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Die wunderbare Insel

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
184 Seiten
Deutsch
Edition Ateliererschienen am10.10.2023
Die wunderbare Insel ist ein Ort voller Magie, unglaublicher Tiere und prachtvoller Pflanzen. Was es hier nicht gibt, ist der Tod. Und das machte sie für Eva Schörkhuber als Kind zu einer tröstlichen Erzählung. Als viele Jahre später innerhalb kurzer Zeit ihr Vater und ein enger Freund sterben, ändert sich ihre Perspektive auf den Tod. Sie denkt ebenso über individuelle Begegnungen mit dem Tod nach wie über seine Bedeutung in weiteren gesellschaftlichen Zusammenhängen. Welche Vorstellungen liegen dem Begriff »Trauerarbeit« zugrunde? Wie verändern sich unsere Beziehungen zum Tod, wenn wir das Ende der Welt, wie wir sie kennen, in Betracht ziehen? Eva Schörkhuber erinnert mit großem sprachlichen Feingefühl daran, dass der Tod kein metaphysisches Ungeheuer ist, vor dem wir uns so lange wie möglich verstecken müssen, sondern dass unser Nachdenken darüber sich lohnen kann.

Eva Schörkhuber, 1982 in St. Pölten geboren, auf­gewachsen in Oberösterreich. Auszeichnungen (Auswahl): Förderungspreis für Literatur der Stadt Wien (2022), Langzeitstipendium für Literatur des BMKOES (2022), author@musil in Klagenfurt 2020. Literaturwissenschaftliche Promotion über Archiv- und Gedächtnistheorien. Redaktionsmitglied bei PS - Politisch Schreiben und Mitglied im Papiertheaterkollektiv Zunder. Lebt und arbeitet in Wien.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR20,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR15,99

Produkt

KlappentextDie wunderbare Insel ist ein Ort voller Magie, unglaublicher Tiere und prachtvoller Pflanzen. Was es hier nicht gibt, ist der Tod. Und das machte sie für Eva Schörkhuber als Kind zu einer tröstlichen Erzählung. Als viele Jahre später innerhalb kurzer Zeit ihr Vater und ein enger Freund sterben, ändert sich ihre Perspektive auf den Tod. Sie denkt ebenso über individuelle Begegnungen mit dem Tod nach wie über seine Bedeutung in weiteren gesellschaftlichen Zusammenhängen. Welche Vorstellungen liegen dem Begriff »Trauerarbeit« zugrunde? Wie verändern sich unsere Beziehungen zum Tod, wenn wir das Ende der Welt, wie wir sie kennen, in Betracht ziehen? Eva Schörkhuber erinnert mit großem sprachlichen Feingefühl daran, dass der Tod kein metaphysisches Ungeheuer ist, vor dem wir uns so lange wie möglich verstecken müssen, sondern dass unser Nachdenken darüber sich lohnen kann.

Eva Schörkhuber, 1982 in St. Pölten geboren, auf­gewachsen in Oberösterreich. Auszeichnungen (Auswahl): Förderungspreis für Literatur der Stadt Wien (2022), Langzeitstipendium für Literatur des BMKOES (2022), author@musil in Klagenfurt 2020. Literaturwissenschaftliche Promotion über Archiv- und Gedächtnistheorien. Redaktionsmitglied bei PS - Politisch Schreiben und Mitglied im Papiertheaterkollektiv Zunder. Lebt und arbeitet in Wien.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783990651070
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum10.10.2023
Seiten184 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse6614 Kbytes
Artikel-Nr.12528542
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

BEGEGNUNGEN
1.

Ich erinnere mich genau, als ich den Tod zum ersten Mal wahrgenommen habe. Er ist mir weder erschienen noch hat er kurz davor jemanden aus meinem Leben genommen. Und doch hat der Moment, in dem ich ihn erkannt habe, einen tiefen Eindruck hinterlassen.

Zwischen den Zeilen eines Liedes ist mir plötzlich das unlösbare Ende jedes Lebens vor Augen gestanden wie ein dunkler Fleck, der immer schon da gewesen war, der nur bislang mein Gesichtsfeld nicht berührt hatte. »Und er wird auf-, auferstehen« hallte es durch das Kirchenschiff, und ich konnte nicht mehr an mich halten. Da halfen weder das erdbeerrote Jeansgilet, das ich an diesem Ostersamstag unbedingt tragen wollte und das ich gegen die Vorstellungen meiner Mutter von einer angemessenen Festtagskleidung durchgesetzt hatte, noch der blaue Drache mit dem glitzernden Blick, der mit einer Anstecknadel befestigt auf meiner Brusttasche saß. Ich konnte nicht mehr an mich halten und brach in Tränen aus. Es waren keine heißen, stillen Tränen, die meine Wange hinunterliefen, mein ganzer Körper versuchte den Eindruck, den der dunkle Fleck hinterließ, abzuschütteln. Ich schluchzte und bebte. Meine Mutter, die neben mir saß, nahm mich an der Hand, und wir verließen die österliche Kindermette.

In den darauffolgenden Tagen fanden meine Eltern und ich einen Namen für dieses beklemmende Gefühl, wir nannten es »Magendrücken«. Sobald die Angst vor dem Tod, die kurz nach diesem ersten Eindruck einsetzte, heranschlich, konnte ich zu ihnen gehen, immer, zu jeder Zeit. Ich sagte: »Mama, Papa, ich habe wieder Magendrücken.« Sie brachten mir warme Milch mit Honig und versuchten, mich zumindest an diesem Morgen, an diesem Nachmittag oder Abend zu beruhigen. Sie ahnten wohl, dass es gar nicht möglich und vielleicht auch nicht richtig gewesen wäre, mir diese Angst zu nehmen. Was hätten sie auch gegen den Tod ausrichten können? Dass es ihn gibt, ist unbestreitbar. Sein Gewicht ist ebenso wenig zu leugnen wie der Umstand, dass niemand etwas Bestimmtes über ihn sagen kann. Er ist im gleichen Maße gewiss, wie alle Spekulationen darüber, wie das Ende eines Lebens aussehen mag, ungewiss sind.

Meine Eltern waren damals wenige Jahre jünger als ich heute. Sie standen mitten im Leben. Mein Vater arbeitete im chemischen Labor eines Unternehmens, das Lacke, Farben und Klebstoffe produzierte. Meine Mutter war Hausfrau und kümmerte sich um meinen jüngeren Bruder und mich. Fünf und acht Jahre waren wir alt. Im Kindergarten und in der Grundschule gab es keine Nachmittagsbetreuung, zu Mittag spazierten wir nach Hause und verbrachten den restlichen Tag damit, Hausaufgaben zu machen, im Garten zu spielen oder über die Felder zu streunen. Ein paar Jahre zuvor waren meine Eltern mit uns von einer Kleinstadt in dieses Dorf gezogen, wo sie gute nachbarschaftliche Beziehungen unterhielten. Wahrscheinlich trugen sie sich damals schon mit dem Gedanken, ein Grundstück zu kaufen und ein Haus darauf zu bauen.

Mit dem Tod hatten sie zu dieser Zeit nichts zu schaffen. Ihre Aufmerksamkeit galt der Gegenwart, in der sie sich immer besser einrichten wollten, und der Zukunft, die sie für sich und ihre Kinder in Anspruch nahmen.
2.

Vor einigen Jahren habe ich mit meiner Mutter über diese Zeit gesprochen, in der mich die Angst vor dem Tod so fest im Griff hatte. Sie hat mir erzählt, wie hilflos sie sich damals fühlten, Papa und sie, und dass sie gerne gewusst hätten, was der Auslöser dafür gewesen sei. »Wir konnten uns nicht erklären, woher diese Angst plötzlich kam.«

Damals, nach der Kindermette, hat sie mich gebeten, ihr zu sagen, was in mir vorging, es wenigstens zu versuchen. Es ist mir nicht gelungen. Den Tod habe ich zwar benannt, doch vollkommen zusammenhangslos, und meiner Mutter ist nichts anderes übrig geblieben, als meine Beklemmung darauf zurückzuführen, dass mir die katholische Ostergeschichte mit ihren Folter- und Hinrichtungselementen zu nahe gegangen sei. »Aber schließlich hat Jesus doch den Tod besiegt.«

Meine Großmutter mütterlicherseits war zu diesem Zeitpunkt bereits vier Jahre tot. Meine Mutter hat mich immer wieder gefragt, ob nicht ihre Reaktion auf die Nachricht vom Tod ihrer Mutter der Auslöser für meine Angst gewesen sein könnte. Sie war damals Anfang dreißig, ich war vier Jahre alt. Erinnern kann ich mich an das grüne Telefon, das im Flur der Wohnung in der Kleinstadt stand, auf einer Kommode mit geschwungenen Holzmaserungen, die ich so gerne mit den Fingern entlangfuhr. Über dieses Telefon gebeugt sehe ich in meiner Erinnerung meine Mutter, in Tränen aufgelöst. Ich muss in der Tür des Kinderzimmers gestanden und sie beobachtet haben.

Meine Oma war kurz nach ihrer Krebsdiagnose an Herzversagen gestorben. Niemand hatte, trotz der schweren Erkrankung, mit einem so plötzlichen Ende ihres Lebens gerechnet. Was mir meine Eltern damals vom Tod erzählt hatten, weiß ich nicht mehr, aber ich glaube nicht, dass es beängstigend gewesen war. Ich glaube auch nicht, dass der Schmerz, der aus meiner Mutter herausbrach, als sie am Telefon erfuhr, dass ihre Mutter verstorben war, der Auslöser für eine Angst gewesen sein konnte, die vier Jahre später in mein Leben trat. Genauso wenig glaube ich, dass die brutale Leidensgeschichte, die zu Ostern in den Kirchen zelebriert wird, als Auslöser infrage kommt. Schließlich kannte ich diese Geschichte von der Kreuzigung und der Auferstehung schon lange. In einem katholisch geprägten Land war ich mit diesen Bildern aufgewachsen. Überall, in den Klassenzimmern und Stuben, hing der gepeinigte Leib eines halbnackten Mannes. Im Gegensatz zu meiner Großmutter und meiner Mutter allerdings wurde mir der Glaube an Gott, Jesus und den Heiligen Geist nicht durch Drohungen und Schreckensszenarien in den Kopf zu setzen versucht, sondern durch Erzählungen von Wundertaten und Nächstenliebe.

Meiner Großmutter wurde in ihren Mädchenjahren in einem katholischen Internat noch eingebläut, dass selbst ein einmaliger Besuch in einer protestantischen Kirche eine schwere Sünde sei, die sie, wolle sie nicht in der Hölle schmoren, umgehend abzubüßen habe. Meine Mutter hatte sich aus Angst, auch nur eine »Sünde« bei ihrer ersten Beichte zu vergessen, eine Liste mit all ihren Vergehen geschrieben - eine Achtjährige, die auf Punkt und Beistrich Buch darüber führte, was sie im Laufe ihres kurzen Lebens »verbrochen« hat. Die Liste mit ihren »Sünden« verlor sie auf dem Weg zum Beichtstuhl. Dass sie sich nicht mehr dafür verbürgen konnte, wirklich alles in das Ohr des Priesters gelegt zu haben, quälte sie lange.

Trotz - oder vielleicht auch: wegen - dieser rigorosen Glaubenskur, der sich meine Mutter und zuvor ihre Mutter unterziehen mussten, wurden mein Bruder und ich nicht besonders religiös erzogen. Die Kirchgänge beschränkten sich zumeist auf die hohen Feiertage und nahmen im Laufe der Jahre immer mehr ab, bis zu jenem Zeitpunkt, an dem wir schließlich alle unsere Taufscheine zurückgaben.

Zu wissen, was der Auslöser für meine plötzlich aufgetretene Angst gewesen war, hätte etwas Beruhigendes gehabt: In Anbetracht einer Ursache wäre es meinen Eltern einfacher erschienen, mit den Auswirkungen umzugehen. Sie hätten den Anstoß abfedern, ihn mir auseinandersetzen, die Zündkapsel entschärfen können. Da der Auslöser aber in der Schwebe blieb, mussten wir uns dem Grund meiner Angst, ihrem Gegenstand, widmen, der zugleich bodenlos und sehr konkret war. Zum ersten Mal ist der Tod unmittelbar in mein Blickfeld geraten und hat sich dort für die kommenden Monate festgesetzt. Ich konnte kaum mehr etwas anderes in Betracht ziehen.

Wenn ich heute darüber nachdenke, scheint mir der dunkle Fleck, als den ich den Tod zuerst wahrgenommen habe, von ausschlaggebender Bedeutung zu sein. All die Umstände, von denen als mögliche Ursachen die Rede war, verdichten sich darin. Mit vereinten Kräften drängen sie ihn an den äußersten Rand unseres Gesichtsfeldes. Sie verdrängen ihn. Die schamhafte Einsamkeit der Trauer und ihres Schmerzes, mit dem, wenn irgendwie möglich, niemand anderer behelligt und in seinem Alltag gestört werden soll; die Reden von einem ewigen Leben, in dem das eigentliche Ziel unserer irdischen Existenz bestehen soll, das aber nur von den Guten, den Gläubigen und Braven erreicht werden kann; schließlich die Vorstellung davon, nicht nur den Tod, sondern auch die Trauer besiegen zu können: Was mich von meinen Jugendjahren an bis heute bei christlichen Beerdigungen zur Weißglut treibt, sind die priesterlichen Beteuerungen, die Hinterbliebenen müssten dankbar dafür sein, dass »der Herrgott« die Verstorbenen zu sich gerufen habe. Die schmerzhafte Trauer darüber, eine Freundin, einen Ehemann, ein Kind, eine Mutter oder einen Großvater verloren zu haben, wird schlicht und einfach übergangen. Wie durch Zauberhand soll sie sich,...
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Autor

Eva Schörkhuber, 1982 in St. Pölten geboren, auf­gewachsen in Oberösterreich. Auszeichnungen (Auswahl): Förderungspreis für Literatur der Stadt Wien (2022), Langzeitstipendium für Literatur des BMKOES (2022), author@musil in Klagenfurt 2020. Literaturwissenschaftliche Promotion über Archiv- und Gedächtnistheorien. Redaktionsmitglied bei PS - Politisch Schreiben und Mitglied im Papiertheaterkollektiv Zunder. Lebt und arbeitet in Wien.
Weitere Artikel von
Schörkhuber, Philipp Markus
Illustrationen

Bei diesen Artikeln hat der Autor auch mitgewirkt