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GegenMord

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
133 Seiten
Deutsch
treditionerschienen am29.03.20221. Auflage
Wie ist es zu erklären, dass Mord und Totschlag in den Buchhandlungen förmlich aus den Regalen quellen, im Fernsehen die besten Sendeplätze belegen und bei Streamingdiensten ganz weit oben rangieren? Wenn man den Krimi genauer unter die Lupe nimmt, wird ziemlich schnell klar, dass er nicht das ist, was er vorgibt zu sein. Der Krimi, das zeigt dieser spannende und unterhaltsame Essay, ist viel gefährlicher, als man denkt.mehr
Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
BuchGebunden
EUR20,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR11,00

Produkt

KlappentextWie ist es zu erklären, dass Mord und Totschlag in den Buchhandlungen förmlich aus den Regalen quellen, im Fernsehen die besten Sendeplätze belegen und bei Streamingdiensten ganz weit oben rangieren? Wenn man den Krimi genauer unter die Lupe nimmt, wird ziemlich schnell klar, dass er nicht das ist, was er vorgibt zu sein. Der Krimi, das zeigt dieser spannende und unterhaltsame Essay, ist viel gefährlicher, als man denkt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783347566637
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Verlag
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum29.03.2022
Auflage1. Auflage
Seiten133 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3259 Kbytes
Artikel-Nr.12572227
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Die fesselnde Moralmaschine

Das Versprechen: Was am Krimi so gefährlich ist

Sie kennen sich aus mit polizeilichen Untersuchungen. Sie wissen, was KTU heißt und was sie tut. Sie können zwischen Zeugen, Verdächtigen und Beschuldigten unterscheiden. Nach dem Vernähen des Y-Schnitts greifen Sie zur Chipstüte, um sich kauend zu vergewissern, was der stumpfe Gegenstand mit dem Schädel des Opfers angerichtet hat. Sie sind über die rechtlichen Voraussetzungen für - und die laxe Genehmigung von - Telefonüberwachungen bestens informiert. Die Gesetzeslage für Hausdurchsuchungen oder die Einleitung von Ermittlungen sind Ihnen vertraut wie das tägliche Zähneputzen. Aber: Was nutzt Ihnen das?

Als Annäherung an das Thema Krimi ein kleiner Test. Wählen Sie in der Fernsehzeitung Ihres Vertrauens einen beliebigen Tag aus und leuchten Sie alle Sendungen, in denen das Wort Krimi beziehungsweise Crime, Thriller, Mord oder Verbrechen vorkommt, mit einem Textmarker an. Alternativ dazu können Sie eine große Buchhandlung aufsuchen. Dort finden Sie ein Regal mit dem Schriftzug Literatur und ihm gegenüber drei mit der Überschrift Krimi .

Es soll zunächst keine Rolle spielen, ob es sich hier um einen Angebots- oder Nachfragemarkt handelt, ob die Mordfälle lustig, schaurig oder brutal daherkommen, schwedisch, britisch oder südafrikanisch, affirmativ, subversiv oder kritisch, und ob Krimi ein Genre oder doch eher ein Medienschema ist. Die nackte Zahl und das Verhältnis zu anderen Erzählgenres müsste zwei Fragen aufwerfen: Warum Krimi? Und: Warum so viele? Müsste das, um im Vokabular der Kriminalistik zu bleiben, nicht einen Anfangsverdacht begründen, und ihn, wenn er schon länger vorhanden ist, vielleicht noch erhärten?

Die unfehlbare Neurowissenschaft schüttelt eine Antwort auf die Soviel-Frage locker aus dem Ärmel. Wir haben uns schlicht und einfach daran gewöhnt, so wie man sich an Zucker oder Zigaretten gewöhnt. Unsere Synapsen sind kriminologisch verschaltet. In unseren Köpfen sind zwischen Buch beziehungsweise Fernsehen , Serie und Mord schiffstaudicke Nervenbahnen entstanden. Die wollen nun regelmäßig mit Rätsel-, Psycho-, Action-Spannung beziehungsweise Gewalt gereizt werden. Stabilisierend tritt hinzu, dass ein Krimi dem Leser oder Zuschauer vorgaukelt, aktiv zu sein. Immerhin handelt es sich meistens um eine Art Spiel, bei dem Aufmerksamkeit und Kombinationsfähigkeit gefragt sind, etwa wie bei den gleichfalls ungemein erfolgreichen Quizsendungen oder Kreuzworträtseln. Erschwerend kommt hinzu, dass sich durch die erhöhte Aufmerksamkeit die ganz nebenbei transportierten Inhalte besonders gut einprägen

Aber, und das führt zurück zur ersten Frage: Warum ausgerechnet die Themen Mord, Misstrauen, Blut und Böses, Ermittlung, Aufklärung und Strafe statt lustiger oder trauriger Liebesgeschichten? Was ist an der Pathologie so prickelnd, was regt das Bild eines Verhörraums mit durchsichtigen Spiegeln beim Zuschauer an? Tatsächlich gibt die Neurologie auch eine Antwort auf die Frage nach dem Erfolg des Krimischemas. Eine Antwort, die halbwegs schockierend ist.

Aber dazu später.

Mörder, Markt und Monstren

Setzen wir noch einmal ein, mit einer Annäherung von einer anderen Seite: 2013 ist ein Bestseller mit dem Titel Ego erschienen.12 Frank Schirrmacher, damals Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, stellte darin die These auf, dass eine bestimmte ökonomische Denkweise zu einem gesellschaftlichen Klima führe, in dem Jeder dem Anderen nur das Schlechteste zutraue. Diese Einstellung lässt sich leicht mit der Attraktivität und der Wirkung von Krimis kombinieren: Psychopathen, Monster, Betrug, Neid, Intrigen, Lügen, Gerüchte, Verhöre und Überwachung in dieser Menge konsumiert, können eigentlich nur zu Misstrauen und all dem führen, was auch Schirrmacher unserem gegenwärtigen Ego diagnostiziert.

Der Crime-Experte Thomas Wörtche gewinnt dieser Haltung etwas Positives ab. Er stuft Krimiformate als probate Einübung in nicht-naives Denken ein. Dass Krimis klug und kritisch machen, lässt sich allerdings leicht mit Nicht-Wissen bestreiten. In einem juristischen Verfahren bedeutet das, dass derjenige, der eine Behauptung aufstellt, auch den Beweis für deren Wahrheitsgehalt erbringen muss. Außerdem: Wer braucht diese Einübung noch, wenn Schirrmachers These stimmt und der Krimi keine Ursache, ja nicht mal ein Mittel ist, sondern nur ein Symptom?

Warum also dieser rasante Aufstieg des Krimis? Ein Viertel der Schönen Literatur , so der Börsenverein des Deutschen Buchhandels gehört in dieses Regal. Das Syndikat , eine Vereinigung von KrimiautorInnen, spricht gar von einem Drittel. Science Fiction und Fantasy bringen es zusammen gerade mal auf sieben Prozent. Welche Auswirkungen so viel Verbrechen auf unseren Fiktionalitäts- und Bilderhaushalt hat, wäre ein interessantes Thema für eine psychosoziale Untersuchung. Schließlich entsteht auch bei übermäßigem Konsum gewalthaltiger Computerspiele eine ausgiebige Diskussion: Vergiften diese medialen Angebote, die auch gern für die reale Ausbildung von Soldaten eingesetzt werden, nicht unschuldige Kinderseelen? Hat deren Inszenierung von Rohheit nicht Auswirkungen auf die Verhaltensweisen der Spieler? Begünstigen sie die Entstehung von realer Gewalt, schlimmstenfalls sogar die von Amokläufen? Bringen sie normale Jungs dazu, sich für den Heiligen Krieg zu entscheiden? Wie still ist es dagegen, wenn Buchverlage und Fernsehsender den Markt und die Köpfe aller Altersgruppen mit Krimis fluten.

Falls Literatur Teil der reflexiven Subjektivität einer Gesellschaft ist und wenn diese, wie der Essayist Lothar Baier in Was wird Literatur 13 es verbildlicht, zum gesellschaftlichen Stoffwechsel gehört, dann sind die Werte längst pathologisch, das heißt, verdächtig. Für Kriminalisten, Mediziner, Psychologen, Soziologen. Für Literaturwissenschaftler sowieso.

Da Krimi nicht nur ein beliebiges Produkt ist, sondern wie alle fiktionalen Erzeugnisse eine wirksame Substanz, dürfte die Betrachtung aus einer funktionalen Perspektive hinreichend legitimiert sein. Gerade der Krimi hält sich ja nicht mit Kleinkram auf. Er erzählt vom Großenganzen: der Gesellschaft, dem Individuum, der Moral, Tugenden und Lastern, Werten, Vertrauen, Misstrauen, Versagen, übler Nachrede, sozialen Konflikten und sozialer Kontrolle. Und es geht immer um die Grundpfeiler des Staates, das Verhältnis von Legislative, Judikative, Exekutive und Öffentlichkeit. Erstaunlich eigentlich, dass die Spuren, die Krimis in den Weltbildern der Konsumenten hinterlassen, bisher kaum untersucht wurden.

Wenn der Krimi uns reinigt

Eine erste, oft angeführte Erklärung für den Erfolg dieses Medienschemas setzt beim Individuum an. Der Krimi, der von so unappetitlichen Erscheinungen wie Erschlagen, Erstechen und Erwürgen lebt, habe kathartische Wirkung. Schon Dorothy L. Sayers beruft sich 1935 in ihrer Oxforder Vorlesung auf das antike Wirkungskonzept der Tragödie. Da Katharsis, je nachdem welche Interpretation des Begriffs man heranzieht, sowohl medizinische, moralische als auch gesellschaftliche Komponenten aufweist, klingt diese Erklärung durchaus plausibel. Schließlich sollen bestimmte Affekte in Theater, Film oder Roman mittels eines erschreckenden fiktionalen Geschehens abgebaut werden. Leidenschaften, Laster, Konflikte und innere Spannungen können aber auch, wenn man Wirkung durch Nutzen ersetzt, moralisch korrigiert werden. Der Zuschauer soll durch die schockierende Fiktion umerzogen werden (Corneille) oder mehr Empathie entwickeln (Lessing).

Der von Aristoteles beschriebene Wirkungs-Prototyp setzt Furcht und Schrecken noch ganz grundsätzlich ein. In seinem Verständnis von Katharsis bewirkt das Kunstwerk in einem kollektiven psycho-sozialen Ereignis - als das man den sonntäglichen Tatort durchaus betrachten kann - die Auflösung unliebsamer Affekte und Neigungen. Das Ergebnis: die Gemeinschaft wird stabilisiert.

So betrachtet könnte der Krimi als Breitband-Psychopharmakon funktionieren, bei Bedarf dreimal täglich: im Vorabendprogramm die leichte Laster-Strafe- und Tugend-Lohn-Mischung, oft mit komischer Einschalthilfe. Nach acht die Mitleidsnummer und vor dem Einschlafen den ganz harten Bindestrich-Schocker. Darreichungsform als Filmtablette oder, etwas nachhaltiger, rein sprachlich als Buch.

In der Krimibestenliste der Zeit, wo Literaturkritik und Verkaufsförderung aufs Schönste ineinander übergehen, findet sich das entsprechende Wording: überbös , ungeheuer , Charyn lesen ist Rausch , hoher Suchtfaktor . Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie ⦠ja, wen eigentlich?

Zwei Schlussfolgerungen...

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