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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
464 Seiten
Deutsch
Diogeneserschienen am20.03.2024
Dieses Tal ist ein besonderer Ort. Geht man nach Osten oder Westen, stößt man auf die gleichen Häuser, Hügel, Straßen - doch alles ist zwanzig Jahre zeitversetzt. Nur in Trauerfällen dürfen die Grenzen passiert werden. Als die junge Odile in Besuchern aus der Zukunft die Eltern ihres Freundes Edme erkennt, weiß sie, dass er bald sterben wird. Was wäre, wenn Odile das ihr auferlegte Schweigen bricht? Ein bewegendes und außergewöhnliches Debüt über Freiheit und die Macht des Schicksals.

Scott Alexander Howard lebt in Vancouver, British Columbia. Er wurde an der Universität von Toronto in Philosophie promoviert und war Postdoktorand in Harvard, wo er sich mit der Beziehung zwischen Erinnerung, Emotionen und Literatur beschäftigte. Das andere Tal ist sein erster Roman.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR21,99

Produkt

KlappentextDieses Tal ist ein besonderer Ort. Geht man nach Osten oder Westen, stößt man auf die gleichen Häuser, Hügel, Straßen - doch alles ist zwanzig Jahre zeitversetzt. Nur in Trauerfällen dürfen die Grenzen passiert werden. Als die junge Odile in Besuchern aus der Zukunft die Eltern ihres Freundes Edme erkennt, weiß sie, dass er bald sterben wird. Was wäre, wenn Odile das ihr auferlegte Schweigen bricht? Ein bewegendes und außergewöhnliches Debüt über Freiheit und die Macht des Schicksals.

Scott Alexander Howard lebt in Vancouver, British Columbia. Er wurde an der Universität von Toronto in Philosophie promoviert und war Postdoktorand in Harvard, wo er sich mit der Beziehung zwischen Erinnerung, Emotionen und Literatur beschäftigte. Das andere Tal ist sein erster Roman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783257614664
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Verlag
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum20.03.2024
Seiten464 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1116 Kbytes
Artikel-Nr.12644817
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Ich stand allein draußen vor dem Garderobenraum. Morgens vor dem Unterricht und mittags, wenn es zur großen Pause läutete und die anderen hinausrannten auf den Hof. Ich ging immer zur selben Stelle neben der Tür und lehnte den Kopf an den rauen Putz. Ein schmaler Schattenstreifen schützte die Wand vor der Spätsommerhitze. Mit gefalteten Händen stand ich im Schatten, den Blick unverwandt auf den Wald hinter der Schule gerichtet, und wartete, dass der Tag vorüberging.

Diesen Posten an der Rückseite der Schule nahm ich ein, als Clare mit ihren Eltern in die Innenstadt zog und ich keine Freundin mehr in der Gegend hatte. Manchmal sah ich Clare im Laden oder auf der Straße, aber wir blieben wortkarg, während unsere Mütter sich unterhielten - es schien, als hätten wir außer den angrenzenden Grundstücken nur wenig Gemeinsamkeiten gehabt. Unsere neuen Nachbarn waren alt und liefen den ganzen Tag im Bademantel herum. Und so wurde ich in der Schule zum Mädchen neben der Tür: Odile, die allein dasteht. Die nicht angesprochen und nur selten erwähnt wird. Die mit Augen wie aus geschnitztem Holz ins Nichts starrt, reglos wie eine Statue.

Eine Minute bevor die Schulglocke alle wieder hineinrief, schlich ich mich meist zurück ins Klassenzimmer. Sechs leere Bankreihen standen vor einer blitzsauberen Tafel. Es roch nach Kreidestaub und einem stark riechenden Öl. Unser Lehrer, Monsieur Pichegru, wischte seinen Tisch regelmäßig mit einem feuchten schwarzen Tuch ab. Als ich jünger war, hatte mir der Ölgeruch unangenehm in der Nase gebrannt.

Dann klingelte es, die Tür zum Garderobenraum hinter mir wurde aufgerissen, und das Klassenzimmer füllte sich mit Stimmen. Im anstürmenden Gelächter blieb ich allein. Sobald Pichegru mit seinen Büchern und seinem Rohrstock hereinkam, waren alle still. Wir standen in unseren Schuluniformen neben dem Platz, bis er uns das Zeichen zum Hinsetzen gab, und in den folgenden Unterrichtsstunden war ich froh, Gesellschaft beim Schweigen zu haben.

 

In diesem Herbst wurde ich sechzehn, und der weitere Verlauf meines Lebens würde sich entscheiden. Meine Klasse hatte jetzt das Lehrjahr erreicht, und die meisten freuten sich auf den kurz bevorstehenden Übergang von der Schule zu etwas Neuem. Ende September mussten wir unsere Bewerbungen einreichen und abwarten, wer uns einstellen würde; später, sobald die Entscheidungen gefallen waren, würden wir uns die Zeit zwischen Pichegrus Unterricht und der praktischen Lehre in der Stadt teilen. Manche wussten, welchen Beruf sie ergreifen wollten, und andere versuchten es verzweifelt herauszufinden. Den ganzen Monat über standen Besuche von Handwerkern und Angestellten auf dem Programm, die ihre Tätigkeiten erläuterten, außerdem Ausflüge zu Bauernhöfen, Obstbaumplantagen, der Sägemühle und an die Grenze.

Das war der normale Gang der Dinge. Meine Mutter war allerdings fest davon überzeugt, ich sei für das Conseil vorherbestimmt. Das hatte sie immer geglaubt oder zumindest glauben wollen.

Die Bewerbung beim Conseil verlief anders als bei den übrigen Ausbildungsgängen. Ich konnte mich nicht einfach bis Monatsende bewerben und hoffen, dass ich genommen wurde. Es gab ein spezielles Auswahlverfahren, und in das Programm zu kommen war schwierig. Pichegru musste mich vorschlagen, und er konnte nur zwei Schüler oder Schülerinnen ins Programm entsenden, während die Schule in der Innenstadt mehr Leute nominieren durfâte. Wenn man es schaffâte, ins Auswahlverfahren zu kommen, musste man die nächste Hürde nehmen und bis September im Rennen bleiben, ohne herausgesiebt zu werden. Die Erfolgreichen erhielten dann einen Ausbildungsplatz im Hôtel de Ville. Jedes Jahr schaffâten es nur wenige, in manchen Jahren niemand.

Meine Mutter arbeitete auch im Hôtel de Ville, aber im Archiv, im Keller. Ich sehe doch, welche Auszubildenden zu uns kommen, sagte sie. Sie mögen schlau sein, aber du bist schlauer. Als sie in meinem Alter war, hatte sie auch versucht, ins Conseil zu kommen, war aber am Ende der zweiten Woche ausgesondert worden. Als ich einwandte, dass ich womöglich zu schüchtern für eine politische Karriere sei, lachte sie mich aus.

Sie wusste nicht, wie unsichtbar ich mich in der Schule machte. Die Vorstellung von mir im Conseil war lächerlich. Ich träumte nicht davon, Conseillère zu werden, und machte mir keinerlei Illusionen. Die Vorstellung, mich gegen andere durchsetzen zu müssen, fand ich grässlich, und die Idee, zu gewinnen und ein solch öffentliches Amt einzunehmen, erst recht. Aber die Tätigkeit meiner Mutter schien mir gar nicht so übel, auch wenn sie sich selbst oft darüber beschwerte: In irgendeinem unterirdischen Raum Petitionen abzulegen oder Akten mit geschwärzten Namen und Altersangaben zusammenzutragen. Ich konnte mir vorstellen, mein Leben unter dem Hôtel de Ville zu verbringen. Dass diese Stellen alle mit Teilnehmenden am Conseil-Auswahlverfahren besetzt wurden, half mir, meine Scham zu überwinden und Pichegru schon am ersten Schultag zu fragen, ob er mich vielleicht vorschlagen könne. Meine Mutter hatte mich am Morgen zur Schule gefahren und mir siegesgewiss Glück gewünscht.

 

Das Schuljahr begann am letzten Freitag im August - ein Einschnitt in den Sommer, der uns jedes Jahr wieder grausam erschien. Die jüngeren Kinder brauchten nur einen halben Tag in die Schule zu kommen, aber Pichegru tat so, als sei es ein ganz normaler Schultag, und ließ uns die neuen Unterrichtsmaterialien aufschlagen, ohne uns auch nur willkommen zu heißen. Ich sah, dass einige Mädchen im Klassenzimmer einen neuen Haarschnitt hatten. Außerdem gab es offensichtliche Veränderungen in der sozialen Landschaft - Leute, die die Plätze getauscht hatten, damit sie näher beisammensitzen konnten. Flirts und Freundschaften, von denen ich mir vorstellte, dass sie an langen Strandnachmittagen entstanden waren.

Ich bemühte mich, während des Unterrichts interessiert zu wirken, und als der Schultag vorbei war, wagte ich mich vor zu Pichegrus Lehrertisch. Er wischte gerade die Tafel. Er war kaum größer als ich, aber muskulös und schnell auf den Füßen; er vernichtete die Kreidebuchstaben mit kräftigen Schwüngen. Das Deckenlicht glänzte auf seinem kahlen Schädel. Ich stammelte, ich sei interessiert an einer Conseil-Ausbildung.

Er wischte erst die ganze Tafel zu Ende, bevor er mir eine Antwort gab. Zum Fenster drang gedämpfâter Spielplatzlärm herein. Pichegru warf den Lappen auf die Kreideablage und drehte sich zu mir um.

Ich bin erstaunt, Odile. Du weißt schon, dass du im Auswahlverfahren den Mund aufmachen musst.

Ich lief knallrot an, aber dann sprach er sachlicher weiter.

Schreib mir übers Wochenende einen Aufsatz und gib ihn mir am Montag. Nächste Woche reiche ich die Namen ein.

Er erklärte mir, dass sich seine Empfehlungen auf einen persönlichen Essay stützten - je kürzer, desto besser, aber wohldurchdacht müsse er sein. In der Innenstadtschule herrsche Nepotismus, aber bei seiner Methode bewerte er nur die Leistung. Wenn ich einen Aufsatz zustande brächte, der angemessenen Verstand und, noch wichtiger, ein für das Conseil geeignetes Temperament demonstriere, sei er gern bereit, meinen Namen weiterzugeben.

Ich fragte, worüber ich schreiben solle. Pichegru antwortete, er stelle jedes Jahr die gleiche Frage: Wenn du die Erlaubnis hättest, das Tal zu verlassen, in welche Richtung würdest du gehen?

 

Ich lief an der einzigen befestigten Straße unserer Gegend nach Hause. Sie schlängelte sich am Fuß des Bergs entlang. Auf der Bergseite führten steile Einfahrten vom Chemin des Pins hinauf zu einzeln stehenden Häusern. Auf der anderen Straßenseite fiel der Hang ebenfalls steil ab, zwischen Bäumen wuchsen Balsamwurzel und Wildkräuter. Über die grau verblichenen Dächer der niedriger gelegenen Häuser hinweg konnte man das gesamte Tal überblicken: den ruhigen See und die staubig verbrannten Berge, die sich am gegenüberliegenden Ufer erhoben.

Unser Haus war klein und lag unterhalb vom Chemin des Pins. Ich ging die Einfahrt hinunter und schloss mir selbst auf. Meine Mutter war noch bei der Arbeit. Sie hatte am Vortag die Neuordnung der Bücher im Wohnzimmer in Angriff genommen, und auf dem Fußboden erhoben sich überall wacklige Buchstapel. Ich setzte mich im Schneidersitz hin und nahm einen in Pergamentpapier eingeschlagenen Band in die Hand.

Es war das einzige Kunstbuch, das meine Mutter besaß. Es war mit rot gedruckten Holzschnitten illustriert, kompakte Bilder, auf denen das Tal wie eine Märchenlandschaft aussah. Jede Illustration war durch eine Pergaminseite geschützt, die man sehr vorsichtig umblättern musste. Ich schlug eine Seite auf, die eine Apfelwiese am Hang zeigte, eine Wolke von Bäumen. Auf der nächsten Seite war der Park in der Innenstadt abgebildet. Man blickte vom See auf den Park, vielleicht von der sommerlichen Schwimminsel aus. Am Strand standen kleine Badegäste. Haarfeine Wellenlinien durchzogen das blutrote Wasser im Vordergrund.

Das interessanteste Bild befand sich am Ende des Buchs. Das Tal war von oben aus der Vogelperspektive abgebildet. Unsere kleine Stadt in der Mitte schmiegte sich ans Ufer des Sees, der sich wie ein Finger nach oben und unten erstreckte. Die uns umgebenden Berge waren hoch und menschenleer.

Zur Linken der Berge war eine identische kleine Stadt, am Ufer eines identischen Sees. Und nach rechts sah es genauso...
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Autor

Scott Alexander Howard lebt in Vancouver, British Columbia. Er wurde an der Universität von Toronto in Philosophie promoviert und war Postdoktorand in Harvard, wo er sich mit der Beziehung zwischen Erinnerung, Emotionen und Literatur beschäftigte. Das andere Tal ist sein erster Roman.