspischen Meer bis zum Eismeer. Sein Zentrum war zunächst Moskau, um das herum ab dem 14./15. Jahrhundert ein immer mächtigeres Herrschaftsgebiet entstand. Es griff in den beiden folgenden Jahrhunderten auf den Unterlauf der Wolga aus, nach Ostsibirien; im 18. Jahrhundert folgte ein breiter Vorstoß nach Westen, dann an die Ostsee und an die Schwarzmeerküste. Im 19. Jahrhundert kamen Polen und Finnland, das Transkaukasus-Gebiet und Mittelasien sowie die Amur-Region in Fernost hinzu. Dieses Territorium war insgesamt zweieinhalb Mal so groß wie das restliche Europa.

Das Russische Reich war ethnisch heterogen und multireligiös. Die Volkszählung des Jahres 1897, die eine Gesamtbevölkerung von knapp 126 Millionen Menschen erfasste und nach der Muttersprache auf die ethnische Zugehörigkeit schloss, bezifferte den Anteil der Russisch Sprechenden auf etwas über 44 % (etwa 56 Millionen), jenen der Ukrainisch Sprechenden auf knapp 18 % (über 22 Millionen) und jenen der Weißrussisch Sprechenden (knapp 6 Millionen) auf nicht ganz 5 %, so dass die Ostslawen zusammen mit knapp 84 Millionen die Mehrheit der Gesamtbevölkerung (etwa 67 %) stellten. Während die Polen mit knapp 8 Millionen auf über 6 % kamen, die Juden mit 5 Millionen auf 4 % und die Kasachen mit über 3 Millionen auf über 3 %, belief sich der Anteil der Wolgatataren mit 1,8 Millionen auf 1,5 %, der Deutschen mit 1,8 Millionen auf 1,4 %, der Litauer mit 1,7 Millionen auf 1,3 %, der Letten mit 1,4 Millionen auf 1,1 %, der Georgier mit 1,4 Millionen auf 1,1 %, der Baschkiren mit 1,3 Millionen auf 1 % der Gesamtbevölkerung, jener der Armenier auf 0,9 % (1,2 Millionen), der Moldauer auf 0,9 % (1,1 Million) und der Esten auf 0,8 % (1 Million).1 Vorherrschende Konfession war die Orthodoxie, Minoritäten gehörten der jüdischen Religion, dem Islam, der katholischen Konfession und dem Protestantismus an. Sibirien und Mittelasien war vom Islam geprägt, aber auch vom Buddhismus und von Naturreligionen. Sozial gesehen waren 1897 etwa 80 % der Bevölkerung Bauern, die übrigen gehörten dem Adel, der Geistlichkeit, den Behörden, der Armee und städtischen Gruppen an.
Autokratie

Zusammengehalten wurde das russische Imperium durch die Autokratie der russischen Zaren und Zarinnen. Ab dem 18. Jahrhundert wurde die Verwaltung zentralisiert, im 19. Jahrhundert ausgebaut. Dafür hatte man das ganze Land in etwa hundert administrative Einheiten eingeteilt - in Gouvernements oder Gebiete, die im europäischen Teil von einem Gouverneur verwaltet wurden; an den Randgebieten unterstanden sie einem General-Gouverneur, der mehrere Gebiete gleichzeitig verwaltete. Daneben bestanden Formen der Selbstverwaltung auf lokaler und regionaler Ebene, auf städtischer und ländlicher Ebene. Über Jahrhunderte hinweg war die Macht der Zaren durch die schwache Position des Adels nicht angetastet und von den Untertanen nicht in Zweifel oder in Frage gestellt worden, die Mehrheit der Bevölkerung besaß kaum politische Partizipationsmöglichkeiten.

Im 19. Jahrhundert aber gerieten die Massen in Bewegung: Es waren die Narodniki, die »Volksfreunde«, die versuchten, die Bauern zu politisieren und unter ihnen einen russischen Sozialismus, die Idee des »einfachen Mannes« und der russischen Volksgemeinde zu propagieren. Insbesondere Intellektuelle und Adlige gingen mit idealisierten Vorstellungen in die Dörfer, wo sie allerdings auf wenig Verständnis trafen. Viele von ihnen wurden wegen ihrer neuartigen Ideen verhaftet und landeten in Gefängnissen.

Eine Richtung innerhalb der Narodniki verlegte sich daraufhin auf Terrorakte. 1881 fiel Zar Alexander II., der Reformer-Zar, der ab dem Jahr 1861 die Aufhebung der Leibeigenschaft durchgesetzt hatte, dem Bombenattentat einer revolutionären Gruppe zum Opfer. Es war das insgesamt sechste Attentat auf den Zaren; der Polizeiapparat hatte es nicht verhindern können. In der Folge wurde dieser ausgebaut und die Alleinherrschaft des nächsten Zaren, Alexander III., damit weiter gestützt. Alexander begann, innenpolitische Beschränkungen durch Zensur, die Bevorzugung des Russischen und eine Ausbreitung der Bürokratie zu forcieren und gleichzeitig zu den Modernisierungsprozessen im westlichen Europa aufzuholen und die Industrialisierung des Landes voranzubringen. Während Wirtschaft und Industrie rasch wuchsen und der Eisenbahnbau die entfernten Regionen im Reich erschloss, entstand in Russland erstmals eine Schicht von Industriearbeitern, die massenhaft vom Land in die Städte strömten. Diese wurde die Zielgruppe der ersten sozialrevolutionären Verbindungen, die sich in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei organisierten. Unter Zar Nikolai II., der 1894 den Zarenthron bestieg, gärte es weiter. Streiks von Arbeitern und Studentenunruhen in den Jahren 1901 und 1902 verwiesen auf schwelende soziale Probleme.

Im Zeitalter des Imperialismus griff Russland, geographisch bedingt und zu spät für Kolonien in Afrika, in den Fernen Osten aus, um dort Märkte, Bodenschätze und Land für bedürftige Bauern zu erschließen. Der Bau der Transsibirischen Eisenbahn, die 1902 eingleisig und 1938 zweigleisig fertiggestellt war, ermöglichte die logistische Anbindung.

Japan zeigte sich als aufstrebende Macht in der Konkurrenz um die Mandschurei und um Korea. Den Krieg gegen Japan 1904-1905 verlor Russland. Während weite Kreise in Russland inklusive Militärangehöriger auf Frieden gedrungen hatten, verweigerte der Zar diesen. Die russische Niederlage nach der Seeschlacht von Tsushima am 15./28. Mai 19052 vermittelte nach außen hin das Bild von Rückständigkeit, da erstmals eine europäische Macht einer asiatischen unterlegen war. Die militärische Niederlage, die jahrzehntelang nicht vergessen wurde, verstärkte die ohnehin große soziale Unruhe im Land.

Es war die Arbeiterschaft, die aufbegehrte, als im agrarisch geprägten Russland die Großindustrie wuchs. Auch wenn die Arbeiterschicht noch relativ dünn war, siedelte sie in strategisch wichtigen Orten: in den Hauptstädten Sankt Petersburg und Moskau sowie in anderen größeren Städten. Um dem Zaren in friedlicher Absicht zu übermitteln, welche Willkür die Arbeiter in den Fabriken erfuhren und unter wie großer Armut und Rechtlosigkeit sie litten, kamen am Sonntag, dem 9./22. Januar 1905, über 100.000 Arbeiter in Sankt Petersburg zusammen. Als sie eine Bittschrift an den Zaren übergeben wollten, wurde die Demonstration blutig beendet und Truppen schossen in die Menge.

Das Massaker am »Blutsonntag« löste landesweit Streiks aus. Die Arbeiter stellten vor allem wirtschaftliche Forderungen, an den Randgebieten des Reiches, in Polen, im Kaukasus und im Baltikum ging es auch um nationale Anliegen. Die Ansprüche schraubten sich immer weiter nach oben, und schließlich ging es um die Reform des Gesamtstaates. Am Höhepunkt der Streikbewegung trat in Sankt Petersburg ein Rat, ein »Sowjet der Arbeiterdeputierten«, als eine Art politisches Vertretungsorgan der Arbeiter zusammen. Auf dem Land bildeten sich ähnliche Räte.

Begleitet wurden die Arbeiterunruhen durch Aufstände von Bauern im ganzen Land. Das Zentrum der Bauernaufstände lag an der mittleren Wolga, entzündete aber dann einen Flächenbrand, der den Süden von Bessarabien bis an den Ural sowie den Kaukasus, den Westen und die baltischen Provinzen erfasste.

Die Regierung ließ die Bewegung niederschlagen. Der Petersburger Arbeitersowjet wurde im Dezember 1905 verhaftet. Der Aufstand in Moskau brach ebenfalls zusammen, wobei sich die Kämpfe gegen die aufständischen Bauern bis 1907 hinzogen. Diese Aufstände standen noch nicht unter der Führung einer politischen Partei, und sie ebbten ab, als der Zar einlenkte und einige liberale Reformen einführte. Er dämpfte den revolutionären Schwung durch das Oktobermanifest vom 17./30. Oktober 1905. Dieses sagte eine Verfassung zu, allgemeine Wahlen für eine Reichsduma, die als zweite Kammer neben dem Reichsrat als Organ der Legislative eingesetzt werden sollte, und die Grundrechte für alle Bürger.

Insgesamt wurden die Massen politisch aktiver und selbstbewusster, und der Zar wurde nicht mehr als unangefochtener Herrscher wahrgenommen. Außerdem entstanden nun politische Parteien und parlamentarische Fraktionen. Zu diesen gehörten die rechtsliberalen Oktobristen (benannt nach dem Oktobermanifest) und die links-liberalen Konstitutionellen Demokraten - die »Kadetten«, nach ihren Anfangsbuchstaben K.D. Die Kadetten stellten in der ersten, 1906 einberufenen Duma und in der zweiten Duma (1907) die stärkste Partei.

Letztlich waren die Ergebnisse der aufständischen Jahre mager. Die Duma erhielt nur wenige Rechte; in den Worten Max Webers...
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