Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Hinter verschlossenen Türen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
576 Seiten
Deutsch
Kein + Abererschienen am12.04.20241. Auflage
In Le Case werden Geheimnisse gehütet, das Zwischenmenschliche ist zuweilen unerbittlich, und dennoch haben sich alle ihren jeweiligen Bedürfnissen entsprechend im Alltag eingerichtet. Doch die Rückkehr von Samuele Radi bringt all das wieder an die Oberfläche, was man sorgfältig unter Verschluss halten wollte, und ein Strudel von Verdächtigungen wird losgetreten.
Im rauen Herzen der Maremma liegt ein alter, in Felsen gehauener Ort, Le Case genannt. Es ist ein aussterbendes Dorf, ein Provinznest, in dem sich die Bewohner in einem Fluss öder Tage dahinschleppen - bis ihre Gemeinschaft durch die Ankunft von Samuele Radi aufgerüttelt wird, der in Le Case geboren und aufgewachsen ist, aber den Absprung geschafft hat. Seine Rückkehr haucht alten Geheimnissen und Animositäten neues Leben ein Samueles heimliche Liebesbeziehung zu Eleanora, die neu im Dorf ist, macht die Sache auch nicht einfacher. Mit seiner literarischen, schwarzhumorigen und vielperspektivischen Erzählweise schafft Sacha Naspini einen kraftvollen Roman, der mit den Genres spielt und Noir, Psychothriller und Liebesgeschichte mischt. Seine raffinierte Struktur und die unvergesslichen Charaktere machen den Roman zu einem psychologischen Meisterwerk und einer scharfsinnigen Analyse der menschlichen Abgründe.


Sacha Naspini, geboren 1976 in Grosseto, lebt heute in Follonica. Er ist Drehbuchautor, schreibt für La Repubblica und arbeitet als Lektor und Artdirector mit verschiedenen Verlagshäusern zusammen. Er hat bereits mehrere Romane veröffentlicht, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Auf Deutsch bei Kein & Aber erschienen sind Nives und ihre Männer und Hinter verschlossenen Türen.
mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR26,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR18,99

Produkt

KlappentextIn Le Case werden Geheimnisse gehütet, das Zwischenmenschliche ist zuweilen unerbittlich, und dennoch haben sich alle ihren jeweiligen Bedürfnissen entsprechend im Alltag eingerichtet. Doch die Rückkehr von Samuele Radi bringt all das wieder an die Oberfläche, was man sorgfältig unter Verschluss halten wollte, und ein Strudel von Verdächtigungen wird losgetreten.
Im rauen Herzen der Maremma liegt ein alter, in Felsen gehauener Ort, Le Case genannt. Es ist ein aussterbendes Dorf, ein Provinznest, in dem sich die Bewohner in einem Fluss öder Tage dahinschleppen - bis ihre Gemeinschaft durch die Ankunft von Samuele Radi aufgerüttelt wird, der in Le Case geboren und aufgewachsen ist, aber den Absprung geschafft hat. Seine Rückkehr haucht alten Geheimnissen und Animositäten neues Leben ein Samueles heimliche Liebesbeziehung zu Eleanora, die neu im Dorf ist, macht die Sache auch nicht einfacher. Mit seiner literarischen, schwarzhumorigen und vielperspektivischen Erzählweise schafft Sacha Naspini einen kraftvollen Roman, der mit den Genres spielt und Noir, Psychothriller und Liebesgeschichte mischt. Seine raffinierte Struktur und die unvergesslichen Charaktere machen den Roman zu einem psychologischen Meisterwerk und einer scharfsinnigen Analyse der menschlichen Abgründe.


Sacha Naspini, geboren 1976 in Grosseto, lebt heute in Follonica. Er ist Drehbuchautor, schreibt für La Repubblica und arbeitet als Lektor und Artdirector mit verschiedenen Verlagshäusern zusammen. Er hat bereits mehrere Romane veröffentlicht, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Auf Deutsch bei Kein & Aber erschienen sind Nives und ihre Männer und Hinter verschlossenen Türen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783036996363
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum12.04.2024
Auflage1. Auflage
Seiten576 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2052 Kbytes
Artikel-Nr.13083706
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



MARIO SILVESTRI

Dorfladenbesitzer

Sie hat so hübsche, zierliche Hände, als wären sie mit spitzer Feder gezeichnet. Sie schneidet Salami, und es ist, als würde sie in einem Märchenbuch blättern. Und dann dieses zarte Gesicht, teils verblühendes Mädchen, teils junge Frau mit ersten Gelüsten ... Mag sein, dass ich durch die alten Hexen, die bei mir ihre Einkäufe machen, mittlerweile wie die Furchen in der Wand aussehe, aber ein Zwitschern ihrer Stimme reicht, um mein Blut wieder in Wallung zu bringen.

Früh morgens treffe ich sie vor dem Rollladen, und schon fühle ich mich wie neugeboren. »Guten Tag«, sagt sie, und sofort spüre ich, wie sich meine Haut strafft. Schlagartig werde ich zu dem Mann von vor fünfzig Jahren, als ich immer durch die Gasse mit den Balkonen gegangen bin und Adelaide mir da vom ersten Fenster in der Via delle Scalette zuwinkte, ihre blonden Locken hochgesteckt, doch jedes Mal fiel ihr eine davon ins Gesicht, und dafür wäre ich gestorben. Mit verschwitzten Händen und aufgewühlt kam ich im Laden an. Mein Vater sagte zu mir: »Geh und rück den Ponentis mal zu Leibe, so oft wie die anschreiben lassen, können wir bald schon einen Roman drucken. Die spielen die Oberschlauen, aber wir müssen schließlich genauso essen und scheißen wie alle anderen auch.« Benommen vor Glück nahm ich das Rad und ging die Familie mit den ausstehenden Zahlungen piesacken. Die Ponentis machten Theater wegen eines bettlägerigen Großvaters und Giacomino, dessen Bronchitis nie abheilte. Die arme Donatella kam an die Tür wie eine graue Maus, die zum ersten Mal ihren Kopf aus dem Mauseloch steckt, ganz zahnlos und mit einem üblen Geruch. Ich platzte direkt heraus: »Mein Vater sagt, dass er euch ohne Geld kein Brot mehr gibt.« Und sie fing an zu flennen. Aber ich sah das gar nicht. Ich sah die goldene Locke, die vor Adelaides Gesicht baumelte, und hörte noch ihr »Ciao Mario«, das sie wie ein Rosenblatt aus dem Fenster geworfen hatte.

Es ist merkwürdig, an das Leben zu denken, das so eintönig an dir vorbeizieht. Mein Vater sagte immer: »Die einen laufen, die anderen spazieren«, nur um mich zu harter Arbeit anzuhalten. Und wozu das Ganze, frage ich mich heute. Ein halbes Jahrhundert gehe ich jetzt schon durch die Gasse mit den Balkonen, vor allem, wenn es regnet, und nie ist irgendwas Neues passiert. Ich habe regelrecht eine Rinne in den Fels von Le Case gegraben, so oft bin ich denselben Weg gegangen. Und ich bleibe doch das gleiche arme Schwein, während Giacomino Ponenti vorgestern wieder in der Zeitung war, mit all seinen Fabriken, die er in der Provinz aufgemacht hat. Von wegen Bronchitis.

Heute schaut mich Adelaide nicht mehr vom Fenster aus an. Stattdessen wird sie nach und nach verrückt, und zwar in dem Bett, das ich gekauft habe, als ich sie schließlich im Brautkleid mit nach Hause nahm. Ihre Haare habe ich schon büschelweise aufgefegt, und jeden Morgen muss ich mir selbst ein Versprechen geben, bevor ich runter zum Laden gehe: Morgen ersticke ich dich mit dem Kissen, meine Liebste . Sie scheint diesen Gedanken zu hören und mich mit ihren immer wässrigen Äuglein darum anzuflehen. Wenn sie mich rausgehen sieht, fragt sie in letzter Zeit: »Warum hast du Pomade im Haar?«

Eleonora dagegen genießt die Gunst der Jugend. Wenn ich so darüber nachdenke, ist es das Erste, was ich ihr gerne vom Leib reißen würde, mehr noch als die Kleider. Barfuß spaziert sie durch die Tücken des Lebens, und ich ertappe mich plötzlich auf dem Ladenklo, wie ich heftig atme. Ich schaue in den halb verrosteten Spiegel, der mich zu jeder Jahreszeit gesehen hat, und sage leise: »Mario, hör mit diesen Marotten auf.« Dann werfe ich mir ein paar Hände voll kaltes Wasser ins Gesicht, gehe wieder zurück und sehe sie hinter der Theke, die Schürze schon an. Am liebsten würde ich losrennen und mir einen Kopfschuss geben. Denn es ist, als sähe ich die Adelaide der goldenen Zeiten wieder vor mir. Am liebsten würde ich nie mehr aufhören, diese zierlichen Hände anzuschauen, wie sie das übliche Riesenstück Käse für die Ginanneschi in Papier einwickeln, bei der mittlerweile klar ist, dass sie als alte Jungfer sterben wird. Nach dem Einkauf verabschiedet Eleonora alle mit einem »Auf Wiedersehen«. Sie tut das auf eine Art, dass ich plötzlich mit Freude an den morgigen Tag denke, auch wenn mich zugleich eine unglaubliche Traurigkeit im Herzen packt. Du weinst um Adelaide und dankst gleichzeitig der Krankheit, die ihre Knochen zerfrisst? , denke ich. Ohne die bräuchtest du kein zwanzigjähriges Ding, um mit den Geizhälsen hier im Dorf fertigzuwerden, die immer das Billigste vom Billigen suchen. Über so was denke ich also nach, wenn es ein Uhr schlägt und ich einer Frau den Arsch abwische, die mir mein ganzes Leben lang Gesellschaft geleistet hat. Ich wechsle die Windeln und denke an Eleonora, die im Laden bleibt, um nicht mit dem Bus hin- und herfahren zu müssen. Inzwischen füttere ich Adelaide, die sich vollsabbert und aus heiterem Himmel in Tränen ausbricht. »Wir haben nicht mal Kinder«, lispelt sie manchmal. »Was machen wir hier noch, in dieser Hölle?«

Eleonora hört gern Geschichten aus dem Dorf. Manchmal sagt sie, dass es unten, in der Ebene von Montemassi, wo sie herkommt, nur alte Leute gibt. »Le Case dagegen quillt ja nur so über vor Jugend!«, habe ich beim ersten Mal geantwortet. Und sie, mit ihrer Art, sich eine Strähne hinters Ohr zu streichen: »Wo ich herkomme, gibt es nur missmutige alte Knacker. Sie sagen einander nicht mal Guten Tag. Dabei sind sie zusammen zur Schule gegangen und zusammen in den Krieg gezogen.«

Also erzähle ich ihr von gewissen Leuten, die hier so herumlaufen. Zum Beispiel von der Witwe Isastia, die sich vor Jahrzehnten in den Kopf gesetzt hat, die reiche Dame zu spielen, wie zu Zeiten, als der Colonnello noch lebte und seine Ländereien und Villen noch nicht verspielt hatte. Als er sein letztes Haus verloren hat, soll er der Legende nach gesagt haben: »Heute Abend hatte ich wirklich Spaß.« Dann verschwand er, seine Leiche wurde nie gefunden. Die Witwe Isastia hat ihr Leben in dem elenden Loch verbracht, wo einst der Dorfkerker war, läuft aber immer noch mit Brillantohrringen und einer goldenen Brosche an der Brust herum, auch an stinknormalen Tagen. Wenn sie in den Laden kommt, nimmt sie das Obst, das am schlechtesten aussieht, lässt es wiegen und zahlt nur die Hälfte. Schließlich wird hier nichts verschenkt.

In Le Case mag es zwar keine jungen Leute geben, aber Verrückte finden sich haufenweise. Ein anderes Beispiel ist Esedras Enkel, der von einem auf den anderen Tag wieder hier im Dorf aufgetaucht ist, mit seiner Gaunerfresse. Clever, der Stadt den Rücken zu kehren und sich hier in den Hügeln der Maremma zu verkriechen, abgeschnitten von der Welt, wo man seit bestimmt dreißig Jahren keine Schleife mehr an einer Tür gesehen hat. Wie der Maso einmal so treffend gesagt hat: »Ein Ort ohne Kinder ist, als wäre er schon tot.«

Wenn ich die Augen zumache, sehe ich einen beliebigen Schönwettersonntag von vor zwanzig Jahren, den wir an der Vena oder auf dem San Martino verbracht haben. Esedra und Adelaide setzten sich immer gerne auf einen dieser Felsen, die aussehen wie ein Thron. Derweil tobte dieser besessene Kleine auf der Wiese davor herum. Seine Mutter war schon nach Frankreich verschwunden. Wer der Vater war, wurde nie ganz klar. Aber die Esedra lief trotzdem erhobenen Hauptes herum. Unverhofft war ihr dieser kleine Junge zugefallen. Adelaide riss Kastanienblätter ab und bastelte Kränze, eine Art Krone, die sich der Kleine aufsetzte und dann sofort wieder lostollte. »Samuele, wenn du so weitermachst, fällst du noch hin!«, kreischte seine Großmutter. Aber er hörte gar nicht zu. Manchmal machte er einem Angst: Trotz der Ermahnungen starrte er versunken ins Nichts, als würde er Gespenster flüstern hören. Vielleicht hätten wir alle schon da kapieren müssen, dass sich in diesem kleinen Köpfchen etwas Merkwürdiges regte ... Dann fing er wieder an, den Teufel zu spielen. Wenn man bedenkt, was danach passiert ist, kriegt man Gänsehaut, als dieses Scheusal plötzlich überall in den Zeitungen und im Fernsehen war. Um schließlich wieder nach Le Case zurückzukommen wie ein Untergetauchter.

Mag sein, dass ich mittlerweile ein gestähltes Auge habe, aber als Eleonora diese Person heute hat reinkommen sehen, ist ihr kurz der Atem weggeblieben. Sie gab gerade der Serraglini raus, die auch eine Geschichte wie aus Tausendundeine Nacht hat, der Großvater ein Brigant, das Haus der Familie mit dem Blut der halben Region bezahlt. Und dann stand da noch Don Lauro in der Schlange. Die Ladentür geht plötzlich auf, und uns allen bleibt der Mund offen, besonders Eleonora, der irgendwann zwei Münzen aus der Hand fallen und unter die Theke rollen.

So reagiert sie also, wenn sie einen jungen Burschen sieht , habe ich bei mir gedacht. Oder sie wusste gleich, wer der Typ war, weil sie ihn aus irgendeiner Nachrichtensendung wiedererkannt hat. Jedenfalls hat meine hübsche Maid aus der Ebene ihren Mund wieder zugemacht und nur noch zu Boden geschaut. Reflexhaft bin ich sofort zum Aufschnitt, als dieser Unmensch mit Bestellen dran war. Eleonora ist die ganze Zeit in einer Ecke stehengeblieben. Bis er, fast grußlos, wieder gegangen ist.

»Weißt du, wer das ist?«, habe ich sie gefragt und bin zu ihr hin. Eleonora hat mir zugelächelt und gesagt, sie müsse mal zur Toilette.

Aber der wirklich schlimmste Moment des Tages ist, wenn ich diese Blüte von einem Mädchen in Gesellschaft von dem Ausländer da verschwinden sehe, der abends um sechs am Ende der Straße auftaucht. Er bewegt sich wie ein Tier und nähert sich dem Laden nie. Er...

mehr

Autor

Sacha Naspini, geboren 1976 in Grosseto, lebt heute in Follonica. Er ist Drehbuchautor, schreibt für La Repubblica und arbeitet als Lektor und Artdirector mit verschiedenen Verlagshäusern zusammen. Er hat bereits mehrere Romane veröffentlicht, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Auf Deutsch bei Kein & Aber erschienen sind Nives und ihre Männer und Hinter verschlossenen Türen.