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Mythos Mutterglück

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
328 Seiten
Deutsch
Leykam Buchverlagerschienen am25.09.2023
Mentale Gesundheit und Elternschaft Eine persönliche Geschichte verwoben mit wissenschaftlichen Fakten und einem hoffnungsvollen Blick nach vorn Schwangerschaft, Geburt und die ersten Jahre mit einem Kind werden in unserer gesellschaftlichen Erzählung als etwas Selbstverständliches dargestellt, das für alle Beteiligten in einem Happy End mündet. Ulrike Schrimpf erkrankte nach der Geburt ihres zweiten Sohnes an einer postpartalen Depression. Ihre Erfahrungen teilt sie in hier in einer fesselnden Mischung aus persönlichem Memoir, wissenschaftlicher Erkundung und wertvollen Einblicken in die Gedanken- und Empfindungswelt von Betroffenen. Berührend und informativ schildert sie Krankheitsbild, Therapiemöglichkeiten und wie es ihr gelang, den Mut aufzubringen, um danach ein weiteres Kind zu bekommen. Wir müssen realistisch und nuanciert über Mutter- und Elternschaft sprechen, um falsche Ideale zu entlarven und um den Weg zu bereiten für politische und gesellschaftliche Veränderungen, die Eltern und Kindern wirklich helfen - und damit uns allen.

Ulrike Schrimpf hat Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Französische Philologie studiert. Seit 2010 lebt und arbeitet sie als freie Schriftstellerin, Literaturkritikerin und Dozentin in Wien. Sie publizierte Romane, Lyrik, Fach- und Sachbücher, für die sie ver-schiedene Auszeichnungen und Stipendien erhalten hat. Ihr aktueller Roman »Lauter Ghosts« (Literatur Quickie Verlag) erschien 2023.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR23,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextMentale Gesundheit und Elternschaft Eine persönliche Geschichte verwoben mit wissenschaftlichen Fakten und einem hoffnungsvollen Blick nach vorn Schwangerschaft, Geburt und die ersten Jahre mit einem Kind werden in unserer gesellschaftlichen Erzählung als etwas Selbstverständliches dargestellt, das für alle Beteiligten in einem Happy End mündet. Ulrike Schrimpf erkrankte nach der Geburt ihres zweiten Sohnes an einer postpartalen Depression. Ihre Erfahrungen teilt sie in hier in einer fesselnden Mischung aus persönlichem Memoir, wissenschaftlicher Erkundung und wertvollen Einblicken in die Gedanken- und Empfindungswelt von Betroffenen. Berührend und informativ schildert sie Krankheitsbild, Therapiemöglichkeiten und wie es ihr gelang, den Mut aufzubringen, um danach ein weiteres Kind zu bekommen. Wir müssen realistisch und nuanciert über Mutter- und Elternschaft sprechen, um falsche Ideale zu entlarven und um den Weg zu bereiten für politische und gesellschaftliche Veränderungen, die Eltern und Kindern wirklich helfen - und damit uns allen.

Ulrike Schrimpf hat Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Französische Philologie studiert. Seit 2010 lebt und arbeitet sie als freie Schriftstellerin, Literaturkritikerin und Dozentin in Wien. Sie publizierte Romane, Lyrik, Fach- und Sachbücher, für die sie ver-schiedene Auszeichnungen und Stipendien erhalten hat. Ihr aktueller Roman »Lauter Ghosts« (Literatur Quickie Verlag) erschien 2023.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783701183289
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum25.09.2023
Seiten328 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2216 Kbytes
Artikel-Nr.12487020
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Vorwort

Du erkennst dich nicht wieder.

Im Halblicht der nachlassenden Nacht stehe ich im Badezimmer und sehe in den Spiegel. Vor mir steht ein Mensch, den ich nicht kenne. Ich kann ihn nicht identifizieren. Erst recht nicht mit mir. Der Mensch ist wahrscheinlich eine Frau. Sie hat ein bleiches Gesicht und aufgerissene Augen. Ihre Gesichtszüge erscheinen mir seltsam verwaschen und aufgequollen. Die Frau hebt ihre Hand und streicht sich durch die Haare. Sie zittert, obwohl es nicht kalt ist. Sie schwitzt, obwohl es nicht heiß ist. Ihr Oberkörper schwankt, als könnte sie sich nicht aufrecht halten. Ihre Beine knicken ein. Sie beugt sich nach vorne und legt den Oberkörper und den Kopf in dem Waschbecken ab. Im Hintergrund klingelt ein Wecker. Kurz darauf beginnt ein Baby zu quäken.

Ich beobachte die Frau im Spiegel. Sie ist eine Fremde. Ich weiß, dass sie ich ist, aber ich fühle es nicht. Schon lange spüre ich mich nicht mehr. Ich weiß nicht mehr, wo mein Körper anfängt und wo er aufhört. Ich kann nichts mehr mit ihm anfangen.

Langsam, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, lasse ich mich zu Boden gleiten. Meine Beine zucken unkontrolliert. In dem Moment verstehe ich, dass ich nicht mehr kann. Ich kann nicht mehr und ich muss mir Hilfe holen.

Ich bin damals fünfunddreißig Jahre alt und habe vor knapp drei Monaten meinen zweiten Sohn auf die Welt gebracht. Mika war ein absolutes Wunschkind. Mein erster Sohn Johannes, für den das Gleiche gilt, ist fünf, und wir leben seit vier Monaten zusammen mit meinem Mann Jens in Wien. Er ist auch der Vater von Mika.

Ich verstehe nicht, was mit mir los ist und warum es mir schlecht geht, zumal ich schon einmal eine Geburt und die erste Zeit nach der Entbindung erlebt habe. Ich begreife nicht im Ansatz, was mit mir passiert. Und ich fühle mich unbehaust: Ich habe kein Zuhause mehr in mir selbst. Das ist das furchtbarste Gefühl, das ich kenne.

Stellt man die Frage, woran mehr Mütter* erkranken, die ein Kind bekommen haben - an einer Brustentzündung oder an einer peripartalen Depression -, so kommt die immer gleiche Antwort: Natürlich häufiger an einer Brustentzündung! Tatsächlich liegt die Vermutung nahe: Seit das Stillen in den 1980er-Jahren neu propagiert wurde, wissen viele Menschen, was eine Brustentzündung ist. Zu wenige sind jedoch bis heute über die peripartale Depression informiert, also über eine bestimmte Form von Depression, die rund um die Geburt eines Kindes bei den Müttern auftreten kann. Allerdings stimmt die Antwort nicht: Während nur fünf Prozent der stillenden Mütter an einer Brustentzündung erkranken, leiden bis zu 30 Prozent aller Frauen, die ein Kind auf die Welt bringen, an einer peripartalen Depression und - auch das wird erst seit kurzer Zeit immer bekannter - mindestens 15 Prozent aller Männer, die Vater werden.

Über Depressionen im Allgemeinen wissen wir mittlerweile immer mehr und genauer Bescheid, auch weil immer mehr Prominente sich zu ihnen äußern und über sie schreiben. Die Informationslage in Bezug auf die peripartale Depression ist aber immer noch unzureichend, sowohl unter medizinischem Fachpersonal als auch unter Lai*innen.

Bei der Erkrankung geht der Schrecken einer Depression einher mit einem der schönsten, überwältigendsten Ereignisse auf der ganzen Welt: mit der Geburt eines Kindes. Die Person, die die beiden Extreme gleichzeitig erlebt, gerät in einen Widerspruch, der sie zu zerreißen droht. Denn die Erfahrung, ein Kind zu bekommen und Mutter oder Vater zu werden, ist und bleibt ein irreversibles Wunder. Etwas, was man nie vergisst. Es ist ein totaler Einschnitt in das eigene Leben, der die Welt stillstehen lässt und den Dingen eine neue Dimension verleiht. Man sieht und erlebt von dem Moment an die Welt mit anderen Augen. Das ist nicht nur für gesunde, glückliche Eltern so, sondern auch für Eltern, die an einer peripartalen Depression leiden.

Bei rund 800.000 Geburten in Deutschland und Österreich im Jahr 2022 sind gemäß der bekannten Prozentzahlen rund 250.000 Frauen an einer peripartalen Depression erkrankt sowie rund 125.000 Männer. Das macht 375.000 direkt von der Krankheit betroffene Menschen in beiden Ländern und in einem Jahr. Diese Zahl verdoppelt sich jedes Jahr, mal ein bisschen mehr, mal ein bisschen weniger, abhängig von der Anzahl der Geburten. Nicht nur die Mütter und die Väter sind von der Krankheit betroffen, sondern indirekt auch ihre Kinder: die, die gerade geboren wurden, und die, die zum Zeitpunkt der Geburt ihrer Geschwisterkinder schon auf der Welt waren.

Der häufigste Grund für Müttersterblichkeit in Deutschland ist immer noch der Suizid aufgrund einer postpartalen Depression , schreibt Jana Heinicke in ihrem Buch Aus dem Bauch heraus. Wir müssen über Mutterschaft sprechen.1 Das ist ein Zustand, der nicht angeht. Den ich nicht ertrage. Und den ich nicht - mehr - hinnehmen will. Deshalb habe ich dieses Buch über die peripartale Depression geschrieben: für alle Betroffenen, ihre Angehörigen, die Menschen, die sie behandeln und medizinisch sowie therapeutisch mit ihnen zu tun haben, Ärzt*innen, Psychotherapeut*innen, Hebammen und Doulas, und für die Kinder der Betroffenen. Denn es gibt auch gute Nachrichten. Besonders diese liegen mir am Herzen, und ich will dazu beitragen, sie mehr zu verbreiten:
⢠Die peripartale Depression ist keine schwierige oder komplizierte psychische Erkrankung.
⢠Sie ist gut behandelbar und geht wieder vorbei.
⢠Es gibt Medikamente, die effektiv und sicher helfen und die man auch in der Schwangerschaft und danach problemlos und ohne Nebenwirkungen für das Kind einnehmen kann.
⢠Kinder von Eltern, die an einer peripartalen Depression erkranken, können selbst zu vollständig gesunden und glücklichen Menschen heranwachsen.
⢠Die Tatsache, dass man bei der Geburt eines Kindes an einer peripartalen Depression erkrankt, bedeutet nicht, dass man automatisch immer und bei jeder Geburt eines Kindes daran erkranken wird.

Irgendwann wird die Erkrankung, wenn wir sie behandeln lassen, nur noch als dunkler Schatten der Vergangenheit in unserem Leben aufscheinen, vielleicht als Mahnmal, eine schreckliche Erinnerung, ein Meilenstein, möglicherweise auch als Wendepunkt. Aber sie wird es nicht mehr bestimmen, und wir werden wieder dazu in der Lage sein, uns im Spiegel zu erkennen und zu fliegen bis ans Ende der Stadt, ans Ende der Welt und über den Rand :

Ich erkenn mich nicht wieder

Nur mein Herz das noch schlägt

Und ich hebe die Arme

um zu sehn ob die warme

Nachtluft mich trägt

Du erkennst mich nicht wieder

Unerkannt

flieg ich ans Ende der Stadt

ans Ende der Welt

und über den Rand

Wir sind Helden,
Du erkennst mich nicht wieder


Psychische Erkrankungen rund um die Geburt

Man unterscheidet allgemein zwischen dem Babyblues - manchmal ist auch von den Heultagen die Rede -, der peripartalen / postpartalen Belastungsstörung bzw. der peripartalen / postpartalen Depression, der postpartalen Psychose und noch einigen anderen Erkrankungen, die jedoch deutlich seltener auftreten. Der sogenannte Babyblues ist keine Depression. Es handelt sich dabei um eine depressiv labile Stimmungslage, die wenige Tage nach einer Entbindung bei Müttern auftreten kann. Ungefähr die Hälfte aller Mütter, die gerade ein Kind bekommen haben, erlebten diese Tage.

Bei jeder Depressionserkrankung, die innerhalb der ersten beiden Jahre nach der Geburt eines Kindes bei Frauen auftritt, spricht man von einer postpartalen Depression bzw. Belastungsstörung. Meist setzt diese etwa sechs bis zwölf Wochen nach der Geburt ein. Bis zu 30 Prozent aller Mütter und 15 Prozent aller Väter erkranken an einer peripartalen Depression. Bei der Krankheit handelt es sich um eine emotionale Verstimmung und Anpassungsstörung, die rund um die Geburt eintreten kann (= peripartal ), schon in der Schwangerschaft (= präpartal ) oder erst nach der Geburt in einem Zeitraum von bis zu zwei Jahren danach (= postpartal ). Sie beginnt meistens mit Schlafstörungen und geht mit Konzentrationsstörungen und stark und häufig wechselnden Emotionen und Affekten einher. Auch die Entwicklung von zahlreichen negativen Gedanken, Sorgen und Ängsten, die vor allem das geborene Kind betreffen, ist typisch.

Bei der postpartalen Psychose handelt es sich um eine der schwierigsten psychiatrischen Erkrankungen überhaupt. Nur knapp ein Prozent der Mütter erkrankt an ihr. Die Erkrankung beginnt, anders als die Depression, gleich nach der Geburt des Kindes und geht mit Wahnvorstellungen und Halluzinationen einher, die zu einer akuten Gefährdung des Kindes führen können.



* In dem...

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Autor

Ulrike Schrimpf hat Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Französische Philologie studiert. Seit 2010 lebt und arbeitet sie als freie Schriftstellerin, Literaturkritikerin und Dozentin in Wien. Sie publizierte Romane, Lyrik, Fach- und Sachbücher, für die sie ver-schiedene Auszeichnungen und Stipendien erhalten hat. Ihr aktueller Roman »Lauter Ghosts« (Literatur Quickie Verlag) erschien 2023.