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Menschen am Kaiserdamm

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
272 Seiten
Deutsch
BeBra Verlagerschienen am01.12.20231. Auflage
Der Kaiserdamm ist nicht berühmt, aber laut. Um 1900 wurde er als schnurgerade Prachtallee erdacht und mit Kaisers Gnaden aus dem Boden gestampft. Ufa-Stars und Nazigrößen wohnten hier, Alfred Döblin betrieb am Kaiserdamm seine Arztpraxis. Großbürgerliches Leben in der »Villa auf einer Etage« war typisch. Oliver Ohmann spürt den Menschen nach, die in dieser Großstadtstraße gelebt haben, und erzählt ihre Geschichten - vom Kaiserreich bis zur Coronakrise. Er ist selbst ein Kind des Kaiserdamms. 30 prägende Jahre lebte er dort. Sein Bericht ist auch eine Liebeserklärung - an die Art zu leben, die nur in einer Stadt wie Berlin möglich ist.

Oliver Ohmann, geboren 1969 in Berlin, ist Journalist und hat bereits mehrere Bücher zur Sport-, Film- und Berlin-Geschichte veröffentlicht. Zuletzt erschien von ihm im Elsengold Verlag »Klappe! Geschichte der Filmstadt Berlin«.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextDer Kaiserdamm ist nicht berühmt, aber laut. Um 1900 wurde er als schnurgerade Prachtallee erdacht und mit Kaisers Gnaden aus dem Boden gestampft. Ufa-Stars und Nazigrößen wohnten hier, Alfred Döblin betrieb am Kaiserdamm seine Arztpraxis. Großbürgerliches Leben in der »Villa auf einer Etage« war typisch. Oliver Ohmann spürt den Menschen nach, die in dieser Großstadtstraße gelebt haben, und erzählt ihre Geschichten - vom Kaiserreich bis zur Coronakrise. Er ist selbst ein Kind des Kaiserdamms. 30 prägende Jahre lebte er dort. Sein Bericht ist auch eine Liebeserklärung - an die Art zu leben, die nur in einer Stadt wie Berlin möglich ist.

Oliver Ohmann, geboren 1969 in Berlin, ist Journalist und hat bereits mehrere Bücher zur Sport-, Film- und Berlin-Geschichte veröffentlicht. Zuletzt erschien von ihm im Elsengold Verlag »Klappe! Geschichte der Filmstadt Berlin«.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783839341445
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum01.12.2023
Auflage1. Auflage
Seiten272 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse8933 Kbytes
Illustrationen48
Artikel-Nr.13130282
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Wohnung

 

Vom netten Nachmieter, einem Bausenator in
Feierlaune, dem Herrn Kommerzienrat und mir selbst
als verzweifeltem Kind

 

 

Samstag, 5. November. Der Kaiserdamm ist proppenvoll. Tausende Autos schieben sich gen Theo. Im Olympiastadion spielt Hertha gegen Bayern. Volle Hütte. Frank Zander stimmt gleich vor der Ostkurve seine Hertha-Hymne an. Anstoß um 15.30 Uhr.

Um diese Zeit habe ich in Westend eine andere Verabredung und klingele am Haus Kaiserdamm 27. Zander schmettert »Nur nach Hause geh n wir nicht«, ich betrete nach 30 Jahren wieder die Wohnung, in der ich aufgewachsen bin. »Die meisten Menschen legen ihre Kindheit ab wie einen alten Hut. Sie vergessen sie wie eine Telefonnummer, die nicht mehr gilt.« Mein Opa schrieb mir diesen Kästner ins Poesiealbum. 302 19 98 - ich kenne meine alte Nummer noch und habe jetzt Lampenfieber.

Dr. Henri Brandies öffnet unsere Wohnungstür und lächelt. Wir kannten uns vorher nur aus E-Mails. Er ist 20 Jahre jünger als ich und bittet mich freundlich in die Diele. »Fühl dich wie zu Hause!« - 1:0 für den Kaiserdamm.

Die letzten drei Jahrzehnte sah ich das Haus nur von außen. Stopp auf der Kreuzung, Blick hoch zum Fenster. Der Schriftzug des Hotels fällt ins Auge. »Brandies« in Leuchtbuchstaben. Darüber unsere Wohnung. Ein paar Sekunden sentimental sein, dann wird hinten gehupt.

Diese Ecke, dieses Haus, diese Wohnung und diese Straße - das steckt sehr tief in mir.

Mindestens so tief wie Charlottenburg in meiner Familie. Vor rund 200 Jahren kam der erste Ohmann an. Ein Bauernsohn aus einem Kaff bei Trier. Wenigstens nicht barfuß, denn er war Schuhmacher. Damals lebten im Städtchen kaum 10.000 Bürger, und Charlottenburg endete im Westen an der heutigen Zillestraße. Der Kaiserdamm blieb noch Jahrzehnte ein namenloses Nichts im Niemandsland.

Im Januar 1831 leistete der Schuhmacher seinen Bürgereid, und der ging so: »Ich, Johann Peter Ohmann, gelobe und schwöre, dass ich, nachdem ich von dem hiesigen Magistrat zum Bürger angenommen worden, Seiner Königlichen Majestät von Preußen, meinem allergnädigsten Könige und Herrn, getreu und unterthänig, auch dem Magistrat dieser Stadt gehorsam und gewärtig seyn will. Ferner schwöre ich, das Beste dieser Stadt und Bürgerschaft nach meinem Vermögen zu befördern, Schaden und Nachtheil abzuwenden, und alle mir als Bürger obliegenden Pflichten gewissenhaft zu erfüllen.«

Der alte Bürgerbrief liegt neben mir auf dem Schreibtisch. Bin ich noch an den Eid gebunden? Man weiß ja nie. Meine Vorfahren waren jedenfalls treue Bürger. Johanns Sohn Adolf wurde Konfitürenhändler, Enkel Willi hortete olle Scharteken in seinem Musikantiquariat, Carmerstraße 7. Meine Großmutter Feodora träumte vom Film und landete als Buchhalterin in einer Bank. Mein Vater war zuletzt Leitender Magistratsdirektor im Rathaus. Aus diesem charlottenbürgerlichen Amalgam mag mein Faible fürs Schwelgen in Erinnerungen stammen. Die könnten alle reden! Aber wo sind die Vorfahren, wenn man sie braucht? Antwort: im Bibliotheksschrank von Urgroßvater Willi. Darin Zeugnisse, Meisterbriefe und Diplome, Geburts-, Tauf-, Heirats- und Sterbeurkunden. Geschäftsunterlagen, Briefe, Fotos und der Mietvertrag vom Kaiserdamm.

Die Altbauwohnung am Kaiserdamm 27 bezogen meine Eltern 1978. Als moderne Menschen hatten sie es zuvor mit Neubau versucht. Allerdings fiel ihnen in Charlottenburg-Nord bald die niedrige Decke auf den Kopf. Christa und Achim wollten zurück zum Stuck. Die Annonce stand in der »Mopo«, und die Verhandlung war kurz und schmerzlos. Erste Nachricht vom Hausbesitzer: »Bitte vereinbaren Sie mit dem Übergangsmieter einen Besichtigungstermin.« Dann wurde für eine Summe Geld »eine kleine Möbelübernahme« vereinbart, im Gegenzug auf das Eigenbedarfsrecht verzichtet. Ergebnis: Sechs Zimmer, 200 Quadratmeter, typisch Kaiserdamm. Monatsmiete 631 DM kalt, 822 DM warm.

August 1978. Unser Opel Commodore braust über den Stadtring, Ausfahrt »Kaiserdamm Ost«. An der Hand meiner Mutter betrete ich die Wohnung. Es ist ziemlich duster. Am Boden Parkett, wie in Burgen und Schlössern, die wir im Urlaub besuchen. Aber hier gibt es keine Filzlatschen. Ich schaue mich um. Es riecht wie im Museum, hallt, knarzt und quietscht. Diese Wohnung macht Geräusche! Türen über Türen. Dann zieht mich eine Hand den Flur entlang. »Hier Olli, das wird dein Zimmer«, sagt Mama. Ich blicke in einen Raum mit einem Fenster zum Hof. Trübe Aussichten durch milchige Scheiben. Von den Wänden blättert Tapete. Dahinter kommen alte Zeitungen zum Vorschein. »Berliner Lokalanzeiger« als Makulatur. Meine Eltern lächeln. Sie sind glücklich und aufgeregt. Ich bin es nicht. Ich bin neun Jahre alt, und man will mich in dieses Totenreich entführen. Fußballplätze habe ich auf dem Weg auch nicht gesehen. Wie komme ich überhaupt zur Schule? Ich will nicht zum Kaiserdamm!

Mein Vater skizzierte den Grundriss der Wohnung, eine Landkarte für 200 Quadratmeter. Drei große Zimmer zur Straße, zwei davon mit Balkon, zwei Zimmer zum Hof und mittendrin eine Diele. Dazu die Küche, Speisekammer und noch ein Zimmer für Personal. Anders als im Einfamilienhaus kennt das Leben in einer Kaiserdamm-Wohnung keine Treppen (es gibt natürlich Ausnahmen). Man lebt »villenlos glücklich« auf einer Etage.

Woher kommt der viel besungene Altbaucharme? Vielleicht von fehlender Sachlichkeit. In Neubauwohnungen sind alle Räume zweckbestimmt. Wohnzimmer, Schlafzimmer, Kinderzimmer, dazu Flur, Küche und Bad. Oft ist der Platz für Möbel vorbestimmt und alternativlos. Das Leben am Kaiserdamm ist diesbezüglich unübersichtlicher. Mehrere Wohnzimmer, Verbindungstüren, Kammern und Hängeböden, ein Nebeneingang zur Hintertreppe. Zweck lass nach! Man darf nicht vergessen: Wohnungen sind mehr als Behausung und Obdach. Viel mehr! Eine Adresse in der Feine-Leute-Gegend oder im Szenekiez galt und gilt als Statussymbol. Oft ist Geltungssucht Begleiter der Wohnungssuche. Was dem Mittelalterfürsten seine Burg, war dem Industriekapitän im Kaiserreich die Grunewaldvilla - oder eben eine Zwölfzimmerwohnung am Kaiserdamm. Unsere 200 Quadratmeter waren Durchschnitt. Wohnungen im Eckhaus Kaiserdamm 118 sind mehr als doppelt so groß. Die Apartments des neusachlichen »Junggesellenhauses« Kaiserdamm 25 passen nahezu in unsere Diele.

Der Reichtum an Räumen hatte nicht nur repräsentative Gründe. Früher waren bürgerliche Haushalte größer. Heute: Vater, Mutter, Kind. Früher: Herrschaft, Kinderschar und Personal. Je großbürgerlicher, desto mehr Bedienstete. Man »hielt« sich Dienstmädchen. In aller Regel junge Frauen, nicht selten vom Lande. Sie putzten, wienerten, polierten und servierten. Sie machten täglich die Betten und einmal im Monat »große Wäsche«. Drei Tage Knochenarbeit. Wer es sich leisten konnte, hatte eine Köchin. Wer Kinder hatte, ein oder mehrere Kindermädchen. Sie alle lebten unter einem Dach, und der Grundriss einer Kaiserdamm-Wohnung bildet dieses Leben ab. Vorn zur Straße große Gesellschaftsräume. Zum Hof der Dienstbotenbereich. Vorn empfängt, wohnt, speist und tanzt man auf Parkett, hinten wird geschlafen, gekocht und geschuftet. Bei privater Nutzung ist die Teilung heute unbedeutend. Wer beschäftigt noch eine Köchin, die in einer Kammer neben der Küche lebt? Meine Eltern hatten kein Personal. Das wäre über unsere Verhältnisse gegangen und ihnen auch persönlich gegen den Strich. In einer Arztpraxis oder Kanzlei kann die Zweiteilung dagegen praktisch sein. Vorn Behandlung oder Büro, hinten Labor und Kaffeeküche. Unser Vormieter war Arzt. Für seine Praxis hatte er aber nur zwei Räume notdürftig auf Vordermann gebracht. Die Diele diente als Wartezimmer. Er zog weiter in die Reichsstraße, hinterließ uns aber seine Telefonnummer. Noch Jahre später riefen Patienten an, um einen Termin mit Dr. Norderhus zu machen.

Wäre es naheliegender gewesen, mit einem Blick auf die alten Hausfassaden zu beginnen? Große Straßen sind seit der Antike immer auch ein Statement - der Stadt, des Staates oder eines Herrschers. Ich möchte die Fassaden dennoch zunächst in die zweite Reihe bitten. So schön sah unser Haus damals auch gar nicht aus. Die Fassade hatte einen Krieg hinter und eine Sanierung erst vor sich. Außerdem bin ich überzeugt: Man muss mit der Wohnung beginnen, wenn man vom Kaiserdamm und seinen Menschen erzählt.

Die Altbauwohnungen von heute waren zu Kaisers Zeiten der Gipfel der Modernität. Ihre Ausstattung galt als luxuriös und neuzeitlich. Baulich verziert waren die herrschaftlichen Häuser mit Schmuckelementen aller Art und Qualität. Im Eingangsbereich dominierten Marmor, Spiegel und Holztäfelungen. Fahrstühle waren obligatorisch, ebenso Treppenhausbeleuchtung, beheizte Kellerräume, Trockenböden und Nebentreppe. Zur Grundausstattung der Wohnungen zählten Eichenparkett, Flügeltüren und vier Meter hohe Stuckdecken, dazu Mädchenkammern, Tresor und Eisschrank. Innentoiletten und Bäder waren eine Selbstverständlichkeit, nicht dagegen Garagen für Automobile. Technisch erwarten durften Mieter Strom- und Warmwasseranschluss, Zentralheizung und eine Staubsaugeranlage. Man nannte das »mit allem Komfort der Neuzeit«.

Naturgemäß benötigten große Wohnungen jede Menge Möbel. Bei Auszug oder Todesfall kam bisweilen das Mobiliar...
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Autor

Oliver Ohmann, geboren 1969 in Berlin, ist Journalist und hat bereits mehrere Bücher zur Sport-, Film- und Berlin-Geschichte veröffentlicht. Zuletzt erschien von ihm im Elsengold Verlag »Klappe! Geschichte der Filmstadt Berlin«.
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Ohmann, Oliver