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Notstand

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am10.03.20241. Auflage
»Es ist für mich genau die richtige Art und Weise, über Umgebung, über das Gelände des Lebens zu schreiben.« Esther Kinsky

Eine Frau sitzt während des Lockdowns in ihrer Wohnung. Sie schaut auf den Ausschnitt vor ihrem Fenster und blickt zurück. In ihre Kindheit in einem Dorf in Yorkshire in den 1990er Jahren. Eine Zeit, in der sie alles erkundete. Eine Zeit, die sie lehrte, wie alles notwendigerweise Teil von etwas Größerem ist. Wie der örtliche Steinbruch, der zuvor Schauplatz einer Jagd zwischen einem Turmfalken und einer Wühlmaus war, nun von schweren Maschinen internationaler Konzerne zerstört wird. Wie das Nest einer unermüdlichen Kibitzin immer wieder von Traktoren zerquetscht wird und in der Blumenzucht nebenan Gastarbeiter ausgebeutet werden. Sie beginnt zu verstehen, wie belanglose Begebenheiten in ihrem Alltag in einem nordenglischen Dorf bis nach Nicaragua und China reichen und auf globale Warenketten und Klimaverschiebungen einwirken. Und wie sich in ihrem scheinbaren Idyll die Zeichen mehren, dass wir auf eine Katastrophe zusteuern.

Notstand, der vielgepriesene Roman der britischen Autorin Daisy Hildyard, zeigt uns den Reichtum der Welt - die betörenden Details ebenso wie ihre weitreichende und schicksalhafte Vernetztheit. Ein stilles und großartiges Buch, in dem Mensch und Natur eins sind und in dem eine geteilte Zerbrechlichkeit alle Spezies eint.


Daisy Hildyard ist eine britische Autorin. Nach ihrer Promotion in Wissenschaftsgeschichte und Publikationen zur Mathematik des 17. Jahrhunderts veröffentlichte sie ihren ersten, mehrfach ausgezeichneten Roman Hunters in the Snow (2014). Ihr Essay The Second Body (2017) erkundet die Grenzen zwischen Mensch und Natur. Das von der Presse gefeierte Notstand ist Hildyards erstes Buch auf Deutsch. Sie lebt mit ihrer Familie in Yorkshire.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR21,99

Produkt

Klappentext»Es ist für mich genau die richtige Art und Weise, über Umgebung, über das Gelände des Lebens zu schreiben.« Esther Kinsky

Eine Frau sitzt während des Lockdowns in ihrer Wohnung. Sie schaut auf den Ausschnitt vor ihrem Fenster und blickt zurück. In ihre Kindheit in einem Dorf in Yorkshire in den 1990er Jahren. Eine Zeit, in der sie alles erkundete. Eine Zeit, die sie lehrte, wie alles notwendigerweise Teil von etwas Größerem ist. Wie der örtliche Steinbruch, der zuvor Schauplatz einer Jagd zwischen einem Turmfalken und einer Wühlmaus war, nun von schweren Maschinen internationaler Konzerne zerstört wird. Wie das Nest einer unermüdlichen Kibitzin immer wieder von Traktoren zerquetscht wird und in der Blumenzucht nebenan Gastarbeiter ausgebeutet werden. Sie beginnt zu verstehen, wie belanglose Begebenheiten in ihrem Alltag in einem nordenglischen Dorf bis nach Nicaragua und China reichen und auf globale Warenketten und Klimaverschiebungen einwirken. Und wie sich in ihrem scheinbaren Idyll die Zeichen mehren, dass wir auf eine Katastrophe zusteuern.

Notstand, der vielgepriesene Roman der britischen Autorin Daisy Hildyard, zeigt uns den Reichtum der Welt - die betörenden Details ebenso wie ihre weitreichende und schicksalhafte Vernetztheit. Ein stilles und großartiges Buch, in dem Mensch und Natur eins sind und in dem eine geteilte Zerbrechlichkeit alle Spezies eint.


Daisy Hildyard ist eine britische Autorin. Nach ihrer Promotion in Wissenschaftsgeschichte und Publikationen zur Mathematik des 17. Jahrhunderts veröffentlichte sie ihren ersten, mehrfach ausgezeichneten Roman Hunters in the Snow (2014). Ihr Essay The Second Body (2017) erkundet die Grenzen zwischen Mensch und Natur. Das von der Presse gefeierte Notstand ist Hildyards erstes Buch auf Deutsch. Sie lebt mit ihrer Familie in Yorkshire.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518778548
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum10.03.2024
Auflage1. Auflage
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.12533160
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


An einem Frühlingsabend, als ich schon bis spät allein draußen sein durfte, saß ich oberhalb des Steinbruchs am Dorfrand und sah, wie sich ein flacher Lehmbrocken von dem gegenüberliegenden Abhang löste und unten in eine Wasserlache fiel. Wo er abgefallen war, kam das Innere eines Baus zum Vorschein, wie bei einem Haus, dem ein Bombeneinschlag eine Wand weggerissen hat. Statt Tapete oder herausgerissener Kabel sah man drinnen einen mit Flaum und feuchtem Laub ausgekleideten kugelförmigen Hohlraum und Gänge, die von diesem abzweigten und durch das Wurzelwerk des Grasbodens führten. Die einzige Ausnahme war ein langer Tunnel, der abwärts in die Erde ging, dann abknickte und zu einem langgezogenen V wieder aufstieg. In dem Gang befand sich ein kleines Tier, das sich nach oben bewegte, es war braun und pelzig, ich konnte nicht erkennen, ob es eine Wühlmaus, eine Spitzmaus oder eine Feldmaus war.

Parallel dazu schwebte ein Turmfalkenweibchen in der Luft, hoch über dem Wasser, das am Boden des Steinbruchs stand. Die beiden Tiere waren auf Augenhöhe miteinander. Die Turmfalkin legte sich schräg und ließ sich emporsteigen, sie war ein klein wenig schneller als das Tier im Bau. Dann verschwand das Tier aus meinem Blickfeld, während es sich durch die Erde hinausbewegte; die Turmfalkin indessen stieg immer weiter zu den Wolken auf, bis sie unvermittelt innehielt. Sie stand ganz still, als hätte jemand auf Pause gedrückt. Nur an dem leichten Schwanken, mit dem sich der Vogel mal in die eine Richtung, mal in die andere neigte, ließ sich erkennen, dass er sich gegen eine Luftströmung stemmte.

Ich behielt den Vogel im Auge, während ich mich langsam und so geschmeidig wie möglich erhob, und auch auf dem Pfad, der sich um den oberen Rand des Steinbruchs zog, versuchte ich ruckartige Bewegungen zu vermeiden und einen Bogen um den Vogel zu machen, damit er nicht davonschoss. Der Vogel musste mich sehen. Er regte sich nicht.

Vom Pfad aus sah ich das Tierchen wieder, eine große Feldmaus, ein Männchen, es hatte sich unter einem trockenen Grasbüschel versteckt, das über den Wegrand hing. Die Maus befand sich nicht im Visier der Turmfalkin. Alle drei warteten wir ab, wer sich zuerst bewegen würde. Es war früher Abend, das Licht klar und rötlich, ein kalter Wind ging. Die Grashalme funkelten. Dann machte die Feldmaus einen plötzlichen Vorstoß, sie schoss ins Freie und hielt in der Fahrrinne an, da, wo sie am wenigsten geschützt war. In der Mitte des Pfads lag eine Grasinsel, und überall ringsum auf dem Fels standen höhere Gräser, nur diese Stelle war nackt und bloß, der einzige Fleck, auf dem sich die Maus dunkel und gedrungen von dem helleren Staub abhob. Ich stand wie ein Baum am Wegrand. Mein Fuß stieß fast an die Maus.

Die Turmfalkin gab ihr schwebendes Gleichgewicht auf. Sie neigte den Körper seitwärts, schnitt durch die Luft und stand direkt über der Feldmaus in der Schwebe. Im Licht der tiefstehenden Sonne fiel der Schatten des Vogels so, dass er sich außerhalb des Blickfelds der Maus befand. Die Maus verharrte immer noch an derselben Stelle. Ich sah sie jetzt ganz deutlich, alle Züge winzig und scharf: die Ohren wie Eichelhütchen, fadendünne Schnurrbarthaare standen in alle Richtungen, die kleinen Füßchen waren wie Hände. Der ganze Körper zitterte heftig. Die Maus schien unfähig, sich zu bewegen. Der Vogel stand wieder still in der Luft, mein Blick bewegte sich auf und ab, wie ein Aufzug zwischen zwei Etagen, und zog eine Linie vom einen Tier zum anderen. Ich spürte so etwas wie Liebe in mir aufsteigen, so groß und vage, wie die Maus klein und konkret war, und mir kam der Gedanke, dass ich sie retten könnte.

Ich wusste, was das bedeuten würde, ich hatte es schon einmal gemacht. Als das große schwarze Kaninchen, das bei uns in einem Gehege im Garten lebte, ein Nest voller Junge hatte, hatten meine Eltern mir gesagt, ich dürfe die Kleinen nicht anrühren. Ich saß vor dem Gehege und wartete darauf, dass die Mutter sich zur Seite rollte und ich die Jungen sehen konnte - wimmelnde rosige Winzlinge, die sich mit jedem Tag mehr in zarte Versionen ihrer Eltern verwandelten. Als sie vielleicht eine Woche alt waren, man sah noch Haut unter dem glänzenden schwarzen Fell, erklärte meine Mutter mir, warum ich sie nicht anrühren sollte: Das Kaninchen würde ihre Jungen fressen, wenn sie einen fremden Geruch an sich hatten. Ich hielt meine Hände vors Gesicht, doch sie rochen nach gar nichts, höchstens leicht nach Seife. Meine Mutter ging, ich blieb noch eine Zeitlang sitzen und sah den Kaninchen zu. Dann steckte ich mir eins von ihnen in die Tasche, schloss die Klappe am Ausgang des Geheges und rannte die Einfahrt hinunter, die Straße entlang bis in Clares Garten. Clare war nicht zu Hause, aber Nic saß auf der Hintertreppe mit einem Becher Tee und einem Keks, neben ihr lag eine Zigarette auf den warmen Ziegelsteinen bereit. Sie saß immer so da und wartete, bis Clare aus der Schule kam. Ich schloss das Tor und ging zögernd über den Gartenpfad, bis ich vor ihr stand, ich wartete auf ein Zeichen, dass sie mich gesehen hatte, aber meine Anwesenheit interessierte sie nicht besonders, sie schaute einfach an mir vorbei. Ich sah mich um, aber da war nichts, nur die Sonne, die hinter den Feldern unterging, und der Steinbruch. Sie hatte eine kleine gelbe Narbe unter dem einen äußeren Augenwinkel, was die Form des Auges ganz leicht verzog und ihrem Aussehen immer etwas Außergewöhnliches verlieh, doch jetzt gerade schaute sie in die Sonne, und ihre braune Iris sah aus, als hätte sie Feuer gefangen, zerfließende Rhomben in Gold und Orange kreisten um den Rand, eine blinde, strahlende Ungezähmtheit ging von ihr aus, und ich bekam etwas Angst vor ihr. Das ging vorüber, und ich sagte: »Hallo, kann ich mit Clare spielen?«

Nic grüßte nicht und redete nicht in dem nachsichtig verlogenen Ton, den Erwachsene oft anschlugen, wenn sie damals mit mir redeten. Abwesend und den Blick immer noch mit verstörender Direktheit auf die Sonne gerichtet, sagte sie, Clare sei nicht zu Hause, sie sei nach der Schule zu ihrer Großmutter gegangen. Adam sei drinnen und schaue einen Zeichentrickfilm, wenn ich warten wollte.

Adam saß im Vorderzimmer auf dem Boden, dicht vor dem Fernseher, die Beine gekreuzt, umgeben von einer niedrigen Mauer aus Holzklötzchen. Ich kniete mich hinter ihm hin, und wir saßen still beieinander und schauten zu, wie ein Eichhörnchen mit einem Stromschlag getötet, dann geköpft wurde, den Kopf wieder angeklebt und die Augen ausgerissen bekam und von einem Lastwagen überfahren wurde, bis Nic die Vorhänge zurückzog, den Ton leiser stellte und fragte, ob ich zum Abendbrot bleiben wollte, ich sagte Ja. Sie fragte mich, ob meine Eltern einverstanden sein würden, und ich gab keine Antwort. Dann ertönte ein dumpfer Knall. Clares Schultasche war auf der Fußmatte gelandet, wo die Post immer lag, und dahinter ließ sich Clares Umriss in der Türöffnung ausmachen, »Warum steht da eine Leiter am Haus?«, rief sie.

Nic erklärte ihr, ihr Vater flicke gerade ein Loch in der Regenrinne.

»Adam, möchtest du auf die Leiter steigen«, sagte Clare.

Adam warf seine Mauer um und wackelte auf Clare zu. Sie nahm ihn an der Hand, sie gingen hinaus und ich hinterher.

Clare und ich standen am Fuß der Leiter und hielten sie fest, während Adam langsam hinaufkletterte. Die Leiter führte allem Anschein nach nirgendwohin, sie ging nicht bis ans Dach, und in der Wand befand sich nur ziemlich hoch oben ein einzelnes Milchglasfenster. Der Mörtel zwischen den roten Ziegeln war mit Moosen bedeckt, die ein regelmäßiges, kompliziertes Muster bildeten, ein dunkelgrünes Labyrinth. Bei uns unten, nahe am Boden waren die Moose plüschartig, und einzelne Fäden staken heraus wie kleine gelbe Spazierstöckchen. Während ich ihre reglose schattige Weichheit betrachtete, durchströmte mich ein Gefühl tiefer Ruhe. Auf dem Teil der Mauer oberhalb von mir, auf den die Sonne direkt schien, waren die Ziegel zu einer rissigen blassen Farbe vertrocknet, doch gegenüber, oberhalb von Clares Kopf, waren diese Leichen zu neuem Leben erwacht. Kein Wunder: die undichte Stelle der Regenrinne, die außerhalb meines Blickfelds lag, offenbarte sich in einem breiten Wasserflecken, der sich an der Seite des Hauses hinabzog. Das hatte die Moose sprießen lassen, sie waren über die Ziegelsteine vorwärts gerückt und schwollen nun durch die Feuchtigkeit an, wurden smaragdgrün und schwarz wie Algen. Ich war schon alt genug,...
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Daisy Hildyard ist eine britische Autorin. Nach ihrer Promotion in Wissenschaftsgeschichte und Publikationen zur Mathematik des 17. Jahrhunderts veröffentlichte sie ihren ersten, mehrfach ausgezeichneten Roman Hunters in the Snow (2014). Ihr Essay The Second Body (2017) erkundet die Grenzen zwischen Mensch und Natur. Das von der Presse gefeierte Notstand ist Hildyards erstes Buch auf Deutsch. Sie lebt mit ihrer Familie in Yorkshire.
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