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Der größte Verrat

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
474 Seiten
Deutsch
Books on Demanderschienen am08.10.20231. Auflage
Das Archiv der Universität Bonn birgt seit langer Zeit ein dunkles Geheimnis, dem der britische Student Archie Grant auf die Spur kommt. Eines Tages ist er nach einer Weihnachtsfeier spurlos verschwunden. Seine drei besten Freunde machen sich auf die Suche nach ihm und entdecken eine lange unentdeckt gebliebene Verschwörung. Irgendjemand versucht dieses Geheimnis bis in die Gegenwart zu verteidigen ... bis hin zum Mord.

Ditmar Doerner arbeitet als Autor für den WDR und hat bereits mehrere Kriminalromane veröffentlicht, unter anderem "Schneefeste" und "Bonn underground". Er hat an der Universität Bonn Literaturwissenschaften und Soziologie studiert, bevor er u.a. bei RTL, dem Bundespresseamt und Radio Bonn/Rhein-Sieg erste journalistische Erfahrungen sammelte. Doerner lebt mit seiner Familie in Bornheim. Weitere Infos unter Ditmar-Doerner.de
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR16,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR3,99

Produkt

KlappentextDas Archiv der Universität Bonn birgt seit langer Zeit ein dunkles Geheimnis, dem der britische Student Archie Grant auf die Spur kommt. Eines Tages ist er nach einer Weihnachtsfeier spurlos verschwunden. Seine drei besten Freunde machen sich auf die Suche nach ihm und entdecken eine lange unentdeckt gebliebene Verschwörung. Irgendjemand versucht dieses Geheimnis bis in die Gegenwart zu verteidigen ... bis hin zum Mord.

Ditmar Doerner arbeitet als Autor für den WDR und hat bereits mehrere Kriminalromane veröffentlicht, unter anderem "Schneefeste" und "Bonn underground". Er hat an der Universität Bonn Literaturwissenschaften und Soziologie studiert, bevor er u.a. bei RTL, dem Bundespresseamt und Radio Bonn/Rhein-Sieg erste journalistische Erfahrungen sammelte. Doerner lebt mit seiner Familie in Bornheim. Weitere Infos unter Ditmar-Doerner.de
Details
Weitere ISBN/GTIN9783758386329
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum08.10.2023
Auflage1. Auflage
Seiten474 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.12526821
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Kapitel 1

Das alte Küchenfenster, dick mit Kondenswasser beschlagen, gab nur andeutungsweise unsere Silhouetten wieder. Das Glas wirkte wie ein blass gewordener Spiegel, der kaum mehr imstande war, auch nur einen kleinen Teil seines Gegenübers zu erkennen und zurückzuwerfen. Der Rauch unserer Marlboros, Camels und John Player Specials zog in dicken Schwaden in Richtung der fleckigen Küchendecke, aber niemand von uns wäre jemals auf den Gedanken gekommen, sich zu beschweren - auch wenn es Sportler unter uns gab wie Elmar. Er studierte Chemie und absolvierte viermal die Woche Querfeldeinläufe oben im Wald von mindestens einer Stunde. Trotzdem hatte er noch nie über den vielen ungesunden Qualm gemeckert. Das Rauchen abends in der Küche gehörte einfach dazu.

Ich saß am Kopfende des Tischs und stand nun doch auf, um das Fenster zu kippen. Die Öffnung zwischen Rahmen und Scheibe machte die tiefe Dunkelheit dieses Winterabends sichtbar. Kalte Luft waberte herein. Einzig die Laternen im Park warfen Kegel abnehmender Helligkeit in das Dunkel. Seit einer Stunde schneite es, und die herabfallenden Schneeflocken deckten den schmalen Weg zwischen dem Rasen und den Bäumen mehr und mehr zu.

Anfang Dezember fand traditionell unsere Weihnachtsfeier statt. Die Mädchen der Etage hatten den Küchentisch und die Holzkommode neben der Tür, in der wir unser Frühstücksgeschirr deponierten, mit goldenen Papiersternen, Tannenzweigen und Kerzen dekoriert. Die Deckenlampe war mit roten Servietten umhüllt. Wir mussten aufpassen, dass das Papier nicht Feuer fing, was wohl ein Jahr vorher passiert war, wie Archie uns vor ein paar Minuten - immer wieder unterbrochen von seinem hysterischen Lachen - erzählt hatte.

Archie! Er sah tatsächlich aus wie die Kopie des typischen Briten aus einer deutschen Fernsehkomödie: rötlich-braune Haare, ordentlich gescheitelt auf einem schmalen, etwas in die Länge gezogen wirkenden Kopf. Eine eckige, dunkle Hornbrille unterstrich sein akademisches Aussehen, dazu wählte er furchtbar bunte, meist grün-blaue oder rot-gelbe Pullover, die ihm seine Mutter oder Großmutter jeden Herbst strickten. Obwohl sie ihm an seinem schmalen, ja dürren Körper mit den knochigen Schultern bis zur Hüfte reichten, trug er jeden einzelnen von ihnen mit unübersehbarem Stolz. Archie sah aus wie eine Intelligenzbestie - und er war auch eine. In allen Seminaren, die er belegte, wurde er schnell zum Liebling der Professoren; einfach, weil er zum einen unglaublich klug und belesen war und zum anderen sehr bescheiden und wissbegierig.

In diesem Jahr konnte ich mich lange nicht entscheiden, ob ich überhaupt zu unserer Weihnachtsfeier kommen sollte: Seit Oktober hatte ich mit kaum jemandem im Haus - außer mit Jonas, Archie und Moritz - gesprochen. Das lag vor allem an Patricia, meiner ehemaligen Freundin.

Gut zwei Monate vorher, Ende September, hatte sie unsere knapp zweijährige Beziehung beendet, wovon ich mich immer noch nicht vollends erholt hatte. Patricia saß etwas mehr als einen Meter entfernt und unterhielt sich angeregt mit ihrem neuen Freund. Richard hieß er. Immer wieder legte er liebevoll seinen Arm um ihre Schulter. Mich schmerzte es, wenn ich die beiden so sah, aber ich wusste auch, dass ich das Ende meiner Freundschaft zu Patricia selbst verschuldet hatte. Aus Leichtsinn. Und Übermut.

Die Vorstellung, Patricia und Richard so miteinander zu sehen, hätte mich fast daran gehindert, bei der heutigen Feier dabei zu sein. Am Vormittag hatte ich versucht, mich mit zwei Pro-Seminaren zu »Auswirkungen des Sturm und Drang auf die Weimarer Klassik« und den »Folgen der Dependenzgrammatik auf den Sprachgebrauch des ausgehenden 20. Jahrhunderts« abzulenken. Bis zur Abenddämmerung hatte ich die beiden Vorlesungen nachgearbeitet, aber irgendwann musste ich einsehen, dass es keinen Sinn hatte, mich in meiner Neun-Quadratmeter-Kemenate mit Dachschräge einzuigeln und Trübsal zu blasen. Auch brachte es nicht viel, Blacks »Sweetest Smile« zum hundertsten Mal anzuhören, während durch die dünnen Wände das Lachen der anderen drang.

Nun stand ich neben dem gekippten Fenster und betrachtete meine Mitbewohner: Carlos, den schnauzbärtigen Portugiesen, der Latein studierte, aber sich - soweit wir das registrierten - die ersten vier Semester hauptsächlich auf die Kommilitoninnen seines Lehrfachs konzentriert hatte. Meist ohne großen Erfolg, wie wir beobachten mussten. Erst im Frühling hatten Moritz und ich ihm geholfen, einer seiner Angebeteten einen Maibaum zu setzen. Mit einer selbst geschlagenen Birke waren wir nachts über die Konrad-Adenauer-Brücke getrottet. Es war kalt gewesen und hatte geregnet, aber wir waren - jeder mit einer Büchse Bier in der Hand - immer weiter gezogen. Wir mussten den schweren Stamm fast vier Kilometer schleppen, weil Carlos Auserwählte in Bad Godesberg wohnte. Meine Schulter hatte dermaßen geschmerzt, dass ich sie auch noch Tage später kaum bewegen konnte. Vor dem Fenster seines Schwarms platzierten wir dann die Birke. Bei dem Lärm, den wir dabei veranstalteten, weil wir erstens betrunken und zweitens handwerklich ungeschickt waren, hätte sie uns auf jeden Fall bemerken müssen, aber ihr Fenster blieb geschlossen. Ich denke, sie wollte uns nicht hören. So zogen wir müde und enttäuscht wieder ab und erreichten erst in der Morgendämmerung unser Wohnheim. Auf dem Rückweg fluchte Carlos auf Portugiesisch vor sich hin. Später verlor er nie wieder ein Wort über unsere Aktion, und seine Angebetete war auch nie bei ihm im Zimmer. Das hätte ich bemerkt: Carlos wohnte mir gegenüber im obersten Flur. Ich bekam so ziemlich alles mit, was bei ihm vorging. Ob ich wollte oder nicht.

Neben Carlos saß Ute, die gerade die letzten Tomatenstücke und Salatblättchen aus einer großen Schüssel kratzte. Sie sorgte im Haus für unsere Gesundheit. Ute studierte Ökotrophologie und bei jeder gemeinsamen Mahlzeit philosophierte sie über den Nährwert unseres Essens. Dafür hatte sie extra an einem der Hochschränke über dem Spülbecken eine Lebensmitteltabelle aufgehängt, die von A wie Aal bis Z wie Zucchini reichte. So konnte jeder von uns genau ausrechnen, wie viele Kalorien er gerade zu sich nahm, wenn er ein Vollkornbrot mit Butter und einer Scheibe Schnittkäse aß. Oder eine große Portion Langnese-Eis. Ute war groß und schlank und brauchte sich keine Gedanken über Kalorien zu machen, trotzdem aß sie häufig nicht mehr als ein Kleinkind. Meist sah ich sie in der Küche nur mit einem Müsli am Tisch sitzen oder einer Salatgurke, die sie klein schnippelte und pfefferte.

Zwei Plätze weiter unterhielt sich Rosa mit Gaby, die Chemie studierte. Soweit ich mich erinnere, kam Gaby aus der Eifel, aus der Nähe von Gmünd. Optisch war sie das genaue Gegenteil von Ute, besaß einen kleinen und fülligen Körper, unter dem sie sehr litt. Im vergangenen Sommer waren Gaby und ich einmal ganz früh ins nur zwei Kilometer entfernte Ennert-Freibad geradelt. Sie machte das öfters, für mich blieb es an jenem Morgen das einzige Mal. Wir schwammen unsere Bahnen und kamen ins Gespräch. Sie erzählte mir, dass sie an einer Unterfunktion der Schilddrüse leide und dadurch, trotz aller Diäten, einfach nicht schlanker werde. Sie erwähnte das nebenher und scheinbar amüsiert, während wir uns am Beckenrand festhielten, in die gleißende Morgensonne blinzelten und den älteren Schwimmern auswichen, die mit weit gefächerten Armen auf dem Rücken liegend alles aus dem Weg räumten, was ihnen in die Quere kam. Bei den Bildern jenes Morgens, die heute noch in meinem Kopf sind, fehlt mir die Erinnerung, ob ich nur genickt oder versucht habe, ihr einen Rat zu geben. Aber welcher hätte das sein können? Wahrscheinlich habe ich gar nichts gesagt.

Gaby starb ungefähr zehn Jahre nach unserer Weihnachtsfeier. Sie war nach ihrer Promotion allein in die Schweiz gegangen, weil sie dort eine Stelle in einem großen Chemieunternehmen angeboten bekommen hatte. Sie wurde nicht einmal vierzig Jahre alt. Erfahren habe ich von ihrem Tod von einer anderen Freundin, die mich anrief, als ich gerade in Bonn mit dem Auto unterwegs zu einem beruflichen Termin fuhr. Sie weinte am Telefon und berichtete schluchzend, dass Gaby an Krebs gestorben sei. Dann fragte sie mich, ob ich zum Begräbnis in Gabys Heimatstadt, in Gmünd käme. Ich druckste herum und schob irgendetwas vor, das nicht stimmte, und wimmelte sie ab, was ich heute bereue. Manchmal frage ich mich, ob ich damals - während unserer gemeinsamen Zeit im Studentenheim - etwas für Gaby hätte tun können. Irgendetwas. Vielleicht an jenem Morgen, als wir zusammen mit dem Fahrrad ins Freibad gefahren waren und später am Beckenrand in die Morgensonne schauten. Vielleicht hätte ich ihr einfach Mut zusprechen sollen, ihr einen Arzt empfehlen, ihr sagen sollen, dass sie eine tolle Frau war. Und dass ihr Übergewicht daran absolut nichts änderte. Vielleicht hätte ich ihr helfen können. Nun war es zu spät.

Am Abend der Weihnachtsfeier verschwand Gaby gerade unter dem riesigen Arm von Rosa, die...
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