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Mehr Mord im Chalet

von
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Atlantis Literaturerschienen am06.12.2023
Nach dem Erfolg des Erzählbands Mord im Chalet, der wochenlang auf der Schweizer Bestsellerliste stand und unter vielen Tannenbäumen lag, erscheinen jetzt weitere weihnachtliche Krimigeschichten aus der Schweiz. Ob im winterlichen Tessin auf einem heruntergekommenen Fußballplatz, in Zürich auf der Bahnhofstrasse, wo man sein Geld leicht unter die Leute bringen kann, oder in einer beschaulichen Kleinstadt auf dem Land: An Weihnachten gibt es nicht nur Festessen und Geschenke, sondern auch Prügeleien, Diebstähle, Vergiftungen und manchmal auch Leichen - in jedem Fall aber viel Arbeit für die Polizei. Mehr Mord im Chalet sorgt für spannende Weihnachten mit helvetischem Einschlag. Mit dabei sind Schweizer Krimistars wie Ulrich Knellwolf, Roger Graf, Marcel Huwyler, Andrea Fazioli, Michel Theurillat und viele mehr.mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR19,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR14,99

Produkt

KlappentextNach dem Erfolg des Erzählbands Mord im Chalet, der wochenlang auf der Schweizer Bestsellerliste stand und unter vielen Tannenbäumen lag, erscheinen jetzt weitere weihnachtliche Krimigeschichten aus der Schweiz. Ob im winterlichen Tessin auf einem heruntergekommenen Fußballplatz, in Zürich auf der Bahnhofstrasse, wo man sein Geld leicht unter die Leute bringen kann, oder in einer beschaulichen Kleinstadt auf dem Land: An Weihnachten gibt es nicht nur Festessen und Geschenke, sondern auch Prügeleien, Diebstähle, Vergiftungen und manchmal auch Leichen - in jedem Fall aber viel Arbeit für die Polizei. Mehr Mord im Chalet sorgt für spannende Weihnachten mit helvetischem Einschlag. Mit dabei sind Schweizer Krimistars wie Ulrich Knellwolf, Roger Graf, Marcel Huwyler, Andrea Fazioli, Michel Theurillat und viele mehr.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783715275314
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum06.12.2023
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1119 Kbytes
Artikel-Nr.13149220
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Beat Grossrieder Chlausbesuch am Züriberg


Rasch überflog Ruedi Keller den Zettel, den er aus dem vereinbarten Versteck unter dem Fensterladen beim Briefkasten hervorgeholt hatte. In fünf Minuten würden sie von der Familie Conrad zum Chlausbesuch erwartet; auf Pünktlichkeit legten die Privatbankiers bestimmt großen Wert. Den Zettel hatte gewiss die Mutter Mechthild Conrad vorbereitet und wie abgemacht draußen neben der Haustüre deponiert. Der Chlaus würde den Zettel in sein goldenes Buch legen und dann der Familie die Leviten lesen. Dafür gab es in solchen Kreisen in der Regel eine großzügige Entschädigung. Den normierten Tarif der Stadtzürcher St. Nikolausgesellschaft, der schon im Voraus online beglichen wurde, rundete man hier am Züriberg gerne mit zwei hübschen blauen Hundertern auf, die man dem Chlaus und seinem Gehilfen am Ende der Visite diskret in einem Couvert zustecken würde. Ruedi Keller war schon mehrmals in solchen Villen zu Gast gewesen und musste annehmen, dass ihn drinnen im Wohnzimmer ein paar schwierige Kinder und eine Handvoll nicht minder anspruchsvoller Erwachsener erwarten würden. Er stapfte auf und ab, um seine klammen Füße etwas aufzuwärmen. Unter seinen Schuhen knirschte der Schnee. Sein Schmutzli Livio Gmür nutzte die verbleibenden Minuten, um eine Zigarette zu rauchen. Er starrte in den Sternenhimmel, der das weitläufige Anwesen überspannte wie ein Glitzervorhang das Chapiteau in einem Kinderzirkus.

Keller hatte die Einleitung der Conrads quergelesen. Sie triefte von Floskeln - die beiden Buben Jakob und Matteo seien aufgeweckt und lebensfroh , was nichts anderes bedeutete, als dass es sich um ausgebuffte Nervensägen handelte, denen nur mit drastischer Strenge und viel Ritalin beizukommen war. In der Schule gäben sie sich »große Mühe«, murmelte Keller halblaut vor sich hin, während Schmutzli Gmür soeben eine Sternschnuppe entdeckt hatte und seinerseits ein halblautes »Oh!« ausstieß. Keller quälte sich weiter durch die Schulleistungen der Söhne und erreichte endlich die Freizeitaktivitäten, die ebenso verklausuliert waren und an Arbeitszeugnisse erinnerten, in denen zwischen den Zeilen mehr steht als in den Buchstabenreihen selbst. »Zeigt in der Geigenstunde ein wachsendes Interesse«, las der Nikolaus laut vor und schüttelte den Kopf. Ein Käuzchen rief, schwarz und mächtig ragten die alten Buchen zum Himmel. Bis auf eine schwache Funzel vor der Haustüre brannten keine Lichter im Garten des Anwesens. Die Zigarette von Schmutzli Gmür glühte noch einmal auf, bevor er sie in den Garten spickte, wo sie mit einem kleinen Funkenschweif im Schnee versank.

Beim nächsten Satz auf der Bonus-Malus-Liste von Mutter Conrad lief es Ruedi Keller eiskalt den Rücken hinunter. Am liebsten wäre er auf der Stelle umgekehrt, hätte den Auftrag abgesagt. Doch das ging nicht, ihr Auftritt war bereits bezahlt worden. Der Kodex der Chlausgesellschaft schrieb außerdem vor, auch bei schwierigen Familienverhältnissen bestehe ein Anrecht auf eine würdevolle Visite. Und hier musste der Haussegen so schief hängen, wie sich der Turm zu Pisa auf den Postkarten präsentiert. »Leider ist unser Matteo noch immer ein kleiner Bettnässer«, las Keller ungläubig vom Zettel ab, der in seiner schweißfeuchten Hand bereits ein paar Rümpfe abbekommen hatte. »Um Gottes Willen!«, murmelte er. Was geht in einer Mutter vor, die ihren neunjährigen Sohn vor dem versammelten Familienclan derart bloßstellen will? Niemals würde ein Nikolaus vom Schlag eines Ruedi Keller, pensionierter Pöstler und seit bald dreißig Jahren engagierter Chlaus, einem Kind gegenüber eine solche Ungeheuerlichkeit begehen.

Einfach ignorieren, lautete die Devise, verletzende Statements werden strikt überlesen. Besonders bei Kindern, klar - aber auch bei Erwachsenen? Keller geriet ins Strudeln, als er die Notizen zu Vater Johannes - Nickname Jo - Conrad, zur Schwiegermutter Anna Wegelin und zur Gemahlin Mechthild anschaute. Auch hier gab es reichlich Plattitüden; etwa das Lob an Johannes für dessen Aufstieg zum Vizechef seiner geliebten Privatbank und zum schönen fünften Rang im Halbmarathon um den Greifensee. Die Stichworte zur Ehefrau und zur Schwiegermutter fielen gar mager aus und erschöpften sich in der formidablen Betreuung der Hausangestellten, im kreativen Schaffen im neu angemieteten Schmuckatelier und im erfolgreich absolvierten Schlussexamen zur Yogalehrerin. Aber zu Johannes Conrad gab es einen Eintrag, der Ruedi Keller stutzig machte: »Unser Jo frisst leider immer noch gern über den Hag. Es wäre schön, er könnte vermehrt schätzen, was er in seinem Daheim hat.«

Was soll das, durchfuhr es Keller, während sein Gehilfe energisch mit dem rechten Zeigefinger aufs linke Handgelenk tippte, weil der abgemachte Besuchstermin immer näher rückte. Schmutzli Gmür packte den Sack, der laut Agreement auch hinter dem Briefkasten versteckt worden war und die Geschenke für die Familie beinhaltete. Er war groß und mordsschwer; die Zeiten, in denen der Nikolaus eine Handvoll Mandarinen und Lebkuchen, Nüsse und Schokolade mitgebracht hatte, waren vorbei. Heute wurden Snowboards und iPhones, Sneakers und Hoodies verschenkt, obschon keine drei Wochen später eine weitere Großbescherung unter dem Weihnachtsbaum liegen würde. Ruedi Keller und Livio Gmür bedauerten diese Entwicklung, stoppen konnten sie sie nicht. Oft sprachen sie auf ihren nächtlichen Fahrten zu den Familien und Firmen, die den Nikolaus bestellt hatten, über die Konsumwut, den Materialismus, die Oberflächlichkeit der Kundschaft. Und auch über die Botschaften an die Kinder und Erwachsenen, die auf den vielen Zetteln standen, die sie vor ihren Besuchen draußen in der Kälte zu studieren hatten. »Diese Zettel geben mehr preis über den Verfasser als über die Person, die gemeint ist«, dachte Keller bei sich. Einmal im Jahr durften Eltern in eine andere Rolle schlüpfen und ihre Brut wie von oben herab unter die Lupe nehmen. Was sie nach dieser Reflexion zu Papier brachten und dem Chlaus zukommen ließen, waren nichts als Projektionen des eigenen Glücks, das man selbst irgendwie verpasst hatte.

»Frisst leider immer noch gern über den Hag«, wiederholte Keller an Gmür gerichtet und fragte diesen: »Das bedeutet doch, dass der Typ fremdgeht, oder?«

Livio Gmür nickte, zupfte seinen schwarzen Theaterbart zurecht und hievte den Sack mit beiden Händen auf seine rechte Schulter. »Gehen wir!«, sagte er zu Keller, der den Zettel der Conrads in Gedanken noch einmal durchging, bevor er ihn in sein großes goldenes Buch legte und dort mit seinen weißen Glacéhandschuhen glattstrich.

»Ja, soll ich das wirklich sagen?«, wollte er von seinem Schmutzli wissen. »Soll ich den Hausherrn vor allen anderen dafür kritisieren, dass er über den Hag frisst?«

»Die Kinder müssen wir vor den Erwachsenen in Schutz nehmen«, sagte Schmutzli Gmür bestimmt. »Aber die Erwachsenen müssen sich selbst um ihren Schutz kümmern. Los jetzt, sonst kommen wir zu spät.«

***

Kaum hatte Ruedi Keller die Klingel gedrückt, gingen im Hausflur die Lichter an und eine elegant gekleidete, attraktive Mittvierzigerin öffnete die Tür. Sie trug einen knielangen Rock mit beige-blauem Schottenmuster, einen hellbraunen, ärmellosen Rollkragenpulli und schwarze Schuhe mit Absätzen. Unter der schönen Deckenlampe aus dem Jugendstil glänzten ihre schulterlangen Haare in einem satten Kastanienbraun. Frau Conrad besaß eine glamouröse Ausstrahlung und erinnerte Ruedi Keller sofort an die frühere amerikanische First Lady Jackie Kennedy. Vielleicht ist ihm das aber bloß deshalb in den Sinn gekommen, dachte Keller, weil deren Gate John F. bekanntlich auch fremdgegangen war? Wie auch immer; Keller ergriff Frau Conrads Hand, die sie ihm bereits vor einer Weile entgegengestreckt hatte, und sagte dann mit typischer, tiefer Samichlausstimme:

»Guten Abend, Frau Conrad, wir kommen aus dem tiefen, tiefen Wald und haben etwas mitgebracht.«

»Guten Abend, Samichlaus. Schön, dass Sie und der Schmutzli den weiten Weg bis zu uns gefunden haben. Kommen Sie herein.«

Als Reaktion auf Kellers abgesenkte Chlausstimme hob Mechthild Conrad ihr eigenes Stimmchen um mindestens eine Oktave und verfiel in einen gekünstelt anmutenden Singsang, wie man ihn von frischgebackenen Eltern kennt, die vermeintlich kindgerecht säuselnd mit ihren Säuglingen kommunizieren wollen. Oder von Hundebesitzern, die betont langsam und deutlich zu ihren Vierbeinern sprechen und dann tatsächlich glauben, die Kreatur würde irgendetwas vom Inhalt ihrer Botschaft verstehen.

»Jakob, Matteo, kommt, kommt! Der Nikolaus ist da! Und der Schmutzli auch. Sie haben einen großen Sack mit Geschenken dabei. Kommt schon, und gebt ihm die Hand!«

Ruedi Keller stutze und merkte, dass die langsame, säuselnde Sprechweise der Mrs. Kennedy nicht etwa eine Reaktion auf seine theatralische Bassstimme gewesen war. Nein, die gute Frau war ziemlich angesäuselt, konstatierte Keller. Da war Alkohol im Spiel; deutlich hatte er zwischen den Worten ein Lallen gehört. Auch fiel ihm jetzt auf, dass ihre Wangen gerötet waren und ihre Augenlider etwas schwer wirkten.

»Jakob und Matteo, jetzt kommt schon!«, lallte Mutter Conrad nochmals in Richtung Wohnzimmer, wo die Türe einen Spalt weit geöffnet war. Keine Reaktion.

Also forderte sie den Besuch mit einer Handbewegung auf, ihr in die Stube zu folgen. Sie öffnete die große Flügeltüre, hinter der sich eine ausladende Sofalandschaft auftat, die den Eindruck erweckte, die Firma De Sede würde demnächst genau hier ihr neues Schaulager eröffnen. Den Wänden entlang zogen sich Einzelsessel, Zweier-, Dreier- und...
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