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MALEREI. Ein Gespräch

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Hatje Cantz Verlag GmbHerschienen am26.06.2024
Mit der Suche nach dem im elterlichen Garten vergrabenen Gorilla beginnt Valérie Favres Reise in die Welt der Imagination, der Fantasien, Alpträume, Erinnerungen und Werke der Kunstgeschichte. Eine Welt, die sie auf ihrem Umweg über Theater und Film lebendig und dann als Malerin, die die Abgründe menschlicher Existenz erkundet, sichtbar werden lässt. Woher kommt die Dringlichkeit dieser gemalten Bilder, was ist ihre Verbindung zur Biografie, zu politischen und künstlerischen Diskursen? In ihrem Gespräch verlieren sich die Malerin Valérie Favre und der Schriftsteller Axel Ruoff im Labyrinth der Fragen über Malerei, dieser einzigartigen Praxis, die in einer vom Digitalen bestimmten, von Klimawandel und Krieg bedrohten Welt zu einem Akt des Widerstands wird. VALÉRIE FAVRE (*1959, Evilard, Schweiz) ist bildende Künstlerin und Professorin für Malerei an der UdK Berlin, ging nach Paris - erst als Schauspielerin, dann um in der zeitgenössischen Kunst mitzumischen. 20 Jahre später mischte sie die Karten neu und lebt seit 1999 in Berlin. Ihr malerisches Werk findet seit den frühen 1990er-Jahren große Beachtung und wird in zahlreichen internationalen Ausstellungen in Museen und Galerien gezeigt. AXEL RUOFF (*1971, München) studierte Literaturwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte in Berlin und Aix-en-Provence. Er schreibt Romane und Essays, dreht Filme und arbeitet als Lektor. 2020 war er als DAAD Writer in Residence in Birmingham. 2021 erschien sein Roman IRRBLOCK. Ruoff lebt in Berlin.mehr
Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR28,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR24,99
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
EUR24,99

Produkt

KlappentextMit der Suche nach dem im elterlichen Garten vergrabenen Gorilla beginnt Valérie Favres Reise in die Welt der Imagination, der Fantasien, Alpträume, Erinnerungen und Werke der Kunstgeschichte. Eine Welt, die sie auf ihrem Umweg über Theater und Film lebendig und dann als Malerin, die die Abgründe menschlicher Existenz erkundet, sichtbar werden lässt. Woher kommt die Dringlichkeit dieser gemalten Bilder, was ist ihre Verbindung zur Biografie, zu politischen und künstlerischen Diskursen? In ihrem Gespräch verlieren sich die Malerin Valérie Favre und der Schriftsteller Axel Ruoff im Labyrinth der Fragen über Malerei, dieser einzigartigen Praxis, die in einer vom Digitalen bestimmten, von Klimawandel und Krieg bedrohten Welt zu einem Akt des Widerstands wird. VALÉRIE FAVRE (*1959, Evilard, Schweiz) ist bildende Künstlerin und Professorin für Malerei an der UdK Berlin, ging nach Paris - erst als Schauspielerin, dann um in der zeitgenössischen Kunst mitzumischen. 20 Jahre später mischte sie die Karten neu und lebt seit 1999 in Berlin. Ihr malerisches Werk findet seit den frühen 1990er-Jahren große Beachtung und wird in zahlreichen internationalen Ausstellungen in Museen und Galerien gezeigt. AXEL RUOFF (*1971, München) studierte Literaturwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte in Berlin und Aix-en-Provence. Er schreibt Romane und Essays, dreht Filme und arbeitet als Lektor. 2020 war er als DAAD Writer in Residence in Birmingham. 2021 erschien sein Roman IRRBLOCK. Ruoff lebt in Berlin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783775756266
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum26.06.2024
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse78105 Kbytes
Artikel-Nr.12612463
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
CoverSchmutztitelTitelseiteInhaltValérie oder »La Création en soi«VorbemerkungI DIE AUSGELÖSCHTE TOCHTER: Kindheit/Jugend: Schweiz (1959-1973)II AUF/AUSBRUCH: Kindheit/Jugend: Schweiz (1973-1975)III NEUE WELT: Reisen: London, Schweiz, USA, Mexiko, Japan, Schweiz (1975-1980)IV SPUREN HINTERLASSEN: Theater und Film: Genf, Paris (1981-1989)V AUF DEM WEG ZUR MALEREI - ZYKLEN I: Paris, Brüssel, Berlin, Dresden (1989-1999)VI GALERIEN: Paris, Berlin, Los Angeles, Zürich, New York, Tel AvivVII STRUKTUR DES WERKS: Die fragmentarische StrukturVIII DER RAUM DER MALEREI - ZYKLEN II: Berlin (1999-2023)Verkleidungen des Unsichtbaren: Ein Glossar zum Werk von Valérie FavreNachbemerkungDankBiografienImpressummehr
Leseprobe

III NEUE WELT

London, Schweiz, USA, Mexiko, Japan, Schweiz (1975-1980)
London

AR Sie hatten also die Schule abgebrochen und haben keine Unterstützung von Ihren Eltern bekommen? Was haben Sie gemacht?

VF Meine Mutter hat mir etwas geschrieben, damit ich arbeiten konnte. Von ihrer Seite gab es eine gewisse Unterstützung. Ich habe Jobs gesucht und zum Beispiel in einem Schuhgeschäft gearbeitet, wo die Kunden alles anprobierten und entweder nichts oder den halben Laden gekauft haben, dann in dem Musikclub New Morning als Kellnerin und auf Jazz-, Rock- und Popkonzerten und Festivals an der Kasse und an der Garderobe.

Schließlich habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, direkt auf eine Kunsthochschule zu gehen, aber nicht in Genf. Und in der französischen Schweiz kannte ich keine. Man musste nach Zürich gehen, vielleicht nach Basel, aber ich habe kein Deutsch gesprochen. Unsere Familienkultur war immer auf Englisch ausgerichtet. Meine Eltern haben ab und zu bei Tisch Englisch gesprochen, weil die Kinder nicht verstehen sollten, was sie gesagt haben. London, New York, San Francisco, United States, das war das Ziel! Vielleicht lag es an der Geschichte, die meine Eltern noch im Kopf hatten. Ich bin nicht so lange nach dem Krieg geboren ... Mein Vater war verrückt nach den Vereinigten Staaten.

AR Welche Alternativen gab es?

VF Ich war noch minderjährig und brauchte die Zustimmung meiner Eltern. Mein Vater war wegen der Scheidung sehr unglücklich und alkoholabhängig, meine Mutter gab ihre Zustimmung. So habe ich entschieden, mich in Holborn an der School of Arts zu bewerben. Wir haben die Mappe samt Anmeldung abgeschickt und ich wurde zur ersten Prüfung und anschließend zum Gespräch nach London eingeladen. Meine Mutter hat mich begleitet. Und am Ende bin ich durch die Prüfung gefallen. Ich war so unerfahren. Das war hart. Aber ein Lehrer hat gesagt: »Sie waren kurz davor zu bestehen. Es gab eine lange Diskussion. Ich kann Sie unterstützen: Kommen Sie nach London!« Deswegen biete ich manchmal Bewerbern an der Universität der Künste hier in Berlin, die nahe dran waren zu bestehen, ein Gespräch und in Einzelfällen auch Unterstützung an.

Ich bin also zurück nach London und der Professor hat mir empfohlen, mich mehr mit geometrischen, akademischen Dingen zu beschäftigen. Er hat mir Übungen gegeben, die mir nicht sehr gut gefallen haben. Ich war wirklich das Gegenteil davon, nach dem Modell, Kreise, Würfel, akademisches Zeug zu zeichnen. Und ich hatte ja mein akademisches Portfolio gemacht und früher in Neuchâtel viel gezeichnet und gemalt.

AR Das war also als ein Vorbereitungsjahr gedacht. Wo haben Sie eine Bleibe gefunden?

VF In einem Buchladen habe ich nach Büchern über Geometrie gesucht, um mich auf die Kunsthochschule vorzubereiten. Ich liebe Buchläden sowieso und war neugierig. Dort lernte ich einen alten Mann kennen, der sich für Poesie interessierte. Er wollte wissen, was ich machte, woher ich kam usw., und ich habe ganz naiv geantwortet. Schließlich hat er mir angeboten, in Henley-on-Thames auf einem Hausboot zu wohnen, wo er Zimmer vermietet hat. Ich habe ihm vertraut und bin wirklich dort eingezogen. Ich habe angefangen, Dreiecke, Kreise usw. zu zeichnen, aber eigentlich fuhr ich auf surrealistische Gedichte und Zeichnungen ab. Ich habe die Hausaufgaben vielleicht drei Monate lang nebenbei gemacht und auf dem Hausboot gezeichnet und gemalt, sehr klein, in Notizbüchern. Eines Tages habe ich dem Mann meine Mappe gezeigt und er hat mir vorgeschlagen, mich jemandem in Oxford vorzustellen, der Ausstellungen organisierte. So hatte ich eine erste Ausstellung, zu der meine Mutter gekommen ist. Das war mein achtzehnter Geburtstag.

AR Wovon haben Sie gelebt?

VF Meine Eltern haben mir jeden Monat ein bisschen Geld gezahlt, weil es vorgeschrieben war. Bei der Scheidung war ich noch nicht zwanzig Jahre alt und mein Vater war verpflichtet, den Kindern Geld zu geben. Mein Bruder und meine Schwester sind auf schicke Schulen in Lausanne gegangen. Es war obligatorisch, dass es ein Gleichgewicht gab. Plötzlich habe ich einfach Geld bekommen, es war nicht viel, aber ich konnte damit auskommen und musste mich nicht mehr so abmühen wie vorher.

AR Was haben Sie in Oxford ausgestellt?

VF Surrealistische Gedichte und Zeichnungen mit Tinte und ein oder zwei Ölgemälde mit gefundenen Dingen.

AR Mit schwarz-weißer oder farbiger Tinte?

VF Farbig, in meiner Erinnerung ist es Beige, Sepia-beige, Schwarz und auch ein bisschen farbig.

AR Waren das Illustrationen von Gedichten?

VF Verschwimmende Figuren, ohne Haare. Damals hatte ich noch keine Glatze, die kam erst nach der Reise.

AR Also figurativ.

VF Hybrid.

AR Ich habe an André Masson und Henri Michaux gedacht.

VF Nicht weit entfernt. Ich hatte mir viel Hans Bellmer angesehen.

AR Sie waren auf der Suche nach Ihrer eigenen Handschrift. Was war der Rahmen der Ausstellung?

VF Eine kleine Gemeindegalerie. Bei der Vernissage habe ich Leute kennengelernt, mit denen ich dann viel unterwegs war. Ich wurde auf Partys in umliegende Schlösser eingeladen, zum Beispiel zu einem Maskenball, und wusste nicht mehr, wo ich am nächsten Abend schlafen würde. Mit vierzehn Jahren hatte ich ein sehr großes, ernsthaftes Problem. Aber danach habe ich mit Männern sehr aufgepasst.

AR Und nach Oxford?

VF Ich kehrte nach Henley-on-Thames zurück, habe das Hausboot verlassen und ein kleines, billiges Haus gefunden, mit Garten und ein paar Katzen. Das war der Deal. Es war nicht weit von George Harrisons Villa entfernt. Irgendwann wurde ich depressiv, ich wusste nicht mehr weiter und war ganz allein. Da habe ich eine nette Dame getroffen, die Musik gemacht hat, und sie hat mir vorgeschlagen, ich sollte Kindern Zeichenunterricht geben. Das habe ich dann auch gemacht, an einer Schule in Henley-on-Thames. Abends habe ich Modell für die Sonntagsmaler gestanden.

In Oxford wurde ich zu einer Party eingeladen. Aber falscher Ort, falsche Zeit: Es gab eine Razzia, wegen harten Drogen, Kokain usw. Ich war vollkommen naiv und habe nichts verstanden. Eine Polizistin schickte die Mädchen in das eine Zimmer, die Jungs in das andere. Wir wurden durchsucht. Es war eine verrückte und sehr harte Erfahrung, denn wir waren die Schuldigen und wurden in einen vergitterten Polizeiwagen gesteckt, der uns nach Reading brachte - wo ja auch Oscar Wilde im Gefängnis gesessen hatte. Drei Tage lang war ich im Frauengefängnis, maximal beobachtet, in einer Einzelzelle mit Licht bei Tag und Nacht. Die eingesperrten Frauen haben geschrien. Ich kann sagen, ob Filme über Gefängnisse wahr sind oder nicht. Was für eine Erfahrung! Irgendwann hat mich ein Kommissar zu sich gerufen, dem ich die Geschichte erzählt habe. »Ach, ja? Sie sind Schweizerin und noch minderjährig?« Sie haben bei meiner Mutter angerufen, die ein Flugticket bezahlt hat. Und am nächsten Tag ging es zurück in die Schweiz. Das war´s, keine Kunsthochschule! Ich hatte auch keine große Lust und keine Kraft mehr.

AR Haben Sie in England Ausstellungen gesehen, an die Sie sich erinnern?

VF Ich war geblendet vom British Museum, von den außergewöhnlichen Manuskripten mit Buchmalerei und Zeichnungen, allem, was in dieser Richtung ausgestellt war. Da gab es zum Beispiel William Blake. Diese Beziehung zur Literatur, von Papier, Schrift und Malerei fand ich außergewöhnlich. Das hat mich geprägt. In der Tate Gallery war ich natürlich auch, die Tate Modern gab es damals noch nicht.

AR Gibt es Erinnerungen an Bilder?

VF Ich erinnere mich vor allem an die großen Räume, nicht genau an Gemälde. Meine erste Sensibilität liegt viel mehr beim Schreiben, den Papieren, Zeichnungen, der Buchmalerei.
Genf

AR Wie lange waren Sie in London?

VF Vielleicht sieben, acht Monate, für mich war das lang.

AR Sie waren natürlich enttäuscht, dass Sie es nicht auf die Akademie geschafft hatten und wieder in Genf hockten.

VF Ich hatte zwar ein kleines Atelier, aber fühlte mich dort so allein, dass ich mir gesagt habe: Das ist etwas, wofür ich noch nicht bereit bin, noch nicht die Kraft habe. Heute bin ich froh, allein zu sein. Aber wenn man siebzehn, achtzehn Jahre alt ist, ist das schwierig. Es gab viele Probleme mit dem Ich und der Welt, mich selbst zu verorten. Ab dem Teenageralter wusste ich, dass ich anders war, etwas nicht funktionierte. Etwas war nicht normal. Ich wollte keine Kinder, keine Familie, das nicht und das nicht! Ich wollte Malerin werden. Ohne Schulabschluss, ohne Kunsthochschule. Ich hatte große Sorgen. Meine Verzweiflung darüber, dass ich nicht wusste, wie und was ich in dieser Welt sein sollte, abgesehen von der Malerei. Ich musste auch in dieser Welt sein.

AR Wie war das, als junge Frau keinen Schulabschluss, keine Arbeit zu haben?

VF Ich habe bald gemerkt, dass es als Frau gar nicht so einfach ist. Wir sprechen von den 1970er-Jahren, ungefähr zwischen 1975 und 1977. Schon als ich meine Familie verlassen hatte, habe ich sehr schnell verstanden, dass es im Leben einen sehr großen Unterschied zwischen den Möglichkeiten von Männern und Frauen gibt. Ich musste mich selbst »bauen«, aber die meisten meiner Modelle waren männlich, nicht nur künstlerisch. Lou Andreas-Salomé ist das Beispiel einer Frau, die es, trotz aller Probleme, die damit verbunden waren und sind, eine Frau zu sein, geschafft hat, ihrem Wunsch zu folgen, zu schreiben, eine...
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