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Risse in der Erde

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
734 Seiten
Deutsch
Matthes & Seitz Berlin Verlagerschienen am21.09.20231. Auflage
Das Wasser ist der große Protagonist in Mark Arax' epischem Werk, das die Geschichte von der Erschaffung und Erfindung eines Sehnsuchtsortes erzählt, dem tausend Kilometer langen Randstück des nordamerikanischen Kontinents, Kalifornien, das immer schon, gleich ob im Goldrausch oder im Agrarrausch, auf Gedeih und Verderb den wilden Ausschlägen von Dürre und Flut ausgeliefert war. Daneben treten unzählige Personen auf - historische und lebende, namhafte und namenlose -, die jeder und jede ihre eigene Rolle in der Geschichte des Wassers in Kalifornien spielen: Politiker und Großfarmer der Nuss-, Trauben- und Zitrusplantagen, Indigene Einwohner, prekär beschäftigte Landarbeiter und kleine Farmer, die sich um eine nachhaltigere Landwirtschaft bemühen. Und immer wieder tritt Arax als Chronist selbst auf, denn ihn interessiert die Schnittstelle zwischen dem Persönlichen und dem Land, das seine vor dem Genozid an den Armeniern geflüchtete Familie über zwei Generationen geprägt hat. Reportage, Geschichte und Memoir verbinden sich so zu einer groß angelegten Erzählung über Wasser und Land, verfasst in einer mitreißenden, sprachgewaltigen Prosa, die ein lebhaftes Bild des reichsten amerikanischen Staates, in dem Big Ag heute ungeachtet der Weltklimakrise eine Rekordernte nach der anderen einfährt, in all seiner Widersprüchlichkeit zeichnet.

Mark Arax lebt als Journalist und Autor in Fresno, Kalifornien. Seine Texte über Kalifornien und den Westen der USA erschienen in The New York Times und California Sunday Magazine. Die Suche nach den Mördern seines Vaters führte zum ersten Buch, »In my Father's Name«. Sein zweites, »The King of California«, gewann den California Book Award. Arax' Story »A Kingdom from Dust« wurde beim ersten True Story Award 2019 in Bern als zweitbeste Reportage der Welt ausgezeichnet. Risse in der Erde, in den USA ein Bestseller, knüpft an diese Reportage an und ist sein erstes ins Deutsche übersetzte Buch.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR38,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR28,99

Produkt

KlappentextDas Wasser ist der große Protagonist in Mark Arax' epischem Werk, das die Geschichte von der Erschaffung und Erfindung eines Sehnsuchtsortes erzählt, dem tausend Kilometer langen Randstück des nordamerikanischen Kontinents, Kalifornien, das immer schon, gleich ob im Goldrausch oder im Agrarrausch, auf Gedeih und Verderb den wilden Ausschlägen von Dürre und Flut ausgeliefert war. Daneben treten unzählige Personen auf - historische und lebende, namhafte und namenlose -, die jeder und jede ihre eigene Rolle in der Geschichte des Wassers in Kalifornien spielen: Politiker und Großfarmer der Nuss-, Trauben- und Zitrusplantagen, Indigene Einwohner, prekär beschäftigte Landarbeiter und kleine Farmer, die sich um eine nachhaltigere Landwirtschaft bemühen. Und immer wieder tritt Arax als Chronist selbst auf, denn ihn interessiert die Schnittstelle zwischen dem Persönlichen und dem Land, das seine vor dem Genozid an den Armeniern geflüchtete Familie über zwei Generationen geprägt hat. Reportage, Geschichte und Memoir verbinden sich so zu einer groß angelegten Erzählung über Wasser und Land, verfasst in einer mitreißenden, sprachgewaltigen Prosa, die ein lebhaftes Bild des reichsten amerikanischen Staates, in dem Big Ag heute ungeachtet der Weltklimakrise eine Rekordernte nach der anderen einfährt, in all seiner Widersprüchlichkeit zeichnet.

Mark Arax lebt als Journalist und Autor in Fresno, Kalifornien. Seine Texte über Kalifornien und den Westen der USA erschienen in The New York Times und California Sunday Magazine. Die Suche nach den Mördern seines Vaters führte zum ersten Buch, »In my Father's Name«. Sein zweites, »The King of California«, gewann den California Book Award. Arax' Story »A Kingdom from Dust« wurde beim ersten True Story Award 2019 in Bern als zweitbeste Reportage der Welt ausgezeichnet. Risse in der Erde, in den USA ein Bestseller, knüpft an diese Reportage an und ist sein erstes ins Deutsche übersetzte Buch.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783751820110
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum21.09.2023
Auflage1. Auflage
Seiten734 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse14952 Kbytes
Artikel-Nr.12483947
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

EINS
Die Lehre der Aprikose

Winter 2014

Ende Januar schaue ich aus dem Fenster und sehe Blüten auf meinen Aprikosenbäumen. Wie soll man diese neue Jahreszeit nennen? In der durcheinander geratenen Hitzelage werden die Knospen zu weißen Blüten, rosaäugig. Der Fruchtansatz ist seiner Zeit drei Wochen voraus, und schwer, und unweigerlich denke ich, es wird eines dieser Jahre mit einer Rekordernte. Den ganzen Juni lang werde ich Aprikosen vom Baum essen und dann immer noch reichlich Früchte übrighaben, um im Juli Marmelade einzukochen. Aber ich weiß, dass zwischen jetzt und dem Sommer noch viel schief gehen kann. Mein Vater und dessen Vater waren Bauern, die ihre Farm nicht halten konnten. Ein paar Jahre vor meiner Geburt stießen sie unsere letzte Obstplantage ab. Es gab zwei Versionen von dieser Geschichte: eine, die mein Großvater erzählte, und eine, von der meine Großmutter schwor, sie sei wahrer. Die Ranch neben dem San Joaquin River, deren Eingang von Granatäpfeln umrahmt war, wurde mir zu einem fernen Bild.

In der Stadt, in der wir aufwuchsen, keine fünfzehn Kilometer vom Agrargürtel entfernt, blieben wir unserer Heimat gegenüber blind. Welcher Teenager in einem der Vororte von Fresno wusste schon, dass wir das weltweit größte Projekt zur Urbarmachung entwickelt hatten, und man dafür nur Wasser von dort, wo es in Überfluss war, dahin transportieren musste, wo es knapp war? Kanäle und Gräben füllten sich im Frühjahr mit Schmelzwasser und liefen wie Adern durch unsere parzellierten Flächen, doch wir kamen nie auf den Gedanken, uns zu fragen - und unsere Väter kamen nie auf den Gedanken, uns zu erzählen - wohin sie flossen und zu wem und mit welchem Recht. In dem Sommer vor meinem siebzehnten Geburtstag arbeitete ich in einem Abpackbetrieb in Selma, der Weltstadt der Rosinen, wo ich einen Mann namens Amos Margosian kennenlernte. Er baute Steinobst östlich von Yettem an, was auf Armenisch Eden bedeutet. Margosian war vielleicht der dunkelste Kaukasier, den ich je gesehen hatte. Er lief mit einem weißen Cowboyhut aus Filz herum und war berühmt dafür, seine Pflaumen eine Spur zu grün zu pflücken, um auf dem frühen Markt das große Geld zu machen. Tadellos gekleidet kam er von den Feldern und beobachtete die Sortierer am Förderband, wie sie seine Früchte rechts und links auslasen. Zu früh, zu grün. Zu früh, zu grün. Mit jeder Minute wuchs sein Zorn, bis er in das Büro im ersten Stock hinauf stürmte und den Chef des Abpackbetriebs beschimpfte, der ein noch dunkelhäutigerer Armenier war als er selbst. Und dann kam er am nächsten Tag mit seinen nun etwas weniger grünen Pflaumen wieder. Am Ende des Sommers hatte ich begriffen, dass ein Bauer, der kein Dummkopf war, sein Obst in der Steige nicht zählte, ehe es tatsächlich in der Steige war.

Ich warte ab bis Mitte März und lasse die Knöpfe zu etwas Tüchtigem wachsen, ehe ich auch nur das Wort »Frucht« in den Mund nehme oder abschätze, wie viele Einmachgläser ich brauche, um die Ladung auf meinen Aprikosenbäumen zu bewältigen. Auf jedem noch so kleinen Zweig saugen so viele Babys, dass ich eine Wahl treffen muss. Um große Früchte zu bekommen, zwickt man mit Daumen und Zeigefinger zwei von drei Sprösslingen ab. Es gibt keine Winzlinge darunter, die dieser Tätigkeit ihre Grausamkeit nehmen würden. Das Töten ist absolut willkürlich. Der Mensch, und nicht die Natur, entscheidet über Leben und Tod. Das Ausdünnen der Früchte ist Routine auf einer Farm. Ohne die Beeinträchtigung durch die Geschwister haben die Auserwählten die Möglichkeit, an Größe zuzunehmen und beim Verkauf an den Großhandel einen höheren Preis zu erzielen. Im Garten hinter dem Haus ist das Ausdünnen der Früchte weniger sinnvoll. Hier bin ich von einer anderen Gier getrieben. Jede einzelne Blenheim-Aprikose und jeder Elberta-Pfirsich, jede Santa-Rosa-Pflaume und Missionsfeige und Page-Mandarine und Washington Navelorange und kernlose Thompson-Weintraube, die sich zu vorstädtischer Reife durchkämpft, ist eine Augenweide. Also schiebe ich das Ausdünnen auf.

An einem Morgen im April, nach einer Nacht ohne besondere Ereignisse, gehe ich hinaus und stehe einer Reihe von Bäumen gegenüber, die plötzlich schwerelos erscheinen. Beim Näherkommen sehe ich Hunderte von Aprikosen, die fest und grün in einem Haufen am Fuß des Baumstamms liegen. Ich untersuche jeden Ast und bin mir sicher, etwas dabei zu übersehen. Doch keine einzige Frucht hat gehalten. Nur ein einigermaßen hartnäckiger Eindringling kann ein derartiges Abfallen in Massen erklären, und ich verfluche schon das Eichhörnchen, die Ratte, das Opossum, den Eichelhäher, den sechszehnjährigen Sohn. Dann besinne ich mich eines Besseren. Sie alle wären ja auf der Suche nach Zucker, und der Zucker liegt noch zwei Monate weit entfernt.

Ich rufe meinen alten Freund den Nussanbauer an. Er hat meine Beobachtungen immer mit Wohlwollen bedacht, egal wie albern es ist, meine tausend Quadratmeter in Fresno mit seinen weitläufigen Ranches draußen auf dem Land zu vergleichen, wo in einer endlosen Monokultur alles schief gehen und dank der unendlichen Manipulationen, die ihm zur Verfügung stehen, alles wieder gerichtet werden kann.

»Brad, auf meinen Bäumen ist keine einzige Aprikose mehr.«

»Ich zeige dir meine Pistazien«, sagt er.

Brad fährt in einem verbeulten weißen Chevy-Truck vor, und ich steige ein. Er ist ein großer Mittfünfziger mit einem leichten Bauchansatz. Er trägt weder Wrangler Jeans noch einen Cowboyhut. Das einzig farmermäßige an ihm ist sein kariertes, kurzärmeliges Hemd und der Staub auf seinen schweren Stiefeln. Er hat blaue Augen, die freundlich durch das Drahtgestell seiner Brille schauen, und einen Kopf voll leicht ergrautem zurückgebürstetem Haar. Die Sonnenfalten in seinem Gesicht kommen vom Golfspielen und nicht von der Feldarbeit. Er hat als Wirtschaftsprüfer in der Landwirtschaft angefangen, und jetzt baut er Kulturen auf seinem eigenen Land an und auf dem Land, das er im Auftrag der Investoren von Brentwood, die in zehn Millionen Dollar Häusern wohnen, bestellt. Brad selbst lebt nicht auf der Farm. Er lebt in einer Eigentumswohnung in Fresno und einem Haus in Pebble Beach.

Wir lassen die Vororte hinter uns und fahren ins Valley. »The country« hat meine Mutter früher immer gesungen, als sei dessen nie endende Erde ein Elixier. »Lass uns doch aufs Land hinaus fahren«, sagte sie oft zu meinem Vater, und der fuhr dann bis an den Saum des Flusses zum Golfplatz Fig Garden, aber nicht darüber hinaus. Wieder macht sich eine Dürre im Land breit, und die Großstadtjournalisten, die eine kalifornische Apokalypse, eine neue Dust Bowl 3 wittern, stürzen herein. Ich weiß, wie eine gute Story funktioniert. Ich war selbst einer von ihnen. Sie erinnern sich an Mark Twains geistreichen Spruch, dass hier draußen »Whiskey getrunken und um Wasser gekämpft wird«. Der Spruch ist gar nicht von Twain, wie sich herausstellt, aber der Kampf ist echt, und er dauert nun schon eine ganze Weile an.

Unsere Eroberung der Flüsse begann 1868, als John B. Sweem den ersten Graben im Tal aushob und dabei den Hauptarm des Kings River anzapfte, um seine Getreidemühle in der Nähe von Centerville zu betreiben. Seither haben wir Zehntausende von Kilometern an Gräben und Kanälen ausgehoben, die vom Boden aus betrachtet einer einfachen, linearen Anordnung zu folgen scheinen. Nur vom Fenster eines Flugzeugs aus kann man die Komplexität der Linienführung, Neigungen, Querschnitte, Rohrleitungen, Wehre und Dämme ermessen und begreifen, wie schwierig es ist, ein Volk, das der Regierung geradezu feindlich gegenübersteht, zu überreden, sein Misstrauen lange genug abzulegen, um ein derartiges System zu schaffen. Durch dessen Verwirklichung waren wir in der Lage, uns selbst neu zu erfinden und das Land neu zu erfinden. Dürre und Flut werden sich weiterhin austoben, doch keine von beiden zwingt uns wieder in die Knie, so lautete zumindest die Version der Handelskammer. Über meine Version bin ich mir immer noch nicht im Klaren. Jedes Mal, wenn ich nah dran bin, verspottet mich das Valley mit einer weiteren seiner Windungen.

Auswärtige sehen es als eine zusammengehörige Landschaft, das Great Central Valley: siebenhundertfünfundzwanzig Kilometer lang und hundert Kilometer breit, eingeklemmt zwischen den Kathedralen der Sierra Nevada im Osten und den weniger dramatischen Coast Ranges im Westen. Wenn man die Interstate 5 nimmt, die neue Straße, dann fährt man von Kern County ganz unten bis Shasta County ganz oben fast ausschließlich durch Farmland. Wenn man den Highway 99 geradewegs aufs Herz zu nimmt, stößt man auf ein halbes Dutzend kleiner Farmstädtchen, die verzweifelt danach streben, richtige Städte zu sein. Jedes von ihnen versucht, auf demselben Weg dorthin...
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Autor

Mark Arax lebt als Journalist und Autor in Fresno, Kalifornien. Seine Texte über Kalifornien und den Westen der USA erschienen in The New York Times und California Sunday Magazine. Die Suche nach den Mördern seines Vaters führte zum ersten Buch, »In my Father's Name«. Sein zweites, »The King of California«, gewann den California Book Award. Arax' Story »A Kingdom from Dust« wurde beim ersten True Story Award 2019 in Bern als zweitbeste Reportage der Welt ausgezeichnet. Risse in der Erde, in den USA ein Bestseller, knüpft an diese Reportage an und ist sein erstes ins Deutsche übersetzte Buch.Eva Schestag, 1963 in Laufen a. d. Salzach geboren, lebt und arbeitet in Frankfurt am Main. Sie übersetzt aus dem Klassischen und Modernen Chinesischen sowie aus dem Englischen. Unter anderem übertrug sie Werke von Ai Weiwei, Mark Arax, Cai Jun, Can Xue, Han Shan, Luo Guanzhong und Rao Pingru. Sie lehrt am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Goethe Universität.