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Vom Tellerwäscher zum Tellerwäscher

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
Hanser Berlinerschienen am13.05.20241. Auflage
Als Ciani-Sophia Hoeder 14 Jahre alt war, ging sie mit ihrer Mutter das erste Mal zur Berliner Tafel. Sie erzählte niemandem davon, schämte sich, dass ihre Familie arm war - denn Armut ist ein Schimpfwort, ein Symbol des persönlichen Versagens. Dass es sich in Wahrheit um ein strukturelles Problem handelt und sozialer Aufstieg in Deutschland längst nicht so leicht möglich ist, wie gern suggeriert wird, wurde ihr erst später klar.
Ciani-Sophia Hoeder beleuchtet die Schnittstellen von Geld, Scham und Macht und zeigt, wie Klasse sich mit anderen Diskriminierungsformen vermischt. Sie spricht mit Expert:innen, Aktivist:innen, armen und reichen Menschen und macht deutlich, wie fehlende Chancengleichheit dieses Land prägt - und wie wir das ändern können.

Ciani-Sophia Hoeder ist freie Journalistin sowie Gründerin und Geschäftsführerin von RosaMag, dem ersten Online-Lifestylemagazin für Schwarze FLINTA* in Deutschland. Sie studierte Politik und Journalismus in Berlin und London. 2021 erschien ihr erstes Buch 'Wut und Böse' bei hanserblau.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR20,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR15,99

Produkt

KlappentextAls Ciani-Sophia Hoeder 14 Jahre alt war, ging sie mit ihrer Mutter das erste Mal zur Berliner Tafel. Sie erzählte niemandem davon, schämte sich, dass ihre Familie arm war - denn Armut ist ein Schimpfwort, ein Symbol des persönlichen Versagens. Dass es sich in Wahrheit um ein strukturelles Problem handelt und sozialer Aufstieg in Deutschland längst nicht so leicht möglich ist, wie gern suggeriert wird, wurde ihr erst später klar.
Ciani-Sophia Hoeder beleuchtet die Schnittstellen von Geld, Scham und Macht und zeigt, wie Klasse sich mit anderen Diskriminierungsformen vermischt. Sie spricht mit Expert:innen, Aktivist:innen, armen und reichen Menschen und macht deutlich, wie fehlende Chancengleichheit dieses Land prägt - und wie wir das ändern können.

Ciani-Sophia Hoeder ist freie Journalistin sowie Gründerin und Geschäftsführerin von RosaMag, dem ersten Online-Lifestylemagazin für Schwarze FLINTA* in Deutschland. Sie studierte Politik und Journalismus in Berlin und London. 2021 erschien ihr erstes Buch 'Wut und Böse' bei hanserblau.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783446297852
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum13.05.2024
Auflage1. Auflage
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2083 Kbytes
Artikel-Nr.12814904
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Intro: Du bist ein Original deiner Klasse


Als ich 14 Jahre alt war, ging ich mit meiner Mama das erste Mal zur Berliner Tafel. Wir nahmen unseren Einkaufstrolley, packten ein paar Tüten ein und machten uns auf den Weg. Das taten wir ein paarmal. Ich erzählte niemandem davon. Weder meinen Freund:innen noch in meinen Partner:innenschaften. Keiner Seele. Ich schämte mich. Meine Mama und ich waren arm. So wie jede Person, die dorthin ging. Manchen sah man es an. Anderen nicht. Damals hätten wir uns selbst niemals als arm bezeichnet. Armut war ein Schimpfwort. Ein Symbol des persönlichen Versagens. Etwas, wofür die jeweilige Person oder Familie selbst verantwortlich war. Wir, die Armen, sollten uns dafür schämen. Heute weiß ich, dass es sich um ein strukturelles Problem handelt, das gern als individuelles Versagen abgetan wird. Es geht um Klassen.

Was ist, wenn ich dir sage, dass dein Leben vorbestimmt ist? Dein Berufszweig, dein Vermögen, wo du lebst, was dich bewegt, was du ästhetisch findest, wen du liebst und heiratest - sogar wie alt du wirst. Dabei spreche ich nicht von einer spirituellen oder göttlichen Macht, sondern von sozialen Klassen. Wir werden in unser Schicksal hineingeboren. Das klingt absurd, fast schon wie eine Verschwörungstheorie, die sich eine Person mit einem Aluhut auf dem Kopf, im Keller sitzend, ausgedacht hat. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Weil wir im Mainstream nicht über Klassenungerechtigkeiten sprechen, sind viele Menschen anfälliger für Verschwörungstheorien und unrealistische oder rassistische Lösungen. Dabei ist die eigentliche Quelle des Unbehagens unsere ungerechte Gesellschaftsstruktur. Wir leben in einer Klassengesellschaft. Das bedeutet, die soziale Herkunft definiert den Verlauf eines Lebens. Nicht die Intelligenz, auch nicht der Fleiß oder die Sorgfalt, und es ist auch keine Frage der Motivation. Vielmehr sind es das Bankkonto der Großeltern, die richtigen akademischen Abschlüsse, Auslandsaufenthalte, die Klassenzugehörigkeit von Mama und Papa, der familiäre soziokulturelle Status, habituelle Sozialisierung, eine große Portion Vitamin B und Glück.

Mozart wäre kein Wunderkind geworden, wenn er nicht schon im Alter von vier Jahren Musikunterricht erhalten hätte. Ähnlich sieht es bei Marie Curie aus, deren Vater Mathematik und Physik unterrichtete. Pablo Picassos Papa war Kunstsammler, und Beyoncé Knowles bekam bereits im Alter von neun Jahren Gesangsunterricht. All diese Wunderkinder einen nicht nur ihre außergewöhnlichen Talente, sondern auch eine soziale Herkunft, die ihnen den Weg ebnete.

Das ist nicht neu. Ganz im Gegenteil. Klassengespräche haben eine lange Tradition. Immerhin ist Deutschland das Zuhause von Karl Marx und Friedrich Engels. Hier sind Gewerkschaften entstanden sowie Arbeiter:innenbewegungen und die DDR. Dieses Land wurde mithilfe von sogenannten Arbeitsmigrant:innen nach dem Krieg wieder aufgebaut. Es ist auch ein Ort, an dem Menschen sehr stolz auf Fleiß und harte Arbeit sind. Doch warum denken wir, dass Klassen gar keine Rolle mehr spielen? Warum sind wir so klassenunbewusst geworden?

Zwar stimmen viele Menschen darin überein, dass es ein Kind aus einem wohlhabenden Haushalt leichter im Leben hat, als eines, das in Armut aufwächst, aber im selben Atemzug halten sie an der Leistungsgesellschaft fest: An der Idee einer Gemeinschaft, in der Status, Einkommen und Einfluss von den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leistungen eines Individuums abhängen. Nicht von der Familie. Dabei zeigen Untersuchungen, dass es in Deutschland sechs Generationen dauert, bis die Nachkommen einer wenig vermögenden Familie das landesweite Durchschnittseinkommen erreichen. Einmal in einer Klasse, wird es schwer, wieder aus dieser herauszukommen.

Wenn ich mit Menschen über Klasse spreche, merke ich, dass sie das Konzept grundsätzlich kennen, aber häufig nicht wissen, was es konkret bedeutet. Sie unterschätzen, welche Rolle die soziale Herkunft in unserer Gesellschaft spielt.

Wir denken, wir wären ein Original. Sind wir auch. Aber wir sind auch eine Manifestation unserer Klassensozialisierung. Unsere gesellschaftliche Position hat weniger mit unserer eigenen Genialität zu tun, sondern vielmehr mit unserer Klassenzugehörigkeit. Dieser Gedanke ist so deprimierend, dass wir uns lieber an die Vom Tellerwäscher zum Millionär-Devise klammern, statt tatsächlich in eine Restaurantküche hineinzuschauen. Dann würden wir feststellen, dass der Tellerwäscher meist einer bleibt. Es gibt Chancen, ja. Aber die Bedingungen sind ungleich verteilt und so bleibt der soziale Aufstieg die Ausnahme, nicht die Regel.

Wir wissen um das eine, ignorieren aber, was das bedeutet. Das ist unser Klassenunbewusstsein. Die Koexistenz von zwei gegensätzlichen Überzeugungen. Wir finden es zwar unfair, dass manche Menschen arm sind. Wirklich etwas daran ändern, tun wir aber auch nicht. Denn jeder Mensch ist seines Glückes eigener Schmied, heißt es. Wenn die Armen wirklich etwas an ihrem Schicksal ändern möchten, dann müssten sie sich einfach mehr anstrengen. So der Gedanke. Der natürlich nicht stimmt.

Mit einem vielschichtigen Blick schreibe ich dieses Buch. Als Schwarze Frau, die aus der prekären Schicht stammt.

Klasse war für mich lange Marx-Porträts, Blümchentapete, die DDR, linksgerichtete, meist weiße, akademisierte Männer, die Klassismus, Rassismus und Sexismus hierarchisieren. Die sogenannten Brocialists. Gespräche über Klasse wirkten exklusiv. Klassenprivilegierte Menschen, die sich mit Arbeiter:innen identifizieren, ohne selbst welche zu sein. Wodurch es sich anfühlte, als würden sie Arbeiter:innen sagen, was sie tun sollen. Wie und warum sie sich empören müssen. Diese mangelnde Diversität sorgte dafür, dass mir gar nicht bewusst war, dass Klassismus auch meine Lebenswelt formte. Der Kampf gegen Rassismus und Sexismus war greifbarer. Erst später realisierte ich, dass der eine Kampf gegen den anderen ausgespielt wird.

Natürlich könnten wir nun sagen: Na und? Dann gibt es eben Ungerechtigkeiten. Wenn es nicht soziale Klassen wären, dann würde es etwas anderes geben. Ist es nicht natürlich, dass eine Gruppe sich alles krallt und sicherstellt, dass es ihren eigenen Sprösslingen über viele Generationen gut geht? Würden wir nicht alle dasselbe tun, wenn wir am Drücker wären?

Es ist so: Ungerechtigkeit killt den Zusammenhalt. Sie demotiviert. Hoffnung hält uns als Gemeinschaft zusammen. Sie bewahrt uns vor Chaos. Auch wenn die Marketingmaschinerie uns täglich den absoluten Individualismus auftischt, funktioniert unsere Gesellschaft durch das Kollektiv. Wir brauchen einander. Doch aktuell leben wir in einer Klassenparallelgesellschaft.

Gleichzeitig schwindet die Wahlbeteiligung, die Wut gegenüber dem Establishment steigt sowie die Machtkonzentrierung der Überwohlständigen. All das wirkt sich auf unsere Demokratie aus.

Meine Angst ist, dass wir in die falsche Richtung gehen. Denn Black Lives Matter nährt sich aus einer Klassenwut. Pegida aber auch. Ihre Ziele sind unterschiedlich, so auch ihre Wut und Methoden. Die eine Gruppe sieht die Lösung in der Gerechtigkeit für alle, weiße und Schwarze. Die andere in der Gerechtigkeit nur für die Weißen.

Es gibt viele Exempel für mögliche Zukunftsszenarien. Das letzte Mal, als eine Familie sehr viel Wohlstand hortete und das Volk hungerte, entstand die Französische Revolution. Die Adeligen wurden geköpft. Als in Deutschland die Armut stieg und die Hoffnung erlosch, bot eine Gruppe eine einfache, faschistische Lösung an. Die Nazis. Soziale Ungerechtigkeiten werden schon seit Jahrhunderten als Mobilisierungsinstrument genutzt. Dabei könnten sie genau das Gegenteil sein. Eine Möglichkeit, aus der Vergangenheit zu lernen. Eine Motivation zur Veränderung. Eine Brücke hin zu einer besseren Zukunft.

Genau das ist das Ziel dieses Buchs. Es ist eine Einladung, sich mit dem eigenen, reflexartigen Klassenunbewusstsein auseinanderzusetzen. Es richtet sich nicht an Menschen, die von Armut betroffen sind. Sie wissen um Klassen. Immerhin müssen sie täglich die Nebenwirkungen unserer Gesellschaftsstruktur ausbaden. Es richtet sich an die Mitte (und vor allem an diejenigen, die glauben, in der Mitte zu sein, obwohl sie zu den Wohlständigen gehören). An die vermeintlich Unbetroffenen. An diejenigen, die...

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Autor

Ciani-Sophia Hoeder ist freie Journalistin sowie Gründerin und Geschäftsführerin von RosaMag, dem ersten Online-Lifestylemagazin für Schwarze FLINTA* in Deutschland. Sie studierte Politik und Journalismus in Berlin und London. 2021 erschien ihr erstes Buch "Wut und Böse" bei hanserblau.