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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
272 Seiten
Deutsch
Edition Nautiluserschienen am02.10.2023
Die Debatte um die sogenannte Clankriminalität hat seit Jahren Konjunktur. Ein immer weiter wachsendes Gefu?ge aus polizeilichen Maßnahmenkatalogen, Medienberichten, Entertainmentformaten und (pseudo-)wissenschaftlichen Beiträgen fantasiert eine Bedrohung herbei, gegen die hart durchgegriffen werden soll. Die Konsequenz sind Razzien, rassistische Kontrollen und Kriminalisierung in migrantischen Stadtteilen, die als Problembezirke gebrandmarkt werden; der falsche Familienname genu?gt, um auf polizeilichen Verdachtslisten zu landen. Politiker*innen in Berlin, Nordrhein-Westfalen und anderswo profilieren sich mit Null-Toleranz-Strategien gegen »kriminelle arabische Großfamilien« - und tragen damit eine Mitverantwortung fu?r rassistische Morde wie in Hanau. Während »Clankriminellen« vorgeworfen wird, keinen Respekt vor dem Rechtsstaat zu haben, werden im Zuge ihrer Bekämpfung gleich mehrere Grundprinzipien von Rechtsstaatlichkeit u?ber Bord geworfen. Dieses Buch unternimmt erstmals eine kritische Bestandsaufnahme der Clan-Debatte aus kriminologischen, rechtswissenschaftlichen, soziologischen und feministischen Perspektiven: Wer ist gemeint, wenn von Clans gesprochen wird? In welcher Tradition stehen Kriminalisierungsstrategien im Umgang mit Migration in Deutschland? Welche orientalistischen Stereotype sind in der Clan-Debatte am Werk, und welche Folgen hat die Stigmatisierung fu?r die betroffenen Menschen? Mit Beiträgen von Ozan Zakariya Keskink?l?ç · Vanessa E. Thompson · Mohammed Ali Chahrour · Britta Rabe · Fariha El-Zein · Michèle Winkler · Jorinde Schulz · Niloufar Tajeri · Laila Abdul-Rahman · Ça?an Varol · Ria Halbritter · Levi Sauer · Lina Schmid · Céline Barry · Melly Amira · Elisabeth Winkler · Simin Jawabreh · Guillermo Ruiz · Tobias von Borcke · Mitali Nagrecha · Anthony Obst · Ahmed Abed · Biplab Basu · Parto Tavangar

Die Herausgeber*innen beschäftigten sich seit einigen Jahren aus verschiedenen aktivistischen und menschenrechtlichen Zusammenhängen heraus mit Politik und Polizeipraxis rund um den Mythos Clankriminalität. Tragende Säulen der Zusammenarbeit sind die Kampagne fu?r die Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP Berlin), die Neuköllner Initiative Kein Generalverdacht und das Komitee fu?r Grundrechte und Demokratie.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextDie Debatte um die sogenannte Clankriminalität hat seit Jahren Konjunktur. Ein immer weiter wachsendes Gefu?ge aus polizeilichen Maßnahmenkatalogen, Medienberichten, Entertainmentformaten und (pseudo-)wissenschaftlichen Beiträgen fantasiert eine Bedrohung herbei, gegen die hart durchgegriffen werden soll. Die Konsequenz sind Razzien, rassistische Kontrollen und Kriminalisierung in migrantischen Stadtteilen, die als Problembezirke gebrandmarkt werden; der falsche Familienname genu?gt, um auf polizeilichen Verdachtslisten zu landen. Politiker*innen in Berlin, Nordrhein-Westfalen und anderswo profilieren sich mit Null-Toleranz-Strategien gegen »kriminelle arabische Großfamilien« - und tragen damit eine Mitverantwortung fu?r rassistische Morde wie in Hanau. Während »Clankriminellen« vorgeworfen wird, keinen Respekt vor dem Rechtsstaat zu haben, werden im Zuge ihrer Bekämpfung gleich mehrere Grundprinzipien von Rechtsstaatlichkeit u?ber Bord geworfen. Dieses Buch unternimmt erstmals eine kritische Bestandsaufnahme der Clan-Debatte aus kriminologischen, rechtswissenschaftlichen, soziologischen und feministischen Perspektiven: Wer ist gemeint, wenn von Clans gesprochen wird? In welcher Tradition stehen Kriminalisierungsstrategien im Umgang mit Migration in Deutschland? Welche orientalistischen Stereotype sind in der Clan-Debatte am Werk, und welche Folgen hat die Stigmatisierung fu?r die betroffenen Menschen? Mit Beiträgen von Ozan Zakariya Keskink?l?ç · Vanessa E. Thompson · Mohammed Ali Chahrour · Britta Rabe · Fariha El-Zein · Michèle Winkler · Jorinde Schulz · Niloufar Tajeri · Laila Abdul-Rahman · Ça?an Varol · Ria Halbritter · Levi Sauer · Lina Schmid · Céline Barry · Melly Amira · Elisabeth Winkler · Simin Jawabreh · Guillermo Ruiz · Tobias von Borcke · Mitali Nagrecha · Anthony Obst · Ahmed Abed · Biplab Basu · Parto Tavangar

Die Herausgeber*innen beschäftigten sich seit einigen Jahren aus verschiedenen aktivistischen und menschenrechtlichen Zusammenhängen heraus mit Politik und Polizeipraxis rund um den Mythos Clankriminalität. Tragende Säulen der Zusammenarbeit sind die Kampagne fu?r die Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP Berlin), die Neuköllner Initiative Kein Generalverdacht und das Komitee fu?r Grundrechte und Demokratie.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783960543299
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum02.10.2023
Seiten272 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse4364 Kbytes
Artikel-Nr.12494862
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Einleitung

Mohammed Ali Chahrour, Levi Sauer, Lina Schmid, Jorinde Schulz und Michèle Winkler
Den dominanzgesellschaftlichen Taumel unterbrechen

In den letzten Jahren ist eine intensive Debatte um das Thema »Clankriminalität« entbrannt. Wer der Berichterstattung folgt, gewinnt zuweilen den Eindruck, dass »Clans« eine Art Staat im Staate seien. Ganze Stadtteile sollen unter ihrer brutalen Kontrolle stehen, die Abschottung und innere Loyalität dieser Outlaws solle bedingungslos sein, so vermelden es unzählige Reportagen und Dokumentationen. Mächtige arabische Familienverbünde gefährden so angeblich »unsere Sicherheit«, »unseren Rechtsstaat«, »unsere Demokratie«. Fremde Männer, die die deutsche Staatlichkeit in ihrem Innersten bedrohen? Was wie ein Endzeitszenario anmutet, ist vor allem ein Schreckgespenst aus dem Boulevard, das sich nur allzu gut verkaufen lässt. Und an dessen Spuk nicht nur etliche Journalist*innenkarrieren hängen, sondern auch eine Reihe politischer Vorhaben: ein verschärftes Abschiebungsregime etwa, der Entzug von Staatsbürgerschaften, oder erweiterte Befugnisse für die Polizei.

Kurzum: Mit der Debatte um die »Clankriminalität« wird Politik gemacht. Wie und warum das funktioniert, interessiert uns in diesem Buch. Der Titel Generalverdacht weist dabei auf die Wirkung hin, die die allgegenwärtige Verwendung dieses Begriffs entfaltet. Menschen, denen das Stigma »Clan« aufgedrückt wird, unterstellt man damit, kriminell, sicherheitsgefährdend und staatszersetzend zu sein. Sie erfahren Probleme bei der Arbeits- und Wohnungssuche und gesellschaftliche Ächtung, die sich in alle Bereiche des Lebens ausbreitet. Mit dem Stigma werden intensive staatliche Überwachung und Kontrolle, Ungleichbehandlung durch verschiedene Behörden sowie staatliche Gewalt gerechtfertigt. Dass das Ausmaß dieser Benachteiligung und Gewalt so selten thematisiert wird, hat mit der Schieflage einer Debatte zu tun, in der fast ausschließlich Regierende und Polizeivertreter*innen zu Wort kommen, Betroffene aber nahezu gar nicht.1 Zudem haben die gezielte diskursive Gleichsetzung von »Clans« mit Organisierter Kriminalität und dadurch geschürte Ängste dazu geführt, dass die Hürde für gesellschaftliches Nachfragen und für Solidarität sehr hoch ist. Stattdessen dominieren Rufe nach härteren Sanktionen sogar bis weit in ein sich als liberal und antirassistisch verstehendes Spektrum hinein. Wer will sich schon dem Vorwurf aussetzen, schwere Straftaten zu rechtfertigen? Mit diesem Sammelband setzen wir all dem eine kritische Bestandsaufnahme der »Clan«-Debatte entgegen. Autor*innen aus verschiedenen aktivistischen und akademischen Kontexten hinterfragen die Annahmen und Erzählungen, die das Fundament des Begriffs der »Clankriminalität« bilden. Aus politikwissenschaftlichen, feministischen, juristischen und vielen anderen Perspektiven legen sie dar, wie mit der Etikettierung »Clan« eine Stigmatisierung nach altbekannten rassistischen Mustern eine neue Konjunktur erfährt, die auf erprobten Mechanismen des Feindbildaufbaus und des Otherings beruht und letztlich völkische Vorstellungen bedient.

»Aber wir müssen Probleme doch benennen können!« - »Ihr könnt doch nicht leugnen, dass es Clankriminalität gibt?!« - »Ihr schützt Kriminelle!« Diese Einwände hört man häufig, wenn man die »Clan«-Debatte kritisiert. Warum also lehnen wir die Begriffe »Clan« und »Clankriminalität« ab und verwenden sie nur in Anführungszeichen? Der Verweis auf die vermeintliche anthropologische Einheit »Clan« dient als pseudowissenschaftliches Feigenblatt in dieser Debatte um Minderheiten in Deutschland. Der Begriff bringt eine Reihe problematischer Implikationen mit sich. Zuerst hat die Einheit »Clan« kriminologisch überhaupt keine Relevanz, sondern fungiert im deutschen Diskurs schon seit Jahren als eine rein rassistische Bezugsgröße. Der Begriff wurde mit einer Reihe von negativ konnotierten Bildern und Assoziationen - Rückständigkeit, Gewaltbereitschaft, Ablehnung der »deutschen Rechtsordnung« - verknüpft und lässt sich mittlerweile weder von seiner ethnisierenden, noch von seiner kriminalisierenden Komponente trennen. Die Zusammensetzung in der Wortschöpfung »Clankriminalität« treibt dies auf die Spitze und ist Ausdruck einer gefährlichen rhetorischen Verquickung von Blutsverwandtschaft und Kriminalität.In den letzten Jahren wurde der Begriff vor allem im Zusammenhang mit Personen und Gruppen mit zugeschriebener oder reeller arabischer Migrationsgeschichte verwendet, er wird aber auch immer wieder als Negativbezeichnung für Rom*nja und Sinti*zze und andere marginalisierte Gruppen genutzt. Er konstruiert eine vermeintlich ethnisch homogene Gruppe als anders und schreibt dieser eine latente kriminelle Neigung und Staatsfeindlichkeit zu. Zudem brandmarkt der Begriff Familien auf der Grundlage rassistischer Zuschreibungen als kriminelle Organisationen.

Dieses Buch leugnet weder die Realität von Gewalt noch von Kriminalität. Diese Feststellung halten wir für trivial. Jedoch ist zum einen die Definition dessen, was als gewaltvoll oder kriminell gilt, allzu oft entkoppelt von reellem Leid oder Schaden: Nicht jedes als kriminell verfolgte Verhalten erzeugt Leid; nicht jede Art von Gewalt wird auch strafrechtlich verfolgt. Die Definition und Verfolgung von Straftaten folgt zuvorderst staatlichen Interessen und dient dabei häufig auch der Verschleierung staatlicher Gewalt.

Zum anderen ist die Verknüpfung mit ethnischen Zugehörigkeiten nicht nur empirisch falsch, sondern auch brandgefährlich. Wir kritisieren diese rassistische Erzählung, die einen Generalverdacht gegen hunderttausende Menschen etabliert und diese damit nicht nur für staatliche Gewalt, sondern auch für die extreme Rechte als Angriffsziele markiert. Wenn wir hierbei gleichzeitig von einem »Mythos« sprechen, weisen wir auf den fiktionalen Charakter der »Clankriminalität« hin. Die Debatte ist hochgradig emotional aufgeladen und operiert dabei mit altbekannten rassistischen Tropen und anekdotischem Material, das sich teils formulierungsgleich zwischen journalistischen Artikeln, Spielfilmen, politischen Verlautbarungen und Entertainmentformaten hin und her bewegt. Die seit 2019 erscheinenden polizeilich produzierten Lagebilder zur sogenannten Clankriminalität versuchen, rassistische Bauchgefühle auf eine zahlenförmige Basis zu stellen. Die Zahlen und Daten der verschiedenen Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamts könnten eine klare Sprache sprechen, wenn sie denn mit nüchternem Auge analysiert würden. Doch diese Arbeit haben sich bisher weder Wissenschaftler*innen noch Medienschaffende gemacht, erst seit kurzem erscheinen vereinzelte kritische Analysen. Auffällig ist dabei eines: Die Polizei präsentiert aufgenommene Ermittlungsverfahren nur in absoluten Zahlen und vermeidet es tunlichst, das, was sie als »Clankriminalität« deklariert, ins Verhältnis zu setzen. Denn dies könnte den Spuk als das entlarven, was er ist: selbst nach polizeilichen Maßstäben nahezu irrelevant. Was in den Kriminalstatistiken der meisten Bundesländer als »Clankriminalität« gelabelt wird, macht trotz des hohen Verfolgungsdrucks gerade einmal zwischen 0,18 und 0,6 % aller aufgenommenen Straftatermittlungen aus.2 Viele der Delikte, die in die zahllosen Lagebilder der Polizei einfließen - zu einem nicht geringen Anteil die Ergebnisse von Gewerbe- und parallel stattfindenden Verkehrskontrollen -, sind zudem von keiner strafrechtlichen Relevanz, sondern betreffen Ordnungswidrigkeiten. Darüber hinaus behandeln die Zahlen in den Lagebildern, auch dort, wo es um Straftaten geht, keine Verurteilungen, sondern Ermittlungen. Und selbst da, wo tatsächlich einmal Prozentsätze im Bereich dessen präsentiert werden, was die Polizei Organisierte Kriminalität (OK) nennt, muss bei genauerem Hinsehen konstatiert werden, dass die vermeintlich hohe Beteiligung sogenannter »Clans« durch allerlei Tricksereien zustande kommt, etwa durch das Hinzuzählen von Gruppierungen, die laut polizeilichen Daten allein »Verbindungen« zu vermeintlichen »Clans« aufweisen. Was »Verbindungen« bedeutet, bleibt im Dunkeln, möglicherweise reicht es, einmal im selben Café gesessen zu haben. Es ist erschreckend, wie viel Schall und Rauch vom großen War on Clans übrig bleibt, wenn man sich die Zeit nimmt, die Polizeistatistiken zu studieren. Diese Flüchtigkeit ändert allerdings nichts daran, dass das Schreckgespenst in immer gleichen Diskurscredos heraufbeschworen wird. Die Unbeirrbarkeit dieses Rituals und dessen Produktion einer Ununterscheidbarkeit von Fakten und Fiktion erinnert an orientalistische Diskurse. Es ist uns ein Bedürfnis, zu dokumentieren und zu analysieren, was hierbei eigentlich passiert - also den...
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Die Herausgeber*innen beschäftigten sich seit einigen Jahren aus verschiedenen aktivistischen und menschenrechtlichen Zusammenhängen heraus mit Politik und Polizeipraxis rund um den Mythos Clankriminalität. Tragende Säulen der Zusammenarbeit sind die Kampagne für die Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP Berlin), die Neuköllner Initiative Kein Generalverdacht und das Komitee für Grundrechte und Demokratie.
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