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Bist du traurig, wenn ich sterbe

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am12.03.20241. Auflage
Das berührende Zeugnis einer außergewöhnlichen Freundschaft - ein mutiger, kraftvoller Text über die Hoffnung, wenigstens einem Kind eine Zukunft zu geben Nicolas Lunabba war selbst ein «Problemkind», nun kümmert er sich als Sozialarbeiter um Jugendliche, deren kriminelle Karriere vorgezeichnet scheint. Nur zu gut kennt er die Gewalt, die Wut. Seine Erfahrungen lassen ihn Zugang finden zu ihnen, besonders zu einem Jungen: Elijah. Aber Nicolas wird nicht alle retten können, vielleicht sogar keinen. Er muss sich abgrenzen, um nicht zu zerbrechen. Doch er wagt es, Elijah bei sich aufzunehmen, an Elijah zu glauben. Einfühlsam und ehrlich beschreibt Nicolas Lunabba, wie sich zwischen den beiden vorsichtig eine Beziehung voller Höhen und Tiefen entwickelt, wie Elijah Vertrauen zu Nicolas fasst und umgekehrt. Nicolas Lunabbas literarisches Memoir ist ein wichtiger, hoch emotionaler Text über eine auseinanderdriftende Gesellschaft, über die Verletzlichkeit von Jungen und Männern, über strukturellen Rassismus und Klassismus.

Nicolas Lunabba, geboren 1981 in Lleida, Spanien, arbeitet mit Kindern und Jugendlichen in sogenannten Problemvierteln in Südschweden und erhebt regelmäßig seine Stimme gegen soziale Ungleichheit und strukturellen Rassismus. Für sein Engagement wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Martin-Luther-King-Preis und der Ehrendoktorwürde der Universität Malmö. Sein literarisches Memoir «Bist du traurig, wenn ich sterbe» stand über ein Jahr lang auf der schwedischen Bestsellerliste, wurde von der Kritik hoch gelobt und erscheint in Übersetzung in fünf Ländern.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextDas berührende Zeugnis einer außergewöhnlichen Freundschaft - ein mutiger, kraftvoller Text über die Hoffnung, wenigstens einem Kind eine Zukunft zu geben Nicolas Lunabba war selbst ein «Problemkind», nun kümmert er sich als Sozialarbeiter um Jugendliche, deren kriminelle Karriere vorgezeichnet scheint. Nur zu gut kennt er die Gewalt, die Wut. Seine Erfahrungen lassen ihn Zugang finden zu ihnen, besonders zu einem Jungen: Elijah. Aber Nicolas wird nicht alle retten können, vielleicht sogar keinen. Er muss sich abgrenzen, um nicht zu zerbrechen. Doch er wagt es, Elijah bei sich aufzunehmen, an Elijah zu glauben. Einfühlsam und ehrlich beschreibt Nicolas Lunabba, wie sich zwischen den beiden vorsichtig eine Beziehung voller Höhen und Tiefen entwickelt, wie Elijah Vertrauen zu Nicolas fasst und umgekehrt. Nicolas Lunabbas literarisches Memoir ist ein wichtiger, hoch emotionaler Text über eine auseinanderdriftende Gesellschaft, über die Verletzlichkeit von Jungen und Männern, über strukturellen Rassismus und Klassismus.

Nicolas Lunabba, geboren 1981 in Lleida, Spanien, arbeitet mit Kindern und Jugendlichen in sogenannten Problemvierteln in Südschweden und erhebt regelmäßig seine Stimme gegen soziale Ungleichheit und strukturellen Rassismus. Für sein Engagement wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Martin-Luther-King-Preis und der Ehrendoktorwürde der Universität Malmö. Sein literarisches Memoir «Bist du traurig, wenn ich sterbe» stand über ein Jahr lang auf der schwedischen Bestsellerliste, wurde von der Kritik hoch gelobt und erscheint in Übersetzung in fünf Ländern.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644017962
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum12.03.2024
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse7822 Kbytes
Artikel-Nr.12580058
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

2

Seit Jahren arbeite ich mit Kindern und Jugendlichen in den sogenannten sozialen Brennpunkten. Sie suchen meine Nähe. Das ist meine Gabe. Ich spiele Basketball mit ihnen, versorge sie mit Essen, wir erledigen zusammen Hausaufgaben, verbringen Zeit miteinander. Sie sehnen sich nach meiner Aufmerksamkeit, nach meinem Schutz. Ich nehme sie in den Arm. Wuschle ihnen durchs Haar. Denke daran, dass sie sterben könnten.

Zweiundzwanzig Kinder und Jugendliche in meinem Umfeld wurden ermordet, wurden selbst zu Mördern oder starben an einer Überdosis.

Ich sehe ihre Gesichter vor mir, wie sie voll Neugier und Angst zu mir aufblicken. Und dann, wenn ein Kind stirbt oder tötet, wie das Leuchten in den Augen erlischt.

An die Trauerfeiern habe ich nur vage Erinnerungen. Da sind nur Bruchstücke. Ein kleiner Kindersarg. Ein abgewetzter Fußball auf einem Berg aus Blumen. Ein gerahmtes Schulfoto. Dröhnende Stille. Wenn sehr junge Menschen beerdigt werden, ist es oft seltsam still. Als würden die Angehörigen die Luft anhalten. Bis plötzlich eine Mutter oder ein Vater schreit, als hätte sie der Blitz getroffen. So verzweifelt und herzzerreißend, dass die Einsicht des Verlusts auch mir ins Mark fährt.

Der Großteil der Kinder überlebt. Doch die meisten von ihnen treiben auf eine Zukunft zu, die sie brechen, ihre Träume und Pläne, ihr Selbstwertgefühl und ihren Körper zerschmettern wird.

Ich sehe, wie es geschieht. Ich weiß, was ich tun müsste, um die Katastrophe abzuwenden, und entscheide mich trotzdem bewusst dagegen.

Ich baue eine Bindung zu den Kindern auf. Gewinne ihren Respekt, ihr Vertrauen. Gebe ihnen das Gefühl, dass sie auf mich zählen, sich an mich wenden können, dass ich sie sehe, dass sie mir am Herzen liegen. Ich pumpe sie voll mit Stärke und Selbstvertrauen. Sage ihnen, dass sie für sich selbst einstehen müssen, weil sie svartskallar sind in diesem Land - «Schwarzköpfe», Ausländer, Kanaks, Kanaken -, weil das System gegen sie ist, doch dass sie genug Kraft in sich tragen, um sich zu befreien. Dass eine andere Zukunft möglich ist. Dass Veränderung möglich ist, dass sie sich verändern können und nicht bis in alle Ewigkeit wie Ratten leben müssen, dass sie schön sind, wichtig, so wie sie sind.

Doch weil sie längst gebrochen wurden von den Umständen, die sie überhaupt erst geformt haben, von der allumgreifenden Gewalt, und weil ich nicht vorhabe zu tun, was wirklich notwendig wäre - sie bei mir aufzunehmen -, sind diese Hoffnungsschimmer nicht mehr als ein Hinauszögern der Katastrophe, ein Verrat auf Raten. Lange habe ich erklärt, wie absolut irrsinnig es sei, dass in Schweden als widernatürlich, übergriffig, ja womöglich pädophil abgestempelt wird, wer sich für die Kinder anderer Leute verantwortlich fühlt, sich emotional an sie bindet. Ich legte mir Argumente zurecht - unter dem antisozialen Naturell der Schweden leiden junge Menschen im Allgemeinen und junge svartskallar im Speziellen. Bei jeder Gelegenheit gab ich meine Gesellschaftskritik zum Besten.

Das Problem war nur - mir dies einzugestehen, tat weh -, dass der pädagogische Ansatz, den ich als den ethisch vertretbarsten und effektivsten anpries, ein enormes Maß an Mitgefühl, Fürsorge und emotionaler Offenheit in der Begegnung mit den Kindern verlangte. Ein Ideal, dem ich nicht gerecht werden konnte.

Ich kann nicht der Mensch sein, den ich als Kind so dringend gebraucht hätte, der mich nicht allein gelassen hätte mit meinen dunklen Gedanken und Gefühlen, der mich gesehen hätte.

Ich habe die dreißig überschritten. Ich lebe in einer kleinen Zweizimmerwohnung im Stadtteil Möllevången, genannt Möllan, in Malmö. Hinter mir liegt nicht eine ernst zu nehmende romantische Beziehung, und die Zukunftsaussichten diesbezüglich sind nicht gerade rosig. Ich habe kaum Familie. Ab und zu treffe ich meinen älteren Bruder. Es gibt eine Tante in Ängelholm und einen Großvater mütterlicherseits in einem Altenheim. Sonst niemanden.

Ich bin ein ängstlicher Mensch. Seit jeher fühle ich mich klein und schwach. Deshalb habe ich mir dieses Leben ausgesucht.

Beziehungen gehe ich nur mit den Menschen ein, die mich nicht verletzen können. Ich bin berechnend: Wie nah kann ich jemanden an mich heranlassen, wie viele Gefühle darf ich mir erlauben, bevor ich Gefahr laufe, die Person zu lieben? Auf die Weise verliere ich nicht den Boden unter den Füßen.

Ich bin von Gewalt durchtränkt. Sie ist eine der Konstanten meines Lebens. Ich habe einen anderen Menschen zu Boden gedrückt und wie im Rausch auf ihn eingeprügelt, gehört, wie die Angstschreie unter mir verebbten, gespürt, dass ich weitermachen könnte, bis nur noch ein dunkler Fleck auf dem Asphalt übrig wäre. Dieses Gefühl, jemanden zu zermalmen. Und das Gegenteil: die Kontrolle über den eigenen Körper zu verlieren. Zu wissen, dass mir jemand Schmerzen zufügen will. Noch heute versuche ich bei jedem Mann einzuschätzen, wie viel Gewalt in ihm steckt.

Mein Vater verschwand, als ich vier war. Die wenigen Erinnerungen an ihn sind mit Gewalt verknüpft.

Die Gewalt hat sich in mir fortgepflanzt. Wenn ich mich bedrängt fühle, kann sie mich jederzeit übermannen. Als ich vor ein paar Jahren an einer weiterführenden Schule arbeitete, ließ ich mich von einem Jungen namens Hassan derart provozieren, dass ich ihn blind vor Wut am Kragen packte und zu Boden warf. Ich presste ihn mit meinem Körpergewicht nach unten und schrie ihm ins Gesicht: «Mich fickst du nicht! Mich fickst du nicht!», während ich die Faust neben seinem Kopf in den Boden rammte.

Mit aller Macht versuche ich, meine Verletzlichkeit und Angst zu verbergen. Den emotional stabilen, besonnenen, rationalen, selbstbewussten, charismatischen, intelligenten Mann zu geben. Ich weiß, du bewunderst diese Figur, oder eher: Karikatur. Mein - und dein - Männlichkeitsideal setzt nicht nur voraus, dass wir stets die Fassade wahren, es verlangt auch, dass wir in jeder Beziehung der Stärkere sind. Die Oberhand behalten.

Wahrscheinlich arbeite ich deshalb mit sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen. Sie suchen meinen Blick, und wenn ich ihnen in die Augen blicke, weiß ich, dass ich jemand bin.

 

Natürlich ist meine Arbeit wichtig. Ich konnte vielen Menschen zu einem besseren Leben verhelfen. Doch um die Motive ist es düsterer bestellt. Ich habe keine Angst vor den Gettokids. Ihr lautes, aggressives Auftreten schüchtert mich nicht ein. Deshalb finde ich Zugang zu ihnen. Deshalb lassen sie vor mir ihre Schutzmauer fallen und zeigen sich verwundbar, sodass ich sie als die Menschen auffangen kann, die sie tief drinnen sind. Ich bekomme so viel und gebe so wenig. Niemals würden sie mir vorwerfen, dass ich sie im Stich lasse, obwohl ich ihr akutes Bedürfnis nach Liebe und Nähe bemerkt habe. Sie erwarten nichts von ihrem Umfeld. Ihr Selbstwertgefühl ist derart angeschlagen, dass sie sich für das Versagen anderer die Schuld geben. So gesehen hat man leichtes Spiel mit ihnen. Sie zehren lange von winzigsten Gesten der Zuneigung und Wertschätzung; im Grunde genügt es schon, ihnen unvoreingenommen zu begegnen, kein Arschloch zu sein. Sie wünschen sich nichts mehr, als sich mir um den Hals zu werfen, und tun alles dafür, nicht lästig, hilfsbedürftig oder schwach zu wirken.

Einige sind abgebrüht und verbergen das innere Chaos, erst die Zeit zeigt, wie gebrochen sie sind. Andere sind naiver, schmieren mir Honig ums Maul, sind naseweis, reißen Witze, lachen und geben ihr Äußerstes, damit ich sie sehe. Wieder andere sind aufmüpfig, respektlos, aggressiv und heischen ständig meine Aufmerksamkeit.

Sie sind getrieben von der Angst, ihre Unvollkommenheit könnte bestätigt und ihnen das letzte Quäntchen Macht und Respekt genommen werden. Dies ist einer der Gründe, warum sie einander töten. Warum Belanglosigkeiten wie Gerüchte, winzige Geldbeträge und verletzter Stolz mitunter zum Mord führen. Wobei, was heißt schon belanglos? Was anderen lächerlich erscheinen mag, ist für die Jugendlichen das letzte Wrackteil, an dem sie sich festklammern, um nicht zu ertrinken. Sie reden sich ein, die Lüge sei wahr, etwas Wertloses kostbar, sie hätten die Kontrolle über Dinge, die sie nicht beeinflussen können.

Sie besitzen nichts. Sie sind ziellos und verschlossen, schwanken zwischen Selbsthass und forciertem Übermut.

Auf Lob reagieren sie wie auf eine Ohrfeige - sie wenden sich ab, im Schock, aus Scham. Sie rotten sich in Gruppen zusammen und stürzen sich in Freundschaften, die von einem Loyalitätsgefühl ebenso geprägt sind wie von der Angst voreinander. Doch sie haben sonst niemanden, im Gegensatz zu den privilegierten Kindern, denen zahlreiche soziale Räume zugänglich sind, wo sie sich geborgen und zu Hause fühlen dürfen, wo ihre Integrität nicht angetastet wird. Räume, in denen nicht jede Begegnung mit einem Machtkampf einhergeht und Gewalt - oder deren Androhung - sie nicht bis zur Handlungsunfähigkeit lähmt. Und vor allem: Räume, in denen sie Anerkennung und Liebe erfahren dürfen. Zu Hause, in der Schule, im Freundeskreis, im Sportverein, im Jugendzentrum, in der Nachbarschaft, bei Oma und Opa - und, weiter gefasst, im öffentlichen Raum: im Supermarkt, im Schwimmbad, im Park, im Kino, in der Bücherei. Geraten sie in einen Konflikt oder verlieren aus anderen Gründen den Zutritt zu einem dieser Räume, haben sie den Verlust, die Auflösung, schnell verkraftet, schließlich stehen ihnen genug andere Türen offen.

Nicht so bei den gefährdeten Jugendlichen....
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Autor

Nicolas Lunabba, geboren 1981 in Lleida, Spanien, arbeitet mit Kindern und Jugendlichen in sogenannten Problemvierteln in Südschweden und erhebt regelmäßig seine Stimme gegen soziale Ungleichheit und strukturellen Rassismus. Für sein Engagement wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Martin-Luther-King-Preis und der Ehrendoktorwürde der Universität Malmö. Sein literarisches Memoir «Bist du traurig, wenn ich sterbe» stand über ein Jahr lang auf der schwedischen Bestsellerliste, wurde von der Kritik hoch gelobt und erscheint in Übersetzung in fünf Ländern.Stefan Pluschkat, geb. 1982 in Essen, studierte Komparatistik und Philosophie in Bochum und Göteborg. Er übersetzt Romane, Kinder- und Sachbücher aus dem Schwedischen und Norwegischen und erhielt 2018 den Hamburger Förderpreis für Übersetzung.