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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
192 Seiten
Deutsch
Verlag Kremayr & Scheriauerschienen am02.10.2023
'Eine Frau von Wuchs und Charakter, gerade, aufrecht und fest wie ein Baum ohne jede Anpassungstendenzen.' Die berühmte Schauspielerin Dorothea Neff (1903-1986) nahm ab 1940 ihre jüdische Freundin Lilli Wolff als U-Boot in ihrer Wohnung auf. Mit viel Mut, Opferbereitschaft und List gelang die Geheimhaltung. Aber 1944 musste Lilli mit einem Tumor in der Brust ins Krankenhaus. Wie sollte sie operiert werden, ohne aufzufliegen? Jürgen Pettinger rollt den Fall neu auf, spürt in den Dokumenten und von ihm wiederentdeckten Tonaufnahmen der Beziehung der beiden Frauen nach und zeigt, dass queere Aktivist:innen von heute auf den Schultern der queeren Held:innen von damals stehen. Mit zahlreichen s/w-Abbildungen

Jürgen Pettinger ist Journalist und Autor. Seine Reportagen wurden mit mehreren namhaften Journalismus-Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Prof. Claus Gatterer-Preis und dem deutschen dokKa-Preis. In seinen Büchern spürt er den Biografien außergewöhnlicher Menschen nach und erzählt detailliert recherchierte, auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichten. Bei Kremayr & Scheriau erschien zuletzt sein Buch 'Franz. Schwul unterm Hakenkreuz'.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR18,99

Produkt

Klappentext'Eine Frau von Wuchs und Charakter, gerade, aufrecht und fest wie ein Baum ohne jede Anpassungstendenzen.' Die berühmte Schauspielerin Dorothea Neff (1903-1986) nahm ab 1940 ihre jüdische Freundin Lilli Wolff als U-Boot in ihrer Wohnung auf. Mit viel Mut, Opferbereitschaft und List gelang die Geheimhaltung. Aber 1944 musste Lilli mit einem Tumor in der Brust ins Krankenhaus. Wie sollte sie operiert werden, ohne aufzufliegen? Jürgen Pettinger rollt den Fall neu auf, spürt in den Dokumenten und von ihm wiederentdeckten Tonaufnahmen der Beziehung der beiden Frauen nach und zeigt, dass queere Aktivist:innen von heute auf den Schultern der queeren Held:innen von damals stehen. Mit zahlreichen s/w-Abbildungen

Jürgen Pettinger ist Journalist und Autor. Seine Reportagen wurden mit mehreren namhaften Journalismus-Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Prof. Claus Gatterer-Preis und dem deutschen dokKa-Preis. In seinen Büchern spürt er den Biografien außergewöhnlicher Menschen nach und erzählt detailliert recherchierte, auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichten. Bei Kremayr & Scheriau erschien zuletzt sein Buch 'Franz. Schwul unterm Hakenkreuz'.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783218014052
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum02.10.2023
Seiten192 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3541 Kbytes
Artikel-Nr.12494868
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Vorwort
Andreas Brunner

Bedarf das Buch Jürgen Pettingers über eine so bekannte Persönlichkeit wie Dorothea Neff überhaupt einer Einleitung, als gälte es, Lücken im Text zu füllen? Mitnichten, denn der als Romanbiografie deklarierte Text kann viel mehr, als jede faktische historische Darstellung je könnte. Er erzählt von Gefühlen, von Liebe und Verzweiflung, von Freude und Abscheu, von Hoffnung und Angst, ohne diese Emotionen den Leser:innen erklären zu müssen, weil er sie durch die handelnden Personen lebendig werden lässt. Er gibt den historischen Figuren eine eigene Stimme, die direkt zu uns spricht und so auch auf unser Empfinden unmittelbar einwirkt.

In einer historischen Abhandlung sind die Möglichkeiten dazu sehr eingeschränkt. Fakten sprechen selten unvermittelt zu uns, sie können aber die emotionale Dichte eines Textes unterstützen und die Erzählung um eine über die unmittelbare Geschichte hinausreichende Dimension erweitern. In diesem Fall ist es eine spezifisch lesbische oder queere Ebene, die in vielen Darstellungen des Schicksals von Dorothea Neff, Lilli Wolff und ihren Freund:innen lange vergessen, wenn nicht gar unterdrückt wurde. Das beginnt bei der ersten Publikation der Geschichte durch die Journalistin Nadine Hauer, setzt sich fort in der Biografie von Peter Kunze und den Erzählungen von Dorothea Neff und Lilli Wolff selbst.

Nie wird von Liebe gesprochen, nie von Begehren, oft zwar von Mut, aber auch von negativen Gefühlen, von Angst und Hoffnungslosigkeit. Denn die Liebe von Dorothea und Lilli, später von Dorothea und Eva Zilcher, aber auch jene von Lilli und Mati Driessen in den USA war tabuisiert und wurde in Österreich vor, während und nach der NS-Zeit strafrechtlich verfolgt. Eine Besonderheit des österreichischen Strafrechts war, dass der von Kaiser Franz Joseph I. 1852 erlassene § 129 Ib geschlechtsneutral formuliert war. Als »Verbrechen der Unzucht wider die Natur« wurden sexuelle Handlungen »mit Personen desselben Geschlechtes« verfolgt, also sowohl zwischen Männern als auch zwischen Frauen.

Das österreichische Strafgesetz behielt auch in der NS-Zeit seine Geltung, was für lesbische Frauen zu einer unterschiedlichen Bedrohungslage führte. Im »Altreich« verfolgte der § 175 nur Beziehungen zwischen Männern. Als 1935 in Berlin eine Kommission die Verschärfung des § 175 diskutierte - es waren bis dahin nur beischlafähnliche Handlungen zwischen Männern strafbar -, war auch eine Ausweitung der Strafverfolgung auf lesbische Frauen Thema. Der aus Österreich eingeladene Strafrechtsprofessor Wenzel Gleispach, der wegen seiner stramm nationalsozialistischen Haltung von den austrofaschistischen Machthabern an der Universität Wien zwangspensioniert worden war, vertrat aber die Meinung, dass eine strafrechtliche Verfolgung weiblicher Homosexualität »bei der verhältnismäßig sehr bescheidenen Rolle der Frau im öffentlichen Leben kaum in Betracht« kam.

So wäre die Beziehung zwischen Dorothea Neff und Lilli Wolff zumindest in Köln nicht strafrechtlich verfolgt worden, in Wien aber sehr wohl. Inwieweit den beiden diese legistischen Unterschiede bewusst waren, ist nicht bekannt, jedenfalls waren gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Frauen auch während der NS-Zeit im ehemaligen Österreich mit der drastisch hohen Strafe von ein bis fünf Jahren schwerem Kerker bedroht. Auch wenn das Strafmaß im Fall der Erstverurteilung selten ausgeschöpft wurde, weil sich die Richter praktisch immer auf ihr außerordentliches Milderungsrecht nach § 42 StG beriefen, waren die Folgen einer Verurteilung weitreichend.

So resultierten aus einer Verurteilung oft der Ausschluss aus der Familie, soziale Isolation und der Verlust des Arbeitsplatzes. Akademiker:innen wurden ihre Titel aberkannt, Studierende der Universität verwiesen. In der NS-Zeit kamen Sondermaßnahmen hinzu: etwa die Einweisung in ein Arbeitslager, bei Männern auch in eine Bewährungskompanie der Wehrmacht. Andere wurden in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen, wo als »deviant« bezeichnete Personen Opfer medizinischer Versuche werden konnten. Im schlimmsten Fall erfolgte die Deportation in ein Konzentrationslager, wobei diese Maßnahme fast ausschließlich Männer betraf. Von den SS-Aufsehern gequält, konnten sie auch im KZ kaum Unterstützung von anderen, oft homophoben Häftlingen erwarten, die mit den »Sittlichkeitsverbrechern« nichts zu tun haben wollten. In Wien konnte bislang noch keine Frau, wohl aber 117 homosexuelle Männer nachgewiesen werden, die wegen einer Verurteilung nach § 129 Ib in einem KZ interniert wurden. Von diesen überlebten nur 30 Prozent die Haft, die von Erniedrigungen, Gewalt, Zwangsarbeit und Hunger geprägt war.

Auch im Alltag erfuhren homosexuelle Männer und Frauen, aber auch trans* Personen selten Solidarität - und wenn doch, dann oft nur in einem subkulturellen Umfeld. Trotz Verfolgung gab es auch in den Jahren des NS-Terrors in der Großstadt Wien zahlreiche Treffpunkte. Viele Männer trafen sich in Parks, den weitläufigen Auwäldern des Praters, Bädern und öffentlichen Bedürfnisanstalten, wo anonyme Kontakte möglich waren. Speziell der Wurstelprater mit seinen Vergnügungslokalen war auch bei Frauen beliebt. Der Eisvogel, Zur schönen Schäferin oder das Gasthaus Eminger am Praterstern, das O.K. - Wiens erstes Selbstbedienungsrestaurant in der Kärntnerstraße zwischen Ring und Karlsplatz - oder die zahlreichen Lokale am Naschmarkt zogen homosexuelle Männer wie Frauen an.

Die Homosexualität bekannter Künstler:innen war auch den NS-Machthabern oft bekannt. Der Burgtheaterschauspieler Raoul Aslan, die Malerin Stephanie Hollenstein, der Opernsänger Max Lorenz oder der Schriftsteller Richard Billinger waren anerkannte Stars, ihr gleichgeschlechtliches Begehren wurde toleriert, solange sie damit nicht öffentliches Aufsehen erregten. Dieser Duldung konnte sich eine damals erst aufstrebende Künstlerin wie Dorothea Neff nicht sicher sein, zumal sie auch politisch große Distanz zum Regime wahrte.

Dorothea Neff war doppelt bedroht. Einerseits hätte die Aufdeckung ihrer gleichgeschlechtlichen Beziehung weitreichende Folgen haben können - Kerkerhaft, Verlust ihres Engagements am Volkstheater, aber auch Ächtung durch jedes andere Theater im gesamten Reich und damit verbunden sozialer Ausschluss und Abstieg. Noch schwerwiegender wäre aber das Verbrechen der »Rassenschande« gewesen, denn Beziehungen zwischen »Arier:innen« und Juden und Jüdinnen waren nach den nationalsozialistischen Rassegesetzen verboten. Gerade, als sich Dorothea Neff entschloss, ihre Freundin zu verstecken, trat Ende Oktober 1941 eine Verordnung in Kraft, die selbst den freundschaftlichen Kontakt zwischen »Arier:innen« und Juden und Jüdinnen verbot. Die Entdeckung Lilli Wolffs hätte daher für beide den sicheren Tod bedeutet.

In der Nachkriegszeit hat Dorothea Neff lange über ihren Mut geschwiegen, galten doch »Widerstandskämpfer:innen« in weiten Teilen der Bevölkerung, die den Naziterror willfährig unterstützt hatten, als Verräter:innen und nicht als Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung. Zuerst wurden die in politischen Parteien, bei den Sozialisten, Kommunisten, Christlichsozialen oder Monarchisten organisierten oder in kirchlichen Gruppen aktiven Widerstandskämpfer:innen als Opfer anerkannt. Nach langem Zögern folgten Jüdinnen und Juden. Dass auch homosexuelle Männer und Frauen als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt wurden, scheiterte lange unter anderem an der Haltung von Vertreter:innen anerkannter Opfergruppen, die mit »Sittlichkeitsverbrechern« nicht in einen Topf geworfen werden wollten und dementsprechend auf die Politik einwirkten.

In der NS-Zeit wurden zwar verstärkt homosexuelle Männer als »Volksfeinde« verfolgt, die Vorurteile gegen gleichgeschlechtlich Begehrende beiderlei Geschlechts bestimmten aber auch die Nachkriegsdiskurse um die staatliche Anerkennung dieser Opfergruppe, die erst 2005 offiziell in das Opferfürsorgegesetz aufgenommen wurde und damit Anspruch auf Wiedergutmachungsleistungen bekam. Lange wurde der individuelle Widerstand Homosexueller und trans* Personen nicht anerkannt, weil der sexuellen Orientierung und Identität keine politische Dimension zugeschrieben wurde. Erst der Feminismus und die LGBT-Bewegung seit den 1970er Jahren fassten auch den Widerstand gegen eine patriarchale und heteronormative Gesellschaftsordnung als politischen Akt auf.

Dorothea Neff war mutig, sie hintertrieb die Bemühungen eines menschenverachtenden Regimes, sie von ihrer Liebe zu trennen und ihre Freundin in den sicheren Tod zu schicken. Sie kapitulierte aber vor der Macht der gesellschaftlichen Vorurteile gegenüber homosexuellen Männern und Frauen und schwieg über ihre Liebe zu Lilli Wolff, wie sie es auch lebenslang nicht wagte, ihre Liebe zu Eva Zilcher offen anzusprechen. Von der Liebe, die ihren Namen nicht zu nennen wage, sprach Oscar Wilde, ein Diktum, dem auch Dorothea Neff...
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Jürgen Pettinger ist Journalist und Autor. Seine Reportagen wurden mit mehreren namhaften Journalismus-Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Prof. Claus Gatterer-Preis und dem deutschen dokKa-Preis. In seinen Büchern spürt er den Biografien außergewöhnlicher Menschen nach und erzählt detailliert recherchierte, auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichten. Bei Kremayr & Scheriau erschien zuletzt sein Buch "Franz. Schwul unterm Hakenkreuz".
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Pettinger, Jürgen