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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
128 Seiten
Deutsch
Wallstein Verlagerschienen am29.11.20231. Auflage
Ein bisher unbekanntes Briefzeugnis führt in die frühe Rezeption des NS-Widerstands und die Geschichte des »Kreisauer Kreises«. 1957 schreibt Christian Troebst (1925-1995), Pfarrer einer württembergischen Gemeinde, angeregt durch die Lektüre von Büchern zum Widerstand gegen das NS-Regime, an Freya von Moltke (1911-2010), Witwe des von der NS-Justiz hingerichteten Widerstandskämpfers Helmuth James Graf von Moltke. Der daraus entstehende bisher unbekannte Briefwechsel bis ins Jahr 1959 ist ein bedeutendes Zeugnis der frühen Rezeption des deutschen Widerstands. Die beiden Protagonisten umkreisen immer wieder die zentralen Begriffe »Glaube« und »Widerstand«, während sie Themen wie die Entstehung des »Kreisauer Kreises« und moralische Dilemmata der Oppositionellen besprechen. Der Briefwechsel enthält auch eine aufschlussreiche Beschreibung von Moltkes Besuch in Troebsts Gemeinde 1958 und ihres Vortrags dort vor den Gemeindemitgliedern. Besonders bemerkenswert ist eine von Freya von Moltke verfasste und einem der Briefe beigefügte frühe Abhandlung über die Geschichte des »Kreisauer Kreises«, in der sie die Hintergründe und Handlungen der an der Verschwörung Beteiligten erläutert. Mit diesem Briefwechsel liegt ein wichtiges Dokument aus einer Zeit vor, in der der Widerstand gegen das NS-Regime keineswegs so anerkannt war, wie er heute ist.

Krzysztof Ruchniewicz, geb. 1967, ist Historiker und Deutschlandforscher und als Professor am Willy-Brandt-Zentrum und Historischen Institut der Universität Wroclaw tätig. Er ist Träger des europäischen Viadrina-Preises der Universität Frankfurt/Oder 2023. Marek Zybura, geb. 1957, Literatur- und Kulturhistoriker, ist Professor am Willy-Brandt-Zentrum der Universit?t Wroclaw sowie Mitglied des polnischen PEN-Club und des PEN-Zentrum Deutschland.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
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Produkt

KlappentextEin bisher unbekanntes Briefzeugnis führt in die frühe Rezeption des NS-Widerstands und die Geschichte des »Kreisauer Kreises«. 1957 schreibt Christian Troebst (1925-1995), Pfarrer einer württembergischen Gemeinde, angeregt durch die Lektüre von Büchern zum Widerstand gegen das NS-Regime, an Freya von Moltke (1911-2010), Witwe des von der NS-Justiz hingerichteten Widerstandskämpfers Helmuth James Graf von Moltke. Der daraus entstehende bisher unbekannte Briefwechsel bis ins Jahr 1959 ist ein bedeutendes Zeugnis der frühen Rezeption des deutschen Widerstands. Die beiden Protagonisten umkreisen immer wieder die zentralen Begriffe »Glaube« und »Widerstand«, während sie Themen wie die Entstehung des »Kreisauer Kreises« und moralische Dilemmata der Oppositionellen besprechen. Der Briefwechsel enthält auch eine aufschlussreiche Beschreibung von Moltkes Besuch in Troebsts Gemeinde 1958 und ihres Vortrags dort vor den Gemeindemitgliedern. Besonders bemerkenswert ist eine von Freya von Moltke verfasste und einem der Briefe beigefügte frühe Abhandlung über die Geschichte des »Kreisauer Kreises«, in der sie die Hintergründe und Handlungen der an der Verschwörung Beteiligten erläutert. Mit diesem Briefwechsel liegt ein wichtiges Dokument aus einer Zeit vor, in der der Widerstand gegen das NS-Regime keineswegs so anerkannt war, wie er heute ist.

Krzysztof Ruchniewicz, geb. 1967, ist Historiker und Deutschlandforscher und als Professor am Willy-Brandt-Zentrum und Historischen Institut der Universität Wroclaw tätig. Er ist Träger des europäischen Viadrina-Preises der Universität Frankfurt/Oder 2023. Marek Zybura, geb. 1957, Literatur- und Kulturhistoriker, ist Professor am Willy-Brandt-Zentrum der Universit?t Wroclaw sowie Mitglied des polnischen PEN-Club und des PEN-Zentrum Deutschland.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783835385818
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum29.11.2023
Auflage1. Auflage
Seiten128 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse5085 Kbytes
Artikel-Nr.13389083
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Briefwechsel zwischen
Freya von Moltke und Christian Tröbst
aus den Jahren 1957 bis 1959

[1. Christian Tröbst â Freya von Moltke, 13. Februar 1957]

13.2.1957

Hochverehrte Frau Gräfin!

Eine weihnachtliche Büchergabe von meiner Frau[27] hat ungeahnte Wirkung gehabt. Von einem Buch kam ich zum anderen, und nun steht schon ein ganzer Teil der Literatur über den Widerstand im 3. Reich bei mir. Alles, was ich da zum ersten Mal erfahre, bewegt und erfüllt mich so, daß ich darüber fast meinen eigentlichen Dienst versäume.

Jetzt, nachdem mir das ganze Geschehen in großen Zügen vor Augen steht, erscheint es mir unfaßlich, wie man so lange daran vorbeisehen konnte - als Pfarrer! Und erst recht erscheint es mir unfaßlich, daß - jedenfalls soweit ich sehe - unser ganzes Volk immer noch, oder schon wieder, daran vorbei sieht. Was ist da eigentlich los - mit unserer Regierung, mit unseren Parteien, aber vor allem mit unserer Kirche?

Es liegt wohl in der Natur der Sache, daß - vermutlich sogar der größere Teil der damaligen Widerstandskämpfer - heute in irgend einer Schublade der Geschichte abgelegt worden sind. Nämlich jene, deren Widerstand so sehr von dem Gegner bestimmt war, dem sie widerstanden, daß sie, als der Gegner erledigt war, zugleich mit ihm erledigt waren. Viele waren in ihrer rein negativen Haltung eigentlich nur die Kehrseite der Medaille und damit im gleichen Augenblick außer Kurs gesetzt, als die Medaille nichts mehr galt. Das ist tragisch für jene wackeren Leute, aber ganz natürlich, weil das »contra« allein noch nie Geschichte gemacht hat.

Je länger ich aber in diesen Büchern krame, um so stärker wird in mir das Gefühl, daß es um den »Kreisauer Kreis« eigentlich ganz anders bestellt war, ja daß man diese Gruppe gar nicht in einem Atemzug bzw. in einem Buch mit den unentwegten Widerstandskämpfern nennen sollte. Nicht nur deshalb, weil sie ja in ihrem Denken und Planen den Zusammenbruch des 3. Reiches bereits, hinter sich hatten, während die anderen ihn als Ziel vor sich sahen, sondern weil die Kreisauer wirklich mit der Realität Gottes rechneten und dadurch eine ungeheuere Überlegenheit hatten. Die Äußerung v. Hassels in seinem Tagebuch S.â340 ist ja so typisch: »Ich habe bei ihm (v. Moltke) immer etwas Bedenken wegen seiner unreal-politischen Mentalität.[28] Genau so mußte das dem alten Konservativen, der Glauben mit Idealismus verwechselt, vorkommen. Aber dazwischen liegen Welten.

Nach allem, was ich bis jetzt gelesen habe - von Annedore Leber bis Margret Boveri[29] - wird der Kreisauer Kreis, dessen Herz doch jedenfalls Graf Moltke war, immer als Widerstandsgruppe innerhalb verschiedener anderer Gruppen dargestellt. Und das scheint mir einfach darum nicht richtig, weil der Widerstand den Kreisauern nie Selbstzweck, sondern eine den augenblicklichen Verhältnissen entsprechende, notwendige und sicher auch notvolle Verhaltensweise war. Sie wollten doch viel mehr, als nur widerstehen. Ihr eigentliches Wollen war Aufbauen und Aufrichten. Wie denn auch der 20. Juli keine eigentliche Kreisauer Angelegenheit war.[30] Daß dann fast alle aus jenem Kreis zusammen mit den Nur-Widerstandskämpfern hingerichtet wurden, besagt ja gar nicht, daß sie auch alle jene doch nur sehr negativen Ziele verfochten hätten.

Ich merke, daß ich mich undeutlich ausdrücke. Was ich sagen will ist einfach dieses: Man müßte etwas tun, daß der Kreisauer Kreis nicht immer nur in der Gesellschaft der Widerstandskämpfer erwähnt wird, sondern daß ihre eigenständige, weit über das Widerstehen hinausgehende Bedeutung klar wird. Nicht weil es nicht ehrenvoll wäre, dort zu stehen, sondern weil die Kreisauer geistig und geistlich einfach höher stehen. Der Rahmen Widerstandsbewegung ist zu eng, um die Fülle dessen, was da lebendig war, zu fassen.

Es ist die Frage, ob ich das so ungefähr richtig sehe. Es ist mir wirklich eine Frage. Und da die Männer, die sie mir beantworten könnten, nicht mehr am Leben sind und ich den Bundestagspräsidenten[31] schlecht danach fragen kann, darum wende ich mich, verehrte Frau Gräfin, an Sie. Es ist die Frage eines Dreißigjährigen, der Menschen sucht, an denen man sich orientieren kann.

Wenn ich richtig sehe - und ich habe das Gefühl - darf man dann wirklich sagen, was im Vorwort zu den Letzten Briefen steht: »Die Pläne und Taten Moltkes und seiner Freunde gehören der Vergangenheit an. Was dort geschah, ist in der Flut neuer Ereignisse untergegangen«.[32]

Als Feststellung ist das natürlich richtig und sofern die Kreisauer unter anderem auch Kämpfer gegen ein ganz bestimmtes Regime waren, gehören sie zusammen mit diesem Regime der Vergangenheit an. Aber mir ist das einfach zu bequem. Es ist doch mit Händen zu greifen, daß da Dinge gedacht und gelebt wurden, an die die »Flut neuer Ereignisse« einfach nicht ran kann. Dinge, die nun wirklich ein »köstlicher Schatz in irdenen Gefäßen« waren. Wo ist dieser Schatz, oder anders, wo ist diese »Legende«, die nach Meinung des Grafen Moltke geschrieben werden müßte? Das frage ich, verehrte Gräfin, nicht Sie, das frage ich unsere Kirche. Wie laut muß man denn Gott noch reden, bis wir ihn endlich hören. Die Letzten Briefe sind doch wirklich keine Literatur, sondern eben »Dokumentation Gottes«.[33]

Und nun bewegt es mich einfach: Ist denn jetzt jemand dabei, der nicht nur die Gabe, sondern auch die »Gnade« hat, Kreisau und vor allem das Leben des Grafen Moltke darzustellen, so wie man es allein darstellen kann? Eben nicht von einem politischen oder historischen oder menschlichen Blickpunkt aus, solcher Darstellungen wird es viele geben, sondern wirklich, sub specie aeternitatis , wie er selbst es angedeutet hat mit den wunderbaren Worten: »Alles bekommt nachträglich einen Sinn, der verborgen war.«[34] Solches müßte geschrieben werden - nicht um des Grafen willen, sondern um des willen, was in Matthäus 5:14-16 geschrieben steht.[35] Soli Deo gloria â¦[36]

Ich möchte Ihnen, verehrte Frau Gräfin, mit meinem Brief keine Mühe machen. Vielleicht ist auch alles, was ich geschrieben habe, unreal , wie v. Hassel sagen würde. Es ist nicht gut, wenn man sich seiner selbst nicht sicher ist, aber vielfach ausgeglichen, wenn man sich nur der Gnade Gottes sicher ist. Vielleicht ist auch meine Anrede nicht richtig, aber das bekümmert mich nicht. Ich denke, manche der Freunde Ihres Mannes wußten auch nicht gleich, wie man eine Gräfin im Brief anredet. Ich bin einfach dankbar in meinem stillen Landpfarrerdasein für die wunderbare Begegnung mit dem Grafen v. Moltke in seinen Letzten Briefen, und das wollte ich Ihnen, verehrte Frau Gräfin, sagen.

 

Mit guten Wünschen und mit vorzüglicher

Hochachtung bin ich

Ihr

[Chr. Tröbst]

[2. Freya von Moltke â Christian Tröbst, 26. März 1957]

Berlin-Wannsee,
Am Kleinen Wannsee 29 B
den 26. März 1957

Lieber Herr Pastor,

sehen Sie, ich mache es mir nun leicht mit der Anrede. Ich kann nämlich leider Ihren Namen nicht mit Sicherheit lesen. Noch lieber hätte ich nämlich Lieber Herr Tröb â¦ (und nun bin ich nicht mehr sicher, ist es) sch oder st? (Oder gar Fröbel?) Das ist eine viel unangenehmere Frage für mich[37] als für Sie die, wie man mich anredet, da ich das letztere selbst nicht weiß. Mit Ihrem schönen Brief hätten Sie mich jedenfalls mit liebe Frau von Helmuth von Moltke anreden können. Ich danke Ihnen sehr für Ihren Brief. Er war stärkend. Seitdem ich von Südafrika zurück bin - das ist jetzt etwa ein Jahr her -, wo ich 9 Jahre lang mit meinen beiden Söhnen gelebt habe,[38] habe ich nämlich viel Ähnliches gedacht wie Sie in ihrem Brief an mich schreiben.

Mir ist es auch unfaßlich, wie es kommt, daß so viele Menschen in Deutschland von all dem, was geschehen ist, nichts wissen. D.âh. unfaßlich ist es mir eigentlich nicht, aber es ist für mich eine traurige Tatsache. Die Älteren denken ungern an das Hitler-Deutschland. Sie meinen, sie müßten nur nach vorn denken, sie hätten soviel zu tun, zuviel laste auf ihnen, den wenigen Übriggebliebenen, und außerdem haben sie ein schlechtes Gewissen und wollen gerne vergessen. Also denken sie auch ungern an den Widerstand: das gehört zusammen. Aber so wissen auch die Jungen nichts davon, und das ist noch sehr viel schlimmer. Schuldig sind sie ja sicher nicht an unserer Schuld, aber sie müssen doch mit ihrem Gewicht und allem, was dazu gehört, beladen werden, damit nicht wieder ein vollkommener und höchst gefährlicher Bruch zwischen den Generationen entsteht. Sie müssen ja doch auf uns aufbauen, also müssen sie auch wissen, aber nicht nur mit dem Kopf - das genügt nicht - sondern sie müssen es erfahren haben. Das tun sie aber nicht. Wie kann man das erreichen? Sie tun es z.âB., wenn sie sich Das Tagebuch der Anne Frank ansehen.[39] Das habe ich gemerkt. Aber weil die Alten nicht heranwollen, bekommen die Jungen Wesentliches nicht mit. Aber sie müßten es mitbekommen!

Sie sprechen von den Kreisauern. Ja, eine wesentliche...
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Autor

Krzysztof Ruchniewicz, geb. 1967, ist Historiker und Deutschlandforscher und als Professor am Willy-Brandt-Zentrum und Historischen Institut der Universität Wroclaw tätig. Er ist Träger des europäischen Viadrina-Preises der Universität Frankfurt/Oder 2023.

Marek Zybura, geb. 1957, Literatur- und Kulturhistoriker, ist Professor am Willy-Brandt-Zentrum der Universit¿t Wroclaw sowie Mitglied des polnischen PEN-Club und des PEN-Zentrum Deutschland.